Im Jahr 1861 entzündete sich mit dem Austritt der Südstaaten aus der Union ein blutiger Bürgerkrieg. Nach vier Jahren des erbitterten Kampfes siegte die Armee der Unionsstaaten. Mit diesem Sieg wurde der Sklaverei der Todesstoß versetzt. Damit wurde in den USA die Grundlage für eine gewaltige Entwicklung der Produktivkräfte gelegt. Die Vereinigten Staaten stiegen in der Folge zur stärksten kapitalistischen Macht auf, die die Welt je gesehen hat. In diesem Artikel untersucht John Peterson von der US-Sektion der International Marxist Tendency dieses geschichtsträchtige Ereignis.
Der Bürgerkrieg dauerte vier Jahre lang und überzog die Vereinigten Staaten mit den furchtbarsten Kriegsgräueln, die das Land je erlebt hatte. Dem folgte in den Jahren der Wiedereingliederung der Südstaaten (der Reconstruction) eine Phase schwelender Revolution und Konterrevolution. Dieser Bürgerkrieg transformierte unsere Konzeption von diesem Land, die von da weg als einheitlicher Staat gesehen wurde. Eine klare Vorstellung von der Bedeutung dieser historischen Ereignisse ist unerlässlich, wenn wir verstehen wollen, mit welchem Land wir es heute zu tun haben. Denn „das Vergangene ist nie tot, es ist nicht einmal vergangen“, wie es schon der der große Schriftsteller des amerikanischen Südens, William Faulkner, formulierte.
Karl Marx zufolge machen die Menschen „ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.“[1]
Die Ereignisse vor 160 Jahren wirken in den heutigen Kämpfen gegen Ausbeutung, Rassismus und alle Formen von Unterdrückung und im Kampf für den Sozialismus weiter. Die „Black Lives Matter“-Bewegung in Reaktion auf die Ermordung von George Floyd durch einen Polizisten hat einmal mehr bewusst gemacht, dass der institutionelle Rassismus in den USA mehr als lebendig ist, und dass der Kampf gegen Ungleichheit und Unterdrückung nicht vom Kampf gegen Ausbeutung einer Klasse durch eine andere getrennt werden kann, und dass nur durch Massenkämpfe ein ernsthafter Systemwandel möglich ist.
Revolution und Konterrevolution
Wenn wir uns auf revolutionäre Erschütterungen in der nicht allzu fernen Zukunft vorbereiten, müssen wir uns gründlich mit den Revolutionen und Konterrevolutionen der Vergangenheit auseinandersetzen – nicht nur mit den Siegen, sondern auch mit den Niederlagen und den darauffolgenden Perioden der Demoralisierung und der Reaktion. Das Studium der Revolutionen kann nicht vom Studium der Konterrevolutionen getrennt werden, denn diese beiden Prozesse sind dialektisch miteinander verwoben. Wir müssen die Dynamiken, Widersprüche und Spannungen zwischen, aber auch innerhalb der Klassen verstehen und die sich verändernden Klassen- und Eigentumsverhältnisse, wie sie sich in einer bestimmten Gesellschaft entwickeln, analysieren.
Von einem marxistischen Standpunkt aus sind wir besonders daran interessiert, die Rolle der Massen in diesen Prozessen zu verstehen. Die Geschichte ist voller Beispiele, wo die Massen angesichts der tiefen Spaltungslinien in der herrschenden Klasse ihre Chance begreifen und sich erheben, um ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Gewaltsam greifen sie in den Lauf der Geschichte ein, auch wenn sie keinen klar ausgearbeiteten Plan haben, oder eine Führung, die den Aufgaben der Geschichte gewachsen ist.
Die erste Amerikanische Revolution, in der 13 Kolonien ihre Unabhängigkeit vom britischen Empire errangen, ist voll von heroischen Beispielen des Massenkampfes und der Aufopferung der Massen für ein größeres Ziel. Dies sollte aber durch die Entwicklung des Amerikanischen Bürgerkriegs bei weitem in den Schatten gestellt werden.
Nicht umsonst sprach Karl Marx vom „größten Ereignis unserer Zeit.“[2] Engels bezeichnete ihn als „den ersten großen Krieg der zeitgenössischen Geschichte.“[3] Und Lenin schrieb in seinem unnachahmlichen polemischen Stil, dass nur ein Pedant und Idiot die „so große weltgeschichtliche progressive und revolutionäre Bedeutung des amerikanischen Bürgerkrieges von 1863–1865“[4] verneinen könne.
Marx und Engels verfolgten mit großer Begeisterung die Entwicklung und analysierten alle zentralen ökonomischen, politischen, militärischen und diplomatischen Wendungen in diesem Krieg. Sie verfassten Dutzende von äußerst aufschlussreichen Artikeln und Briefen zum Amerikanischen Bürgerkrieg, die noch heute empfehlenswerte Lektüre darstellen. Marx schrieb sogar im Namen der Ersten Internationale einen Brief an Abraham Lincoln und gratulierte ihm 1864 zu seiner Wiederwahl. Darin fasste er seine Einschätzung der Ereignisse schön zusammen: „Wenn Widerstand gegen die Macht der Sklavenhalter die maßvolle Losung Ihrer ersten Wahl war, so ist Tod der Sklaverei! Der triumphierende Schlachtruf Ihrer Wiederwahl.“[5]
Ein widersprüchlicher Prozess
Revolutionen gehen stets Perioden voraus, in denen wirtschaftliche, politische, soziale und oft auch militärische Krisen Hand in Hand gehen. Wie bei Erdbeben und Vulkanausbrüchen handelt es sich dabei um nichtlineare Prozesse, die sich aus akkumulierten Widersprüchen und Spannungen ergeben, die früher oder später einen Punkt erreichen, wo sich all die Energie, die sich in der vorangegangenen Periode angestaut hat, Bann bricht.
Die Macht der Massen ist vergleichbar mit einer Naturgewalt, wie Hochwasser, das sich bei einem Damm staut. Wenn der Druck größer wird, können schon kleine Risse alles zum Bersten bringen. Ohne eine dialektische Herangehensweise verliert man sich leicht in Zahlen und Fakten, ohne die komplexen sozialen Phänomene, wie es Kriege, Revolutionen und Konterrevolutionen sind, wirklich zu verstehen.
Im Grunde war der Amerikanische Bürgerkrieg eine titanische Auseinandersetzung zwischen dem geschichtlich progressiven Industriekapitalismus im Norden und der auf Plantagenwirtschaft und Sklaverei basierenden Konterrevolution im Süden.
Doch wir sollten nicht den Fehler begehen und den Zusammenstoß zwischen Revolution und Konterrevolution zu vereinfacht darstellen. Im Gegensatz zur offiziellen Erzählung handelte es sich im Bürgerkrieg nicht um einen geeinten Kampf von Kapitalisten, antirassistischen Arbeitern und kleinen Farmern, die die Sklaverei verabscheuten auf der einen Seite und einer geeinten Horde von Plantagenbesitzern und rassistischen Farmern auf der anderen.
Auf beiden Seiten kamen tiefe Klassenwidersprüche zum Vorschein, und dann waren da natürlich Millionen Sklavinnen und Sklaven und Hunderttausende, die der Sklaverei entfliehen konnten. In jedem Teil des Landes, und auch unter deklarierten Gegnern der Sklaverei, traf man auf einen tiefsitzenden Rassismus. Und auch wenn sie objektiv gegen die Sklaverei kämpften, so war doch eine Mehrheit der Weißen in den Nordstaaten misstrauisch gegenüber SklavInnen, speziell gegenüber freigelassenen SklavInnen, die man als Konkurrenz um Arbeitsplätze und Land ansah.
Auch innerhalb der großen Streitparteien gab es große wirtschaftliche und kulturelle Differenzen. So hatten Delaware und Maryland ganz andere Interessen als Texas oder Mississippi. Und das trifft auch auf die Nordstaaten zu, wo Massachusetts oder Connecticut kaum mit Wisconsin oder Minnesota, die damals die westliche Grenze der Staaten bildeten, zu vergleichen waren.
Obwohl in New York bereits Jahrzehnte zuvor die Sklaverei abgeschafft worden war, profitierte die dort ansässige Finanzbourgeoisie mehr als irgendjemand anderer vom Sklavenhandel. Der Bürgermeister von New York City, Fernando Wood, machte gegenüber dem Stadtrat den ernstgemeinten Vorschlag, sich als „freie Stadt“ zu deklarieren und als neutraler Verbindungsposten für den wirtschaftlichen Austausch zwischen den Nord- und den Südstaaten zu fungieren. Wood gehörte zum innersten Kreis der berühmt-berüchtigten Tammany Hall, einer politischen Seilschaft, die die Demokratische Partei kontrollierte und die erpicht darauf war, die Einnahmen aus dem Sklaven- und Baumwollhandel nicht versiegen zu lassen, weil dies die ökonomische Basis für die politische Machtstellung der Parteimaschinerie der Demokraten in der Stadt darstellte.
Die Ursprünge des Bürgerkriegs können letztlich bis in die Gründungsphase des Landes sowie dem unvollständigen Charakter der ersten Amerikanischen Revolution zurückverfolgt werden. Die Unabhängigkeit von Großbritannien war zwar erkämpft worden, doch viele der historischen Aufgaben dessen, was Lenin als national-demokratische Revolution bezeichnete, blieben ungelöst. Es brauchte eine weitere Revolution, eine gewaltige soziale Umwälzung und eine Restrukturierung der Ökonomie und der Gesellschaft, um die Entwicklung des amerikanischen Kapitalismus zu beschleunigen.
Nach Jahrzehnten der Kompromisse mit den zentrifugalen Kräften, die die US-Präsidenten Jefferson und Jackson mit ihren Vorstellungen einer sehr föderalen Struktur der Vereinigten Staaten repräsentierten, zogen die Erben der föderalistischen Bewegung im Sinne von Gründervater Alexander Hamilton mit der Präsidentschaft Lincoln letztendlich einen Schlussstrich unter ihr föderalistisches Erbe. Der Krieg führte zu einer beispiellosen Zentralisierung, die notwendig war, um ausreichend menschliche und materielle Ressourcen finanzieren und mobilisieren zu können: mittels Zöllen, Steuern, der Einführung der Wehrpflicht, des ersten nationalen Papiergeldes und einer zumindest teilweisen Verstaatlichung des Eisenbahn- und Telegraphenwesens.
Was den Bürgerkrieg aber wirklich zu einer Revolution werden ließ, waren die sozialen Triebkräfte von unten. Es gab eine massive Beteiligung gewöhnlicher ArbeiterInnen und FarmerInnen aus dem Norden, die für die Verteidigung der Union und letztlich die Abschaffung der Sklaverei kämpften. Sie taten dies unter dem Banner der Union und der bürgerlichen Freiheit. Angetrieben wurden sie von der religiösen Rechtschaffenheit und dem revolutionären Geist von 1776. Viele von ihnen waren schon in Europa als Revolutionäre aktiv gewesen und mussten nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 emigrieren. 200.000 deutsche Einwanderer schlossen sich der Unionsarmee an, viele von ihnen hatten schon 1848 in der alten Heimat im bewaffneten Kampf Erfahrung gesammelt. Zehntausende Revolutionäre aus Irland und anderen europäischen Ländern schlossen sich ebenfalls dem Kampf an. Dazu kamen hunderttausende Sklaven, die in die Reihen der Nordstaaten eintraten und eine wichtige Rolle in diesem Befreiungskampf spielten – zehntausende von ihnen kämpften mit der Waffe in der Hand.
Zufall, Notwendigkeit und die Rolle des Individuums in der Geschichte
Es gehört zum ABC des Marxismus, dass Revolutionen Ausdruck tiefreichender sozialer und wirtschaftlicher Widersprüche sind. Doch das tatsächliche Resultat solcher Prozesse ergibt sich aus dem Widerstreit lebendiger Kräfte, einschließlich zahlloser Zufallselemente. Der genaue Ausgang der Ereignisse ist auf keinen Fall vorherbestimmt. Und obwohl die Rolle des Individuums in der Geschichte unbestritten ist und an gewissen Knotenpunkten der Entwicklung sogar entscheidend sein kann, wird der zentrale Verlauf der Ereignisse nicht durch den subjektiven Willen von einzelnen Akteuren bestimmt.
Abraham Lincoln verstand instinktiv dieses Zusammenspiel von objektiven und subjektiven Faktoren. Er formulierte es so: „Ich nehme für mich nicht in Anspruch, die Kontrolle über die Ereignisse gehabt zu haben, sondern ich gebe offen zu, dass die Ereignisse mich geleitet haben.“[6] Sein Denken und Handeln entwickelte sich im Laufe des Konflikts sprunghaft. Wir haben es mit einem spannenden Beispiel dafür zu tun, wie sich ein Reformist zu einem Revolutionär wandeln kann. Anfangs verfolgte Lincoln einen weitgehend legalistischen Ansatz. Sein Ziel war es, eine regional begrenzte Erhebung niederzuschlagen, bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Status quo, einschließlich der Sklaverei. Einen harten Standpunkt nahm er nur in der Frage der Ausweitung der Sklaverei auf die neu hinzukommenden Bundesstaaten ein.
In der weiteren Folge wurde er allerdings durch den Lauf der Ereignisse gezwungen, einen revolutionären Krieg der Zerschlagung der Sklaverei zu führen, denn die Sklavenwirtschaft war die eigentliche Ursache für die Rebellion des Südens. Hätte er den Kampf auf die Wiederherstellung der alten Ordnung beschränkt, wäre er mit ziemlicher Sicherheit gescheitert. Doch sobald er begriffen hatte, dass sich die Bedingungen grundlegend verändert hatten und er auch bereit war, sich vom Strom der Geschichte mitziehen zu lassen, drückte er dem Prozess seinen eigenen Stempel auf und leistete somit einen Beitrag dazu, den Bürgerkrieg in einen revolutionären Kampf mit seiner ganz eigenen Dynamik zu verwandeln.
Klassen- und Eigentumsverhältnisse
Schon lange vor dem Bürgerkrieg war der Kapitalismus im ganzen Land, und zwar auf beiden Seiten der Mason-Dixon-Linie (der historischen Grenze zwischen den Nord- und den Südstaaten; Anm.), die vorherrschende Produktionsweise. Die USA waren bereits die längste Zeit ein integraler Bestandteil des Weltmarktes, und in den Jahren nach der ersten Revolution wurden aus den Handelskapitalisten kapitalistische Fabrikanten und Industrielle.
Zur selben Zeit transformierte sich die weitgehend auf Selbstversorgung ausgerichtete Farmwirtschaft im Norden. Aufgrund einer Reihe von wirtschaftlichen und sozialen Faktoren, vor allem aufgrund des zunehmenden Marktdrucks, waren sie gezwungen, auf eine kleine, landwirtschaftliche Warenproduktion umzustellen, wenn sie nicht ihr Land verlieren und Lohnarbeiter werden wollten. In einigen Fällen schafften solche Farmer sogar den Sprung nach oben und wurden selbst kleine Kapitalisten.
Im Süden gab es ebenfalls einen gewissen Anteil an kleinen Farmern. Teilweise besaßen sie selbst Grund und Boden, teilweise pachteten sie Land. Andere wiederum waren landlos und zogen als Landarbeiter von Farm zu Farm oder fristeten ihr Dasein am Rande der Gesellschaft. Außerdem gab es im Süden einige Produktionsbetriebe. In den Vorkriegsjahren gab es sogar bewusste Anstrengungen, die Industrie in den Südstaaten auszubauen, weil man Angst hatte, von Industriegütern aus dem Norden völlig abhängig zu werden.
Doch die vorherrschende Ausbeutungsform und die wichtigste Grundlage der Ökonomie der Südstaaten war die Sklaverei zur Herstellung landwirtschaftlicher Waren, die auf dem Inlands- und auf dem Weltmarkt verkauft wurden.
Während also die kapitalistische Produktionsweise im ganzen Land vorherrschend war, stützte sich die herrschende Klasse in Nord und Süd weitgehend auf unterschiedliche Ausbeutungsformen, woraus sich zunehmend voneinander abweichende Interessen und Prioritäten ergaben.
Alles verkehrt sich in sein Gegenteil
Die Sklaverei hatte lange Zeit im ganzen Land eine überdimensionale Rolle bei der Kapitalakkumulation und -expansion gespielt. Sklaven kamen erstmals im Jahr 1619 in den Dreizehn Kolonien an, genauer in Virginia. Bis 1790, kurz nachdem die Verfassung angenommen worden war, lebten rund 700.000 Sklaven in den USA. Das entspricht rund einem Sechstel der damaligen Gesamtbevölkerung. Daraus ergab sich eine gewisse Vormachtstellung der Südstaaten in der Bundesregierung nach der Gründung der Republik, und das, obwohl dort weit weniger Menschen lebten.
Die Industrielle Revolution in Großbritannien und der Aufstieg der Baumwollindustrie schuf eine schier unbegrenzte Nachfrage nach Baumwolle. Die Erfindung der Entkörnungsmaschine im Jahre 1793 revolutionierte die Baumwollproduktion und führte zu einer noch größeren Nachfrage nach SklavInnen, weil nur so der Anbau dieser arbeitsintensiven Pflanze ausgeweitet werden konnte. Infolgedessen vervierfachte sich zwischen 1790 und 1860 die Zahl der Sklaven auf fast vier Millionen. 90% der Sklaven lebten in ländlichen Gebieten, vor allem auf den Plantagen. Doch es lebten auch viele Sklaven in den Städten oder arbeiteten in landwirtschaftlichen Industrien. In den meisten Städten des Südens machten die Sklaven rund 20% der Bevölkerung aus. In Charleston, South Carolina, stellten Sklaven und freie Schwarze sogar die Mehrheit gegenüber den Weißen.
Die exportorientierte Ökonomie der Südstaaten war von der Sklaverei extrem abhängig. Durch die Ausbeutung der Sklaven fielen immense Profite für die Plantagenbesitzer und ihre Geldgeber ab, doch die Sklavenwirtschaft entpuppte sich letztlich doch als Hemmschuh für eine weitere ökonomische Entwicklung. Obwohl es im Laufe der Zeit die eine oder andere Innovation gab, blieb die Ökonomie in den Südstaaten zwischen den 1820er und 1850er im Großen und Ganzen unverändert.
