Vor 90 Jahren, im Jänner 1918, erschütterte eine gewaltige Streikbewegung die Habsburger-Monarchie. Die österreichischen ArbeiterInnen hatten sich am russischen Proletariat ein Beispiel genommen und wollte dem Krieg mit revolutionären Mitteln ein Ende setzen. Dieses Kapitel der Geschichte der österreichischen ArbeiterInnenbewegung wird selbst in diesem Gedenkjahr gefließentlich unter den Teppich gekehrt. Wir veröffentlichen hier den Text einer Broschüre über die Ereignisse im Jänner 1918.
Einleitung
Die österreichische Gesellschaft wird mit Vorliebe als „Insel der Seligen“ dargestellt. Mögen die Zeiten noch so schwer sein, mögen die Schwierigkeiten noch so groß sein, irgendwie „raufen wir uns schon zusammen“ – das gehört zum Repertoire eines jeden gestandenen Österreichers. Der „soziale Friede“ gehört zum öffentlich gepflegten Österreich-Bild wie die Lipizzaner, die Wiener Sängerknaben, Mozart und die Sachertorte. Die offizielle Geschichtsschreibung in diesem Land „vergißt“ in diesem Sinne gerne auf die Darstellung sozialer Bewegungen und der revolutionären Traditionen in diesem Lande.
Mit der vorliegenden Broschüre haben wir uns zum Ziel gesteckt, eine dieser Erinnerungslücken zu füllen. Die österreichische Arbeiterbewegung hatte es im Jänner 1918 geschafft, die bestehenden Verhältnisse schwer zu erschüttern und ein beachtenswertes Zeichen gegen die Greuel des Weltkrieges zu setzen.
Die Russische Revolution von 1917 war wie ein riesiges Erdbeben, dessen Erschütterungen nicht nur Rußland selbst, sondern die gesamte Welt beeinflußten. Auch Österreich konnte sich den Schockwellen, die von Petrograd und Moskau ausgingen, nicht entziehen. Die revolutionären Ereignisse Ende des Ersten Weltkriegs sind ein Kapitel, das von bürgerlichen HistorikerInnen nur allzu gerne aus den Annalen der österreichischen Geschichte gestrichen wird. Die Jugend soll nur nicht lernen, daß es auch in Österreich, dieser so gepriesenen “Insel der Seligen”, wo “sozialer Friede” zum Um und Auf der politischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte gehörte, durchaus große revolutionäre Traditionen gibt.
Wir wollen mit dieser Arbeit zeigen, welchen großen Einfluß die Russische Revolution auf die österreichische Arbeiterbewegung hatte, wie die sozialdemokratische Parteiführung auf die revolutionären Bestrebungen der ArbeiterInnen in Wien, Wiener Neustadt und den anderen Industriegebieten vor mehr als 80 Jahren reagierte, und welche Rolle die linke Opposition in der Sozialdemokratie während der österreichischen Revolution, deren erster großer Höhepunkt der Jännerstreik 1918 sein sollte, gespielt hatte.
Diese Broschüre soll helfen, alle jungen GenossInnen mit diesen von der offiziellen Geschichtsschreibung der Sozialdemokratie völlig vernachlässigten Ereignissen zwischen 1916 und 1918 bekannt zu machen. Wir wollen aber auch zeigen, was die Aufgaben von SozialistInnen in einer revolutionären Situation sind und wie sie sich auf solche, die ganze Gesellschaft umwälzenden Geschehnisse vorbereiten sollten.
Die Redaktion, Jänner 2001
Sozialdemokratie und Krieg
Beginnen wollen wir unsere Arbeit aber im Jahre 1914. Die österreichische Sozialdemokratie bekundete wie ihre Schwesterparteien der Zweiten Internationale in ganz Europa die Absicht, mit allen der Arbeiterbewegung denkbaren Mitteln einen Krieg zwischen den großen imperialistischen Mächten zu verhindern. Als der Erste Weltkrieg aber ausbrach, ging die Sozialdemokratie vor der nationalistischen Propaganda der herrschenden Klassen in die Knie.
