Oder: Was die „spanische Revolution“ und die Generalstreiks in Griechenland mit Althusser zu tun haben.
Der berühmte französische Philosoph Louis Althusser hat in seinem Werk „Widerspruch und Überdeterminierung“ folgenden denkwürdigen Satz geschrieben, der gerade auch in den letzten Jahren in den höheren Funktionärskreisen der sozialdemokratischen Bewegung und insbesondere ihrer Jugendorganisationen fanatischen Beifall gefunden hat: “Die einsame Stunde der letzten Instanz schlägt nie, weder im ersten noch im letzten Augenblick.“
Althussers „letzte Instanz“ ist frei nach Marx und Engels die Ökonomie. Wir stellen die folgenden zwei Thesen auf:
1. Althussers Satz ist richtig für Europa und die USA in der Zeit von 1955 bis 2010. Im Jahr 2010 bricht auch in den PIGS-Staaten die Richtigkeit dieses Satzes zusammen.
2. Althusser schuf mit diesem Satz ein Einfallstor für reformistische Strömungen aller Art (sozialdemokratisch, stalinistisch, postmodern), ihren politischen Kurs mit dem Marxismus in formelle Übereinstimmung bringen zu können.
„Ökonomie“ beschreibt bei Marx die Produktionsverhältnisse, d.h. die Menge aller Prozesse, Vorrichtungen, Methoden und Organisationen, die der Reproduktion der Menschen und der Gesellschaft dienen. Marx behauptete, dass die Entwicklungen in der Gesellschaft (d.h. die politischen Formen der Machtausübung, die getroffenen Entscheidungen und das Bewusstsein der Menschen) von den Produktionsverhältnissen und insbesondere deren Entwicklung abhängig sei. Eine zentrale Kategorie stellt hierbei die Entwicklung der Produktivkräfte dar. Damit meint Marx die (veränderliche) Fähigkeit einer Gesellschaft, Güter für den Bedarf der (oder mancher) Mitglieder dieser Gesellschaft herzustellen. Als zentrales Zitat von Marx gilt hier: „Das Sein schafft das Bewusstsein.“
The end of the world, as we know it
Was hat all dies mit der „Spanischen Revolution“ (das ist der selbstgewählte Name jener Bewegung, die seit dem 15. Mai den spanischen Staat, die internationalen Medien und die Finanzmärkte durch die Besetzung zentraler Plätze in verschiedenen spanischen Städten in ihren Bann zieht) zu tun? Bei erster Betrachtung nicht viel: Die Medien erzählen uns viel von horrender Jugendarbeitslosigkeit, „notwendigen“ Sparpaketen der nationalen Regierung unter dem Sozialdemokraten Zapatero und neuerdings sogar von „Generationenkonflikt“. Liebe JournalistInnen, lernt denken! Warum sind 45% der spanischen Jugendlichen ohne Arbeit? Warum gibt es Sparpakete der PSOE-Regierung? Warum fühlen sich Millionen Jugendliche am Arbeitsmarkt zu Recht unterprivilegiert? Wollt ihr keine Antworten geben oder dürft ihr nicht?
Und im Falle von Griechenland: Warum rufen die griechischen Gewerkschaftsverbände zum 11. Generalstreik innerhalb eines Jahres auf? Warum ist die „sozialistische“ PASOK-Regierung trotzdem noch immer im Amt? Warum können griechische Jugendliche regelmäßig Bankfilialen anzünden, ohne dass dies Auswirkung auf die von EU und IWF geforderte Politik hätte? Ist euch der Wahnsinn, der euch in den Hauptstädten der PIGS-Staaten tagtäglich begegnet, nicht genug? Kommen euch eure eigenen Aussagen von der „apolitischen, desinteressierten Jugend“ nicht lächerlich vor?
Wollt ihr, liebe JournalistInnen, nicht irgendwann die grundlegende Wahrheit aussprechen: „It’s the end of the world as we know it“ [Dies ist das Ende jener Welt, wie wir sie kennen], wie es R.E.M. im Jahre 1987 und damit viel zu früh sagten? Wir verstehen: Ihr müsstet eine Begründung haben, um dies zu rechtfertigen. Wir liefern sie euch.