Im Norden hingegen entwickelte sich die Wirtschaft sprunghaft. Die Heimproduktion transformierte sich in ein kleinteiliges Manufakturwesen, das wiederum von großen Industriebetrieben abgelöst wurde. Das Kapital in den Nordstaaten akkumulierte sich in einem viel größeren Ausmaß, und die aufsteigende Großbourgeoisie strebte entsprechend ihrer zunehmenden ökonomischen Stärke nach politischer Macht.
Mehr als ein halbes Jahrhundert lang hatten diese beiden Sektoren eine symbiotische, wenn auch zeitweise angespannte Beziehung. Einen gemeinsamen Nenner fanden sie im Kampf gegen die britische Herrschaft, gegen die Anhänger von Captain Shay[7] und andere Rebellionen in den Jahren nach der ersten Revolution. Und es gelang ihnen in gemeinsamen Verhandlungen, eine erträgliche Übereinkunft zu treffen, wie die Macht aufgeteilt werden sollte. Dieser Kompromiss war mehrere Jahrzehnte lang tragfähig. Doch letztendlich stieß diese für beide Seiten vorteilhafte Beziehung an ihre Grenzen, und alles verkehrte sich in sein Gegenteil.
Sobald der Kapitalismus auf dem Kontinent seinen Siegeszug angetreten hatte, erwies sich die Sklaverei als weniger effizient in der Nutzung des Bodens und der menschlichen Arbeitskraft. Die Sklavenhalter standen auch vor der Herausforderung, ihre Sklaven den ganzen agrarwirtschaftlichen Zyklus lang und bei Preisschwankungen für Agrarprodukte sinnvoll zu beschäftigen. Sie sahen die Lösung darin, ihre Plantagen so eigenständig wie nur möglich zu halten. Das betraf nicht nur die Lebensmittelproduktion, sondern auch die Herstellung von Werkzeugen, Schmiedearbeiten usw. Damit wirkten sie jedoch der Herausbildung einer handwerklichen wie auch einer industriellen Warenproduktion in den von ihnen kontrollierten Gebieten entgegen. Angesichts einer zunehmenden internationalen Konkurrenz, die ihre Vormachtstellung im Handel mit Baumwolle bedrohte, wurde eine geographische Expansion für das Überleben der Sklavenhalter als Klasse immer wichtiger. Sie brauchten mehr Land für den Anbau von Baumwolle oder andere wirtschaftliche Aktivitäten, wo sie die Sklaven einsetzen konnten (z.B. in der Viehzucht und im Bergbau im Westen).
Doch die territoriale Ausweitung der Sklaverei wäre einer weiteren Expansion des Industriekapitals entgegengestanden, das auf die Ausbeutung von Lohnarbeit angewiesen war. Die Industriellen im Norden brauchten aber nicht nur Lohnarbeiter, sie waren außerdem abhängig von der Ausweitung der einfachen Warenproduktion in der Landwirtschaft, die für sie einen zentralen Markt darstellte. Mit anderen Worten, sie benötigten kleine, unabhängige Farmer, die über die Mittel verfügten, ihre Industrieprodukte zu kaufen. Und es waren genau diese Leute, die mit der Ausweitung der Sklaverei auf die westlichen Territorien nicht einverstanden waren. Der Norden war daher durch die Dynamik der kapitalistischen Produktion gezwungen, ihre eigenen ökonomischen Formen durchzusetzen, auch wenn dieses Ziel mit moralischen oder religiösen Konzepten oder im Namen eines abstrakten „Freiheit“-Begriffes vorgetragen wurden.
All das stellte eine existenzielle Bedrohung für den way of life in den Südstaaten dar, der in erster Linie auf der Sklaverei aufbaute. Die Aufgabe dieses Artikels ist es nicht, die Schrecken dieser sogenannten „speziellen Institution“ aufzuzählen. Und wir können in diesem Rahmen auch nicht auf die „Mittlere Passage“, den im großen Stil betriebenen Sklavenhandel von Afrika nach Amerika eingehen, oder auf die schätzungsweise 250 Sklavenaufstände unterschiedlichen Ausmaßes, die es allein in den USA gab. Es muss an dieser Stelle genügen, wenn wir festhalten, dass die Versklavten ihr Los nicht passiv über sich ergehen ließen, und dass die Millionen SklavInnen wie auch die freigelassenen Schwarzen, die die USA als ihre Heimat ansahen, ganz eigene kulturelle Ausdrucksformen, Kommunikationsnetzwerke und Widerstandsformen entwickelt haben.
Im Großen und Ganzen gab es ab den 1850er Jahren zwei sehr unterschiedliche sozioökonomische Einheiten, zwei verschiedene nationale Identitäten, die gezwungenermaßen im Rahmen desselben Nationalstaates koexistieren mussten. Langfristig gesehen war dieser Zustand nicht haltbar. Lincoln sagte dazu im Jahr 1858 folgende berühmt gewordene Sätze: „Jedes Haus, das in sich uneins ist, wird nicht bestehen. Ich glaube, daß diese Regierung auf Dauer nicht überleben kann, indem sie halb für die Sklaverei ist und halb für die Freiheit.“[8] Der Rahmen, den die ursprüngliche US-Verfassung und die Bill of Rights darstellten, war an seine Grenzen gestoßen und musste in gewaltsamer und dramatischer Weise auseinanderbrechen.
„Die Unfähigkeit zum Kompromiss“
Unter den vielen Kompromisslösungen, mit denen man aus den 13 sehr verschiedenen Kolonien eine einheitliche Nation zusammenzuschustern versuchte, war auch die irrsinnige Drei-Fünftel-Klausel aus dem Jahr 1787. Diese Klausel sprach den Sklaven zwar das Menschsein ab, wertete sie aber dennoch zu drei Fünftel als Person, wenn es um die Berechnung der Bevölkerungsgröße der Bundesstaaten ging, auf deren Grundlage die Sitze zum Repräsentantenhaus und zum Electoral College (dem Gremium der Wahlmänner, die den Präsidenten wählten; Anm.) bestimmt wurden. Der Historiker Shelby Foote – ein recht unverblümter Sympathisant der Konföderierten – sah die Ursache für den Bürgerkrieg in der Unfähigkeit der Amerikaner, Kompromisse zu schließen.[9]
Aus einer marxistischen Perspektive betrachtet ist aber klar, dass es keinen dauerhaften Kompromiss zwischen grundlegenden Klassenwidersprüchen geben kann. In letzter Instanz muss sich die eine oder die andere Klasse durchsetzen, die Macht ausüben und das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben dominieren. Alle großen Fragen werden letztlich durch den Klassenkampf entschieden, auf betrieblicher Ebene genauso wie auf der Straße, und wenn es hart auf hart kommt, dann auch auf dem Schlachtfeld – nicht aber an der Wahlurne, im Parlament oder vor Gericht.
Abraham Lincoln war sich dessen bewusst: „Wenn wir zwischen zwei Übeln auswählen müssen, muss der Krieg nicht immer die schlechtere Option sein.“[10] Krieg ist immer die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, und wie Lenin schon erklärt hat, ist Politik konzentrierte Ökonomie. Ein Bürgerkrieg ist nicht nur eine militärische Auseinandersetzung, er ist vor allem ein politischer und sozialer Kampf zwischen unterschiedlichen Klassen.
Nach dem Krieg versuchten die Apologeten der Konföderation, die die sogenannte „Lost Cause“-Ideologie verbreiteten, den Vorkriegs-Süden zu romantisieren und zu mythologisieren. Sie sprachen von einem gerechten Krieg gegen die „Aggression des Nordens“ und behaupteten, dass es den Konföderierten rein um die Verteidigung der Rechte der Bundesstaaten und der US-Verfassung ging. Diese These beinhaltet insofern ein Körnchen Wahrheit, als die Südstaaten für das Recht auf Ausbeutung der Sklaven kämpften. Und sie verteidigten damit auch die Verfassung, da diese ursprünglich sehr wohl die Sklaverei erlaubte und beschützte.
Die Gründerväter formulierten es im Artikel IV, Abschnitt 2 der Verfassung folgendermaßen: „Niemand, der in einem Einzelstaate nach dessen Gesetzen zu Dienst oder Arbeit verpflichtet ist und in einen anderen Staat entflieht, darf auf Grund dort geltender Gesetze oder Bestimmungen von dieser Dienst- oder Arbeitspflicht befreit werden. Er ist vielmehr auf Verlangen desjenigen, dem er zu Dienst oder Arbeit verpflichtet ist, auszuliefern.“
Die Bezeichnung „zu Dienst oder Arbeit verpflichtet“ ist ein Code für Sklaverei und Zwangsarbeit, eine weitere Form der ausbeuterischen Knechtschaft. Also schon vor dem Fugitive Slave Act aus dem Jahre 1850, auf den wir später noch zurückkommen, waren die Staaten per Verfassung dazu angehalten, geflüchtete Sklaven an ihre Eigentümer auszuliefern. Das Anliegen der Südstaaten war es letztendlich, den bisherigen Zustand mit den Mitteln der Gewalt im Sinne der reaktionären Klasse von weniger als 400.000 Sklavenbesitzern aufrechtzuerhalten.
Ein Krieg für die Sklaverei
Für all jene, die nach dem Krieg versuchten, die wahren Kriegsursachen in Vergessenheit geraten zu lassen, war es eine recht unangenehme Tatsache, dass sie vor dem Krieg offen zugaben, dass es in diesem Krieg um die Zukunft der Sklaverei gehen würde. Alle betonten explizit, dass die Sklaverei durch den Aufstieg des Nordens bedroht werde.
So beklagte die Sezessionsverordnung (Verordnung, die der Bundesstaat nach der Sezession – d. h. Loslösung – von der Union erlassen hat; Anm.) des Staates South Carolina, dass die Bundesregierung jene Gesetze nicht aufrechterhalte, die die Unantastbarkeit des Sklavenbesitzes garantieren sollten. In dem Dokument wird offen die „die wachsende Feindlichkeit von Seiten der Staaten, wo es keine Sklavenhaltung gibt, gegenüber der Institution der Sklaverei“ angeprangert.
Und in seiner „Cornerstone“-Rede, die er im März 1861 in Savannah (Georgia) hielt, sprach der damalige Vizepräsident der Konföderierten Staaten, Alexander Stephens, offen die wirkliche Ursache für die Sezession aus: „Unsere neue Regierung wird auf genau der entgegengesetzten Idee gegründet; ihr Grundstein ist gelegt, ihre Eckpfeiler beruhen auf der großen Wahrheit, dass der Neger[11] dem weißen Mann nicht ebenbürtig ist; dass Sklaverei, Unterordnung unter die überlegene Rasse, sein natürlicher und normaler Zustand ist. Diese, unsere neue Regierung, ist die erste in der Geschichte der Welt, die auf dieser großen physischen, philosophischen und moralischen Wahrheit beruht.“[12]
Karl Marx kommentierte als Zeitgenosse diese Rede folgendermaßen: „Auf die Frage nach dem Prinzip des Amerikanischen Bürgerkrieges antwortet die Schlachtparole, womit der Süden den Frieden brach. Stephens, der Vizepräsident der südlichen Konföderation, erklärte im Sezessionskongreß, das unterscheide wesentlich die zu Montgomery neu ausgeheckte Konstitution von der Konstitution der Washingtons und Jeffersons, daß jetzt zum erstenmal die Sklaverei als ein in sich selbst gutes Institut und als das Fundament des ganzen Staatsgebäudes anerkannt sei, während die revolutionären Väter, Männer, befangen in den Vorurteilen des achtzehnten Jahrhunderts, die Sklaverei als ein von England importiertes und im Laufe der Zeit zu beseitigendes Übel behandelt hätten.“[13]
Der einzige wirkliche Unterschied zwischen dem Verfassungstext der Vereinigten Staaten und jenem der Konföderation bestand darin, dass in mehreren Artikeln und Abschnitten nun expliziter davon gesprochen wurde, dass „kein Gesetz verabschiedet werden soll, das das Recht auf den Besitz von Negersklaven verneinen oder einschränken würde.“ Die Ironie der Sache liegt darin, dass die Südstaaten vor der Sezession von der Bundesregierung forderten, sie möge die Sklaverei in ihrem Sinne beschützen. So viel zum Gerede, es wäre um das Recht der einzelnen Bundesstaaten gegangen, diese Frage selbst entscheiden zu können. Jahrzehntelang hatte die Bundesregierung auch dementsprechend gehandelt. Als die Südstaaten erkannten, dass dieser Kurs nicht auf ewige Zeiten beibehalten würde, entschieden sie sich für die Abspaltung von der Union.
Aus den Reden von Alexander Stephens und anderen geht deutlich hervor, dass sich in den Südstaaten eine völlig andere Moral herausgebildet hatte, mit der die dort vorherrschende Gesellschaftsordnung gerechtfertigt wurde. Die großen Plantagenbesitzer stellten die Sklaverei als eine gütige Institution dar, als einen Segen, der den minderwertigen Untermenschen von den Angehörigen der überlegenen Rasse verliehen wurde. Sie kritisierten die Heuchelei der Spekulanten und Investoren im Norden, die mit dem Sklavenhandel Unsummen verdienten, auch wenn sie selbst keine SklavInnen besaßen. Sie machten sich sogar lustig über die Kapitalisten in den Nordstaaten, die nicht einmal imstande waren, ihren ArbeiterInnen ausreichend Verpflegung, Kleidung sowie Jobsicherheit zu garantieren, was die gütigen Sklavenbesitzer ihren SklavInnen gnädigerweise zur Verfügung stellten. In Wirklichkeit ging es abseits von der ideologischen Verschleierung natürlich, wie das in einer Klassengesellschaft immer der Fall ist, um die Frage des Privateigentums und der Aneignung privaten Reichtums.
Am Vorabend des Krieges waren Sklaven der bedeutendste Vermögenswert in den USA und machten rund 16 Prozent des gesamten Privatvermögens aus. Dieses menschliche Hab und Gut war gemäß den Preisen auf dem Sklavenmarkt geschätzte 3,5 Mrd. $ wert – mehr als alle Eisenbahnen, Fabriken und Banken des Landes zusammen. Einigen Schätzungen zufolge entspricht das einem Äquivalent von rund 10 Billionen $, gemessen am heutigen Geldwert. Baumwolle war das wichtigste Produkt, das in den USA hergestellt wurde, und die Textilfabriken in England und in den Nordstaaten hatten einen unersättlichen Appetit danach. 80% der weltweiten Baumwollproduktion und 77% der 800 Millionen Pfund Baumwolle, die in den großen Fabriken in Großbritannien verbraucht wurden, waren von Sklavinnen und Sklaven im amerikanischen Süden produziert worden.
Folglich waren die Konföderierten der Ansicht, sie hätten die besseren Karten in der Hand, als sie den Entschluss fassten, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie hielten bewusst Exporte zurück und verbrannten sogar 2,5 Mio. Ballen Baumwolle bei Ausbruch des Krieges, um so gezielt Lieferengpässe herbeizuführen. Während diese Rechnung auch aufging, gelang es ihnen jedoch nicht, mit diesem Schachzug Großbritannien zum Kriegseintritt auf der Seite der Konföderation zu bewegen oder zumindest von London formal anerkannt zu werden.
Kurzum, die vier Millionen Menschen, die den Großteil des Reichtums im Süden (aber auch einen beachtlichen Anteil des Reichtums im Norden) schufen, waren nicht aufgrund eines abstrakten Rassismus Sklaven. Sie waren Sklaven, um Profite für das Kapital zu schaffen, das aus allen Ausbeutungsverhältnissen fröhlich Geld scheffelte. Die Sklaverei brachte viel Geld ein, und das rassistische Gift, das im Zuge dessen verbreitet wurde, spiegelte dieses System wider bzw. hatte den Zweck, die ökonomische Ausbeutung zu rechtfertigen.
Der heraufziehende Sturm
Mit der möglichen Ausnahme der radikalen Sezessionisten (den „Fire-Eaters“) à la William Yancey, der militanten Abolitionisten (Anhänger der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei; Anm.) wie John Brown und dem obersten General der US-Armee zu der Zeit, Winfield Scott, sahen in den Jahren vor dem Krieg nur ganz wenige, welche Katastrophe sich über den USA zusammenbraute. Und niemand von den Genannten begrüßte die tiefreichenden sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen, die mit dem Krieg einhergehen sollten.
Selbst als die ersten Staaten ihren Austritt aus der Union verkündeten, dachten die meisten Menschen im Norden, dies wäre lediglich eine gewagte Politik, um weitere Zugeständnisse herausholen zu können. Höchstens, so die gängige Meinung, würde es zu einer kleineren regionalen „Rebellion“ kommen, die ohne viel Blutvergießen und mit überschaubaren materiellen Ressourcen beendet werden könne. Am Ende würde die Union mehr oder weniger auf der alten Grundlage wiedererrichtet werden. Im Süden dachten sich wohl viele, man könne ganz einfach aus den Vereinigten Staaten austreten und das bisherige System weiterführen – mit dem Vorteil, dass die Yankees sich nicht länger einmischen können.
Im Süden waren bei weitem nicht alle für die Sezession, und im Norden gab es genügend Stimmen, die die gewaltsame Unterdrückung des Südens nicht befürworteten. Einige hätten es durchaus vorgezogen, wenn Lincoln die Südstaaten einfach austreten hätte lassen. Doch die Dinge entwickelten sich rasend schnell, und bald schon war ein kritischer Punkt erreicht, wo die Angelegenheit nur noch mit Flinten, Kanonen, Kavallerie, Panzerschiffen und Eisenbahnen entschieden werden konnte.
Eine Chronik bis zum Flächenbrand
Schon im Jahr 1787, also noch vor dem formellen Inkrafttreten der US-Verfassung, kam die Frage der Sklaverei und ihrer Ausweitung in den westlichen Territorien im Rahmen der Northwest Ordinance auf. Diese Verordnung sah ein Verbot der Sklaverei im Nordwest-Territorium vor, das sich über die heutigen Bundesstaaten Michigan, Wisconsin, Ohio, Illinois, Indiana und Teile von Minnesota erstreckte. Unterzeichnet wurde dieses Dokument von George Washington, der selbst aber auch Sklavenbesitzer war. Der Louisiana Purchase von 1803 führte zu einer wichtigen territorialen Erweiterung und brachte erneut die Frage auf die Tagesordnung, ob in den neuen Gebieten der USA die Sklaverei erlaubt oder verboten sein sollte.
