Nach 18 Tagen ununterbrochenen Protests wurde Hosni Mubarak gestürzt. Ergebnisse und Perspektiven der Revolution bilanziert die Funke-Redaktion.
Die revolutionäre Bewegung auf den Straßen Ägyptens ist voller Lehren. Inspiriert von der Bewegung in Tunesien kam es am 25. Jänner zu ersten Massenprotesten auf dem Platz der Befreiung in Kairo, dem Tahrir Platz. Über mehrere Tage hinweg gingen Millionen Menschen auf die Straße. Die Wucht dieser Bewegung ließ erahnen, dass Mubaraks Tage gezählt waren. Die regimetreue Polizei wurde in mehreren Straßenschlachten in die Flucht geschlagen, im ganzen Land wurden Polizeistationen und die Lokale der Regierungspartei NDP in Brand gesteckt. Unter diesen Umständen sah sich die Armee gezwungen die Bühne zu betreten. Die Armee gilt als die einzig anerkannte staatliche Institution, die in der Bevölkerung Autorität genießt. Einerseits zeigte sie durch ihre Präsenz auf den Straßen und rund um den Tahrir Platz ihre Unterstützung für die Massenproteste, andererseits wirkte sie hinter den Kulissen auf einen „geordneten Übergang“ hin.
Dieses Ziel verfolgten auch die USA, die in Hosni Mubaraks Regime einen der wichtigsten Bündnispartner im Nahen Osten sehen. Ein revolutionärer Umsturz wäre aus der Sicht des US-Imperialismus gleichbedeutend gewesen mit einer gefährlichen Destabilisierung. Dies galt es mit allen Mitteln zu verhindern. Dies erklärt auch, warum sie auf Mubarak sehr bald begannen Druck auszuüben, damit er Maßnahmen setzt, die wieder Ruhe und Ordnung ins Land bringen können.
Mubarak spielte aber in all diesen Tagen auch sein eigenes Spiel und kämpfte um den Machterhalt. Am deutlichsten wurde dies in der „Schlacht vom Tahrir Platz“, als er eine Mischung aus Polizisten in Zivil und lumpenproletarischen Elementen auf die DemonstrantInnen hetzte, die den Tahrir Platz besetzt hielten. Mit unvorstellbarer Entschlossenheit gelang es der revolutionären Bewegung diesen Angriff abzuwehren. Mit dieser Niederlage war Mubaraks Schicksal eigentlich besiegelt. Schritt für Schritt musste er Macht abgeben, wobei der neue starke Mann, Ex-Geheimdienstchef Omar Suleiman, für die Fortsetzung des Regimes stand. Suleiman hat öffentlich die Meinung vertreten, die ägyptische Bevölkerung sei noch nicht reif für demokratische Verhältnisse.
Suleiman leitete aber Verhandlungen mit der Opposition ein. Auf dem grünen Tisch sollte der „geordnete Übergang“ stattfinden. Dahinter stand die Hoffnung, dass die revolutionäre Bewegung an Dynamik verliert und somit das Regime wieder stabilisiert werden könne. Die Bewegung hatte zwar die Fähigkeit bewiesen Millionen Menschen auf den Straßen zu mobilisieren, doch es fehlte ihr an einer klaren politischen Perspektive. Diese Schwäche hat dem Regime die nötige Zeit gegeben sich neu aufzustellen. In Wirklichkeit hätte die Bewegung unmittelbar nach der Schlacht am Tahrir Platz dem Regime den entscheidenden Schlag versetzen müssen. Anstatt auf dem Tahrir Platz zu verharren, hätte eine Massendemonstration zum Präsidentschaftspalast geführt werden müssen. Das richtige Motto in dieser Phase lautete: „Wenn du eine Schlange töten willst, dann schlag sie auf den Kopf.“
Die Chance dazu ließ die Bewegung ungenützt verstreichen. Das Fehlen einer revolutionären Partei, die über ein klares Verständnis über den Charakter der Revolution, ihre Perspektiven und ein revolutionäres Aktionsprogramm verfügt, machte sich in dieser Phase schmerzhaft bemerkbar. Dadurch drohte das Kräfteverhältnis wieder zu kippen. Es kam zu den Verhandlungen mit der Opposition, die Armee rief die Menschen auf wieder heimzukehren, die Bewegung drohte gespalten zu werden – und gleichzeitig machte der staatliche Repressionsapparat weiter seine schmutzige Arbeit und ließ unzählige RevolutionärInnen verschwinden.
Doch das entscheidende Element in dieser Phase war, dass die Bewegung von unten weitergeführt wurde. Die Menschen waren nicht mehr länger bereit Mubarak an der Spitze des Staates zu akzeptieren. In den Stadtvierteln bildeten die Menschen ähnlich wie in Tunesien Selbstverteidigungskomitees zum Schutz vor Plünderungen, die vom Geheimdienst organisiert wurden. Damit waren in embryonaler Form Strukturen einer neuen politischen Ordnung im Entstehen.