Tatsache ist, dass die PIGS-Staaten von einer Entwicklung erfasst sind, die Marx als historischen Grund für die Ablösung eines Gesellschaftssystems durch ein anderes beschrieben hat: Das System ist nicht mehr in der Lage, die Produktivkräfte zu erweitern. Vielmehr: In den PIGS-Staaten gehen die Produktivkräfte zurück. Oder, um es mit den Begriffen der bürgerlichen Ökonomie zu sagen: Die Bourgeoisie der PIGS-Staaten ist nicht mehr in der Lage und willens, diese Gesellschaften durch Investitionen auf ein Produktionsniveau zu bringen, dass den bisherigen Wohlstand der Masse der Bevölkerung aufrecht erhält. Oder, noch präziser: Die Bourgeoisie Portugals, Italiens, Griechenlands und Spaniens will keine Maschinen, Computer, Fabriken, Büros u.ä. kaufen, um aufgrund dieser und gleichzeitig eingekaufter Arbeitskraft Profit zu erzeugen. Sie ist auf den Zustand der Kompradorenbourgeoisie der „Dritten Welt“ herabgesunken, die, anstatt die Produktionskapazitäten im eigenen Land zu erweitern, ihr Kapital (hauptsächlich) ins (imperialistische) Ausland transferiert, um mit Aktienbeteiligungen an multinationalen Konzernen ein Renteneinkommen zu erzielen. Dies hat zur Folge, dass Beschäftigung, steuerbares Einkommen und Steuern mit den Staatsausgaben nicht mehr Schritt halten können und sich der Staat über alle vernünftigen Grenzen verschulden muss. Diese Staatsverschuldung hat einen unangenehmen Nebeneffekt: Ihre Zinsen müssen mit der inländischen Wertschöpfung bedient werden. Bei rasant steigender Staatsverschuldung und gleichzeitig nachlassender Produktion stellt dies die PIGS-Staaten vor einen unauflösbaren Widerspruch: Die internationalen Investoren sind sich zu Recht nicht mehr sicher, ob die Wertschöpfung in diesen Staaten ausreichen wird, um die Schulden und aufgelaufenen Zinsen zu begleichen. Sie stellen den PIGS-Staaten kein neues Kapital durch die Zeichnung von Staatsanleihen mehr zur Verfügung. Im Unterschied zu den Massen der Bevölkerung sind kapitalkräftige Investoren nicht gewillt, Versprechungen auf zukünftige goldene Zeiten zu vertrauen: Sie legen die Kapitalversorgung der PIGS-Staaten trocken: Es schlägt die Stunde der letzten Instanz. Es gibt keinen Kompromiss mit den Finanzmärkten. Die Regierungen müssen die Staatsausgaben radikal kürzen. Daran kann kein Parteitagsbeschluss, keine Studie der Arbeiterkammer und auch kein guter Redner auf einer Betriebsversammlung etwas ändern.
Warum verhält sich die Jugend im europäischen Madrid nun nicht wesentlich anders als die Jugend im ex-kolonialen Kairo? Warum ignoriert sie die althergebrachten Autoritäten und sogar die geltenden Gesetze? Die ArbeiterInnenklasse, insbesondere ihr an Lebensjahren (nicht aber an harter Erfahrung) junger Anteil, erkennt instinktiv die Ausweglosigkeit der Situation. Es ist lächerlich, einem/r jungen ArbeiterIn weismachen zu wollen, dass bei „disziplinierter“ Budgetpolitik, Sparpaket und weitgehender Privatisierung der Staatsbetriebe seine/ihre Chancen auf einen regulären Arbeitsplatz steigen werden. Es glaubt niemand, dass sich die Zahl der leistbaren Wohnungen durch eine Kürzung aller öffentlichen Wohnbausubventionen steigen wird (nebenbei bemerkt glaubt dies auch im „Roten Wien“ niemand, Gen. Häupl!). Alle Lügen, die in Zeiten des wirtschaftlichen Booms wie Konfetti im Fasching verstreut wurden, werden entlarvt.