Im Jahr 1820 ermöglichte der Missouri Compromise die Aufnahme von Missouri in die Union bei Beibehaltung der Sklaverei in diesem Gebiet. Im Gegenzug wurde auch Maine, wo es keine Sklaverei gab, als Bundesstaat neu aufgenommen, um das labile Kräftegleichgewicht zwischen Sklavenstaaten und freien Staaten aufrechtzuerhalten. Die Spannungen waren dadurch für eine Zeit lang abgeschwächt worden, doch wurde damit ein Präzedenzfall für eine weitere Expansion der Sklaverei geschaffen. Die Jahre gingen ins Land, die Wirtschaft wuchs und die Bevölkerung nahm zu, und die Interessen der beiden Streitparteien gingen weiter auseinander.
Aus diesen Differenzen ergaben sich konkrete Fragestellungen in Bezug auf die Rolle der Regierung, wie zum Beispiel, ob die Bundesregierung Geld für große Infrastrukturprojekte wie Eisenbahnen, Kanäle, Häfen usw. aufbringen sollte. Oder sollten die Regierungsausgaben gesenkt und diese Aufgaben den Bundesstaaten überlassen werden? Nachdem der Süden der Ansicht war, es würden ein paar Häfen, Eisenbahnlinien und Wasserstraßen ausreichen, tendierten Politiker aus dem Süden dazu, den vom Norden gewünschten großen Infrastrukturprojekten Widerstand entgegenzubringen.
Ein weiteres Beispiel ist der Streit über die vom Norden geforderten Zölle, mit denen die Bundesregierung die neu entstehende Industrie schützen und fördern sollte, während der Süden den Freihandel befürwortete, was den billigen Import von Luxusgütern ermöglichte. Durch das föderale System waren die Entscheidungen der Zentralregierung natürlich für alle Bundesstaaten wirksam. Die Spannungen flammten erneut auf, als 1828 ein Zoll eingeführt wurde, mit dem Importgüter besteuert wurden, um die Interessen der Industriellen in den Nordstaaten zu beschützen. Diese konnten nämlich mit den billigen Importen aus Großbritannien nur schwer konkurrieren.
Diese Frage löste die Nullifikationskrise von 1832–33 aus, wo South Carolina schon damals mit der Sezession drohte. Nach dem Sklavenaufstand unter Nat Turner in Virginia im Jahr 1831, bei der 60 Weiße getötet wurden, war man im Süden voller Angst und Sorge. Die Reaktion der Sklavenhalter ließ nicht lange auf sich warten, und sie zeichnete sich durch eine unvorstellbare Brutalität und einen kaltherzigen Terrorismus aus. Turner wurde gehängt, ausgeweidet, gevierteilt, geköpft und in einem anonymen Grab verscharrt. 200 andere Sklaven, die großteils gar nicht an dem Aufstand teilgenommen hatten, wurden massakriert, um ein Exempel zu statuieren.
1845 kam es dann zur Annexion von Texas durch die Union und in der Folge zum Raubkrieg mit Mexiko (1846-1848). Die USA blieben in diesem „ungerechten“ Krieg, wie es Ulysses S. Grant später ausdrückte, siegreich[14] und enteigneten rund die Hälfte von Mexiko, einschließlich dem heutigen Kalifornien, Nevada, Utah und Teile von Arizona, New Mexico, Colorado und Wyoming. Erneut stellte sich die Frage, ob diese neuen Territorien Sklavenstaaten oder freie Staaten werden sollten. Mittlerweile war dies eine Frage von Leben und Tod geworden, und die Interessen der beiden Seiten standen sich unversöhnlich gegenüber.
Im Jahre 1850 wurde mit dem Fugitive Slave Act ein weiterer Kompromiss geschlossen, der in erster Linie als Reaktion auf die Aktivitäten der Underground Railroad gesehen werden muss, einem immer größer werdenden Netzwerk von Aktivistinnen und Aktivisten und finanziellen Unterstützern, die Sklaven zur Flucht verhalfen, hauptsächlich in den Norden. Erwähnenswert ist hierbei allerdings auch, dass es ein Netzwerk gab, das mehreren tausend Sklaven die Flucht nach Mexiko ermöglichte.
Der Fugitive Slave Act sollte die Bestimmungen der Verfassung bestärken und sah die Rückbringung der entflohenen SklavInnen zu ihren Eigentümern vor, und zwar unabhängig davon, in welchem Bundesstaat sie aufgegriffen wurden. Die Bundesregierung war zuständig, diese Regelung landesweit durchzusetzen. Gedacht war der Fugitive Slave Act als Kompensation dafür, dass Kalifornien als freier Staat anerkannt wurde. Die Eingliederung Kaliforniens in die Vereinigten Staaten war wiederum eine dringliche Angelegenheit geworden, nachdem dort 1849 Gold gefunden wurde. Es brauchte nun im Wilden Westen die rechtlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen, um das Gold fördern und in den Osten bringen zu können. Bei all dem darf man aber nicht vergessen, dass der Fugitive Slave Act, der im ganzen Land Sklavenjägern freie Hand ließ, im Norden für großen Unmut sorgte, ähnlich wie zuvor die Entscheidung, Schutzzölle einzuführen, im Süden auf Opposition gestoßen war.
1852 wurde der Roman „Onkel Tom’s Hütte“ veröffentlicht, in dem die Schrecken der Sklaverei ausführlich beschrieben wurden. Dieses Werk polarisierte das Land ungemein. Zwei Jahre später wurde der Kansas-Nebraska Act unterzeichnet, der den Weg zur Gründung von zwei neuen Bundesstaaten im Westen ebnen sollte. Damit wollte man die Voraussetzungen für den Bau einer transkontinentalen Eisenbahnverbindung schaffen. In der Folge kam es zum sogenannten „Grenzkrieg“, der auch als „Blutendes Kansas“ in die Geschichte einging. Wenn man so will, war dies ein Vorspiel des Bürgerkriegs, in dem es darum ging, ob die neuen Staaten frei sein oder die Sklaverei zulassen würden.
In dieser Situation wurde 1854 die Republikanische Partei gegründet, die sich gegen die Expansion der Sklaverei aussprach und in ihrem Programm die Grundsätze „freies Land und freie Arbeit“ vertrat. Ihr erster Präsidentschaftskandidat im Jahr 1856 war der berühmte Entdecker John C. Fremont, der im Süden als radikaler Abolitionist gesehen wurde. Ebenfalls 1856 wurde Charles Sumner, Senator für Massachusetts, im Senatssaal vom Abgeordneten Preston Brooks aus South Carolina mit einem Rohrstock brutal attackiert, weil er die Ehre des Südens beleidigt hätte.
Ein Jahr später kam der berüchtigte Fall Dred Scott vor den Obersten Gerichtshof, wonach Menschen dunkler Hautfarbe keine Staatsbürger der USA seien und deshalb auch keine Bürgerrechte haben könnten. Somit sollten Sklaven, die von ihren Eigentümern in freie Staaten gebracht würden, Sklaven bleiben, auch wenn in diesen Staaten die Sklaverei nicht existierte. Damit wurde die Sklaverei im Grunde landesweit legalisiert, womit der Ausweitung der Sklaverei auf den gesamten Kontinent Tür und Tor geöffnet wurde.
In diesen Jahren folgte also eine Krise auf die andere, und die USA steuerten auf einen Flächenbrand zu. Dazu kam noch die Wirtschaftskrise von 1857, eine klassische Überproduktionskrise. Doch das Kräftegleichgewicht endgültig aus dem Ruder brachte der unbeugsame Abolitionist John Brown – der „Meteor des Krieges“, wie ihn Herman Melville nannte.[15]
Die Abolitionisten und John Brown
Die Abolitionisten waren in der Zeit vor dem Bürgerkrieg eine relativ kleine politische Bewegung. Die Mennoniten und die Quäker spielten darin eine federführende Rolle. In New England und Städten wie New York war die Idee von der Abschaffung der Sklaverei besonders stark verbreitet, aber auch in Teilen des Westens der Vereinigten Staaten stieß sie auf fruchtbaren Boden, und selbst in den Südstaaten gab es einige Abolitionisten. Sie standen alle ganz besonders aufopferungsvoll und leidenschaftlich hinter der Sache. Zu ihnen zählten religiöse Führer wie Henry Ward Beecher und Zeitungsherausgeber wie William Lloyd Garrison oder Elijah P. Lovejoy, ein früher Märtyrer dieser Bewegung.
Die meisten von ihnen wollten die Sklaverei mittels Reformen überwinden. An eine tatsächliche Abschaffung über Nacht glaubten nur die wenigsten. Und obwohl sie die Sklaverei ablehnten, glaubten viele von ihnen nicht an eine wirkliche Gleichheit zwischen Schwarzen und Weißen. Vielmehr unterstützten sie die Idee, freigelassene Sklaven in Afrika wieder anzusiedeln.
Obwohl die Bewegung relativ schwach war, flößte sie den Sklavenhaltern im Süden mächtig Angst ein. Fast genauso viel Angst wie vor Sklavenaufständen hatten sie vor der Möglichkeit, die Kontrolle über die Bundesregierung an politische Kräfte zu verlieren, die auch nur ansatzweise abolitionistische Ideen teilten. Zu groß schätzte man die Gefahr ein, dies könnte der Anfang vom Ende der Sklaverei sein.
Einige AbolitionistInnen waren aktiv für die Underground Railroad. Zu ihnen zählte auch Harriet Tubman, die im Zuge ihrer 19 Touren in den Süden auf heldenhafte Art und Weise schätzungsweise 300 SklavInnen in die Freiheit führte. Andere waren konsequente revolutionäre Demokraten, wie der unvergleichliche Redner Frederick Douglass, der selbst ein entflohener Sklave war. Und dann war da John Brown, ein revolutionärer Abolitionist und religiöser Fanatiker, der davon überzeugt war, dass „alles, was es nun brauchte, Taten waren – Taten.“[16]
Brown glaubte leidenschaftlich an die Gleichheit zwischen Schwarzen und Weißen, und er hatte verstanden, dass die Sklavenhalter ihr Eigentum nicht kampflos aufgeben würden. Er hatte schon im „Blutenden Kansas“ eine prominente Rolle eingenommen. Er war auch am Massaker bei Pottawatomie Creek beteiligt, wo fünf Befürworter der Sklaverei mit Säbeln getötet wurden. 1858 hielt er in Chatham, Ontario, eine Versammlung ab, um die Befreiung und Bewaffnung von tausenden Sklaven im Gebiet der Appalachen vorzubereiten. Sein Ziel war die Gründung einer Republik von befreiten Sklaven, die den Süden in Angst und Schrecken versetzen und die Fortführung der Sklaverei ökonomisch unrentabel machen sollte.
Diese Pläne kulminierten in dem verhängnisvollen Überfall auf das Waffenarsenal der U.S. Army in Harpers Ferry im Jahr 1859. Es war Robert E. Lee, zu der Zeit noch Oberstleutnant, der eine Abteilung der Marines anführte, die Brown und seine Gefährten gefangen nahm. John Brown war gescheitert, aber er verstand, dass er selbst durch seinen Tod noch viel bewegen könne. Er formulierte es so: „Ich wurde geschlagen, wie es so schön heißt, doch ich bin sicher, dass ich mein ganzes verspieltes Kapital zurückgewinnen kann – indem ich nur einige Augenblicke am Strick baumle…“[17]
Und wie er in einer Notiz schrieb, die er dem Gefängniswärter auf dem Weg zum Galgen zusteckte: „Ich, John Brown, bin mir nun ziemlich sicher, dass die Verbrechen dieses schuldigen Landes nur mit Blut gesäubert werden können. Ich habe mir, wie ich jetzt denke, vergeblich eingeredet, dass es ohne viel Blutvergießen gehen könne.“[18]
In den Worten von Frederick Douglass: „Seine Hingabe für die Sache der Freiheit war unendlich stärker als meine. Meine war vergleichbar einem Kerzenanzünder, seine war wie die brennende Sonne. Meine war zeitlich begrenzt. Seine erstreckte sich bis zu den ruhigen Gestaden der Ewigkeit. Ich konnte für den Sklaven sprechen. John Brown konnte für den Sklaven kämpfen. Ich konnte für den Sklaven leben. John Brown konnte für den Sklaven sterben.“[19] Und als Malcolm X gefragt wurde, ob Weiße seiner Organisation of African Unity beitreten könnten, antwortete er: „Wäre John Brown noch am Leben, würden wir ihn aufnehmen.“[20]
John Browns Aufstand sollte die Menschen überall im Norden in den Bann ziehen. Fast vom Beginn des Bürgerkrieges an sangen die Soldaten der Nordstaaten am Lagerfeuer und bei öffentlichen Aufmärschen das Lied „John Brown’s Body“. Bei einem dieser Aufmärsche hörte die Dichterin und Abolitionistin Julia Ward Howe diese revolutionäre Hymne und wurde dazu inspiriert, zur selben Melodie die „Battle Hymn of the Republic“ zu schreiben. Viele andere noch viel ausdrücklichere revolutionäre Versionen wurden mit der Zeit verfasst und lassen den revolutionären Eifer erahnen, der während des Bürgerkriegs die Gesellschaft erfasste.
Viele im Süden hatten damals wiederum bereits seit Jahren eine Sezession offen in Erwägung gezogen. Einige glaubten sogar, mit einem Auszug aus der Union wäre der Weg frei für die Errichtung eines riesigen Sklavenreiches, wenn man Mexiko, die Karibik und vielleicht ganz Südamerika erobern würde. Auf Kuba gab es damals bereits 400.000 SklavInnen, Land, das es zu kultivieren galt, und die dortigen Plantagenbesitzer hofften auf die Unterstützung durch die USA im Kampf gegen Spanien.
Doch der Überfall von John Brown auf Harpers Ferry brachte das Fass zum Überlaufen. Dieses Ereignis zeigte ausreichend, dass die weißen Nordstaatler Sklaven zum Aufstand aufwiegeln und sich den Reichtum des Südens einverleiben wollten. Die Südstaatler sahen dadurch die Zivilisation selbst in Gefahr. In einem Sklavenstaat nach dem anderen wurden Pläne geschmiedet, Waffen angeschafft und Milizen ausgebildet für einen entscheidenden Showdown mit dem Norden.
Krisenpolitik
Vor dem Aufstieg der Republikaner waren die Demokraten und die Whigs die beiden größten politischen Parteien im Land. Die Demokraten waren traditionell für eine territoriale Expansion. Ganz Nordamerika sollte Teil der Vereinigten Staaten werden. Die Whigs hingegen hielten es für wichtiger, zuerst innerhalb der bestehenden Grenzen durch Investitionen aus dem Bundesbudget die notwendigen Verbesserungen bei der Infrastruktur, dem Bildungswesen, der Industrie, etc. in Angriff zu nehmen. In den 1850ern begannen sich die beiden Parteien aber aufzuspalten.
Alle Parteien bringen Klasseninteressen zum Ausdruck. Im Zuge wirtschaftlicher und sozialer Umbrüche, die sich meist schleichend und unbemerkt vorbereiten, treten neue Parteien auf und alte gehen unter oder sie schaffen es, sich neu zu erfinden. Solche Perioden zeichnen sich durch eine wachsende Instabilität aus, in der die Menschen nach neuen Ideen, Führern und politischen Organisationen suchen, die einen Ausweg aus der Sackgasse bieten können. In diesem Zusammenhang ist auch das Entstehen einer Reihe von ganz eigenen Parteien und Bewegungen in den 1850ern zu sehen. Neben der nativistischen Know-Nothing-Party wären da noch die Free Soil Party und dann natürlich die Republikanische Partei zu nennen.
Die Republikaner bestanden fast ausschließlich im Norden und repräsentierten in erster Linie die dort ansässigen Industriellen, aber auch kleine Geschäftsleute, Farmer und die Abolitionisten. Ihr Programm baute auf den Grundsätzen der alten Whigs Partei auf, die Zölle und „liberale Löhne“ forderte und die Infrastruktur mittels Investitionen aus dem Bundesbudget ausbauen wollte. Damit sollte die Entwicklung der „industriellen Interessen“ des gesamten Landes angekurbelt werden. Die meisten republikanischen Politiker handelten nicht aus Liebe zu den Schwarzen oder zu den Arbeitern. Vielmehr verstanden sie bewusst oder unbewusst, dass Sklavenarbeit und die Ausweitung der Sklaverei ein Hindernis für die Konsolidierung und Expansion des Kapitalismus darstellten.
Schon sechs Jahre nach der Gründung der Partei wurde der Republikaner Abraham Lincoln 1860 zum Präsidenten der USA gewählt. Wenn John Browns Überfälle das Fass zum Überlaufen gebracht hatten, dann zerbarst die Wahl Lincolns das Fass in unzählige Einzelteile. Nach Lincolns Wahlsieg sagte der Abolitionist Charles Francis Adams aus Massachusetts: „Die große Revolution hat nun tatsächlich stattgefunden… Das Land hat ein für alle Mal die Herrschaft der Sklavenhalter abgeschüttelt.“[21]
Doch es sollte noch einige Monate dauern, bis Lincoln sein Amt antreten konnte. Der bisher amtierende Präsident, der Demokrat James Buchanan, war ein Fähnchen im Wind. Er stammte aus dem Norden, sympathisierte aber mit dem Süden. Durch die Krise war er de facto handlungsunfähig. Aus seiner Sicht war eine Sezession des Südens nicht rechtlich gedeckt, doch seiner Meinung nach hätte die Bundesregierung auch nicht das Recht, die Sezession gewaltsam zu verhindern. Was tun?
Lincoln wurde in einer Wahl mit vier Kandidaten mit nicht einmal 40% der Stimmen gewählt – und stand in zehn Südstaaten nicht einmal auf dem Wahlzettel. Obwohl er persönlich die Sklaverei verachtete, galt er als „Gemäßigter“ und trachtete lediglich danach, die Ausweitung der Sklaverei in den neuen Territorien zu begrenzen. Wo die Sklaverei allerdings bereits existierte und von der Verfassung geschützt wurde, wollte er sie nicht verbieten. Doch jeder wusste, dass ein Ende der Expansion der Sklaverei generell das Ende dieser Institution einläuten würde.