Georges Haupt zeichnet in seinem Buch „Der Kongreß fand nicht statt – Die Sozialistische Internationale 1914“ ein sehr beklemmendes Bild von der internationalen Sozialdemokratie, allen voran der österreichischen Partei. In der Sitzung des „Internationalen. Sozialistischen. Bureaus“ (I.S.B.) Ende Juli 1914, wo die internationale Lage sowie der kurz bevorstehende internationale Kongreß diskutiert werden sollten. Victor Adler, von Kautsky als der „geistige und moralische Führer der Internationale“ bezeichnet, betonte bei diesem Treffen bereits klar seine Überzeugung, „dass es unmöglich war, irgendetwas gegen den Krieg zu unternehmen“. Offen sprach er von der Ohnmacht der Sozialdemokratie. Diese absolute Passivität muss die GenossInnen aus den anderen Sektionen voll erschüttert haben. Das Schicksal der Zweiten Internationale wurde damit besiegelt, fast alle sozialdemokratischen Parteien unterstützten in der Folge den Krieg.
Schon einige Tage vor Kriegsausbruch bereitete die Parteispitze die ArbeiterInnen Schritt für Schritt auf die Zustimmung zum Krieg vor. Man erklärte, daß “Österreich-Ungarn im Rechte ist” und daß es nun die Hauptaufgabe sei, “gerüstet zu sein und zu bleiben für die Zeit nach dem Kriege” sowie “alles, was den Behörden einen begründeten Anlaß oder Vorwand zur Unterdrückung oder Behelligung unserer Organisation geben könnte,… zu vermeiden”. Diese wahrhaft ‘kämpferischen’ Worte stammten übrigens aus der Feder Otto Bauers.
Diese Kapitulation (ja teilweise sogar fanatische Begeisterung) angesichts des Krieges war alles andere als ein Betriebsunfall, sondern logische Konsequenz der Entwicklung der Sozialdemokratie in den Jahren zuvor. Denn das revolutionäre Ziel wurde längst schon von dem sich herausbildenden bürokratischen Apparat in Partei und Gewerkschaft zugunsten einer reinen Orientierung auf soziale und demokratische Reformen in den Hintergrund gedrängt. Und eine illegale Tätigkeit gegen den Krieg hätte aus Sicht dieser nun in Partei und Gewerkschaft den Ton angebenden Schicht nur sinnlose Verluste gebracht. Das Hauptziel lag für Victor Adler & Co. darin, die Organisation aufrechtzuerhalten und die Einheit der Partei zu sichern. Mit einem offenen Auftreten gegen den Krieg würde man Gefahr laufen, „die Arbeit von 30 Jahren zu vernichten, ohne irgendein politisches Resultat“, so Adler. Dass eine Partei wie die Sozialdemokratie aber mehr als „ein Haus mit Telefonen“, mehr als ein Apparat, ist, spielte für ihn keine Rolle.
Verstärkt wurde dies noch durch die Notwendigkeit der politisch entmachteten Parteielite, die eigenen psychischen Spannungszustände und Legitimationsdefizite durch die Ausrichtung auf einen „äußeren Feind“ (vor allem das zaristische Russland) zu reduzieren. In den Diskussion des Jahres 1914 treten die politischen Schwächen der Führungsspitze der österreichischen Sozialdemokratie offen zu Tage. Man hatte ein sehr starkes Vertrauen in die „normalen“ Konfliktregelungsmechanismen der europäischen Großmächte – und vor allem der Herrschenden im eigenen Land. Der Ausbruch des Krieges war aus ihrer Sicht unvorstellbar. Als es so weit war, und man de facto mit einem Staatsstreich konfrontiert war, womit die legale Grundlage selbst für eine reformistische Politik, welche die Ziele des Regimes in Frage gestellt hätte, beseitigt wurde, hatte man sich selbst bereits gelähmt. Die Sozialdemokratie konnte nur in so weit agieren, als sie für das Regime stabilisierend wirkte. Die Konsumvereine bekamen sogar Kredite, um ihr Überleben zu sichern, die parteieigenen Hammerbrotwerke lieferten der Armee Zwieback, man beteiligte sich mit 50.000 Kronen an der staatlichen Kriegshilfebank, Renner stieg zum Direktor des Kriegsernährungsamtes auf und die Arbeiterzeitung gab sich zur Stimmungsmache im Interesse der Kriegführung her.