Streikbewegung
Der entscheidende Faktor war dann aber die Ausweitung der Proteste auf die ArbeiterInnenklasse. In immer mehr Betrieben kam es zu Streiks und sogar zu Betriebsbesetzungen. Die Forderung nach höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen wurde in vielen Fällen verbunden mit politischen Forderungen. Regimetreue Manager wurden abgesetzt, korrupte und mit dem Regime verbundene Gewerkschaftsbürokraten vertrieben. Außerdem gründete sich ein neuer Gewerkschaftsdachverband als Alternative zur regimenahen ETUF. Diese Differenzierungsprozesse in der Gewerkschaftsbewegung werden von entscheidender Bedeutung sein, wenn es darum geht, in Ägypten eine revolutionäre ArbeiterInnenpartei aufzubauen.
Schon von den ersten Protesttagen an, war das Zentrum der Bewegung zwar Kairo und der Tahrir Platz, aber in den großen Industriestädten Alexandria, Mahalla sowie in Suez usw. hatte die Revolution eine besondere Dynamik. Dies verstärkte sich als die ArbeiterInnenklasse als unabhängige Kraft und mit ihren eigenen Forderungen zu kämpfen begann. Die Streikbewegung weitete sich wie ein Lauffeuer aus. In dieser Situation wurde der Generalstreik eine realistische Option, um Mubarak endgültig zu stürzen. Dass die ArbeiterInnen nicht nur für „Demokratie“ sondern auch für ihre eigenen sozialen Interessen demonstrierten und streikten, ist der beste Garant, dass die Revolution mit dem Sturz von Mubarak nicht zu Ende ist. Denn die soziale Frage wird dadurch nicht gelöst.
Damit war der Punkt erreicht, wo Mubarak sich nicht mehr halten konnte. Als er dann gegen anderslautende Gerüchte in einer TV-Ansprache nur minimale Zugeständnisse ankündigte und nicht zurücktrat, waren die Menschen nicht mehr zu halten. Die Pläne des Militärs, einen „geordneten Übergang“ einzuleiten, waren somit zunichte gemacht. Der Zorn war jetzt so groß, dass nach dem Freitagsgebet der Sturm auf den Präsidentschaftspalast begann. Das staatliche Fernsehen wurde von einer riesigen Demo umzingelt. In vielen Städten wurden alle öffentlichen Gebäude besetzt. Es kam zu Verbrüderungen zwischen DemonstrantInnen und einfachen Soldaten. Mubarak musste fliehen und doch zurücktreten. Das Militär sah sich gezwungen die Macht zu übernehmen. Der Sturz Mubaraks ist ein unvorstellbarer Erfolg. Er war einer der wichtigsten Bündnispartner der USA und verfügte über einen gewaltigen Repressionsapparat. Trotzdem konnte die Revolution nicht gestoppt werden. Diese Tatsache allein schon ist von enormer politischer Bedeutung. Das entscheidende Element, das die Lage zum Kippen brachte, war die Streikwelle in den Betrieben.
Was kommt jetzt?
Diese Frage stellt sich ganz Ägypten aber auch die ganze Welt. Das Militär hat nun die Macht inne. Die Armeeführung, die Mubarak immer treu ergeben war, ließ den Pharao unter dem Druck der Straße fallen um das Regime und somit ihre eigenen Privilegien zu sichern. Doch die Armee selbst war angesichts dieser Massenbewegung in sich gespalten. Soldaten und auch Offiziere schlossen sich den Demonstrationen an. Unter diesen Bedingungen war es unmöglich die Armee gegen die Revolution einzusetzen. Deshalb entschieden sich die Generäle für die Flucht nach vorne und ließen Mubarak fallen.
Dadurch haben sie versucht, der revolutionären Bewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen, bevor die Lage völlig außer Kontrolle gerät. Die Armee kontrolliert nun die Regierung aber noch lange nicht das ganze Land. Die Frage ist, wie die Militärs die Hoffnungen und Forderungen der Revolution befriedigen wollen.