Marx schrieb als Zeitgenosse: „Eine Festbannung der Sklaverei innerhalb ihres alten Terrains mußte also nach ökonomischem Gesetz zu ihrem allmählichen Erlöschen führen, politisch die Hegemonie, die die Sklavenstaaten durch den Senat ausgeübt, vernichten, endlich die sklavenhaltende Oligarchie innerhalb ihrer eigenen Staaten drohenden Gefahren von seiten der ‚armen Weißen‘ aussetzen. Mit dem Grundsatz, daß jede weitere Ausdehnung von Sklaventerritorien gesetzlich zu verbieten sei, griffen also die Republikaner die Herrschaft der Sklavenhalter an der Wurzel an. Der republikanische Wahlsieg mußte daher zum offenen Kampf zwischen Nord und Süd treiben. Indes war dieser Wahlsieg selbst, wie schon erwähnt, durch die Spaltung im demokratischen Heerlager bedingt.“[22]
Die Sezession
Viele der sogenannten „Fire-Eaters“ im Süden feierten Lincolns Wahlsieg regelrecht – weil sie wussten, dass damit die Befürworter einer Sezession an Zustimmung gewinnen würden. Sie waren überzeugt davon, wahre Revolutionäre zu sein, die in den Fußstapfen der Gründerväter wandelten und die Verfassung und ihre Interessen gegen tyrannische Eingriffe in das rechtmäßige Eigentum der Bürger verteidigten. Einige glaubten sogar, der Norden habe sich de facto von der Union abgespalten, denn die bestehende Verfassung ermöglichte ja die Sklaverei. Aus deren Perspektive hätten ein paar radikale Republikaner die Regierung gekapert und würden nun ihr Programm durchziehen. Andere wiederum gingen davon aus, die US-Verfassung wäre ein gescheitertes Experiment gewesen, und dass es eigentlich eine neue Verfassung brauche, die die Sklaverei noch viel expliziter befürworte.
Beide Seiten beriefen sich auf die Verfassung, die aus ihrer Sicht ihre Klasseninteressen zum Ausdruck bringen würde. Mit der Zeit jedoch spiegelte dieses Stück Papier vielmehr ein veraltetes Kräfteverhältnis zwischen unterschiedlichen Klassen wider. Nur ein blutiger Zusammenstoß und bedeutsame Veränderungen in der Verfassung konnten einen gesetzlichen Rahmen für das Weiterbestehen der Vereinigten Staaten auf einer neuen Grundlage schaffen.
Nichtsdestotrotz gab es auf beiden Seiten bis zuletzt Kräfte, die auf eine mögliche Einigung hofften. Entweder würden innerhalb der Union gewisse Garantien für die Aufrechterhaltung der Sklaverei durchgesetzt, oder man könne eine Trennung im beiderseitigen Einverständnis ausverhandeln, einschließlich einem Gentleman’s Agreement in Bezug auf die Aufteilung des Bundeseigentums zwischen den Staaten.
Gewisse Kreise im Süden wollten die neue Lincoln-Administration mit einem fait accompli konfrontieren, damit der Präsident nur mehr eingeschränkten Handlungsspielraum vorfände, und versuchten andere Sklavenstaaten für diesen Kurs zu gewinnen. Zu diesem Zweck erklärte South Carolina am 20. Dezember 1860, einige Monate vor Lincolns Angelobung, die Sezession von der Union. Kurz darauf folgten die wichtigsten Staaten aus dem „Cotton Belt“: Mississippi, Florida, Alabama, Georgia, Louisiana, Texas und in der Folge vier weitere Staaten. Somit hatten sich insgesamt 11 (von damals 33) Bundesstaaten abgespalten und formten eine neue Nation.
In Reaktion darauf nahm Lincoln eine pragmatische, maßvolle und sehr diplomatische Position ein, vor allem deshalb, weil er wichtige Grenzstaaten wie Virginia, Kentucky, Missouri und Maryland, die sich noch nicht abgespalten hatten, nicht auch noch provozieren wollte. Er hoffte noch immer, dass sich auch im Süden das Gefühl der Verbundenheit mit der Union durchsetzen würde und so eine Wiedervereinigung erzwungen werden könnte. Als ein Gratulant Lincoln versicherte, Gott sei in diesem Konflikt auf seiner Seite, scherzte der Präsident: „Ich hoffe, Gott auf meiner Seite zu haben, aber ich muss Kentucky haben.“ Das fasst sehr gut die politische, ökonomische und strategische Bedeutung der Grenzstaaten zusammen.
In seiner Antrittsrede versprach Lincoln das Blaue vom Himmel und reichte dem Süden die Hand der Versöhnung. Gleichzeitig akzeptierte er keinen Augenblick lang die Sezession einzelner Bundesstaaten. Die Sezession war aus seiner Sicht die Tyrannei einer Minderheit über die Mehrheit. Die Union war das Ergebnis eines kollektiven Übereinkommens und konnte nicht einseitig aufgelöst werden. Obwohl er die Südstaaten für die Sezession und eine gewaltsame Austragung des Konflikts verantwortlich machte, stellte er felsenfest klar, dass er das „Eigentum und die Orte, die der Regierung gehören, halten und besetzen“[23] werde.
Damit bezog er sich unmissverständlich auf Fort Sumter, ein Fort der Bundestruppen am Eingang zum Hafen von Charleston, South Carolina. Auch wenn dieses Fort nicht von entscheidender strategischer Bedeutung war, wurde Fort Sumter doch zum Symbol für die Bundesgesetze, das Eigentum der Union, ja der Union in ihrer Gesamtheit.
Doch selbst die sorgfältigste Wortwahl des eloquentesten aller US-Präsidenten war nicht imstande, die bereits geöffnete Büchse der Pandora wieder zu schließen. Schon Wochen zuvor, am 18. Februar, war Jefferson Davis als Präsident der Konföderierten Staaten von Amerika angelobt worden, und die beiden Staatengebilde befanden sich auf Kollisionskurs. Wie es der Historiker Bruce Catton ausdrückte: Jefferson und Lincoln waren die „rivalisierenden Führer zweier Nationen in einem Land, das nur eine Nation haben konnte.“[24]
Nach monatelangen Spannungen wurde Fort Sumter schließlich am 12. April 1861 von konföderierten Truppen bombardiert. Kurz darauf forderte Lincoln Truppen zur Niederschlagung der Rebellion an. Der Rubikon war überschritten, die Würfel waren gefallen, und nur ein offener Krieg konnte die Frage nun entscheiden. Auch wenn Kentucky, Missouri, Maryland und Delaware noch Teil der Union blieben, so trieb der Befehl an die Truppen, den Süden unter Druck zu setzen, die Bundesstaaten Virginia, Arkansas, North Carolina und Tennessee in die Arme der Konföderation.
Die Sezession von Virginia, dem wirtschaftlich stärksten und bevölkerungsreichsten Sklavenstaat, war von besonderer Tragweite und ließ keinen Zweifel mehr daran, dass dies ein langer und blutiger Krieg werden würde. Wie in sich widersprüchlich jedoch die Südstaaten waren, zeigt die Tatsache, dass der Westen von Virginia sich ebenfalls abspaltete und 1863 als West Virginia der Union offiziell wieder beitrat.
Kriegsausbruch
Im Gegensatz zu den Annahmen von Lincoln und anderen Politikern im Norden gingen beim Ausbruch der Gewalt die noch bestehenden Einheitsgefühle im Süden völlig verloren, und die Mehrheit der Bevölkerung in den Südstaaten stand eng zusammen, auch wenn die Klassenwidersprüche natürlich weiterbestanden und auch Soldaten desertierten und meuterten. In Richmond, der Hauptstadt der Konföderation, kam es sogar zu Brotrevolten. Doch auf beiden Seiten der Frontlinie herrschte massenhafte Kriegsbegeisterung vor, und diese Stimmung in der Bevölkerung befeuerte wiederum auf vielfältige Art und Weise die Politiker und sogar die Militärpolitik der verfeindeten Lager.
Jahrzehnte später erlebte Leo Trotzki in Wien den Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Er beschrieb die Stimmung in der Bevölkerung, die noch keine Vorstellung vom Horror des Krieges hatte und sich zu diesem Zeitpunkt vom Patriotismus und Nationalismus mitreißen ließ, folgendermaßen: „Solcher Menschen, deren ganzes Leben, tagaus, tagein, in monotoner Hoffnungslosigkeit verläuft, gibt es viele auf der Welt. Auf ihnen beruht die heutige Gesellschaft. Die Alarmglocke der Mobilisierung dringt in ihr Leben ein wie eine Verheißung. Alles Gewohnte, das man tausendmal zum Teufel gewünscht hat, wird umgeworfen, es tritt etwas Neues, Ungewöhnliches auf. Und in der Ferne müssen noch unübersehbarere Veränderungen geschehen. Zum Besseren? Oder zum Schlimmeren? Selbstverständlich zum Besseren: kann es dem Pospischil schlimmer ergehen als zu ‚normalen‘ Zeiten?“[25]
Ähnlich war die Stimmung sowohl im Norden als auch im Süden, als Hunderttausende an die Front zogen und glaubten, sie würden an einem kurzen, aber umso glorreicheren Abenteuer teilhaben.
Besonders angespannt war die Situation in den Grenzstaaten, d. h. in den Sklavenstaaten, die sich nicht von der Union abgespalten hatten, sowie in den Staaten, die nun Teil der Konföderation waren, wo es aber eine starke Verbundenheit mit der Union gab. Die Gefolgschaft von so vielen Staaten wie nur möglich zu gewinnen bzw. zu halten war eine kritische Angelegenheit in den folgenden politischen Manövern, in denen alles auf dem Spiel stand.
Wie bereits erwähnt, spaltete sich West Virginia von Virginia ab und bildete einen neuen Bundesstaat. In anderen Gebieten herrschte de facto ein Bürgerkrieg im Bürgerkrieg. Dies gilt vor allem für Missouri, aber auch für Teile von Kentucky, das östliche Tennessee u.a. In Staaten wie Maryland wurden eigene Regimenter aufgestellt, um auf der jeweils anderen Seite des Konflikts zu kämpfen. Die Vorstellung von Bürgerkrieg als einem Bruderkrieg trifft auf viele dieser Gebiete zu. In Gettysburg zum Beispiel standen sich am Culps Hill Soldaten aus Maryland gegenüber, wobei die einen für die Konföderation und die anderen für die Union kämpften.
Während der Süden jede Unterstützung brauchte, die er bekommen konnte, so war auch für den Norden das Halten der Grenzstaaten aus ökonomischer und strategischer Sicht überlebenswichtig. Lincoln schrieb im September 1861 an einen seiner Unterstützer: „Ich glaube, Kentucky zu verlieren, wäre so, als würden wir das ganze Spiel verlieren. Wenn Kentucky verloren ist, dann können wir auch weder Missouri noch, wie ich glaube, Maryland halten. Wenn sich die alle gegen uns zusammentun, dann ist die Herausforderung für uns zu groß. Wir müssten der Lostrennung zustimmen und wahrscheinlich auch der Besetzung unserer Hauptstadt.“[26]
Washington, D. C. war umgeben von Virginia und Maryland, zwei Sklavenstaaten, auch wenn sich nur einer der beiden abgespalten hatte. Die Hauptstadt und die Regierung von Präsident Lincoln waren aber in den ersten Kriegswochen in hohem Grade bedroht. Die einzige Möglichkeit, loyale Truppen zur Verteidigung der Stadt entsenden zu lassen, verlief über Baltimore, wo jedoch die Bevölkerung spürbar mit der Konföderation sympathisierte. Trotz des intensiven Bombardements kam niemand im Fort Sumter ums Leben. Erst am 19. April 1861 wurde erstmals Blut vergossen, als ein Südstaatenmob in Baltimore Truppen aus Massachusetts attackierte, die gerade auf dem Weg nach Washington waren. Vier Soldaten und zwölf zivile Aufrührer wurden dabei getötet.
Obwohl Lincoln ein Rechtsanwalt war und oft sehr legalistisch an die Dinge heranging, so war er doch nicht bereit, dass geduldiges Papier den Auflösungsprozess der Union beschleunigte. Um Staaten wie Maryland und Missouri in der Union zu behalten und die Verfassung als ein Ganzes zu verteidigen, war er mehr als bereit, einzelne Aspekte dieses Dokuments bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen und mit allen notwendigen Mitteln einen Krieg zur Verteidigung seiner Regierung und seines Landes zu führen.
Das inkludierte die Aufhebung des habeas corpus (wodurch die Rechtmäßigkeit einer Verhaftung nicht mehr gerichtlich überprüft werden musste; Anm.) in Teilen des Landes, die Schaffung eines Geheimdienstes, ein internes Passsystem für Bürger und die Verhaftung und Bestrafung von Unterstützern der Konföderation, darunter die Bürgermeister von Baltimore und Washington, D.C., der Kongressabgeordnete Henry May, der ehemalige Gouverneur von Kentucky Charles Morehead und eine Reihe von Zeitungsherausgebern aus dem Norden. Man schätzt, dass zwischen 13.000 und 38.000 Personen aufgrund ihrer politischen Haltung während des Krieges verhaftet wurden.
Oberflächlich betrachtet erscheint Lincoln angesichts dieser Maßnahmen wie ein Tyrann. Doch wie Trotzki einmal sagte, heiligt das Ziel die Mittel, wenn das Ziel selbst gerechtfertigt ist – selbst dann, wenn sich diejenigen, die zu diesen Mitteln greifen, ihres Zwecks nicht völlig im Klaren sind. Im Fall von Lincoln und dem Amerikanischen Bürgerkrieg ging es um die Abschaffung der Sklaverei, ein in der Tat gerechtfertigtes Ziel. Oder, um den radikalen Republikaner Thaddeus Stevens zu paraphrasieren: Die Gesetze des Krieges standen über den Bestimmungen der Verfassung.
Um seine Ziele erreichen zu können, musste Lincoln seinen Machiavelli verinnerlicht haben, um gegenüber Freunden wie Gegnern, gegenüber seinem Kabinett, den Generälen, den Medien und der Öffentlichkeit erfolgreich auftreten zu können. Das politische Genie dafür brachte er mit. Seine sorgsamen Balanceakte zwischen den verschiedenen Akteuren – von denen viele der Überzeugung waren, sie wären diesem Provinzanwalt weit überlegen – sind einzigartig in der gesamten US-amerikanischen Geschichte.
Die kommende Aggression
Der Norden verfolgte als Kriegsstrategie den sogenannten Anakonda-Plan, den der Generalleutnant der Union, Winfield Scott, zu Beginn des Krieges ausgearbeitet hatte. Auch wenn dieser Plan in der Presse in Bausch und Bogen von beiden Seiten zerrissen wurde, führte er letztendlich doch im Zuge der Umwandlung des Krieges in einen revolutionären Befreiungskampf zum militärischen Sieg. Im Wesentlichen sah der Plan die systematische Erdrosselung des Südens durch die Land- und Seestreitkräfte der Union vor. Durch eine Seeblockade der Küstenlinie der Konföderation und einen konzertierten Vorstoß den Mississippi River entlang, um die Kontrolle über diesen zentralen Wasserweg zu erlangen, sollte die Konföderation entzweigeteilt und ökonomisch massiv geschwächt werden.
Zu Beginn des Krieges verfügte die Union nur über 16.000 Soldaten, und die meisten davon waren im Westen stationiert. Ein Großteil der in West Point, New York, ausgebildeten Offizierskorps – wenn auch bei weitem nicht alle militärischen Kader – wechselten auf die Seite der Konföderation. Der Süden hatte in seinen Reihen Männer wie Robert E. Lee, Stonewall Jackson, James Longstreet und J.E.B. Stewart. Doch dem Norden verblieben Männer wie Ulysses S. Grant, William Tecumseh Sherman, Philip Sheridan und, bei allen Fehlern, der großartige Organisator George McClellan.
Auf beiden Seiten gab es natürlich auch genügend militärische Blindgänger und inkompetente Generäle, die nur deshalb diese Funktion ausübten, weil sie das Vermögen und die erforderlichen Mittel hatten, um ihre eigenen Einheiten aufzustellen und auszurüsten. Viele in der Konföderation hielten die Nordstaatler im Gegensatz zu den temperamentvollen und kämpferischen Menschen aus dem Süden für viel zu schwach und verweichlicht.
Doch wie George Ticknor aus Boston kurz nach dem Bombardement von Fort Sumter schrieb, herrschte im Norden „viel mehr Enthusiasmus und tiefere Ernsthaftigkeit. Männer und Geld stehen reichlich zur Verfügung, die Besten unter uns melden sich freiwillig an die Front, und Geld fließt unaufhörlich… Wir brauchten etwas länger, um die Flamme zu entzünden; aber als es uns gelang, haben wir nicht weniger als Nebukadnezars Feuerofen entfacht, und die Hitze wird bleiben, und die Glut wird schwelen, und zwar dann noch, wenn die jetzt entzündeten Flammen nicht mehr zu sehen oder zu spüren sein werden.“[27]
Und wie William T. Sherman einem Freund aus Louisiana in den Tagen nach der Sezessionserklärung von South Carolina vorausschauend schrieb:
„Ihr Leute aus dem Süden wisst nicht, was ihr tut. Dieses Land wird in Blut getränkt, und nur Gott weiß, wie das alles enden wird. Das ist alles ein Wahnsinn, ein Verbrechen gegen die Zivilisation! Ihr sprecht so leichtfertig über den Krieg; Ihr wisst nicht, wovon ihr redet. Der Krieg ist eine furchtbare Sache!“
„Ihr verkennt außerdem die Menschen im Norden. Sie sind ein friedfertiges Volk, aber sie sind auch ein ernsthaftes Volk, und sie werden auch kämpfen. Sie werden es nicht zulassen, dass dieses Land zerstört wird, ohne alles zu seiner Rettung Notwendige unternommen zu haben.… Nebenbei bemerkt, wo sind Eure Männer und Kriegsgerätschaften, um gegen sie zu kämpfen? Der Norden kann Dampfmaschinen, Lokomotiven und Eisenbahnwagen herstellen; Ihr könnt kaum ein Yard Kleidung oder ein Paar Schuhe herstellen.“
„Ihr drängt auf einen Krieg mit einem der mächtigsten, technisch versiertesten und entschlossensten Völker der Erde – direkt vor Eurer Haustüre. Ihr seid zur Niederlage verdammt. Nur durch Euren Geist und Eure Entschlossenheit seid Ihr bereit für den Krieg. In allem anderen seid Ihr völlig unvorbereitet, noch dazu habt Ihr einen schlechten Anlass, diesen Krieg loszutreten. Am Anfang werdet Ihr vorankommen, da aber Eure Ressourcen sehr begrenzt sind, werdet Ihr bald scheitern. Von den Märkten in Europa ausgesperrt, ist Eure Sache nicht zu gewinnen. Wenn Eure Leute innehalten und nachdenken, werden sie letztlich erkennen müssen, dass Ihr mit Sicherheit verlieren werdet.“[28]
Nach dem Kampf um Fort Sumter ließ Lincoln 75.000 Freiwillige für drei Monate mobilisieren. Doch in der weiteren Folge war er gezwungen, weitere 42.000 Mann und später noch einmal 500.000 Mann zu rekrutieren. Die Dienstzeit wurde auf drei Jahre verlängert und eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Bei Kriegsende hatten mehr als 2,1 Millionen Menschen in der Unionsarmee gedient, die damit die weltweit größte und am besten ausgebildetste und ausgerüstete Streitmacht war. Beachtenswert ist, dass rund 180.000 Soldaten Schwarze waren, die meisten von ihnen ehemalige Sklaven. Auf der Seite der Konföderierten dienten weitere 750.000 Männer.
