Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale (bekannt als Das Übergangsprogramm) wurde ursprünglich 1938 im Bulletin der Opposition veröffentlicht.
Es wurde als politische Grundlage der trotzkistischen Vierten Internationale auf ihrem Gründungskongress im selben Jahr verabschiedet. Zusammen mit Lenins Was tun? und Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus bleibt eines der wichtigsten Werke der revolutionären Strategie, das je geschrieben wurde. Daher ist es bis heute eine unverzichtbare Lektüre für alle Revolutionäre.
Nach der russischen Revolution von 1917 wurde die Welt Zeuge einer Welle revolutionärer Bewegungen in ganz Europa und darüber hinaus. Inspiriert durch den Sieg der Arbeiter in
Russland und die Gründung der Kommunistischen Internationale erhoben sich die Arbeiter in Deutschland, Ungarn, Italien, China und Spanien; jede Nation befand sich in einem Zustand revolutionärer Gärung. Doch statt der Diktatur des Proletariats und des Sozialismus brachte die stürmische Zeit der 1920er und 1930er Jahre den Aufstieg des Faschismus, Stalins Säuberungen und den Abstieg der Welt in einen Krieg, der mit Schrecken und Zerstörung in einem nie dagewesenen Ausmaß drohte. In diesem dunklen Kontext machte sich Trotzki daran, sein Programm für die Marxistinnen und Marxisten der Welt zu schreiben.
Die erste Aufgabe der Marxistinnen und Marxisten in dieser Periode war es, diese
Niederlage zu verstehen und zu erklären, damit zukünftige Bewegungen nicht die gleichen
Fehler wiederholen. Es ist diese Aufgabe, die Trotzki im ersten Teil des
Übergangsprogramms in Angriff nimmt. Er destilliert alle bedeutsamen Ereignisse und
bitteren Lehren aus dieser Periode in die Eröffnungszeile des Programms:
„Die weltpolitische Lage in ihrer Gesamtheit ist vor allem gekennzeichnet durch die
historische Krise der Führung des Proletariats.“
Die „objektiven Voraussetzungen“ für die Revolution fehlten nicht. Laut Trotzki waren sie
„nicht nur schon „reif“, sie haben sogar bereits begonnen zu verfaulen“. Es war die
Unfähigkeit der Führung der Arbeiterklasse, die als Bremse für die Weltrevolution wirkte.
Die Schlüsselaufgabe der Vierten Internationale war daher der Aufbau dieses subjektiven
Faktors. Es ist die Frage, wie dies erreicht werden kann und welche Prinzipien und Taktiken
von einer revolutionären marxistischen Organisation verlangt werden.
Übergangsforderungen
Trotzki prognostizierte, dass der kommende Krieg eine neue Periode revolutionärer
Umwälzungen einleiten würde. Dabei betonte er die Notwendigkeit, „den Widerspruch
zwischen der Reife der objektiven Bedingungen der Revolution und der Unreife des
Proletariats und seiner Vorhut“ zu überwinden. Dieser wurde durch die Verwirrung und
Entmutigung der älteren Generation und die Unerfahrenheit der jüngeren Generation
verursacht.
Zu diesem Zweck betonte Trotzki die Notwendigkeit für Marxistinnen und Marxisten, den
Massen „im Verlauf ihres täglichen Kampfes zu helfen, die Brücke zwischen ihren aktuellen
Forderungen und dem Programm der sozialistischen Revolution zu finden“. Dafür sollen
sogenannte „Übergangsforderungen“ genutzt werden, weil sie den Übergang der
gegenwärtigen Forderungen und dem gegenwärtigen Bewusstsein zur Eroberung der
Macht durch die Arbeiterklasse darstellen.
Trotzki differenzierte diese „Übergangs“-Forderungen vom alten „Minimalprogramm“ der
sozialdemokratischen Parteien. Letzteres zählt lediglich Teilreformen auf, die auf Grundlage
des Kapitalismus zu gewinnen sind. Dabei wird der Sozialismus als ferne, abstrakte
Perspektive dargestellt wird. Im Gegensatz dazu zielen die Übergangsforderungen darauf
ab, konkrete, für die Arbeiter notwendige Aufgaben zu formulieren. Diese können ohne die
Arbeitermacht nicht erreicht werden. In der Praxis muss gezeigt werden, dass revolutionäre
Antworten auf die Probleme der Arbeiter notwendig sind. Zusammengefasst: Der Zweck
des Übergangsprogramms besteht darin, die Aufgaben der sozialistischen Revolution in
einer Weise zu konkretisieren, die der Erfahrung der Arbeiter im Klassenkampf entspricht.