In einem Polizeibericht finden wir eine Darstellung, welche diese Einschätzung der Sozialdemokratie zur Zeit des Ersten Weltkrieges unterstreicht: „Die sozialdemokratische Partei hat nach dem Ausbruch des Krieges ihre Tätigkeit darauf beschränkt, an der Verwaltungsarbeit in den Gemeinden und in den Kriegswirtschaftsorganisationen teilzunehmen, im politischen Kampf hat sie sich vom Geiste des engen Reformismus umfangen lassen, ihre geschichtliche Aufgabe des Klassenkampfes hat sie in den Hintergrund gestellt und ist auf dem besten Wege zum Ministerialismus.“
Statt erbittertem Widerstand gegen die Kriegstreiber, sprach man bei Kriegsausbruch von einem “großen Tag der deutschen Nation”, und die Gewerkschaftsführung ging zu einer Politik des “Burgfriedens” mit dem Kapital über, um die für die Kriegsführung notwendige Produktion ja nicht zu stören. Streiks sollten vermieden werden. Auf bessere Zeiten warten, das wurde nun zur Hauptdevise erhoben. Die Arbeiterklasse konnte keinen spontanen Widerstand gegen den Kriegsausbruch entwickeln. Zwar gab es in einigen Orten schon 1914 Widerstand gegen den Krieg (Steyr, Leoben, Linz), angesichts einer allgemeinen Kriegsbegeisterung verstummte die Arbeiterbewegung jedoch weitgehend. Bis 1916 sollte diese Passivität der Mehrheit der Arbeiterschaft anhalten.
Unter den Frauen und in der Arbeiterjugend herrschte von Anfang an jedoch eine klar antimilitaristische Stimmung vor. Führende Parteifunktionäre, wie Friedrich Adler, die von Anfang an in Opposition zur offiziellen Parteilinie standen, waren jedoch unfähig, die Arbeiterklasse gegen den Krieg zu aktivieren oder zumindest ihr Bewußtsein zu heben.
Arbeiterklasse im Krieg
Die Rechnung für das politische Versagen der sozialdemokratischen Parteiführung bekamen die ArbeiterInnen serviert. Schon sehr schnell wurde klar, was Krieg für sie bedeuten würde: Hunger, Elend, Repressionen und für unzählige der sinnlose Tod in den Schützengräben.
Besonders einschneidend für die soziale und rechtliche Position der Arbeiterklasse sollte das bereits 1912 beschlossene Kriegsleistungsgesetz (KLG) werden. Mit diesem Gesetz wurden Betriebe unter Aufsicht der Heeresverwaltung gestellt. Das Ziel war die Ausrichtung der Produktion auf die Interessen der Kriegführung. Unter diesem „staatlichen Schutz“ wurde gewerkschaftliche Tätigkeit de facto in die Illegalität getrieben, da nun alle „den Betriebszweck störenden Handlungen“ unter Strafe gestellt wurden.
Auch in den anderen Bereichen der Industrie konnte jederzeit gegen streikende Arbeiter das Militärstrafgesetz angedroht werden, indem man sie als sogenannte „Soldaten-Arbeiter“ vereidigte. Politische Aktivitäten sollten durch diese Militarisierung der Betriebe im Keim erstickt werden. Wer nicht spurte, lief Gefahr, von einem Tag auf den anderen zur Front eingezogen zu werden.
Mit dem KLG war eine gesetzliche Voraussetzung für massiven Sozialabbau gelegt. Schutzbestimmungen betreffend die Arbeitszeit oder die Sonn- und Feiertagsruhe wurden demontiert. Die ArbeiterInnen hatten nicht mehr die Möglichkeit, den Betrieb zu wechseln. Das Kräfteverhältnis hatte sich somit zu Beginn des Krieges spürbar zugunsten der Unternehmer verschoben.