Auf beiden Seiten fand eine gewaltige Mobilisierung statt. Und während die ersten Auseinandersetzungen, verglichen mit früheren Kriegen, noch wenige Opfer kosteten, wurde bald schon klar, dass dieser Krieg lange andauern und die Schlachterei unvorstellbare Ausmaße annehmen würde.
Eine neue Art von Krieg
Ulysses S. Grant schrieb später in seinen außergewöhnlichen Memoiren: „Bis zur Schlacht von Shiloh glaubte ich wie tausende andere Bürger, dass die Rebellion gegen die Regierung mit einem Schlag zusammenbrechen würde, wenn ein entscheidender Sieg über deren Armee errungen werden könnte. [Doch nach Shiloh] verabschiedete ich mich von der Vorstellung, man könne die Union ohne eine völlige Eroberung retten.“[29]
Im April 1862 verloren 13.000 Soldaten der Union und 10.000 Mann der Konföderation nahe von Shiloh, einer kleinen Landkirche im Südwesten Tennessees, ihr Leben oder wurden verwundet. Shiloh bedeutet im Althebräischen übrigens so viel wie „Ort des Friedens“. In allen bisherigen Kriegen in Amerika gab es zusammengenommen nicht so viele Tote wie in dieser einen Schlacht. Im Vergleich dazu gab es in der Ersten Schlacht am Bull Run, dem ersten großen Aufeinanderprallen der Kriegsparteien, insgesamt 4.750 Opfer. Dort erlitten die Truppen der Union im vorangegangenen Sommer nahe von Washington, D. C. eine verheerende Niederlage.
Die Nation war durch die Schlacht bei Shiloh entsetzt, und es baute sich Druck auf Lincoln auf, er möge den kommandierenden General Ulysses S. Grant entlassen. Lincoln verspürte die wichtige Bedeutung Grants und hielt ihm die Stange. So meinte er: „Ich kann diesen Mann nicht entbehren; denn er kämpft.“[30]
In einer anderen Situation, als gegen Grant unbegründete Vorwürfe erhoben wurden, weil er im Dienst angeblich betrunken gewesen sei, soll Lincoln gesagt haben:
„Aber können Sie mir sagen, von wo er seinen Whiskey bekommt?“
„Das können wir leider nicht, Mr. President. Aber warum wollen Sie das wissen?“
„Weil, wenn ich das herausfinden könnte, dann werde ich von diesem wunderbaren Whiskey an jeden General der Armee ein Fass schicken lassen.“
Diese kleinen Anekdoten geben wunderbar Einblick in die Art und Weise, wie Lincoln als Führungsfigur agierte. Er hatte eine große Menschenkenntnis und wusste, wie man aus den Talenten und Fähigkeiten der Menschen trotz gewisser Schwächen das Beste herausholen konnte, wie man aus widersprüchlichen Persönlichkeiten und Interessensgelagen ein Team herausbilden konnte, und er hatte kein Problem damit, den Erfolg mit anderen zu teilen, solange die Arbeit ordentlich gemacht wurde.
Viele der berühmtesten Schlachten des Bürgerkriegs, einschließlich Antietam, Fredericksburg, Chancellorsville, Gettysburg, Wilderness, Spotsylvania Courthouse, Cold Harbor und die Kraterschlacht fanden auf den östlichen Schauplätzen, in Virginia und Maryland statt. Doch es gab auch im Westen genügend bittere und blutige Kämpfe: in Tennessee und Georgia, an Orten wie Shiloh, Stones River und Chickamauga.
Viele Generäle der Union sympathisierten mit der Sklaverei und dem Süden und arbeiteten aktiv gegen Lincolns Politik. Sie wollten nur eine Rückkehr zum Status quo nach einer klaren Machtdemonstration – aber keinen entscheidenden Sieg und keine radikale Umwälzung der sozialen Verhältnisse. Spitzengeneräle wie George B. McClellan, Ambrose Burnside und Joseph Hooker überschätzten die Stärke des Gegners oder waren einfach überfordert mit der Verantwortung, die auf ihren Schultern lastete.
Ein gutes Beispiel ist McClellan, dem es gelang, eine große, gut gedrillte und teure Streitkraft, die Potomac-Armee, aufzubauen. Doch er suchte regelrecht nach Ausreden, um diese Armee nicht ins Feld führen zu müssen, nicht zuletzt aus Angst, diese Truppen verlieren zu können. Ein verärgerter Lincoln rief daraufhin im Frühling 1862 aus: „Wenn General McClellan die Armee nicht einsetzen will, dann würde ich sie mir für eine Zeit lang gerne ausborgen…“[31]
Marx war in seiner Kritik noch schärfer und beschrieb McClellans Generalschaft als „allein hinreichend, der größten und bestdisziplinierten Armee den Untergang zu sichern.“[32] Diese Schwäche der Generäle aus dem Norden war aus der Sicht von Marx in deren Klassenzugehörigkeit und ihren politischen Anschauungen begründet:
„McClellan, wie die meisten zu West Point gebildeten, der regulären Armee angehörigen Offiziere, sind durch esprit de corps mit ihren alten Kameraden im feindlichen Lager mehr oder minder verbunden. Sie sind von gleicher Eifersucht gegen die Parvenus unter den ‚Zivilsoldaten‘ beseelt. Der Krieg in ihrer Ansicht muß rein geschäftsmäßig, mit steter Hinsicht auf die Wiederherstellung der Union auf ihrer alten Basis geführt, daher vor allem von prinzipiellen und revolutionären Tendenzen freigehalten werden. Eine schöne Auffassung eines Krieges, der wesentlich ein Prinzipienkrieg ist! Die ersten Generale des englischen Parlaments verfielen in denselben Fehler. ‚Aber,‘ sagt Cromwell, ‚wie änderte sich alles, sobald Männer an die Spitze traten, die a principle of godliness and religion [ein Prinzip der Frömmigkeit und der Religion] bekannten!‘“[33]
Die Parallele zur ersten Phase der Englischen Revolution ist besonders treffend. In diesem Fall wurde der Kampf gegen die Monarchie ursprünglich vom Parlament angeführt, dessen Mitglieder lange Zeit hin- und herschwankten und um einen gemeinsamen Nenner mit dem royalistischen Lager bemüht waren. Sobald Cromwell und die radikaleren Elemente die Führung der Revolution übernahmen, beschleunigten sich die Dinge aber rasant. Diese Veränderung stärkte nicht nur die Revolution auf dem Schlachtfeld, sondern mobilisierte auch landauf, landab Massenunterstützung für Cromwells New Model Army.
Ähnlich war die Entwicklung in den USA. Das politische Schwanken und andere Schwächen der Führung resultierten für die Union in den ersten beiden Kriegsjahren in bitteren militärischen Niederlagen, was sich auch auf die Moral und das Selbstvertrauen der Truppen im Norden auswirkte. Die Masse der Bevölkerung, einschließlich der Soldaten, stand aber fest entschlossen hinter den Kriegsbemühungen und wollte diese Auseinandersetzung unbedingt zu einem siegreichen Abschluss bringen.
Im Gegenzug gelang den Nordstaaten im Westen ein Sieg nach dem anderen. Entscheidend waren dafür das taktische, strategische und operative Genie von Ulysses S. Grant und seine einer Bulldogge gleichenden Verbissenheit und seine Zähigkeit. Auf dem Schlachtfeld bewahrte er stets einen kühlen Kopf, in Fragen der Logistik war er ein wahrer Meister seines Fachs und dazu kam noch, dass er die Kommandanten, die ihm gegenüberstanden, persönlich kannte und sie richtig einzuschätzen vermochte. So gelang es ihm, einen Sieg nach dem anderen zu erringen, einschließlich der Einnahme des Fort Henry in Kentucky und des Fort Donelson in Tennessee. Grants militärische Strategie war einfach und klar: „Die Kunst der Kriegsführung ist einfach genug. Man muss nur herausfinden, wo sich der Feind aufhält. Geh auf ihn los, so schnell es dir möglich ist. Schlag so fest zu wie du nur kannst, und niemals aufgeben.“[34]
Grant versus Lee
Vor Kriegsbeginn konnte sich niemand vorstellen, dass Ulysses S. Grant zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte der Nordstaaten aufsteigen würde und später sogar Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte. Auch wenn Grant in West Point seine Offiziersausbildung absolvierte, so verließ er die Armee aufgrund der vielen Gerüchte über sein vermeintliches Alkoholproblem.
Auf Seite der Konföderation war zweifelsohne Robert E. Lee der berühmteste General. Er war ein wahrer „edler Ritter“, der angeblich die Sklaverei persönlich verabscheute, aber dennoch treu ergeben seinem geliebten Heimatstaat Virginia diente. Doch in Wahrheit war sein Charakter durchaus widersprüchlich. Zudem war Lee sowohl nach der Meinung des Autors dieses Artikels als auch nach der Meinung von Ulysses S. Grant als Oberbefehlshaber reichlich überbewertet.
Auch wenn er vor Fort Sumter die Erklärung abgab, er würde alle Sklaven befreien, wenn das die Einheit der Union retten und einen Krieg verhindern könnte, so waren Schwarze aus der Sicht von Lee doch minderwertig. Sie würden die starke, zivilisierende Hand des weißen Mannes benötigen. Als Plantagenbesitzer trennte er versklavte Familien – was als besonders grausame Bestrafung galt, schlimmer noch als körperliche Gewalt, von der es natürlich auch genügend gab. Nachdem zwei von seiner Plantage entflohene Sklaven wieder eingefangen worden waren, ließ er sie nicht nur auspeitschen, sondern befahl auch noch, dass man ihnen Salzwasser in die Wunden leerte.
Man vergleiche dies mit dem Verhalten von Ulysses S. Grant. Irgendwann in den 1850ern hatte er von seinem Schwiegervater, der eine mittelgroße Plantage mit rund 30 Sklaven besaß, einen Sklaven namens William Jones erstanden. Grant arbeitete Schulter an Schulter mit Jones und den anderen Sklaven auf seinem bescheidenen Gehöft, auf dem eine selbstgebaute Hütte mit dem unironischen Namen „Hardscrabble“ („ertragsarm“; Anm.) stand. Am 29. März 1859 begab sich Grant nach St. Louis zu Gericht und veranlasste die Freilassung von Jones aus der Sklaverei. Grant hatte damals gröbere wirtschaftliche Probleme und hätte Jones für 1,000 $ oder mehr verkaufen können, was damals viel Geld gewesen wäre.
Was das militärische Geschick anlangt, erwies sich Lee auf dem Schlachtfeld durchaus als taktisches Genie, doch er beging auch einige Fehler, davon manche mit gravierenden Folgen. Was aber wohl noch entscheidender war: Lee hatte, verglichen mit Grant, eine weit eingeschränktere Vision, wenn es um Fragen strategischen Denkens ging. Dieser Unterschied ergab sich zu einem guten Teil aus den unterschiedlichen Klasseninteressen, die die beiden Generäle verkörperten, wie auch ihrer eigenen Klassenherkunft.
Lee war so blaublütig, wie man es in den USA nur sein konnte. Der plantagenbesitzende Sohn eines Kriegshelden aus der Revolution hatte eine Tochter von George Washingtons Adoptivsohn geheiratet. Grant auf der anderen Seite war der Sohn eines Gerbers, der als Farmer und kleiner Geschäftsmann gescheitert war, der am Tiefpunkt seines Lebens Fuhren von Brennholz verkaufen musste, um überhaupt überleben zu können. Bei Kriegsbeginn arbeitete Grant als Angestellter im Ledergeschäft seines Vaters in Galena, Illinois.
„Konterbande“
Zu Beginn des Krieges wurden geflohene Sklaven, die die Grenze zur Union überschritten hatten, tatsächlich an ihre Besitzer in der Konföderation zurückgegeben. Sie wurden als „lebendiges Eigentum“ gesehen, und das Recht auf Eigentum hatte respektiert zu werden. Doch im Mai 1861 überschritten drei Sklaven, die zum Bau konföderierter Verteidigungsanlagen eingesetzt worden waren, bei Fort Monroe in Hampton Roads, Virginia, die Grenze zur Union. Anstatt sie in die Sklaverei zurückbringen zu lassen, behielt sie General Benjamin Butler als „Kriegskonterbande“ (eine im Krieg verbotenerweise gehandelte und konfiszierte Ware, vergleichbar mit einer auf hoher See abgefangenen Schiffsladung an Gewehren oder Munition; Anm.).
Vergessen wir einmal, dass Lincoln die Konföderation nicht als fremdes Land anerkannte, oder dass es völlig unklar war, wer tatsächlich der Besitzer dieser Sklaven war, oder ob die drei von nun an und für alle Zeit frei waren. Trotz der unklaren Situation drückte diese scheinbar einfache und sehr begrenzte Kriegsmaßnahme eine tiefere, historische Notwendigkeit aus und entfaltete bald schon ein Eigenleben. Damit wurde ein Präzedenzfall geschaffen, und die Nachricht machte in Windeseile in der gesamten Konföderation die Runde – sowohl unter Sklavenhaltern wie auch unter den Sklaven selbst.
SklavInnen hatten über die Jahrhunderte in unterschiedlichster Form Widerstand gegen ihre Besitzer geleistet: Sie verlangsamten das Arbeitstempo, sabotierten Maschinen, täuschten Krankheit vor, zerstörten Anbaukulturen. Sie stritten und kämpften mit ihren Herren und Aufsehern. Viele stahlen Lebensmittel oder Wertgegenstände. Einige lernten heimlich lesen und schreiben, was gesetzlich verboten war. Andere brannten Wald oder Gebäude nieder oder töteten ihre Herren mit Waffen oder Gift. Unzählige SklavInnen flohen in den Norden, nach Kanada, nach Mexiko oder in die Sumpfgebiete im Süden, wo sie unabhängige, von der Außenwelt abgeschnittene Communities gründeten oder sich indigenen Stämmen anschlossen, wie den Schwarzen Seminolen. Andere begingen Selbstmord oder verstümmelten sich selbst, um ihren Wert zu ruinieren.
Als die Truppen der Union die Konföderation von allen Seiten eingeschlossen hatten, überschritten hunderttausende SklavInnen die Grenze und unterstützten die Sache der Union, viele von ihnen auch als uniformierte Soldaten.
Unabhängig davon, ob die Armee der Nordstaaten dies beabsichtigte oder nicht, so wurde doch die ganze gesellschaftliche Struktur des Südens schwer erschüttert, und zwar schon eine geraume Zeit, bevor die Befreiung der Sklaven zum offiziellen Kriegsziel wurde. In vielen Gebieten hauten die Weißen mehrheitlich ab und ließen ihre Sklaven einfach zurück. Letztere begrüßten die Truppen der Union als Befreier und organisierten sich gleichzeitig, besetzten das von der Herrschaft verlassene Land und bearbeiteten es selbst. So sah der Molekularprozess der Revolution aus, als die Soldaten der Union im Vormarsch waren und auf selbstorganisierte Sklaven trafen. Ging es anfangs nur um die Niederschlagung einer regional begrenzten Rebellion, brachte der Verlauf des Krieges völlig unbeabsichtigte Konsequenzen.
Einige Generäle der Union, wie Fremont in Missouri und David Hunter in Georgia, waren schon sehr früh im Alleingang in diese Richtung gegangen, wurden aber von Lincoln gezügelt. In seiner ersten Jahresansprache vor dem Kongress im Dezember 1861, also nur wenige Monate vor Kriegsbeginn, erklärte Lincoln sehr deutlich: „Bei der Erwägung der anzuwendenden Politik zur Unterdrückung des Aufruhrs war ich sorgsam darauf bedacht, dass der unvermeidbare Konflikt nicht in einen gewaltsamen und unerbittlichen revolutionären Kampf ausartet. Ich habe es daher in jedem Fall für angemessen gehalten, die Wiederherstellung der Integrität der Union zum vorrangigen Ziel unseres Plans zu machen und alle Fragen, die nicht von unverzichtbarer militärischer Notwendigkeit sind, dem bedachtsamen Handeln der Gesetzgebung zu überlassen.“[35]
Doch Lincoln musste in der Folge erkennen, dass die Union nicht nur gegen die konföderierte Armee kämpfte, sondern die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich hatte, weil sich diese in einem Verteidigungskrieg sah. Die Sklavenarbeit war die Grundlage der Ökonomie der Südstaaten und erlaubte auch, dass ein größerer Anteil der Bevölkerung in der konföderierten Armee kämpfen konnte. Um den Krieg zu beschleunigen und das Blutvergießen zu stoppen, musste die soziale und ökonomische Basis der Rebellion zerschlagen werden.
