Vor 90 Jahren holte der Faschismus zum entscheidenden Schlag aus und schaltete die organisierte Arbeiterbewegung aus. Der bewaffnete Widerstand im Februar 1934 gegen den Austrofaschismus endete in einer tragischen Niederlage. Konstantin Korn zeigt, warum die Februarkämpfe dennoch zum großen historischen Erbe unserer Klasse gehören.
In den Morgenstunden des 12. Februar fährt Polizei vor dem Linzer Arbeiterheim vor. Mit dem Vorwand, Waffen zu suchen, wollen sie die Schutzbündler zu einer bewaffneten Auseinandersetzung provozieren. Die Polizei wusste, dass der Linzer Arbeiterführer Richard Bernaschek zum Widerstand entschlossen war und gegen den Befehl der sozialdemokratischen Parteiführer in Wien, unbedingt weiter abzuwarten, losschlagen würde. Als in Linz die ersten Schüsse fallen, ist dies der Beginn der Entscheidungsschlacht zwischen Faschismus und Arbeiterbewegung.
In den meisten Industriestädten und in den Wiener Arbeiterbezirken sind tausende Arbeiter und Arbeiterinnen bereit, mit der Waffe in der Hand ihre Organisationen und die Reste der Errungenschaften der Revolution von 1918 zu verteidigen. Sie wussten, dass Faschismus das Ende all dessen bedeuten würde, was ihr Leben bis dahin lebenswert gemacht hat: die Sozialdemokratie mit ihren Kultur- und Sportvereinen, die Arbeiterbüchereien, die Gemeindebauten des Roten Wien, die Reformpädagogik in den neuen Kindergärten und Schulen. Sie hatten verstanden, dass sie an einem Scheideweg ihres Lebens standen: „Sozialismus oder Barbarei“. Und sie waren bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um die Barbarei zu stoppen.
Bauvolk der kommenden Welt
Die Männer und Frauen, die im Februar 1934 Widerstand leisteten, waren Kinder der Revolution von 1918. Damals, am Ende des Ersten Weltkriegs, begann eine neue Zeit. In Russland hatte die Arbeiterklasse ein Jahr zuvor die Macht erobert. „Sozialismus zu unseren Lebzeiten“ war auch in Österreich das Motto einer ganzen Generation, die unter dem Eindruck der Revolution stand, Sowjetrussland als Vorbild sah und sich als „Bauvolk der kommenden Welt“ verstand. Hunderttausende organisierten sich in diesen Jahren nach dem Krieg in Arbeiterräten und in der Sozialdemokratie, in der Hoffnung auf eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft. Die alte Ordnung der Monarchie war Geschichte, die Arbeiterbewegung enorm offensiv.
Die Bürgerlichen befanden sich in einem Schockzustand und mussten weitreichende politische Zugeständnisse an die Arbeiterklasse machen, um die Herrschaft des Privatkapitals an sich zu retten. Die Spitze der Sozialdemokratie wurde noch unter Zustimmung des Kaisers in die Regierung geholt, um die Lage zu stabilisieren. Dieses politische Manöver sowie viele Reformen (und Reformversprechungen wie die „Sozialisierung des Eigentums“) sollten den bürgerlichen Klassencharakter des neuen Staates vor der revolutionären Massenbewegung verschleiern.