Protest!
Es gibt nur eine einzige Gruppe in der Gesellschaft, die nach wie vor an die althergebrachten Rezepte glaubt: Es handelt sich um die höhere Funktionärsschicht der sozialdemokratischen und der kommunistischen Parteien sowie der Gewerkschaften. Die Führung des spanischen Gewerkschaftsdachverbandes UGT rief am 29.9.2010 zu einem Generalstreik, um gegen die „unsoziale Politik“ der Regierung Zapatero zu protestieren. Die griechischen Gewerkschaften haben im letzten Jahr 11(!)-mal zum Generalstreik aufgerufen, um gegen die Sparmaßnahmen der PASOK-Regierung anzugehen. Was wurde damit erreicht? Ein paar 10.000 Jugendliche verloren (zu Unrecht!) ihren (prekären) Job, weil sie von ihren Arbeitgebern (zu Recht) als „gefährliche Elemente“ angesehen wurden. Einige Menschen kamen im Zentrum von Athen ums Leben. Sonst wurde nichts erreicht: Die PASOK-Regierung ist nach wie vor im Amt und die Kürzungen im spanischen Pensionssystem wurden (mit Zustimmung der Gewerkschaften!) beschlossen! Das ist einfach lächerlich! Man kann ArbeiterInnen nicht 11-mal zu einem Generalstreik auf die Straße rufen und die Situation verändert sich kein bisschen!
Und hier kommt wieder der alte Althusser ins Spiel: Die Spitzen der Gewerkschaften glauben offenbar wirklich noch, dass sie durch das „Äußern von Protest“, durch politische Verhandlungen das Schlagen der letzten Instanz verhindern können. Entweder sie lügen bewusst, oder sie glauben, dass durch politische Maßnahmen die europäischen Kapitalisten von ihren mit Brief und Siegel abgesicherten Forderungen gegen den griechischen Staat abgebracht werden können. Sie glauben offenbar wirklich, dass die griechische Regierung die Zinsen auf ihre Staatschuld nicht bedienen muss, wenn sie den Besitzern von Staatsanleihen von den schrecklichen Zuständen auf den Athener Straßen erzählt. Gewerkschaftsführer, ihr versteht wirklich gar nichts! Ihr kennt Euch hinten und vorne nicht mehr aus!
Wir wissen aber auch, dass ihr tatkräftige Unterstützung bei den ReformistInnen in Deutschland und Österreich findet, die uns seit Jahr und Tag von der Sinnhaftigkeit einer „antizyklischen“ Wirtschaftspolitik des Staates überzeugen wollen. Diese Leute sagen Euch: Wenn die Wirtschaft einen konjunkturellen Einbruch hat, sollte der Staat mit (auf Schulden basierenden) Investitionen einspringen (und so das Schlagen der letzten Instanz verhindern). Was sagen diese Experten in der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Karl-Renner-Institut (das sind die Horte keynesianischer Wirtschaftspolitik in Deutschland und Österreich) nun eigentlich dazu, dass niemand Griechenland Kredit gewähren will? Wollen Sie die „antizyklische Wirtschaftspolitik“ aus heißer Luft generieren? Oder doch lieber aus EU-„Hilfen“, die an die Privatisierung und damit in der Folge Stilllegung (siehe das Schicksal der Austria Tabak) der verstaatlichten Industrie geknüpft ist? Oder doch aus dem Olivenöl? Wann erkennen sie an, dass die gesellschaftlichen Vorgänge in einem Staat vom Vorhandensein und der Entwicklung der Produktivkräfte direkt abhängig sind? Althusser hatte nicht recht: Die Ökonomie schlägt zu!