Es ist eine Ironie der Geschichte, dass der Sieg von Robert E. Lee in der Sieben-Tage-Schlacht, bei der McClellans Invasion in Virginia im Sommer 1862 zurückgeschlagen wurde, das Ende der reformistischen Strategie der Nordstaaten einläutete, die die Niederschlagung der Rebellion bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Sklaverei zum Ziel hatte. Dieser militärische Sieg hätte die Sklaverei sichern sollen, doch stattdessen verdeutlichte er, dass die Zerschlagung dieser Gesellschaftsordnung unvermeidlich war.
Nur wenige Wochen später, im August 1862, schrieb Lincoln an den Abolitionisten und Zeitungsherausgeber Horace Greeley:
„Mein vorrangiges Ziel in diesem Kampf ist es, die Union zu retten, nicht aber die Bewahrung oder Beseitigung der Sklaverei. Wenn ich die Union retten könnte, ohne einen einzigen Sklaven zu befreien, würde ich es tun, und wenn ich sie retten könnte, indem alle Sklaven befreit werden, würde ich es tun; und wenn ich sie retten könnte, indem ich einige befreie und andere nicht, würde ich es auch tun.“[36]
Lincoln ist sich zu diesem Zeitpunkt aber schon bewusst, dass die Befreiung der Sklaven die mächtigste Waffe im Arsenal der Union war. Mit seiner beeindruckenden Weitsicht schrieb Karl Marx im August 1862:
„[Lincoln] irrt nur, wenn er wähnt, die ‚loyalen‘ Sklavenhalter seien durch wohlwollende Reden und Vernunftgründe bestimmbar. Sie werden nur der Gewalt weichen. Wir haben bisher nur dem ersten Akt des Bürgerkrieges beigewohnt – der konstitutionellen Kriegsführung. Der zweite Akt, die revolutionäre Kriegsführung, steht bevor. […] So, wie immer die Würfel des Kriegsglücks fallen mögen, kann schon jetzt mit Sicherheit gesagt werden, daß die Negersklaverei den Bürgerkrieg nicht lange überleben wird.“[37]
Nur wenige Wochen später, im September 1862, kam es am Antietam in Maryland zum blutigsten Tag in der Militärgeschichte der USA. Auch wenn es kein überwältigender Sieg war, so gelang es McClellan doch, die erste Invasion von Robert E. Lees Armee gegen den Norden zurückzuschlagen. Lincoln nutzte die neue Dynamik und kündigte die Emanzipationsproklamation an, mit der er die Freilassung aller Sklaven ab dem 1. Januar 1863 versprach – ließ gleichzeitig aber die Institution der Sklaverei in den Grenzstaaten, die sich nicht abgespalten hatten, unangetastet.
Marx kommentierte diese Maßnahme folgendermaßen: „Wichtiger noch als der Maryland-Feldzug ist Lincolns Proklamation. Lincolns Figur ist ‚sui generis‘ in den Annalen der Geschichte. Keine Initiative, keine idealistische Schwungkraft, kein Kothurn, keine historische Draperie. Er tut das Bedeutendste immer in der möglichst unbedeutendsten Form.… Denselben Charakter trägt seine jüngste Proklamation, das bedeutendste Aktenstück der amerikanischen Geschichte seit Begründung der Union, die Zerreißung der alten amerikanischen Verfassung, sein Manifest für die Abschaffung der Sklaverei.“[38]
Die Emanzipationsproklamation befreite nicht nur die Sklaven aus den Staaten, die sich gegen die Regierung aufgelehnt hatten, sie zielte auch darauf ab, die ehemaligen Sklaven zu bewaffnen und sie in die Armee der Union zu integrieren. Grant war voller Begeisterung für diese Maßnahme. Er formulierte es so: „Indem wir dem Schwarzen Waffen geben, haben wir einen mächtigen Verbündeten hinzubekommen. Sie werden gute Soldaten abgeben, und sie dem Feind zu entziehen, wird diesen in dem Maße schwächen, wie es uns stärken wird. Ich bin daher entschieden dafür, diese Vorgangsweise voranzutreiben. “[39]
Revolutionärer Krieg
Nun waren alle Karten auf dem Tisch und der zweite Akt, die revolutionäre Phase des Krieges, wurde noch erbitterter und blutiger als der erste. Bevor die Befreiung und Bewaffnung der Sklaven zur offiziellen Politik gemacht worden waren, hatte es der radikale Republikaner Thaddeus Stevens so ausgedrückt:
„Der Krieg wird erst enden, wenn die Regierung den ganzen Umfang der Krise voll erkannt hat; wenn sie erkannt haben, dass es sich um einen gegenseitigen Vernichtungskrieg handelt, in dem entweder die eine oder die andere Seite auf einen Zustand völliger Hoffnungslosigkeit reduziert wird und jede Möglichkeit zu weiteren Initiativen komplett ausgelöscht werden muss. Das ist die traurige Wahrheit.“
„Der Süden kann niemals in eine solche Lage versetzt werden, solange der Krieg nach den derzeitigen Grundsätzen geführt wird. Der Norden kann trotz seiner Abermillionen Menschen und seinem unzähligen Reichtum den Süden nicht einnehmen, ohne einer neuen Art der Kriegsführung. Solange diesen Staaten die Möglichkeit gelassen wird, mittels Sklavenarbeit den Boden zu bewirtschaften, kann man Jahr für Jahr das Blut Tausender und Geldsummen in Milliardenhöhe aufwenden, ohne dem Ziel näher zu kommen, es sei denn, man erreicht es durch die eigene Unterwerfung und den Ruin der Nation. Die Sklaverei gibt dem Süden einen großen Kriegsvorteil. Sie müssen der Kultivierung des Bodens keine einzige Hand entziehen. Jeder taugliche weiße Mann kann der Armee überlassen werden. Der Schwarze ist die Hauptstütze des Krieges, ohne je eine Waffe zu bedienen…“
„Gib [dem General] ein Schwert in die eine und das Buch der Freiheit in die andere Hand und er wird den Despotismus und die Rebellion von jeder Ecke des Kontinents hinwegfegen.“[40]
Die Befreiung war ursprünglich als Kriegsmaßnahme gedacht, um die Fähigkeit der Konföderation zur Fortsetzung des Krieges zu untergraben. Sie bedeutete, dass mit 1. Jänner 1863 alle Personen, die in den Regionen, die sich gegen die Bundesregierung aufgelehnt hatten, als Sklaven gehalten wurden, „folglich, von nun an und für immer frei“ sein würden. Obwohl sich die Proklamation nicht auf die Sklaven in den nichtabtrünnigen Grenzstaaten bezog, betraf dieser Schritt immerhin 7/8 der Sklaven – eine entscheidende Zahl, die unweigerlich zur Freiheit der übrigen Sklaven führen würde. Die Sklaven galten nun nicht mehr länger als konfisziertes Eigentum oder „Konterbande“, die nach dem Krieg an ihre Besitzer zurückgegeben werden konnten.
Obwohl nach dem Zweiten Beschlagnahmungs- und Milizgesetz vom Juli 1862 in Louisiana, Kansas und South Carolina bereits einige schwarze Infanterieeinheiten entstanden waren, formierte sich nach der Proklamation das berühmte 54. Infanterieregiment von Massachusetts als erste Einheit, die sich nur aus Schwarzen zusammensetzte. Dieses Regiment wurde Anfang Februar 1863 durch den abolitionistischen Gouverneur des Bundesstaates aufgestellt. Seine Geschichte wurde in dem Film „Glory“ erzählt. Doch auch in Uniform waren die Schwarzen weiterhin von Diskriminierung betroffen. Lange Zeit noch erhielten schwarze Soldaten einen niedrigeren Sold als weiße.
Wie wir gesehen haben, dienten etwa 180.000 schwarze Soldaten in den Unionstruppen, das sind ca. 10%. Ungefähr die Hälfte war vor kurzem geflohen, ehemalige „Konterbande“, ein Viertel war aus den loyalen Grenzstaaten, und das andere Viertel bestand aus freien Schwarzen aus dem Norden. Von den 40.000 schwarzen Soldaten, die während des Krieges ums Leben kamen, starben 10.000 im Kampf und die restlichen 30.000 an Infektionen oder Krankheiten. Wenn die Konföderierten gegen Einheiten mit schwarzen Soldaten kämpften, wurden diese besonders ins Visier genommen. Schwarze Gefangene wurden meist auf der Stelle massakriert, wie etwa in Fort Pillow und in der Kraterschlacht bei der Belagerung Petersburgs.
Es sollte noch einige Monate dauern, bis die schwarzen Truppen in größere Kampfhandlungen verwickelt wurden, aber der Krieg war noch lange nicht vorbei. Der Union standen noch viele Prüfungen, schwere Herausforderungen, Rückschläge und knappe Entscheidungen bevor – ganz zu schweigen von hunderttausenden weiterer Toter.
Im Dezember 1862 kam es bei der Schlacht zu Fredericksburg in Nord-Virginia zu einem völlig sinnlosen Gemetzel, als der Unionsgeneral Ambrose Burnside mehr und mehr Truppen in einen fruchtlosen Angriff gegen die gut verschanzten Verteidiger schickte, was zu 13.000 Opfern auf Seiten der Union führte, verglichen mit nur 4.000 bei den Konföderierten. Nach dem schmachvollen „Schlamm-Marsch“, einem gescheiterten Versuch, die Konföderierten zu umgehen und bei Richmond zuzuschlagen, wurde Burnside im Jänner 1863 durch General Joseph Hooker ersetzt.
In diesem Mai stand die Potomac-Armee der Union wieder Robert E. Lee und seinem Gefolgsmann Stonewall Jackson bei einer kleinen Kreuzung, genannt Chancellorsville, gegenüber, unweit von Fredericksburg, Virginia. Dieser Kampf war Lees Meisterstück, da er auf volles Risiko setzte und seine Truppen teilte und – bei einer Unterlegenheit von etwa 2:1 – die Unionstruppen mit einer kühnen Aktion überraschte, wobei Hookers Truppen 17.000 Mann verloren und er selbst nur 12.000 zu beklagen hatte.
Es war zwar ein taktisch brillanter Sieg, was aber nichts an der langfristigen Perspektive ändern konnte. Während die Unionstruppen diese Verluste verkraften konnten, waren sie für die Konföderierten nicht zu kompensieren. Unmittelbar danach wurde Stonewall Jackson auf dem Rückweg von einer Aufklärungsmission von seinen eigenen Soldaten versehentlich angeschossen und starb einige Tage später. Dadurch verlor Lee seinen vertrauenswürdigsten und bewährtesten Kommandanten. Nichtsdestotrotz war Lee durch diesen Sieg ausreichend ermutigt, um einen weiteren Vorstoß Richtung Norden, diesmal nach Pennsylvania, zu wagen. Sein Ziel war es, der Moral der Union einen Schlag zu versetzen und die Bevölkerung im Norden dazu zu bringen, sich gegen den Krieg auszusprechen.
Lees Expedition begann im Juni und erreichte Anfang Juli ihren Höhepunkt in der wahrscheinlich berühmtesten Schlacht des Krieges, der Schlacht von Gettysburg, bei der über 170.000 Soldaten nahe der Kleinstadt Gettysburg zusammenstießen. Erschwerend kam hinzu, dass der neue Kommandant der Potomac-Armee, George Meade, bei Ausbruch der Kampfhandlungen erst seit wenigen Tagen im Amt war.
Es handelte sich um die größte und blutigste Schlacht des Krieges, die das größte Artilleriefeuer in der Geschichte der Hemisphäre mit sich brachte. Von den Heldentaten der leichten Kavallerie General Bufords und der Eisernen Brigade am ersten Tag über das große Gemetzel im Weizenfeld, im Pfirsichgarten und in Devil’s Den, den Angriff des 1. Minnesota Infanterie Regiments auf den Cemetery Ridge und den Angriff von Joshua Chamberlain und dem 20. Maine-Regiment auf Little Round Top am zweiten Tag bis hin zu Picketts berüchtigtem Angriff am dritten Tag gab es auf beiden Seiten unglaubliche Taten von kollektivem und individuellem Heldentum und Aufopferungsbereitschaft, die zu unzähligen Büchern, Artikeln und Filmen inspirierten.
Die Nachrichten über den Sieg des Nordens in Gettysburg erreichten Washington am Unabhängigkeitstag, dem 4. Juli. Am selben Tag erlangte die Union durch den Fall von Vicksburg im Bundesstaat Mississippi de facto die Kontrolle über den Mississippi, der von Lincoln der „Vater aller Gewässer“ genannt wurde.
Obwohl die Union New Orleans, das an der Mündung des Mississippi liegt und die größte Stadt der Konföderation war, bereits eingenommen hatte, waren strategisch wichtige Teile des Flusses noch immer in den Händen der Rebellen. In Bezug auf Vicksburg sagte Lincoln einmal: „Der Krieg kann nur beendet werden, wenn sich dieser Schlüssel in unserer Tasche befindet.“[41]
Wochenlang hatte sich Ulysses S. Grant in der Sommerhitze durch die Sümpfe geschleppt und kämpfte – von allen Versorgungs- und Kommunikationslinien komplett abgeschnitten – eine Reihe kleiner, aber brillanter Gefechte, bevor er die Konföderierten in die befestigte Stadt Vicksburg trieb. Nach mehreren misslungenen Angriffen und einer kreativen und zermürbenden Belagerung waren die Verteidiger gezwungen, dem unerbittlichen Druck von Ulysses „bedingungslose Kapitulation“ Grant (wie der spätere Oberbefehlshaber der Unionstruppen seit der Einnahme von Fort Donelson genannt wurde), nachzugeben.
Viele sehen in den beiden zeitgleichen Siegen bei Gettysburg und Vicksburg den entscheidenden Wendepunkt im Krieg, den „Höhepunkt der Rebellion“ – obwohl der Krieg und das Blutvergießen noch zwei Jahre weitergingen.
Grant übernimmt das Kommando
Grant hatte sich in Vicksburg durch besondere Beharrlichkeit und Kreativität ausgezeichnet. Lincoln war überzeugt, dass er endlich seinen General gefunden hatte. Nach so vielen Rückschlägen und Enttäuschungen verkündete er: „Grant ist mein Mann und ich seiner für den Rest des Krieges!“[42]
Grant bekam das Oberkommando aller Unionsstreitkräfte im Westen, und in diesem Gebiet kam es zu weiteren blutigen Kämpfen, darunter in Chickamauga im September (die dortigen Opferzahlen wurden nur von der Schlacht von Gettysburg übertroffen) und Chattanooga im November. Chattanooga war ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt, und seine Einnahme ebnete den Weg für eine Invasion Georgias und des tiefen Südens, die Unionsgeneral Sherman in wenigen Monaten durchführen würde.
Im März 1864 wurde Grant in den Osten versetzt, um den Oberbefehl über die Unionstruppen im ganzen Land zu übernehmen. Ein Unionskommandant nach dem anderen war durch das Mysterium, das Robert E. Lee umgab, in die Tatenlosigkeit getrieben worden. Aber Grant wusste, dass Lee, ebenso wie jeder andere General, dem er bislang gegenübergestanden hatte, ein Mensch und kein Gott war – er war ihm sogar schon einmal während des Krieges mit Mexiko begegnet.
So sagte ein verärgerter Grant während der Schlacht in der Wilderness zu seinen Offizieren: „Oh, ich bin es von Herzen leid, immer wieder zu hören, was Lee vorhat. Einige von euch scheinen zu glauben, dass er plötzlich einen Doppelsalto schlägt und gleichzeitig auf unserem Rücken und an beiden unserer Flanken landet. Nehmen Sie Ihren Dienst wieder auf und versuchen Sie darüber nachzudenken, was wir selbst machen, statt darüber, was Lee tun wird.“[43]
Leider ist das Wissen der meisten Amerikaner durch den pro-konföderierten „Lost Cause“-Mythos gefärbt, wonach Grant ein Trunkenbold gewesen sei, ein schlechter und korrupter Präsident und ein Schlächter, dem das Leben seiner Männer egal war. Erst vor kurzem haben Historiker seine wahren Qualitäten und sein unauffälliges Genie zu würdigen begonnen, genauso wie seine grundsolide Ehrlichkeit und seinen menschlichen Anstand. Wie es Thomas Carlyle mit Oliver Cromwell gemacht hatte, mussten sie Grant „unter einem Berg von toten Hunden, einer riesigen Menge von Verleumdung und Vergessenheit hervorholen“.
Koordinierter Angriff
In der Anfangsphase wurde der Krieg fast so geführt, als gäbe es mehrere getrennt voneinander verlaufende, kleine Kriege in verschiedenen Teilen des Landes, in Missouri, Kentucky, Virginia, an der Atlantik- und Golfküste und so weiter. Ohne Koordinierung konnte der Norden bei dieser Kriegsführung seine vielen Vorteile nicht ausspielen.
Die Konföderierten waren zahlenmäßig und wirtschaftlich im Nachteil. Aber sie mussten einen vorwiegend defensiven Krieg führen und profitierten von den internen Versorgungslinien, die es ihnen ermöglichten, Truppen je nach Bedarf von einem Ort zum anderen zu verlegen. Dennoch konnte die Konföderation angesichts des riesigen Territoriums, das sie gegen einen technologisch und numerisch überlegenen Feind zu verteidigen hatte, und des von Anfang an spürbaren Ressourcenmangels die Union nicht davon abhalten, speziell in den Küstengebieten einen strategisch wichtigen Punkt nach dem anderen zu erobern.
Bereits im Januar 1862 hatte Lincoln Folgendes an einen seiner Generäle, Don Carlos Buell, geschrieben:
„Meine allgemeine Vorstellung dieses Krieges ist, dass wir zahlenmäßig stärker sind und der Feind eine bessere Möglichkeit hat, seine Kräfte am Ort des Zusammenstoßes zu konzentrieren; wir müssen also scheitern, solange wir keinen Weg finden, unsere Überzahl zu unserem Vorteil einzusetzen; und das kann nur passieren, indem wir sie mit überlegenen Kräften an mehreren Punkten gleichzeitig bedrohen; sodass wir entweder einen oder beide, sollte er nichts verändern, sicher angreifen können; und wenn er Truppen von einem Ort abzieht, um den anderen zu stärken, unterlassen wir es, den gestärkten Punkt anzugreifen, sondern nehmen den geschwächten ein, halten ihn und gewinnen so viel.“[44]
Mit ihrer schnell wachsenden Armee und Marine erlangte die Union bald die Mittel, um „unerträglichen Druck“ auf die Konföderierten auszuüben. Viele im Süden erkannten die Gefahr, und es wuchs die Angst, was passieren würde, wenn die Ressourcen des Nordens voll zur Geltung kämen. Lincoln hatte große Mühe, seine Generäle zur Umsetzung eines solchen Plans zu bringen. Neben einem allgemeinen Mangel an Koordination herrschten Korruption, Inkompetenz und eine Reihe kleiner Rivalitäten und Misstrauen innerhalb und zwischen den militärischen und den zivilen Stellen vor.