Der Austromarxismus griff die revolutionäre Begeisterung in der Arbeiterklasse mit radikal klingenden Reden auf und lenkte sie mit dem Versprechen auf einen friedlichen, demokratischen Weg zum Sozialismus und dem Drohbild einer militärischen Intervention aus dem Ausland in ruhige Bahnen. Otto Bauer, der neue Führer der Sozialdemokratie, bilanziert die Rolle der Partei in den Jahren der Revolution aber unmissverständlich:
„Die Regierung stand damals immer wieder den leidenschaftlichen Demonstrationen der Heimkehrer, der Arbeitslosen, der Kriegsinvaliden gegenüber. Sie stand der vom Geist der proletarischen Revolution erfüllten Volkswehr gegenüber. Sie stand täglich schweren, gefahrdrohenden Konflikten in Fabriken, auf den Eisenbahnen gegenüber. Und die Regierung hatte keine Mittel der Gewalt zur Verfügung: die bewaffnete Macht war kein Instrument gegen die von revolutionären Leidenschaften erfüllten Proletariermassen. Keine bürgerliche Regierung hätte diese Aufgabe bewilligen können. Sie wäre binnen acht Tagen durch Straßenaufruhr gestürzt, von ihren eigenen Soldaten verhaftet worden. Nur Sozialdemokraten konnten diese Aufgabe von beispielloser Schwierigkeit bewältigen. Nur Sozialdemokraten konnten wild bewegte Demonstrationen durch Verhandlungen und Ansprachen friedlich beenden, die Arbeitermassen von der Versuchung revolutionärer Abenteuer abhalten.“
Der Kapitalismus und die bürgerliche Ordnung waren somit gerettet. Doch Dankbarkeit ist im Klassenkampf keine Kategorie. Unter dem Druck der bürgerlichen Gegenoffensive schied die Sozialdemokratie 1920 aus der Regierung aus. Ab diesem Zeitpunkt unternahmen die Bürgerlichen alles, um die Errungenschaften der Revolution rückgängig zu machen. Kanzler Ignaz Seipel, Priester und mit Sicherheit der weitblickendste bürgerliche Politiker seiner Zeit, formulierte das Ziel ganz offen: „den revolutionären Schutt wegräumen“.
Rechte Gewalt…
Zu diesem Zweck wurden ab 1923 verschiedene rechte paramilitärische Gruppen (Monarchisten, Heimwehren, Nazis) von der Regierung und den Industriellen unterstützt, die mit Gewalt die Arbeiterbewegung einschüchtern sollten. Und mit einer Salamitaktik wurden Schritt für Schritt soziale Verbesserungen rückgängig gemacht. Unterstützt vom faschistischen Italien und wichtigen Kapitalgruppen wurden die Heimwehren immer einflussreicher und aggressiver. Rückendeckung hatten die Faschisten all die Jahre von der Regierung, der Polizei und dem Justizapparat. Politische Morde gegen Arbeiter blieben ungesühnt, wo sich Arbeiter zur Wehr setzten, stellte sich der Staatsapparat auf die Seite der Faschisten.
Angesichts der Welle rechter Gewalt organisierte die Sozialdemokratie aus den Arbeiterwehren der Revolutionszeit den „Republikanischen Schutzbund“, der in seiner besten Zeit ca. 70.000 Mitglieder zählte und riesige Waffenlager kontrollierte. Ausgehend von revolutionär gesinnten Betriebsräten und Schutzbündlern kam es immer wieder zu spontanen Massenprotesten gegen die Gewalt der rechten Paramilitärs und die Klassenjustiz (Justizpalastbrand 1927, Gegenmobilisierungen zu Heimwehraufmärschen in roten Hochburgen, Pfriemerputsch 1931)
…Politik der Defensive
Die Sozialdemokratie versuchte in all diesen Kämpfen, die Massen zurückzuhalten, zu beruhigen und sie auf die nächsten Wahlen zu orientieren. Durch dieses ständige Zurückweichen des „Austromarxismus“ war den Bürgerlichen spätestens ab 1927 bewusst, dass die radikale Rhetorik der Parteispitze leeres Gerede war. Der Schutzbund wurde nicht als bewaffneter Arm im Klassenkampf eingesetzt, sondern als Ordnertruppe zur Beruhigung der Arbeiterklasse. Und wer sich alles gefallen lässt, der lädt bekanntlich den Aggressor ein.