Der Sturz von Mubarak kann nur der erste Schritt sein. Mubaraks Abgang war die verbindende Klammer für alle Teile der Bewegung, von der Linken, den Gewerkschaften bis zu der Muslimbruderschaft. Das Regime ist aber noch immer da, von demokratischen Verhältnissen kann noch keine Rede sein. Die Revolution ist damit in eine neue Phase eingetreten. Die alte Regierung ist noch immer im Amt, Parlamentswahlen soll es erst in einem halben Jahr geben. Es besteht eindeutig die Gefahr, dass das alte Regime abgesehen von einigen kosmetischen Veränderungen bestehen bleibt. Doch selbst wenn das Militär den Übergang zu einer bürgerlichen Demokratie westlicher Prägung zulässt, dann wäre die Diktatur des Kapitals und des Imperialismus noch immer nicht beseitigt. Diese steht einer Lösung der sozialen Frage in Ägypten, die dieser Revolution zugrunde liegt, aber im Wege. Beginnend mit der Enteignung des Vermögens von Mubarak und seinem Clan muss die Revolution die Kontrolle über die natürlichen Ressourcen Ägyptens erlangen. Damit wird die Revolution aber in Konflikt mit dem Imperialismus geraten. Die rührenden Worte über die „Demokratiebewegung“ in Ägypten, die wir jetzt in Washington, Berlin und Wien vernehmen, werden dann schnell in Vergessenheit geraten.
Die Idee, ein “geordneter Übergang” unter der Kontrolle des CIA und verlässlicher Partner im Staatsapparat vom Schlage des Folterknechts Suleiman, ist für Washington nicht aufgegangen. Die Revolution ist bereits zu weit gegangen, und die Massen werden sich nicht so leicht wieder von der politischen Bühne zurückziehen.
Es ist unklar, welche politische Kraft an der Spitze einer bürgerlichen Demokratie in Ägypten stehen sollte und angesichts der existierenden Widersprüche in der ägyptischen Gesellschaft passende Antworten liefern kann. Die Armee wird zweifelsohne einer zivilen Regierung die Macht übertragen. Und es werden sich mehr oder weniger zufällige Figuren für die Funktionen an der Staats- und Regierungsspitze finden. Der vom Westen in Stellung gebrachte ElBaradei ist nur einer von ihnen. Doch was werden sie den Massen zu bieten haben?
Auf der Grundlage einer vom Imperialismus abhängigen “Marktwirtschaft” ist keines der grundlegenden sozialen Probleme zu lösen. Die offizielle Arbeitslosigkeit liegt bei 10 Prozent, unter Jugendlichen ist sie weit höher. Die Löhne reichen nicht aus um eine Familie zu ernähren. 40 Prozent der ÄgypterInnen leben von maximal zwei Dollar pro Tag. Dazu kommt die Wohnungsnot. Millionen arbeiten unter völlig ungeregelten Bedingungen. Ägypten ist ein soziales Pulverfass. Auf der anderen Seite hat die herrschende Clique unvorstellbare Vermögen angehäuft. Die Korruption wuchert wie ein Krebsgeschwür in der Gesellschaft.
Unter diesen Bedingungen wird die ArbeiterInnenklasse, die in dieser revolutionären Bewegung mit den neuen Gewerkschaften ein Kampfinstrument geschaffen hat, Druck machen, damit ihre Forderungen erfüllt werden. Dies hat dieses junge Proletariat spätestens seit der Bewegung vom 6. April 2008 mit den Streiks in Mahalla aufgezeigt. Dieser Kampf war eine Art Generalprobe für die jetzige Revolution. Das neue Selbstbewusstsein dieser Klasse wird sich in einer Radikalisierung des Klassenkampfes in den kommenden Monaten zeigen.
Die ArbeiterInnen haben dazu beigetragen, dass in einer Bewegung, deren Ziele in erster Linie demokratische waren, der sozialrevolutionäre Charakter an Bedeutung gewonnen hat. Das Programm der Eisen- und Stahlarbeiter von Helwan, das wir bereits veröffentlicht haben, ist der beste Beweis dafür. Ihr Programm ist das Programm der permanenten Revolution in Ägypten.
Der Slogan der ArbeiterInnen aus der Waffenindustrie, die am 11. Februar an den Massendemonstrationen gegen Mubarak teilgenommen haben, lautete: „thawra hatta’l nasr“ (Revolution bis zum Sieg)! Genau das muss die Devise der revolutionären Bewegung in Ägypten werden.
Wenn es den Massen in Ägypten gelingt, ihre demokratischen und sozialen Ziele zu erreichen, dann würde das zwangsläufig zu einem Bruch mit dem Kapitalismus führen. Damit würde ein wichtiges Glied in der Kette der imperialistischen Herrschaftsordnung brechen. Und ähnlich wie die Ereignisse in Tunesien eine Vorbildwirkung auf die Menschen in Ägypten hatten, umso mehr wird die Revolution in Ägypten die Massen in der gesamten arabischen Welt beflügeln. Der Nahe Osten und der Maghreb stehen vor einem politischen Erdbeben, wie wir es zuletzt 1989 nach dem Fall der Berliner Mauer gesehen haben.
Lang lebe die Revolution in Ägypten und der gesamten arabischen Welt! ArbeiterInnen aller Länder vereinigt Euch!