Ulysses Grant aber teilte Lincolns umfassende Vision einer koordinierten Anstrengung, um den Krieg zu beenden, und, noch wichtiger, er hatte den Willen, einen Sieg zu erzwingen, egal wieviel Zeit, Geld und Männer es kosten würde. In vollem Bewusstsein der begrenzten Ressourcen des Südens umfasste der Plan Grants die simultane Mobilisierung von fünf Unionsarmeen, um so die Konföderierten von allen Seiten unter Druck zu setzen und sie daran zu hindern, einen Vorteil aus ihren internen Versorgunglinien zu ziehen.
Er wusste auch, dass neben der wirtschaftlichen Erdrosselung sowie der Befreiung und Bewaffnung der Sklaven der Schlüssel zur endgültigen Zerstörung der Moral der Südstaaten in der Zerschlagung von Lees Nord-Virginia-Armee lag, die der Inbegriff und der ganze Stolz der Konföderation war. Sobald diese „bewaffneten Einheiten von Menschen“ einmal geschlagen waren, wäre die Niederlage der Sezessionisten besiegelt – und die Sklaverei Geschichte.
Um diesen Krieg zu gewinnen, musste der Süden nicht Washington, D. C. einnehmen und den Norden besetzen. Die Versuche, die in diese Richtung gemacht wurden, waren nicht Teil einer langfristigen Strategie, sondern sollten lediglich als politisches Druckmittel wirken. Sie mussten in erster Linie die Unionsarmee einfach lang genug aufhalten und die Moral des Nordens untergraben, Friedensverhandlungen erzwingen und, wenn irgend möglich, die Anerkennung und eine gewisse Unterstützung durch die Großmächte erlangen.
Nach der Durchführung der Emanzipationsproklamation war allerdings mit der Anerkennung durch Großbritannien und Frankreich praktisch nicht mehr zu rechnen. Die herrschende Klasse dieser Länder stand unter dem wachsenden Druck der eigenen Arbeiterklasse, keine reaktionäre Sklavenhaltermacht zu unterstützen. So versammelten sich zum Beispiel am 26. März 1863 bei einem vom Londoner Trades Council (einer frühen Arbeiterorganisation; Anm.) einberufenen Treffen in der St. James‘ Hall mehr als 3000 ArbeiterInnen, um ihre Solidarität und „Sympathie mit den Nordstaaten Amerikas und für die Emanzipation der Neger“[45] auszudrücken.
Diese Haltung ist umso bemerkenswerter, da die britische Arbeiterschaft wegen der ausbleibenden Baumwolllieferungen aus den Südstaaten an die englischen Textilfabriken unter extremer Not litt.
„Harter Krieg“
Der Konflikt war von einem Krieg zum bloßen Erhalt der Union zu einem Krieg zur Abschaffung der Sklaverei geworden, und damit nahm auch die Unterstützung für die Sache der Union weltweit zu. Um das Ende des Krieges zu beschleunigen, musste die Wirtschaft des Südens lahmgelegt werden. Nachdem Lincoln endlich mutige und kühne Kommandeure gefunden hatte, willens und fähig, seine Politik koordiniert und konzentriert auszuführen, war die ökonomische und demografische Übermacht des Nordens kaum noch aufzuhalten.
Die Vorstellung von Unionsgenerälen wie Grant, Sherman und Philip Sheridan war es, dass der Süden die „harte Hand des Krieges“ fühlen müsse. Letztlich wurde der Krieg tief ins Herz der Konföderation getragen: SklavInnen wurden en masse befreit, Eisenbahnanlagen und industrielle Infrastruktur zerstört und Plantagen und Felder enteignet. Und während die Wirtschaft im Norden boomte, befand sich der Süden ökonomisch im freien Fall. Sowohl die Armee als auch die Zivilbevölkerung litten unter entsetzlichen Entbehrungen.
Im Allgemeinen war die Zivilbevölkerung nicht Ziel von massenhafter Gewalt, weder von der einen noch von der anderen Seite. In vielen anderen Bürgerkriegen, von der Antike bis zur Gegenwart, trieben die Sieger die Menschen zusammen, töteten sie, verkauften sie als Sklaven und so weiter. Es wäre natürlich absurd zu behaupten, dass es im Amerikanischen Bürgerkrieg keinerlei derartiger Übergriffe gab, als die Truppen quer durch das Land zogen. Vor allem in den Grenzstaaten kam es sehr wohl zu grausamen Repressalien gegen die Zivilbevölkerung durch Paramilitärs beider Seiten.
Shermans „Bummers“ waren nicht immer freundlich zu den örtlichen Plantagenbesitzern, deren Güter sie während ihres Vormarschs Richtung Meer durch Georgia Ende 1864 enteigneten. Und es ist kein unwichtiges Detail, dass während des Gettysburg-Feldzuges schwarze Bewohner in Pennsylvania von Lees Nord-Virginia-Armee gejagt und gefangen wurden, um sie als Sklaven in den Süden zu verfrachten, selbst wenn sie ihr ganzes Leben zuvor freie Menschen gewesen waren.
Man kann jedoch mit Fug und Recht behaupten, dass die Geschehnisse im Amerikanischen Bürgerkrieg einen anderen Charakter hatten als beispielsweise die Besetzung der ehemals von der Roten Armee gehaltenen Gebiete durch die Weißen Armeen im Bürgerkrieg nach der Russischen Revolution, oder die Behandlung der Eroberten durch die Römer in ihren zahlreichen bürgerkriegsähnlichen Konflikten und Eroberungskriegen. In der Literatur über den Amerikanischen Bürgerkrieg finden sich zahlreiche Beispiele von Verbrüderung und netten Gesten gegenüber Verwundeten oder gefangenen Soldaten der Gegenseite.
Der Ansatz vom „totalen Krieg“, der nicht nur die Truppen, Forts und andere strategische Ziele, sondern auch die Wirtschaft – einschließlich der Sklaverei – ins Visier nahm, erschöpfte schließlich die Moral des Südens und seine Fähigkeit, den militärischen Konflikt weiterzuführen.
Grant verfolgte Lee hartnäckig während des Überland-Feldzuges. Dabei kam es zu einer Reihe blutiger Schlachten, von der Wilderness über Spotsylvania Courthouse bis Cold Harbor. Bei der Belagerung von Petersburg und Richmond übte Grant massiven Druck aus. Es war ein langer und brutaler Kampf, und viele im Norden bezweifelten, dass er es tatsächlich schaffen würde.
Phillip Sheridan zerstörte die Wirtschaft des Shenandoah-Tals in Virginia, das lange als Kornkammer der Konföderation gedient hatte. Und Sherman belagerte und eroberte schließlich die Südstaatenmetropole Atlanta, die in Feuer aufging. Dieses Ereignis wurde in dem weltberühmten Film „Vom Winde verweht“ verewigt. Er zog anschließend zur Küste nach Savannah, dann hinauf durch South Carolina und nach North Carolina, und er und seine zehntausenden Soldaten, die versorgt werden mussten, zogen eine Spur der Verwüstung quer durchs Land.
Allein in Georgia schätzte Sherman, dass er einen Schaden von 100 Mio. Dollar verursacht hatte – was nach heutigem Wert etwa 1,6 Mrd. Dollar entspricht. Etwa ein Fünftel davon „kam uns zugute“, während der „Rest einfach Verschwendung und Zerstörung“[46] war. Seine Truppen zerstörten 300 Meilen Eisenbahnschienen, dutzende Brücken und kilometerlange Telegraphenleitungen. Sie beschlagnahmten 5.000 Pferde, 4.000 Maultiere und 13.000 Rinder, konfiszierten 9,5 Mio. Pfund Mais und 10,5 Mio. Pfund Futtermittel und zerstörten unzählige Baumwollentkörnungsmaschinen und Mühlen. Nahezu 20.000 freigelassene Sklaven folgten seiner Armee, viele von ihnen wurden Opfer von Verfolgung und Mord durch rachsüchtige Konföderierte, die nicht mehr in der Lage waren, die Unionsarmee selbst zu bekämpfen.
Während seines Aufenthalts in Savannah unterzeichnete Sherman die Special Field Orders 15, die 400.000 Acres (etwa 1.618 km2) von beschlagnahmtem Land der Konföderierten vorsahen, sodass „jede Familie ehemaliger Sklaven eine Parzelle von nicht mehr als vierzig Hektar bebaubaren Bodens erhalten konnte“. Einige erhielten auch alte Maulesel der Armee. Das war der Ursprung des Konzepts 40 Acres und ein Maulesel als Form der Wiedergutmachung für die Sklaverei.
Der Anfang vom Ende und das Ende vom Anfang
Wie wir gesehen haben, gelang es den Konföderierten nicht, von den europäischen Großmächten anerkannt zu werden. Deshalb setzten sie all ihre Hoffnungen auf die Wahlen im Jahr 1864, als Lincolns ehemaliger oberster General George B. McClellan als „Friedenskandidat“ auf dem Ticket der Demokratischen Partei gegen ihn antrat. Die Wahl war zweifelsohne ein Referendum über den Krieg und die Emanzipation, und sogar Lincoln selbst räumte sich nur geringe Chancen ein. Aber letzten Endes wurde er mit der überwältigenden Unterstützung der Soldaten in einem Erdrutschsieg wiedergewählt. Der Fall von Atlanta nur wenige Wochen vor der Wahl bescherte ihm enormen Rückenwind.
Bei seiner zweiten Amtsantrittsrede am 4. März 1865 sprach Lincoln die folgenden kraftvollen Worte:
„Wir hoffen tief und beten inbrünstig, dass diese mächtige Geißel des Krieges schnell vorüber gehen möge. Wenn es aber Gottes Wille ist, dass es weitergehen soll, bis der gesamte Reichtum untergegangen ist, den die Sklaven über die letzten 250 Jahre ohne Gegenleistung erwirtschaftet haben, bis jeder Tropfen Blut, der durch die Peitsche vergossen wurde, bezahlt ist durch einen anderen, vergossen Tropfen mit dem Schwert – So wie es vor dreitausend Jahren gesagt wurde, so muss es auch heute gesagt werden: Das Urteil des Herrn ist wahr und gerecht.“
„Mit Groll gegen niemanden, mit Nächstenliebe gegen alle, fest verwurzelt im Recht, da Gott uns sehend gemacht hat für das Rechte, lasst uns danach streben, die Arbeit, die wir tun, zu vollenden.“[47]
Diese Arbeit war natürlich ein revolutionärer Krieg zur Befreiung von vier Millionen Menschen aus der Knechtschaft. Die Präsidentschaft hatte Lincolns Gesundheit schwer in Mitleidenschaft gezogen. Nicht nur der Stress und die Strapazen des Krieges hinterließen Spuren, er musste in seiner Zeit im Weißen Haus auch den Tod seines 11-jährigen Sohnes Willie beklagen. Doch der „Große Befreier“ führte den Krieg bis zum Ende.
Nur wenige Wochen später, am 2. April 1865, kapitulierten die Konföderierten nach einer langen und schmerzhaften Belagerung gegenüber dem übermächtigen Druck Grants bei der Dritten Schlacht von Petersburg. Sie mussten Richmond aufgeben. Grant, der nur den entscheidenden militärischen Sieg und keinen persönlichen Ruhm anstrebte, ging sofort zur Verfolgung der Armee von Nord-Virginia über, anstatt triumphierend in die feindliche Hauptstadt einzumarschieren.
Für Lee und die wichtigste Streitkraft der konföderierten Armee kam das Ende am 9. April nahe dem kleinen Dorf Appomattox Courthouse, Virginia. Um ein Abgleiten des Krieges in langgezogene Guerillakämpfe zu verhindern und den Prozess der nationalen Versöhnung zu beschleunigen, bot Grant seinem Widersacher Lee und dessen Männern äußerst milde Kapitulationsbedingungen an.
Weniger als eine Woche später, am 15. April, wurde Lincoln im Washingtoner Ford’s Theatre von dem bekannten Schauspieler und Südstaatenfanatiker John Wilkes Booth ermordet. Vizepräsident Andrew Johnson und Staatssekretär Seward waren ebenfalls Ziel des Attentats, überlebten allerdings.
Lincolns Ermordung war ein bedeutender historischer Zufall, der zweifelsohne den Verlauf der Reconstruction veränderte. Die Dinge wären ziemlich sicher anders verlaufen, wäre er mit all seiner politischen Autorität, seinem politischen Scharfsinn und seiner Fähigkeit zu notwendigen Richtungsänderungen noch präsent gewesen, um das Land durch diesen gewalttätigen und chaotischen Prozess zu führen.
Statt ihm leitete Andrew Johnson aus Tennessee die erste Phase der Nachkriegszeit an. Und obwohl er die südliche Plantagenaristokratie leidenschaftlich hasste, war er „kein Freund der Schwarzen“[48], wie es Frederick Douglass treffend vermutet hatte.
Die Kosten des Krieges
Insgesamt wüteten die Kämpfe zwischen der Union und den Konföderierten vier Jahre lang auf mehr als 10.000 Schlachtfeldern mit etwa 237 großen, namhaften Schlachten. Die menschlichen Verluste waren gigantisch. Die Opferrate lag in einigen Kämpfen bei 30% und höher. In der Schlacht am Antietam wurden mehr Soldaten getötet, verletzt oder vermisst als in allen US-Kriegen davor zusammengerechnet: 23.000 an einem einzigen Tag. Zum Vergleich: Das sind viermal so viele als die Zahl der Opfer der US-Armee im Zuge der Invasion am D-Day in der Normandie im Zweiten Weltkrieg.
Schätzungsweise 624.511 Soldaten und Matrosen starben während des Krieges an ihren Verletzungen, bei Unfällen oder durch Krankheiten. Das sind rund 2,4% der US-Bevölkerung des Jahres 1860 und wäre äquivalent zu circa 8 Millionen getöteten US-Amerikanern heute. Hunderttausende mehr wurden verwundet und verstümmelt. Zusätzlich dazu gab es unzählige Fälle von getöteten, verwundeten und vertriebenen Zivilisten.
Für Soldaten der Unionsarmee lag die Wahrscheinlichkeit zu sterben bei etwa 1:4, und zwar häufiger durch Krankheiten als im Kampf. Für die Konföderierten gibt es weniger genaue Aufzeichnungen, aber einige Bundesstaaten hatten eine 25%ige Todesrate bei Männern im wehrfähigen Alter. So unglaublich es klingt: 1866 wurden in Mississippi 20% des gesamten Staatshaushalts für Prothesen ausgegeben.
Nach dem Krieg fabrizierten die Apologeten der Konföderation den Mythos des „Lost Cause“ (dt. „Verlorene Sache“) und argumentierten, dass sie für eine ehrenvolle Sache gekämpft hätten, die aber leider wegen der überwältigenden ökonomischen und demografischen Übermacht des Nordens von Beginn an zur Niederlage verdammt war. Man muss wohl nicht besonders betonen, dass die Aufrechterhaltung der Sklaverei alles andere als ein ehrenvolles Ziel war, trotzdem steckt ein Körnchen Wahrheit in diesem Argument.
Die Nordstaaten hatten damals 18,5 Mio. EinwohnerInnen. Die Konföderation hatte nur 9 Mio., davon 3,5 Mio. SklavInnen. In den südlichen Grenzstaaten, die sich nicht abgespalten hatten, lebten weitere 2,5 Mio. EinwohnerInnen und 500.000 SklavInnen, und wie wir gesehen haben, wurde aus diesen Staaten für die Truppen beider Seiten rekrutiert. Also begünstigten allein die demografischen Daten den Norden. Noch entscheidender war allerdings der ökonomische Faktor.
Im Jahr 1860 produzierte der Süden weniger als 10% der US-amerikanischen Industriegüter. Allein die Industrieproduktion des Staates New York war viermal so hoch wie die des gesamten Südens. Der Süden hatte in den 1840er Jahren versucht, die Industrialisierung voranzutreiben, um der zunehmenden industriellen Stärke des Nordens etwas entgegenzusetzen, aber die Sklavenarbeit und der alleinige Fokus auf den Export von Baumwolle waren zu lukrativ und zu tief verankert, als dass sich diese Strategie wirklich hätte durchsetzen können. Während des Krieges verlor der Süden nicht nur den Zugang zum Markt des Nordens, sondern die zunehmend wirksame Blockade schnitt den Süden auch vom Großteil der Welt ab, obwohl es natürlich einiges an Schmuggel aus und in den Norden und auch international gab.
Damals waren Eisenbahnen das Rückgrat der Wirtschaft und ein zuverlässiger Indikator für die relative Wirtschaftsentwicklung und Industrialisierung. Zu Beginn des Krieges hatte der Norden 24.000 Eisenbahnmeilen, und weitere 4.000 wurden während des Krieges gebaut. Der Süden hatte zu Beginn nur 9.000, und man baute dort auch nur 400 weitere. Es fehlten einfach die Ressourcen für einen stärkeren Ausbau.
Und was die Ressourcen im Allgemeinen betrifft, so beliefen sich die Kriegsausgaben der Konföderation auf etwa 23 Mrd. Dollar (zum Wert des Dollars im Jahre 2019), wohingegen die Union 68 Mrd. ausgab, also fast dreimal so viel.
Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass auf lange Sicht ein Sieg des Nordens sowieso unausweichlich gewesen war, sofern dieser den Krieg fortsetzen wollte. Wie wir wissen, blieb dieser Wille zu kämpfen aufrecht, obwohl es auch einiges an Opposition gab, einschließlich der gewaltsamen Unruhen gegen die Wehrpflicht und gegen Schwarze in New York im Jahr 1863, die von Unionstruppen niedergeschlagen wurden, die gerade vom Schlachtfeld von Gettysburg zurückgekommen waren.