Doch schon 1917 erkannte das Regime, daß man mit Repressionen allein, das System der Kriegswirtschaft nicht aufrechterhalten könne. Eine Einbindung der Gewerkschaften sollte aus der Sicht der Herrschenden eine Eskalation sozialer Bewegungen verhindern. Es wurden nun Beschwerdekommissionen eingerichtet, die von Unternehmer- und Arbeitnehmervertretern paritätisch besetzt wurden, und deren Aufgabe es sein sollte, in Fragen der Löhne und der Arbeitsbedingungen zu entscheiden. Die Gewerkschaften nahmen dieses Angebot natürlich dankend an und ließen sich so vor den Karren des Regimes binden.
Wer jedoch glaubte, daß mit dieser Maßnahme den aufkommenden Protesten der Wind aus den Segeln genommen werden könnte, irrte gewaltig. Zu brennend waren nämlich die sozialen Probleme, allen voran die katastrophale Lebensmittelversorgung. Wie es Berthold Unfried ausdrückte: „Gegen den Hunger half weder militärische Repression noch Zusammenarbeit mit Arbeiterorganisationen.“ Ab 1917 kam es immer wieder zu Hungerkrawallen, Plünderungen von Geschäften und in der Folge zu Zusammenstößen mit der Polizei.
Neue Schichten
Der Krieg hatte neben dieser offensichtlichen Verelendung der Arbeiterklasse auch noch eine andere entscheidende Dimension. Durch die Einberufung der männlichen Arbeiter zur Armee und der Entwicklung einer riesigen Rüstungsindustrie veränderte sich die Zusammensetzung der österreichischen Arbeiterklasse in den Jahren 1914-17 grundlegend. Die Masse der neuen Arbeitskräfte in den Fabriken waren nun Frauen und ungelernte, oft sehr junge Arbeiter. Die viel zu niedrigen Unterhaltszahlungen seitens des Staates zwangen alle arbeitsfähigen Mitglieder einer Arbeiterfamilie, eine Lohnarbeit anzunehmen. 40% aller Beschäftigten in den unter Heeresverwaltung stehenden Betrieben und sogar 50% in der Metallindustrie waren Frauen.
Frauen waren durch die wachsende Ausbeutung besonders betroffen. 12-Stunden-Schichten waren die Regel, das Nachtarbeitsverbot wurde 1915 aufgehoben, weibliche Arbeitskräfte verdienten nicht mehr als die Hälfte des Lohnes eines durchschnittlichen männlichen Kollegen. Nach der Arbeit mußten sie auch noch ihre Familien versorgen, wodurch sie als erste die schlechte Lebensmittelversorgung zu spüren bekamen.
Dies erklärt auch, warum Frauen neben Jugendlichen zu den radikalsten Teilen der völlig umgewandelten Arbeiterklasse wurden. Polizeiberichte nennen immer wieder Frauen und Jugendliche als die treibenden Kräfte in Streiks, sie zeichnen vor allem für eine radikalere Protestkultur verantwortlich.
Diese sozialen Veränderungen in der Arbeiterklasse hatten auch weitreichende Auswirkungen auf die traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung. Der Anteil an Frauen in der Gewerkschaft stieg von 10,4% im Jahre 1913 auf über 25% im Jahre 1917. Die alten Kommunikationsstrukturen und das Vertrauensmännersystem wurden mit Kriegsausbruch immer loser. Im Gegenzug bildeten sich vor allem in den Zentren der sich rasch ausdehnenden Rüstungsproduktionen neue Strukturen kollektiven Handelns, entstanden Formen von Klassenbewußtsein. Konservativismus und Passivität traten unter diesen Bedingungen gegenüber einer wachsenden Radikalisierung zunehmend in den Hintergrund. Und diese Radikalisierung wiederum sollte sich schon sehr bald in den traditionellen Organisationen, Partei und Gewerkschaft widerspiegeln.
