Am 1. Februar 1918 meuterten die Matrosen in der Bucht von Cattaro (Kotor, heutiges Montenegro). Inspiriert von der russischen Oktoberrevolution und dem Jännerstreik wollten auch sie mit ihren Offizieren „russisch reden“. Martin Halder über die historische Bedeutung und das politische Erbe des Matrosenaufstands.
Cattaro war nach Pula der zweitwichtigste Kriegshafen der Habsburgermonarchie. Die Soldaten und Matrosen waren kriegsmüde. Die Versorgungslage war verheerend: Das Fleisch war verfault und bestand größtenteils aus Knochen und Sehnen, die Rationen wurden immer schmäler und die zugewiesene Kleidung verlumpter. Die Offiziere aber waren korrupt und gut versorgt, verkauften die Mannschaftsrationen am Schwarzmarkt, feierten Bankette, bekamen ihren Urlaub bewilligt und konnten sogar ihre Liebsten nachziehen lassen. Ein Leutnant, in Feierlaune und mit Champagnerflasche in der Hand, rief eines Abends seinen Zukunftswunsch in die Nacht hinaus: „Noch zehn Jahre Krieg!“
Den letzte Anstoß zum Aufstand gab die Kunde vom Jännerstreik in Wien und Niederösterreich, in den Schiffswerften in Triest und Muggia sowie dem Streik des Marinearsenals in Pula am 22. Jänner.
Der Aufstand wurde von Matrosenkomitees vorbereitet und auf den 1. Februar angesetzt. Zur Mittagsstunde setzten die Matrosen des Flaggschiffs „SMS Sankt Georg“ die Offiziere fest, hissten die rote Fahne und gaben einen Schuss ab, als Zeichen zum Aufstand. Insgesamt schlossen sich 5.000 Matrosen auf allen 40 Kriegsschiffen im Hafen an.
Die Aufständischen gründeten Matrosenräte und übergaben dem Admiral Alexander Hansa ihre Forderungen: unmittelbare Verbesserung ihrer Lage, sofortiger Friedensschluss, Demokratisierung der Regierung, vollständige Abrüstung sowie das Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Zudem richteten die Matrosen ein Telegramm an Victor Adler mit der Bitte nach „ehestens mündlichen Gedankenaustausch mit sozialdemokratischen Abgeordneten aller Nationen behufs sofortiger Einleitung allgemeiner Friedensverhandlungen, Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Die ungarischen Matrosen im Zentralmatrosenkomitee schrieben außerdem:
„Wir, die ungarische Bemannung der k.u.k. Kreuzerflottille in der Bocche von Cattaro, die wir die Leitung sämtlicher hier befindlichen Einheiten ohne jedes Blutvergießen übernommen haben, wünschen die sofortige Schließung des Friedens ohne Annexionen auf sozialistischer Grundlage.“
Der 28-Jährige tschechische Unteroffizier Franz Rasch, einer der Anführer, erklärte einem Offizier:
„…das Vertrauen haben wir verloren, denn sie können uns keine Zugeständnisse machen – sie sind nicht schuld daran, sondern nur das System im Staate, es ist genauso wie in Rußland, mit dem System muß gebrochen werden.“
Ende des Aufstands
Schlussendlich scheiterten die Matrosen an ihrer eigenen Unerfahrenheit. Nach dem schnellen Erfolg reagierten sie abwartend und erlaubten den Offizieren sogar, sich an Bord frei zu bewegen. Die Funksprüche der Aufständischen wurden abgefangen, aber Admiral Hansa nützte die gewährleistete Bewegungsfreiheit, um einen Hilferuf an loyale Truppenteile zu telegraphieren. Am 3. Februar zwangen herbeigerufene loyale Truppen die Matrosen zur Kapitulation. 800 Aufständische wurden verhaftet und Franz Rasch sowie drei weitere Anführer der Meuterei – Anton Grabar, Jerko Sisgoric, Mate Bernicevic – am 11. Februar vor ein Erschießungskommando gestellt.
Die Rolle der Sozialdemokratie
Die einzigen, die neben dem Generalstab von den Ereignissen erfuhren, war die sozialdemokratische Parteiführung. Julius Braunthal, der damals als Leutnant vor Ort stationiert war, ließ einen Brief nach Wien übermitteln. Er schrieb in seinen Erinnerungen:
„Am 11. Februar war der Bericht in den Händen Otto Bauers […] Noch am selben Tag begab sich Victor Adler mit Karl Seitz zum Kriegsminister. Seitz schilderte mir später die Unterredung: ‚Was soll das heißen?‘ fragte der General. ‚Sie werden doch nicht zum Streik aufrufen?‘ – ‚Dazu brauchen die Arbeiter keine besondere Aufforderung‘, bemerkte Adler. ‚Es wird vollkommen genügen, wenn ich ihnen erzähle, was sich in Cattaro zuträgt…‘“
Das ist korrekt. Wäre die Nachricht des Matrosenaufstands – selbst nach seiner Niederschlagung – nach außen gedrungen, hätte dies zu einem erneuten Aufflammen der Massenstreiks führen können. Doch Victor Adler und der Kriegsminister vereinbarten Stillschweigen.
Erst acht Monate später, nachdem die Angelegenheit von einem bürgerlichen, slowenischen Abgeordneten im Parlament zur Sprache gebracht wurde, veröffentlichte auch die Arbeiterzeitung eine Stellungnahme zum Aufstand.
Die Matrosen von Cattaro
Eine der wenigen Gründe, warum der Matrosenaufstand nicht vollständig aus dem kollektiven Gedächtnis getilgt wurde, ist das Theaterstück „Die Matrosen von Cattaro“, das der kommunistische Schriftsteller Friedrich Wolf 1930 verfasste. Die zentrale Idee seines Lehrstücks war es, aus der Niederlage zu lernen, damit der nächste Aufstand wie jener der russischen Matrosen 1917 siegreich sein werde.
Das Stück wurde in vielen deutschen Städten sowie in Wien, Prag, Amsterdam, London und New York aufgeführt. Es zwang das Publikum förmlich zur politischen Diskussion, da sein Anliegen alles andere als historisch war. Wolf berichtete über die ersten Aufführungen:
„Es verging keine Vorstellung – zumal in Berlin und im Rheinland –, wo nicht aus dem Zuschauerraum heraus eine Diskussion mitten während des Spiels entbrannte. Das Stück wurde schließlich verboten, ich selbst nach der Stuttgarter Aufführung verhaftet.”
Auch in Wien endeten die Aufführungen auf der Renaissancebühne häufig frühzeitig in Schlägereien mit der stets anwesenden Polizei.
Das letzte Wort soll hier dem „Franz“ aus Wolfs Stück überlassen werden:
„Kameraden, das nächste Mal besser!“
„Die Kugeln, die uns niederstrecken werden, […] diese Kugeln, Leutnant, werden gehört werden, auf den Schiffen, in den Schützengräben, in den Fabriken und in den Straßen der Städte… von denen, die es dann besser machen als wir!“
(Funke Nr. 210/19.1.2023)