Warum kämpfen, um die Sklaverei zu verteidigen?
Wenn die meisten Menschen an die Sklavenwirtschaft in den Südstaaten denken, stellen sie sich große Plantagen mit tausenden SklavInnen vor. In Wirklichkeit hatte 1860 nur eine Reisplantage in South Carolina über 1.000 Sklaven und nur 13 hatten zwischen 500 und 1.000 Sklaven. Die meisten besaßen kleinere Güter mit 20 oder weniger Sklaven.
Und obwohl die meisten Menschen wissen, dass die Mehrheit der Südstaatler keine SklavInnen besaß, sind viele überrascht, wenn sie hören, dass es nur etwa 385.000 Sklavenbesitzer gab, und dass die meisten weniger als 20 Sklaven besaßen. Was den direkten Besitz betrifft, so hatte die Sklaverei für eine Mehrheit der Menschen in der Konföderation keine Auswirkungen. Und trotzdem identifizierten sich die meisten weißen Südstaatler ohne Sklaven mit dieser Institution und verteidigten sie.
Obwohl viele von ihnen den Reichtum, die Macht und die aristokratische Überheblichkeit der großen Sklavenbesitzer ablehnten, strebten sie danach, selbst Sklaven zu besitzen und in die Reihen der gesellschaftlichen Elite aufzusteigen. Nach Jahrhunderten rassistischer Panikmache ängstigte sie die Perspektive von vier Millionen freigelassenen Sklavinnen und Sklaven. Der eigentliche Grund war, dass sie in ihnen eine Konkurrenz um das knappe Land und die wenigen Arbeitsplätze sahen.
Die Sklaverei gab vielen verarmten Weißen mit wenig oder gar keinem Land das Gefühl der Überlegenheit über jemand anderen. Sie waren zwar arm, aber wenigstens waren sie keine Sklaven, und sie waren nicht schwarz. Für viele war der Grund, so hartnäckig gegen die Union zu kämpfen, ein ganz einfacher, wie die Antwort, die ein konföderierter Gefreiter an Soldaten des Nordens gab, die ihn fragten, warum er hier kämpft: „Weil Ihr hier unten seid.“[49]
Zwei Vorstellungen von Freiheit
Beide Seiten beanspruchten, für die „Freiheit“ zu kämpfen. Aber für welche Art von Freiheit? Ihre Definitionen spiegelten letztlich die Klassenbasis wider, die in der jeweiligen Hälfte des Landes vorherrschte. Meinten sie die persönliche Freiheit und freie Arbeit? Die Freiheit, Eigentum zu besitzen? Welche Art von Eigentum? Eigentum an Land und versklavten Menschen oder an kommerziellen Farmen und Industriekapital? Es ist glasklar, welche Art der Freiheit am Ende siegte – die Freiheit des Kapitals, Lohnarbeit auszubeuten.
Die Juneteenth-Proclamation, veröffentlicht kurz nach Kriegsende am 19. Juni 1865 in Galveston, Texas, vom Oberkommandierenden der Union, General Gordon Granger, fasst es präzise zusammen:
„Die texanische Bevölkerung wird informiert, dass gemäß der Proklamation durch die Exekutive der Vereinigten Staaten, alle Sklaven frei sind. Das bringt die volle Gleichheit der persönlichen Rechte und der Rechte auf Eigentum zwischen den bisherigen Herren und Sklaven mit sich, und die bisher zwischen ihnen bestehende Verbindung wird zu der zwischen Arbeitgeber und beschäftigtem Lohnarbeiter. Die Befreiten sind angewiesen, ruhig in ihren bisherigen Häusern zu bleiben und für einen Lohn zu arbeiten. Sie werden darüber informiert, dass es ihnen nicht erlaubt sein wird, beim Militär Anstellung zu finden, und dass sie weder dort noch anderswo in der Untätigkeit unterstützt werden.“[50]
Unbestreitbar ist, dass die Sklavenbefreiung zu den größten revolutionären Enteignungen ohne Entschädigungszahlungen in der gesamten Menschheitsgeschichte gehört. Es war die Massenaktion der Sklaven selbst, die die Hand von Lincoln und seinen Generälen führte. Und es war ihr Heroismus im Kampf, der die öffentliche Meinung im Norden zugunsten der Abschaffung der Sklaverei weiter radikalisierte.
Wie wir gesehen haben, riskierten hunderttausende Sklaven ihr Leben, um zu fliehen und sich der Unionsarmee anzuschließen. Sie leisteten Widerstand, sabotierten die Wirtschaft der Südstaaten und legten sie lahm, was der Historiker W. E. B. Du Bois als „Generalstreik“ der Sklaven bezeichnete. Doch wie ein ehemaliger Plantagenbesitzer es ausdrückte: „Befreite Sklaven besitzen nichts, weil ihnen nichts als die Freiheit gegeben wurde.“[51]
Die letzte bürgerliche Revolution
Der Bürgerkrieg und die darauffolgende Periode der Reconstruction repräsentieren den letzten großen Kraftakt der Bourgeoisie als historisch progressiver Klasse. Tatsächlich war der Amerikanische Bürgerkrieg vermutlich die klassischste aller bürgerlichen Revolutionen, da die Kapitalistenklasse verglichen mit bisherigen Revolutionen ihre Rolle bewusster und direkter als Klasse spielte, indem sie ihre bevorzugten Klassen- und Eigentumsverhältnisse für die Nation als Ganzes durchsetzte.
Der Norden nützte nicht nur den Krieg und seine Folgen, um nicht-kapitalistische Formen der Ausbeutung und Produktion im Land zu zerschlagen oder ihr Ende zu beschleunigen, er nutzte auch den Umbruch, um die staatlichen Institutionen zu konsolidieren, die den politischen und rechtlichen Rahmen für die ungebremste Akkumulation und Expansion des Kapitalismus in dem darauf folgenden Jahrhundert bildeten.
Nehmen wir als Beispiel den US-Dollar. Vor dem Krieg waren die Gold- und Silbermünze, also Hartgeld, die einzige Währung, die die Bundesregierung ausgab. Es gab hunderte verschiedene Banknoten, ausgegeben von Privatbanken, die man nur in bestimmten Gegenden bei diesen jeweiligen Banken in Hartgeld eintauschen konnte. Lincolns Finanzminister war kein Geringerer als Salmon P. Chase, der Namensgeber der heutigen JPMorgan Chase, der größten US-Bank. Am 25. Februar 1862 wurde der erste Legal Tender Act verabschiedet, und die Bundesregierung begann mit der Ausgabe von sogenannten Greenbacks (Vereinheitlichung des Papiergelds durch die ersten Dollar-Banknoten, die mit ihrer typisch grünen Farbe bis heute bestehen; Anm.), was weitreichende Folgen für die Entwicklung der Wirtschaft und die Rolle und Macht der Bundesregierung hatte.
Der Krieg, für den riesige menschliche und materielle Ressourcen mobilisiert wurden, die für den Sieg notwendig waren, hatte auch eine nie dagewesene Zentralisierung gebracht: mit Zöllen, Steuern, einer Wehrpflicht und sogar der teilweisen Nationalisierung von Eisenbahnen und des Telegrafenwesens. Im Grunde hat das die modernen Vereinigten Staaten, wie wir sie heute kennen, zusammengeschmiedet.
Aber wie alle bürgerlichen Revolutionen konnte diese enorm fortschrittliche Bewegung nicht alle Formen von Ausbeutung und Unterdrückung beseitigen. Letztlich konnte diese Revolution nicht weiter gehen, als eine Klasse von Eigentümern über eine andere, noch reaktionärere Klasse, zu erheben, und ihre Kontrolle über den repressiven Staatsapparat zu festigen, wenngleich in einer demokratischeren Form. In dieser modernen Form führten die US-amerikanischen Kapitalisten ihre in Völkermord ausartenden Kriege gegen die Indigenen des Kontinents, entfesselten brutale Lynchmobs gegen schwarze ArbeiterInnen, FarmerInnen und LandarbeiterInnen und bauten die grausamste imperialistische Macht in der Geschichte der Menschheit auf.
Wir müssen uns dieses Monster nicht schönmalen, um die Bedeutung seiner Geburt würdigen zu können, die die Nation, in der wir heute leben, hervorgebracht und die Bühne für die nächste Amerikanische Revolution bereitet hat – die sozialistische Revolution. Nachdem die Sklaverei abgeschafft worden war, entwickelten sich die Produktivkräfte sprunghaft und mit ihnen die Arbeiterklasse, die bald als revolutionäre Kraft und als Anwärterin für die Übernahme der gesellschaftlichen Schalthebel auftrat.
Wie Marx im Kapital schrieb: „In den Vereinigten Staaten von Nordamerika blieb jede selbständige Arbeiterbewegung gelähmt, solange die Sklaverei einen Teil der Republik verunstaltete. Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emanzipieren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird. Aber aus dem Tod der Sklaverei entsproß sofort ein neu verjüngtes Leben. Die erste Frucht des Bürgerkriegs war die Achtstundenagitation, mit den Siebenmeilenstiefeln der Lokomotive vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean ausschreitend, von Neuengland bis nach Kalifornien.“[52]
Nur wenige Jahre später, im Jahr 1871, wurde die Welt Zeuge der Pariser Kommune, der ersten Machtergreifung der Arbeiterklasse. Alle großen revolutionären Bewegungen weltweit standen seitdem zumindest mit einem Bein klar auf der Seite der proletarischen Revolution.
Heute kann nur die mächtige US-amerikanische Arbeiterklasse die demokratischen und sozialen Herausforderungen erfüllen, die vom Bürgerkrieg und der Reconstruction unvollendet geblieben sind. In der Geschichte des Bürgerkriegs finden wir ein stolzes Erbe revolutionärer Entschlossenheit und Opferbereitschaft. Aus diesem Grund sollten alle klassenbewussten Arbeiterinnen und Arbeiter die Ereignisse und die Lehren aus dieser epochalen Periode studieren, um sich auf die bevorstehenden gigantischen Kämpfe vorzubereiten.
[1]Karl Marx (1852/1960): Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte, in: MEW Bd. 8. Dietz Verlag, Berlin, S. 115.
[2]George Novack (1938): Marx and Engels on the Civil War, online: https://www.marxists.org/archive/novack/1938/02/01.htm (zuletzt aufgerufen am 07.07.22) – eigene Übersetzung.
[3]Ebd.
[4]W. I. Lenin (1918/1956): Brief an die amerikanischen Arbeiter, in: LW Bd. 28. Dietz Verlag, Berlin, S. 56.
[5]Karl Marx und Friedrich Engels (1976): Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten. Gesammelte Schriften. Verlag Marxistische Blätter, Frankfurt a. M., S. 223.
[6]Abraham Lincoln (4. April 1864): Brief an Albert G. Hodges, online: https://www.presidency.ucsb.edu/documents/letter-albert-g-hodges (zuletzt aufgerufen am 05.07.22) – eigene Übersetzung.
[7]Die sogenannte Shay’s Rebellion von 1786/1787 war eine Erhebung der Armen in Massachusetts unter Führung von Captain Daniel Shays, die nach dem Ende der ersten Amerikanischen Revolution unter der Schuldenlast litten.
[8]Abraham Lincoln (1858/1982): Speech to the Illinois Republican State Convention, in: The Abraham Lincoln Encyclopedia. Da Capo Press, New York – eigene Übersetzung.
[9]Vgl. Ken Burns (1990): The Civil War: A Documentary. PBS, Arlington.
[10]Abraham Lincoln (1996): Letter to a New Jersey delegate, in: Recollected Words of Abraham Lincoln. Stanford University Press, Standford, S. 100 – eigene Übersetzung.
[11] Der Begriff „Neger“ entwickelte sich im Kontext des Sklavenhandels und Legitimierungsversuche der Sklaverei, wovon auch dieses Zitat zeugt. Gleichzeitig hielt er ab dem 18. Jahrhundert Einzug in den normalen deutschen Sprachgebrauch, ohne seine ausschließlich rassistische und abwertenden Bedeutung, die er heutzutage besitzt. So befinden sich im weiteren Verlauf des Textes auch historische Beispiele für deren Verwendung im Kontext der Sklavenbefreiung. Im Laufe des 20. Jahrhundert veränderte sich die Verwendung und Bedeutung des Begriffs zunehmend.
[12]Alexander H. Stephens (1861): Corner Stone Speech, online: https://wiki.edu.vn/wiki67/2022/02/12/alexander-h-stephens-wikipedia/ (zuletzt aufgerufen am 05.07.22) – eigene Übersetzung.
[13]Karl Marx (1861/1961): Der nordamerikanische Bürgerkrieg, in: MEW Bd. 15. Dietz Verlag, Berlin, S. 331.
[14]Vgl. James M. McPherson (2013): America’s Wicked War.
[15]Herman Melville (1866): Kampfstücke und Aspekte des Krieges, online: https://de.wikibrief.org/wiki/Battle-Pieces_and_Aspects_of_the_War (zuletzt aufgerufen am 05.07.22) – eigene Übersetzung.
[16] Wendell Garrison and Francis Garrison (2006): William Lloyd Garrison. University of Michigan Library, Michigan – eigene Übersetzung.
[17] David Blight: The Civil War and Reconstruction Era, 1845-1877: Lecture 10. Yale University, New Haven – eigene Übersetzung.
[18] Richard Josiah Hinton (1894): John Brown and his Men. Funk & Wagnalls, New York, S. 397 – eigene Übersetzung.
[19]Blight: The Civil War and Reconstruction Era – eigene Übersetzung.
[20] Hans J. Massaquoi (1964): Mystery of Malcolm X – eigene Übersetzung.
[21] James M. McPherson (2009): This Mighty Scourge: Perspectives on the Civil War. Oxford University Press, Oxford, S. 9f – eigene Übersetzung.
[22]Marx/Engels: Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten, S. 50.
[23]Abraham Lincoln: First Inaugural Address, in: The Avalon Project, Yale Law School – eigene Übersetzung.
[24]Bruce Catton (1961): The Coming Fury. Doubleday, New York, S. 215 – eigene Übersetzung.
[25]Leo Trotzki (1929/1990): Mein Leben. Versuch einer Autobiographie. Dietz Verlag, Berlin, S. 211.
[26]Abraham Lincoln (22. September 1861): Letter to O. H. Browning, online: https://housedivided.dickinson.edu/sites/lincoln/letter-to-orville-browning-september-22-1861/ (zuletzt aufgerufen am 10.07.22) – eigene Übersetzung.
[27]George Ticknor (28. April 1861): To Sir Edmund Heath, in: Life, letters and journals of George Ticknor – eigene Übersetzung.
[28]Lloyd Lewis (1993): Sherman: Fighting Prophet. University of Nebraska Press, Nebraska, S. 138 – eigene Übersetzung.
[29]Ulysses S. Grant (2010): Personal Memoirs of Ulysses S. Grant. Lost Packet Planet Publishing, S. 117 – eigene Übersetzung.
[30]Ulysses S. Grant (5. Juni 2022): The White House, online: https://www.whitehouse.gov/about-the-white-house/presidents/ulysses-s-grant/ (zuletzt aufgerufen am 05.07.22).
[31]John C. Waugh (2010): Lincoln and McClellan. Macmillan Publishers, New York – eigene Übersetzung.
[32]Marx/Engels: Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten, S. 171.
[33]Marx/Engels: Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten, S. 132.
[34]John H. Brinton (1914): Personal Memoirs of John H. Brinton, Major and Surgeon U.S.V, 1861-1865. Neale Publishing Company, New York – eigene Übersetzung.
[35]Abraham Lincoln (1861): First Annual Message, online: https://www.presidency.ucsb.edu/documents/first-annual-message-9 (zuletzt aufgerufen am 05.07.22) – eigene Übersetzung.
[36]Abraham Lincoln (22. August 1862): Letter to Horace Greeley, online: https://www.abrahamlincolnonline.org/lincoln/speeches/greeley.htm (zuletzt aufgerufen 05.07.22) – eigene Übersetzung.
[37]Marx/Engels: Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten, S. 174.
[38]Marx/Engels: Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten, S. 183.
[39]Ulysses S. Grant (23. August 1863/1990): Letter to Abraham Lincoln, in: Ulysses S. Grant: Memoirs & Selected Letters. Library of America, New York – eigene Übersetzung.
[40] James Albert Woodburn (1907): The Attitude of Thaddeus Stevens Toward the Conduct of the Civil War, in: The American Historical Review 12, No. 3 – eigene Übersetzung.
[41]Wilmer L. Jones (2004): Generals in Blue and Gray, vol. 1, S. 26 – eigene Übersetzung.
[42]Brooks D. Simpson (2000): Ulysses S. Grant: Triumph over Adversity, 1822-1865, S. 215 – eigene Übersetzung.
[43]Horace Porter (2010): Campaigning with Grant. Wildside Press, S. 70 – eigene Übersetzung.
[44]James M. McPherson (2009): Lincoln as Commander in Chief, in: Smithsonian Magazine – eigene Übersetzung.
[45]Phillip S. Foner (1981): British Labor and the American Civil War, Holmes & Meier, London, S. 59 – eigene Übersetzung.
[46]Bruce Catton (2001): Never Call Retreat: The Centennial History of the Civil War, vol. 3 – eigene Übersetzung.
[47]Abraham Lincoln (1864): Second Inaugural Address, online: https://www.abrahamlincolnonline.org/lincoln/speeches/inaug2.htm (zuletzt aufgerufen am 05.07.22) – eigene Übersetzung.
[48]Jennifer Szalai (2021): When Frederick Douglass met Andrew Johnson. The New York Times – eigene Übersetzung.
[49]Ken Burns: The Civil War: A Documentary.
[50]Gordon Granger (1865): Juneteenth Proclamation, online: https://constitutioncenter.org/blog/juneteenth-understanding-its-origins (zuletzt aufgerufen am 06.07.22) – eigene Übersetzung.
[51]W. E. Skidmore II (2022), Nothing but Freedom, online: https://wes3.blogs.rice.edu/2013/03/01/nothing-but-freedom/ (zuletzt aufgerufen am 05.07.22) – eigene Übersetzung.
[52]Karl Marx (1867): Das Kapital. Band 1, in: MEW Bd. 23. Dietz Verlag, Berlin, S. 318