Ende März beschloss die Führung der britischen Labour-Party unter „Sir“ Keir Starmer formell, was sich in den letzten Monaten schon ankündigte: Der ehemalige Vorsitzende Jeremy Corbyn wird nicht mehr als Labour-Kandidat in seinem Wahlkreis antreten dürfen.
Nach seiner Suspendierung und dem Rausschmiss aus dem Parlamentsklub wollen Starmer und die Clique an der Parteispitze damit einen endgültigen Schlussstrich unter das „Kapitel Corbyn“ setzen: Er löste massenhaften Enthusiasmus für ein linkes Programm aus, das die Interessen der Arbeiterklasse und der Jugend anspricht. Für Starmer, der die Interessen der Banken und Konzerne vertritt, ein äußerst lästiges Erbe.
In der Linken stellt sich nun die Frage, wie es weitergehen soll. Corbyn selbst lässt offen, ob er als Unabhängiger gegen den oder die Labour-KandidatIn antreten will, liebäugelt aber zumindest mit dieser Idee. „Ich werde mich nicht zum Schweigen bringen lassen“, so der Ex-Chef.
Die Labour-Führung begründet ihren Beschluss damit, dass eine Kandidatur Corbyns den Interessen der Partei zuwiderlaufen würde. Dabei war es die Parteirechte, die ihren ehemaligen Vorsitzenden während seiner Amtszeit ständig untergraben hat: Nach seiner Wahl im Jahr 2015 erzwang die Parteirechte ein knappes Jahr später mit einem Misstrauensvotum eine neuerliche Wahl – die Corbyn mit noch mehr Stimmen gewann. Nach dem Scheitern dieses Putschversuches lancierte der rechte Flügel eine Hexenjagd nach der anderen, insbesondere soll Corbyn höchstpersönlich für einen tiefsitzenden Antisemitismus in der Partei verantwortlich sein. Eine parteiinterne Untersuchung stellte später nicht nur fest, dass dieser Vorwurf völlig haltlos ist, sondern deckte noch dazu die Sabotage (v.a. der Parlamentswahlen von 2017 und 2019) seitens des Parteiapparats auf. Der Funke berichtete laufend über diese Kampagnen.
Umso frevelhafter ist es also, jetzt zu behaupten, Corbyn würde den Interessen der Partei schaden und so zu rechtfertigen, warum die demokratischen Rechte im Wahlkreis von Corbyn (Islington North) nicht gelten, und sie in der Frage, wer ihr Kandidat bei den Wahlen sein soll, nichts zu melden haben. Wir zitieren an dieser Stelle die Führung der Bäckergewerkschaft BFAWU, die seit ihrer Gründung Teil der Labour-Party war und sich 2021 von ihr losgelöste hat:
„Starmer ist keine Bedrohung für den Reichtum oder den Status quo … Seine Aufgabe im Namen der etablierten Ordnung ist es, dafür zu sorgen, dass eine Corbyn-ähnliche Figur nie wieder in eine Machtposition gewählt werden kann… Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Partei fürchteten sie einen Politiker, der nicht gekauft werden kann; der die Politik des manipulierten Spiels nicht fortsetzen würde.“
Diese Charakterisierung ist im Grunde richtig. Was fehlt ist eine Analyse darüber, wie Corbyn vom rechten Flügel – einer zahlenmäßigen Minderheit in der Partei, die aber den Apparat und den Parlamentsklub völlig dominiert – so zurechtgestutzt werden konnte.
Die Antwort liegt in der völligen Orientierung auf die „Einheit der Partei“. Die MarxistInnen innerhalb von Labour, verkörpert durch die Strömung „Socialist Appeal“, argumentierten von Anfang an, dass die Parteirechte jeden Schritt, der gegen das Kapital gerichtet ist, sabotieren würde. Die MarxistInnen argumentierten, dass es sich dabei um einen Klassenkampf innerhalb der Partei handelte: Die Agenten des Kapitals im Apparat gegen die breite Masse der Arbeiter an der Basis – und forderten ebenjenes Recht ein, das der örtlichen Labour-Partei in Islington North nun explizit genommen wurde: ihren eigenen Kandidaten vor jeder Parlamentswahl selbst zu wählen (das Konzept der „mandatory reselection“). Das hätte dem bürokratischen Klammergriff der Rechten den geballten Druck der Basis entgegengesetzt. Die ganze Entwicklung der letzten acht Jahre bestätigt die Richtigkeit dieser Einschätzung.
Wenn Corbyn sich jetzt also kämpferisch gibt und die Labour-Bürokratie herausfordern will, stellen wir uns die Frage: Warum erst jetzt? Während seiner Zeit als Vorsitzender, als Hunderttausende in die Partei geströmt sind und als es einen Enthusiasmus für linke Ideen gab – da pochten Corbyn und die führenden Exponenten der Linken auf die „Einheit“. Die Forderung nach „mandatory reselection“ war extrem populär und hatte auf einer Parteikonferenz die Mehrheit unter den Basisdelegierten – nur die mächtigen Blockstimmen der Gewerkschaftsapparate konnte sie verhindern. Corbyns ‚Verbündete‘ argumentieren jetzt aus der Defensive mit genau derselben Argumentation: Starmer solle Corbyn in Ruhe lassen, denn auch das gefährde die Einheit der Partei.
Diese Orientierung führt erwiesenermaßen in die Sackgasse und entspringt dem reformistischen Ansatz, der sowohl von Corbyn als auch weiten Teilen der Labour-Linken vertreten wird. Der Reformismus geht davon aus, dass die Interessen der ArbeiterInnen und der Kapitalisten miteinander vereinbar sind – also auch der linke und rechte Parteiflügel miteinander vereinbar wären. Tatsächlich drückte dieser Konflikt den Klassenkampf innerhalb der Partei aus, und auf diesem Schlachtfeld haben die Bürgerlichen, mit Keir Starmer als ihrem Verfechter, vorerst den Sieg davongetragen. Will sie beim nächsten Mal besser dastehen, braucht die Arbeiterklasse eine revolutionäre Führung. Diese wird in den kommenden Auseinandersetzungen geschmiedet werden – für diese kämpfen die MarxistInnen von Socialist Appeal.
(Funke Nr. 213/24.4.2023)