Die in dem Dokument aufgeführten Beispiele für Übergangsforderungen waren natürlich
als Leitfaden für Marxistinnen und Marxisten gedacht, die zu jener Zeit in einer Vielzahl von
Ländern tätig waren. Jedoch bieten sie immer noch vieles, was für die Arbeiterkämpfe
heute relevant ist. Zum Beispiel ist Trotzkis Forderung nach einer gleitenden Lohn- und
Arbeitszeitskala ebenso dringend wie in den 1930er Rezessionsjahren. Damit ist garantierte
Arbeit und ein realer existenzsichernder Lohn für alle gemeint, eine wichtige Reform in der
heutigen Periode der prekären Bedingungen und Armutslöhne (in der Presse als Rückkehr
zu „Dickens’schen“ Bedingungen beschrieben). Trotzki verbindet diese Forderung mit den
Forderungen nach einem Programm für öffentliche Arbeiten wie z.B. Sozialer
Wohnungsbau (wiederum eine Forderung, die auch heute noch ihre volle Kraft bewahrt
hat), der Enteignung der Banken und der Notwendigkeit eines einheitlichen und
systematischen Kampfes der Arbeiterbewegung. Darauf werden die Kapitalisten behaupten,
eine solche Politik würde ihre Unternehmen ruinieren. Aber Trotzki erklärt, dass dies in der
Praxis nur zeigen werden, dass die Arbeiter vor der Wahl stehen, entweder ihre Kontrolle
über die Wirtschaft zu nehmen oder ihren Untergang im Kapitalismus zu akzeptieren.
Trotzki spricht auch die Notwendigkeit an, dass die Arbeiter mit ihren eigenen
Kampfmethoden kämpfen müssen. Er ruft dazu auf, die Kampfbereitschaft der
Gewerkschaften zu erhöhen und ihre verrottete Führung zu ersetzen. Gleichzeitig erklärt er
jedoch, gestützt auf die Erfahrungen wichtiger industrieller Kämpfe, insbesondere in
Frankreich, dass die Gewerkschaften nur bis zu einem bestimmten Punkt gehen können.
Sie sind keineswegs ein Ersatz für eine revolutionäre Partei. Wahrscheinlich werden sie von
anderen, breiteren Kampforganen abgelöst werden, wenn die Situation zunehmend
revolutionär wird (z.B. Fabrikkomitees). Er warnt daher davor, aus dem
Gewerkschaftswesen einen Fetisch zu machen. Die Gewerkschaften werden nicht als
Selbstzweck präsentiert, sondern als „Mittel auf dem Weg zur proletarischen Revolution“.
Trotzkis Übergangsforderungen beschränken sich auch nicht auf den wirtschaftlichen
Bereich. Die Forderung nach einem Wahlrecht für alle Männer und Frauen über 18 Jahren
(das es in vielen Ländern, einschließlich der so genannten „Demokratien“ wie den USA, zu
jener Zeit nicht gab), die Abschaffung der Geheimdiplomatie und die „unerbittliche
Brandmarkung aller Rassenvorurteile und aller Schattierungen nationaler Anmaßung und
des Chauvinismus, insbesondere des Antisemitismus“ bilden ebenfalls einen wichtigen Teil
des Übergangsprogramms. Alle Kämpfe der Massen, ob wirtschaftlich oder politisch,
müssen als Teil eines sozialistischen Programms zusammengeführt werden.
Permanente Revolution
Trotzki bekräftigt im Übergangsprogramm seine Theorie der „permanenten Revolution“.
Dies basiert auf seinen eigenen persönlichen Erfahrungen mit den russischen Revolutionen
von 1905 und 1917 sowie der Erfahrung der gescheiterten Revolutionen in China und
Spanien. Die Theorie der „permanenten Revolution“ sollte als Leitfaden für Revolutionäre
in allen relativ rückständigen und kolonial unterdrückten Ländern dienen.
In den rückständigen und kolonialen Ländern waren selbst die Aufgaben des
„demokratischen“ Programms (die Beseitigung des Feudaleigentums, die nationale
Unabhängigkeit vom Imperialismus, formelle demokratische Rechte) nicht erfüllt. Trotzki
erklärt, dass die Bourgeoisie dort sehr eng mit dem Imperialismus und dem
Großgrundbesitz verbunden ist. Sie ist selbst auf der Grundlage des Kapitalismus völlig
unfähig ist, einen Kampf für eine einzige der erforderlichen Aufgaben zu führen.
Stattdessen müssen die ausgebeuteten Massen, angeführt von der Arbeiterklasse, diesen
Kampf selbst führen. Dabei müssen sie unweigerlich ihre eigenen Forderungen erheben,
die weit über die demokratische Revolution hinausgehen und in dem Kampf für den
Sozialismus münden.