Es ist lächerlich, wenn die Gewerkschaften an die Spitzen und die damit verbundenen Apparate der PSOE und der PASOK appellieren: Es sind gerade diese Parteien, die Griechenland und Spanien auf den Zustand des frühen 19. Jahrhunderts zurückwerfen wollen. Zapatero und Papandreou sind die Helfershelfer der Deutschen Bank und von Konzernen wie Siemens. Diese Regierungen können aus der Zwangsjacke, die sie tragen, nicht mehr heraus: Sie haben sich mit Haut und Haaren der Bewahrung des Kapitalismus in Griechenland und Spanien verschrieben. Sie wissen, dass der Kapitalismus nur mit Hilfe der Kapitalisten aus der EU gerettet werden kann. Sie sind Empfänger der Befehle aus Berlin und Paris. Die Position der Regierungen in Spanien und Griechenland hat darüber hinaus fast schon absurde Züge: Namhafte Wirtschaftsforscher aus aller Welt appellieren, einen „Haircut“ auf die Anleihen vorzunehmen (d.h. den Gläubigern nicht alles versprochene Geld zu bezahlen) und diese Regierungen weigern sich, dies durchzuführen!
Die Frage des Programms
Warum aber wenden sich die Jugendlichen in Athen und Madrid dann aber nicht oder nur kaum den „linkeren“ Parteien zu: KKE bzw. Synaspismos in Griechenland und der Izquierda Unida/PCE in Spanien? Die Antwort ist schnell gegeben: Die KKE hat nicht viel mehr anzubieten als die Idee, dass die Lösung aller Probleme durch den Beitritt vieler Menschen zur KKE erreicht werden könne (wie dies Arbeitsplätze schafft, bleibt ein Geheimnis der stalinistischen Führung der KKE). Die Synaspismos erklärt eine „Umschuldung“ Griechenlands zum Programm der Partei und ist damit dem Münchener Institut für Wirtschaftsforschung genau keinen Schritt voraus. Die Izquierda Unida/PCE wiederum ist besonders innovativ: Sie erklärt den Jugendlichen, in den letzten drei Jahrzehnten viele Fehler gemacht zu haben und dies zu bereuen. Wie diese Jugendlichen diese Äußerung in eine handfeste Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse umsetzen sollen, bleibt ihnen offenbar selbst überlassen.
Die Verhältnisse in den PIGS-Staaten sind zum Verzweifeln: Diese Staaten sind von der tiefsten Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfasst, und keine einzige politische Partei weist einen Ausweg aus dem Elend, ihre Programme unterscheiden sich nur marginal. Das erklärt nur zu gut, dass bei Vorhandensein von demokratischen Wahlen auf allen Ebenen, Rechtsstaatlichkeit, Versammlungs- und Vereinsfreiheit die Bewegung in Spanien „Wirkliche Demokratie jetzt!“ fordert? Ist es in Österreich aber nicht dasselbe?
Das „System“ (d.h. die wirtschaftliche Elite und die PolitikerInnen) hat in den Augen der Masse völlig abgewirtschaftet. Ihre sogenannten Regeln, ihre Gesetze und sogar ihre gerichtlichen Urteile sind Lug und Trug. Die Jugendlichen in Kairo und Madrid haben erkannt: Diese Regeln, Gesetze und Urteile sind Schall und Rauch, wenn sich das vereinte Volk dagegen stellt. Nicht ohne Grund ist „Pueblo unido, jamas sera vencido“ [„Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden“] der bestimmende Slogan der Demonstrationen in Madrid und anderen spanischen Städte. Tatsächlich hatte der spanische Staat trotz eines widersprechenden Urteils der Wahlkommission keine andere Möglichkeit, als die DemonstrantInnen gewähren zu lassen. Ist das eine Regierung, die sich selbst ernst nimmt? Ist das ein Rechtsstaat? Natürlich nicht, im Augenblick der grundlegenden Konfrontation zählt nicht das Gesetz, sondern die größere Kraft. Wäre ein Demonstrant von einem Schlagstock getroffen worden, hätten die Wahlen nicht stattfinden können: Sie wären im Chaos einer Massenbewegung untergegangen.