Die Sozialdemokratie war sich bewusst, dass die Bürgerlichen auf Dauer eine starke Arbeiterbewegung nicht dulden würden. Für den Fall eines monarchistischen oder faschistischen Staatsstreichs drohte sie mit der „Diktatur des Proletariats“, sprich dem Sturz des Kapitalismus mit revolutionären Mitteln. Doch das waren nur leere Worte zur Beruhigung der revolutionären Kräfte in den eigenen Reihen. In der Praxis setzten die Austromarxisten alles in Bewegung, um die kampfbereiten Massen weiter zurückzuhalten. Gewalt wurde stets als letztes Mittel gesehen, das man nur zur Verteidigung gegen einen schon vollzogenen Staatsstreich anwenden dürfe, nicht aber 24 Stunden vorher, um einen solchen zu verhindern. Leo Trotzki hatte schon 1929 geschrieben:
„Kein Zweifel, daß Bauer, käme es zum Staatsstreich, Folgendes erklären würde: wir haben die Arbeiter nicht gegen die Faschisten in Bewegung gebracht, als (…) wir noch über mächtige Organisationen, eine legale Presse, 43 Prozent der Abgeordneten und den Wiener Gemeinderat verfügten; jetzt haben die Faschisten den Staatsapparat in Händen (…); unter diesen Umständen zum Aufstand rufen – das können nur verbrecherische Abenteurer oder Bolschewisten.“
Prophetische Worte…
Krise der bürgerlichen Demokratie
Das Heft des Handelns hat die Sozialdemokratie den Bürgerlichen überlassen. Unter den Bedingungen der Krise des Kapitalismus ab 1929 wechselten diese nahezu geschlossen ins faschistische Lager. Alle Widersprüche des österreichischen Kapitalismus, der damals der schwache Mann Europas war, steuerten auf einen Kulminationspunkt zu. Die Sicherungen der bürgerlichen Demokratie hielten diesen Spannungen der Krise und des polarisierten Klassenkampfes nicht mehr stand. Die Bürgerlichen sahen die Notwendigkeit, mit der Demokratie, die sie nie wollten und die ihnen von der Arbeiterklasse aufgezwungen worden war, abzufahren. Eine Lösung der Krise im Rahmen der parlamentarischen Demokratie war nicht mehr denkbar. Selbst die Arbeiterbewegung unter reformistischer Kontrolle konnten sie nicht mehr dulden, weil sie sich nie sicher sein konnte, ob die Arbeiterschaft nicht doch die Disziplin der Sozialdemokratie bricht und sich spontan erhebt.
Die Antwort der Bürgerlichen lautete: Ausschaltung des Parlaments, Errichtung eines Notverordnungsregimes, Rückbau aller Errungenschaften der Arbeiterbewegung (Kollektivverträge, Reformen des Roten Wien…). Unter dem Druck der internationalen Entwicklungen, vor allem der Machtergreifung Hitlers in Deutschland, war ab 1933 der Weg in den Faschismus vorgezeichnet.
Österreich stand Spitz auf Knopf. Die einzige Alternative wäre ein radikaler Kurswechsel hin zu einem revolutionären Bruch mit dem Kapitalismus gewesen. Die Arbeiterbewegung war zwar durch Krise und Massenarbeitslosigkeit geschwächt, zeigte sich jedoch noch immer kampfentschlossen. Am 15. März 1933 war sie aus Protest gegen die Ausschaltung des Parlaments bereit zum Aufstand. Am 1. Mai 1933 war sie massenhaft bereit zur Durchsetzung ihres höchsten Feiertags und ihrer Rechte. In all diesen Situationen weigerte sich der Austromarxismus, die eigene Basis in die Schlacht um die politische Macht zu führen und hoffte, auch unter den Bedingungen einer Diktatur die eigenen Organisationen und die damit verbundenen Privilegien als Arbeiterbürokratie behalten zu können – damit unterschrieb sie jedoch ihr Todesurteil. Die abwartende Haltung der Parteiführung lähmte die Arbeiterbewegung, was in der Masse der Arbeiterschaft zu Demoralisierung und Passivität führte.
Gleichzeitig kam es zur Herausbildung einer linken Opposition, die sich in Worten in der Tradition des Bolschewismus verstand, auch wenn sie in der Praxis nicht vollständig mit der Unentschlossenheit und Passivität des Austromarxismus brechen konnte. Aus ihren Reihen kamen im Februar 1934 viele derjenigen, die im Karl Marx-Hof, in Favoriten, in Graz oder in der Obersteiermark trotz einer ausweglosen Situation bewaffneten Widerstand leisteten. Entgegen der heutigen Darstellung durch die SPÖ verteidigten sie nicht mehr die bürgerliche Demokratie, diese war bereits seit Monaten ausgeschaltet. Sie verteidigten die noch verbliebenen Elemente der Arbeiterdemokratie in Form der Organisationen der Arbeiterbewegung. Mangels einer Führung, die bereit und fähig gewesen wäre, den Kampf um die Macht zu führen, endete dieses verzweifelte Aufbäumen der ungebrochen kampfeswilligen Minderheit in einer Niederlage. Tausende geschlagene ArbeiterInnen vollzogen nach dieser Tragödie den Bruch mit dem Reformismus der alten Sozialdemokratie, schlossen sich den Revolutionären Sozialisten oder der KPÖ an und stellten sich in die revolutionäre Tradition von Marx und Lenin.
(Funke Nr. 220/26.1.2024)