Deshalb muss nach Trotzkis Ansicht in Ländern, die noch immer eine weitgehend ländliche,
bäuerliche Wirtschaft haben, die Losung einer „Arbeiter- und Bauernregierung“ erhoben
werden. Ohne ein Bündnis zwischen den beiden, wäre eine Revolution zum Scheitern
verurteilt. Dieses Bündnis zwischen den Arbeitern und armen Bauern muss jedoch auf der
Grundlage des Kampfes für die Diktatur des Proletariats basieren. Es muss in Gegnerschaft
zur nationalen Bourgeoisie und nicht auf der Grundlage der Errichtung einer unmöglichen
liberalen Demokratie geschlossen werden muss. Er stellt dieser Forderung die berüchtigte
Politik der „Volksfronten“ gegenüber. Diese hatte dazu geführt, dass die Revolutionen in
China und Spanien verraten wurden, um ein Bündnis mit der „fortschrittlichen“ oder
„antifaschistischen“ Bourgeoisie aufrechtzuerhalten.
In der weltweiten Welle inspirierender Kämpfe gegen die Kolonialherrschaft wurden diese
Forderungen bestätigt. Die Arbeiter und Bauern müssen nicht nur mit der Bourgeoisie der
imperialistischen Länder, sondern auch mit der eigenen Bourgeoisie vollständig brechen.
Nur so kann die nationale Unabhängigkeit erlangt werden. Diese kolonialen
Unabhängigkeitskämpfe haben zur Schaffung zahlreicher „sozialistischer“ Regime
geführten, die auf rein nationalistischer Basis begannen, wie das von Kuba.
Taktik
Es reicht jedoch nicht aus, sich einfach mit einem Programm zu bewaffnen und die
Arbeiterinnen und Arbeiter aufzurufen, sich unter diesem Banner zu versammeln. Die
Vierte Internationale befand sich in einer kleinen Minderheit innerhalb der Bewegung.
Außerdem wurde sie von der toten Hand der reformistischen und stalinistischen
Arbeiterbürokratie deutlich in den Schatten gestellt. Aber sie war unmittelbar mit der
Aufgabe konfrontiert, die Vormachtstellung der Reformisten zu überwinden und die
fortgeschrittensten Teile der Arbeiterinnen und Arbeiter und schließlich die Massen zu
gewinnen.
Um dies zu tun, drängte Trotzki seine Anhänger, das Sektierertum abzulehnen und sich an
der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung, wie sie sie vorfinden, zu orientieren. Er
wiederholte den Rat, den Lenin der jungen Kommunistischen Internationale in den 1920er
Jahren gab. Zur Frage der Gewerkschaften erklärte Trotzki, dass die Weigerung, einer
(manchmal extrem) reaktionären Führung beizutreten und innerhalb einer Gewerkschaft
zu kämpfen, in Wirklichkeit den Verzicht auf jeden sinnvollen Kampf bedeute. Denn dies
würde den Einfluss der rechten Führer in Ermangelung jeder revolutionären Alternative nur
stärken, während die Marxistinnen und Marxisten in herrlicher Isolation verharren.
„Der Wirklichkeit ins Auge sehen; nicht den Weg des geringsten Widerstandes suchen; die
Dinge beim Namen nennen; den Massen die Wahrheit sagen, so bitter sie auch sein mag;
Hindernisse nicht fürchten; streng sein in den kleinen Dingen wie in den großen; Wagemut,
wenn die Stunde der Aktion kommt…“ Mit diesen Worten legte Trotzki die „Regeln“ der
Vierten Internationale fest. Heute ist die Vierte Internationale längst tot. Aber die neue
Generation von Marxisten muss diese Regeln auf ihr Banner schreiben, als Vorbereitung
auf die gewaltigen Kämpfe, die kommen werden!
Diskussionsfragen:
- Was sind die „objektiven Voraussetzungen für die proletarische Revolution“? Warum
beschreibt Trotzki sie als „verfaulend“? - Was ist das „Haupthindernis“, das einer revolutionären Situation im Wege steht, und
warum? Welche Übergangsforderungen würdest du heute stellen? - Wie sollten Marxistinnen und Marxisten mit reformistischen Massenorganisation umgehen?
- Was ist „Doppelherrschaft“?
- Was ist nach Trotzki der Unterschied zwischen „Enteignung“ und „Verstaatlichung“?
- Welches Verhältnis sollte die Arbeiterklasse zu anderen unterdrückten Klassen haben?
- Welche Position sollten Marxistinnen und Marxisten im Krieg einnehmen?
- Was sind Sowjets? Wie entstehen sie?
- Wie verwenden Marxistinnen und Marxisten die Losung für eine nationale
verfassungsgebende Versammlung? - Was ist der Unterschied zwischen der „Volksfront“ und der „Vereinigten Front“?
- Wie charakterisiert Trotzki den Klassencharakter der UdSSR? Was bedeutet das in der
Praxis? - Warum betont Trotzki die Rolle der Arbeiterinnen und der Jugend?
- Warum war die Kommunistische Internationale „für die Revolution gestorben“?
- Was ist demokratischer Zentralismus?