Es ist jene Tragödie, festgestellt von Trotzki im ersten Satz des „Übergangsprogramms“, die sich immer und immer wiederholt: „Die weltpolitische Lage in ihrer Gesamtheit ist vor allem gekennzeichnet durch die historische Krise der Führung des Proletariats“. Vor uns steht die lebendige Kraft des Proletariats. Auf den Straßen Spanien sind heute Menschen, die arbeiten und lernen wollen. Es sind Menschen, die für ihre Ziele – nichts weiter als ein lebenswertes Leben – zu kämpfen bereit sind. Sie repräsentieren das Lebendige in der Gesellschaft. Sie stehen einem System von Wirtschaftskapitänen und PolitikerInnen und GewerkschaftsführerInnen gegenüber, denen der Untergang ihrer Weltordnung ins Gesicht geschrieben steht. Von diesen Kräften ist nichts zu erwarten, und scheinen sie im Moment noch so mächtig! Aber sie werden nicht verschwinden, wenn ihnen nicht der Boden unter den Füßen weggefegt wird. Sie beziehen ihre Macht aus dem internationalen Kapitalismus, der gleichzeitig die Voraussetzung des Elends der Jugendlichen in den PIGS-Staaten ist.
Diese Parteien sind nicht viel mehr als eine Tradition aus vergangenen Zeiten des Widerstands gegen die faschistische Franco-Diktatur und die Militärjunta im Griechenland der 1960er und 1970er Jahre. Die Jugendlichen müssen aber dennoch verstehen: Ihre Eltern sind der PSOE, PCE und PASOK loyal, weil diese Parteien und ihre AktivistInnen den Widerstand gegen die Diktaturen angeführt haben, weil sie ein besseres Leben und das Recht, dass junge Leute heute auf der Puerta del Sol demonstrieren können, erkämpft haben. Die Intelligentesten dieser älteren Generation verstehen, dass heute der Kampf um ein besseres Leben wieder neu begangen werden muss. Viele KämpferInnen gegen die Franco-Diktatur sind heute auf den Demonstrationen präsent und erklären, dass sie in ihrer Jugend nichts anderes als die heutigen Jugendlichen gemacht hätten: Sie hätten für ein besseres Leben gekämpft.
Aber unter den Jugendlichen, den alten AktivistInnen und noch viel mehr unter der – noch – apathischen Masse der spanischen und griechischen Lohnabhängigen machen sich Fragen breit, die einer Antwort nach wie vor harren: Wie schaffen wir Arbeitsplätze? Wie heben wir die Löhne an? Wie entgehen wir der Diktatur der internationalen Finanzmärkte? Offenbar sind keine Wahlen und ist keine Regierung in der Lage, diese Probleme zu beseitigen?
Es gibt keine Lösung der Probleme auf der Grundlage des kapitalistischen Systems. Die Stunde der letzten Instanz des Kapitalismus hat geschlagen! Die „KommunistInnen“ der KKE und der PCE sagen – wenn sie es sagen –, dass der griechische oder der spanische Kapitalismus überwunden werden muss. Leider „vergessen“ sie, diese Forderung zum politischen Programm der von ihnen unterstützten Generalstreiks zu machen. Die kommunistischen Parteien und die Gewerkschaften sollten eben dies zum zentralen Inhalt ihrer Mobilisierungen machen. Stattdessen hören wir nur: “Protest!“, “Kein Sparpaket!“. Bloß: Jeder Mensch in Spanien, Griechenland und Österreich weiß, dass noch niemals ohne Infragestellung der Machtstrukturen das grundlegende politische Machtverhältnis geändert wurde. Warum hören wir nie: „Nieder mit der Regierung, die sich mit Haut und Haaren dem internationalen Finanzkapitalismus ausgeliefert hat! Für eine Regierung von Abgeordneten aus Komitees der Werktätigen und Arbeitslosen! Für eine revolutionäre Regierung!“? Warum muss die Bewegung mit diesen grundlegend demokratischen Forderungen in Form von Abstimmungen in den Stadtvierteln vorangehen? Warum können die Gewerkschaften keine demokratische Abstimmung über die Ziele des nächsten Generalstreiks organisieren? Weil sich die Gewerkschaftsführung die Frage nicht zu stellen getraut! Wir schlagen der spanischen Jugendbewegung vor: Zieht vor die Zentralen der UGT und der CCOO und vor die Großbetriebe! Fordert eine Urabstimmung über einen Generalstreik, dessen Forderung der Rücktritt der Zapatero-Regierung ist!
Und dann?
Unsere LeserInnen werden fragen: Was ist damit gewonnen? Erstens: Wie realistisch ist die Ersetzung einer kapitalistischen Regierung durch Machtorgane der Arbeiterklasse? Zweitens: Selbst wenn dies gelingt, was könnte eine revolutionäre Regierung am Boykott der internationalen Finanzmärkte ändern? Berechtigte Fragen.
Erstens: Auch wenn dem zentraleuropäischen Proletariat durch die völlig unzureichende Bildungsarbeit ihrer Massenparteien die Erinnerung an 1918, 1923, 1933, 1934, 1950 ausgelöscht wurde, ist es dennoch so, dass das griechische Proletariat 1974 und das spanische Proletariat Ende der 1970er eine Regierung und ein ganzes Staatssystem aus den Angeln hob. Dass sich diese Regierungen einer größeren Legitimation als die heutigen erfreuten, erscheint unrealistisch. Dass diese Erinnerungen und Traditionen ausgelöscht wurden, noch mehr.
Zweitens: Am Boykott der internationalen Finanzmärkte könnte eine revolutionäre Regierung nichts ändern. Aber sie könnte zwei Maßnahmen ins Auge fassen, die die Situation grundlegend transformieren können:
• Annullierung der gesamten vorhandenen Staatsschuld: Die Zins- und Rückzahlungsbelastung würde mit einem Schlag wegfallen.
• Die Verstaatlichung der Vermögenswerte der Bourgeoisie: Diese Maßnahme würde dazu führen, dass die vorhandenen Ressourcen nicht im Sinne der privaten Profitmaximierung, sondern des Aufbaus der Produktivkräfte investiert werden könnten
Selbstverständlich würde diese Politik – obwohl (oder weil?) sie die einzige Möglichkeit zum Wiederaufbau der wirtschaftlichen Kapazitäten darstellt – zum erbitterten Widerstand der europäischen Bourgeoise führen.
An diesem Punkt offenbart sich die Logik des Programms der Permanenten Revolution: Die Revolution in einem rückständigen Land (und um solche handelt es sich in Griechenland und Spanien) kann den Kapitalismus an seinem schwächsten Kettenglied brechen und so den Spielraum für den Sozialismus auf Weltebene öffnen. Aber ohne die Unterstützung des Proletariats auf internationaler Ebene ist eine solche Revolution zum Scheitern bzw. zur Degeneration (wie im Falle der Sowjetunion) verurteilt. Eine revolutionäre Regierung in einem der PIGS-Staaten müsste an das europäische Proletariat appellieren: „Ihr müsst gegen die Politik Eurer Regierungen mobilisieren, die uns zwingen wollen, unsere Wirtschaftskraft durch Privatisierungen etc. weiter zu schwächen. Wir appellieren an das europäische Proletariat, uns einen Rettungsschirm zur Verfügung zu stellen, mit dem wir unsere Produktionskapazitäten ausbauen können anstatt sie zerstören zu müssen.“
An diesem Punkt würde das europäische – darunter das österreichische – Proletariat zur Prüfung gebeten werden: Wie viel sind die Phrasen bei Gewerkschaftskongressen und im Verbandsausschuss der Sozialistischen Jugend wert? Sind sie mehr wert als die Beschlüsse am Verbandstag, die Vertreter der SJ zwingen, gegen Sparpakete auf der Ebene der Bundesländer zu stimmen? Mobilisieren wir gegen eine Parteiführung der SPÖ, die am 18./19. Mai im Parlament der Propaganda der ÖVP-Ministerin Fekter schweigend zuhört, die sich für „Schmerzen für die griechische Bevölkerung“ ausspricht (übrigens eine Position, die auch von der Financial Times Deutschland am 23.5.2011 unter dem Titel „Griechen-Scharfrichter Österreich mit Schönheitsfehler“ kritisiert wird)? Dann schlägt die Stunde der letzten Instanz auch für die österreichische ArbeiterInnenbewegung und ihre Jugendorganisationen. Der Spielraum des Reformismus verengt sich immer mehr. Bereiten wir uns darauf vor, wenn die Stunde der letzten Instanz schlägt!