Vertrauensleute
Die ersten, die diesen Druck von der Basis spüren sollten, waren die Vertrauensleute in den Betrieben, die zum überwiegenden Teil in den freien Gewerkschaften organisiert waren. Deren Los hat sich seit Kriegsbeginn ohnedies enorm verschlechtert. Sie waren ständig mit Repressionen konfrontiert und mußten damit rechnen, eingezogen zu werden. Durch bewußte Bereitschaft zur Kooperation mit den Unternehmern trachteten die meisten, den Kopf aus der Schlinge zu bekommen. Sie übten eine ziemlich wichtige Funktion beim Ruhigstellen der ArbeiterInnen aus. Für das Regime durchaus von Nutzen befahl die Heeresverwaltung schon 1916 erstmals die Wahl von Vertrauensleuten in der Munitionsfabrik in Wöllersdorf. Sie entstanden aber keineswegs immer nur durch Befehl von oben. In der Skoda-Fabrik in Pilsen etwa entstand der Arbeiterausschuß aus einem Streik heraus und hatte die Aufgabe, die Verpflegung der ArbeiterInnen zu organisieren.
Die Vertrauensleute standen allgemein gesehen in einem Spannungsverhältnis. Für die Unternehmer sollten sie als Disziplinierungsmittel agieren, und die ArbeiterInnen forderten von ihnen eine konsequente Vertretung ihrer Interessen. Wo sie diesem Wunsch der Basis nicht nachkamen, konnte es aber leicht passieren, daß die ArbeiterInnen selbst aktiv wurden. Wurden sie zum Sprachrohr ihrer Belegschaft drohten wiederum Repressionen.
Anfangs spielten die Vertrauensleute mehrheitlich eine für die Arbeitsbeziehungen stabilisierende Rolle. Mit der Einführung der Beschwerdekommissionen weitete sich ihr Kompetenzbereich noch aus. Das Kriegsministerium hielt die militärischen Verwalter in den Betrieben sogar an, den Kontakt zu den Vertrauensleuten zu pflegen und über diese Schiene auf die ArbeiterInnen beruhigend einzuwirken. Man erkannte die Notwendigkeit, den Unmut der ArbeiterInnen zu kanalisieren, bevor es zu unkontrollierbaren sozialen Protesten kommt.
Die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie hatten ebenfalls ein Interesse daran, daß die radikaler werdenden Schichten der Arbeiterklasse unter ihrer Kontrolle bleiben. Die Gewerkschaften betonten auch ihre Bereitschaft, für „die ruhige und ungestörte Fortsetzung der Produktion“ zu sorgen. Die jungen, meist kämpferischeren Vertrauensleute wurden von der Gewerkschaftsbürokratie eher als lästiger Unsicherheitsfaktor betrachtet.
Wie sich spätestens im Jännerstreik 1918 zeigen sollte, traten aber unter dem Druck der eigenen Basis immer mehr Vertrauensleute selbst immer radikaler auf. Wer sich weigerte, konsequent die Interessen der Belegschaft zu vertreten, wurde nicht selten durch radikalere Arbeiter ersetzt. Von einer bewußt eingesetzten Instanz, die als Puffer zwischen Heeresverwaltung und den ArbeiterInnen wirken sollte, entwickelten sich die Arbeiterausschüsse zu „Kristallisationspunkten eines steigenden Selbstbewußtseins der Arbeiter“. Die Herausbildung der österreichischen Arbeiterräte ist ohne einem Verständnis von der Rolle dieser Arbeiterausschüsse und dem System der Vertrauensleute nicht zu verstehen.
Die Streikwelle von 1917
Im Frühjahr 1917 war der „Burgfrieden“ nicht mehr zu halten. Der Hungerwinter von 1916/17 brachte einen merklichen Stimmungsumschwung in der Arbeiterklasse mit sich. Ausgelöst durch die soziale Not sind die Streiks jener Tage aber von Anfang an nicht nur Kämpfe für eine ökonomische Besserstellung sondern haben auch einen klar politischen Charakter. Die Streikenden richten ihre Forderungen direkt an den Staat, der für die schlechte Versorgungslage verantwortlich ist. Und unter den Bedingungen der Militarisierung der Betriebe hat man bei jedem Arbeitskampf den Staatsapparat als Gegenüber vor sich.
Die Formen sozialen Protests unterscheiden sich aufgrund des veränderten gesellschaftlichen und institutionellen Umfelds ebenfalls sehr stark von denen der Zeit vor 1914. Es kommt zu Lebensmitteldemonstrationen und -unruhen, die Streiks haben oft einen äußerst spontanen Charakter, nicht selten gepaart mit gewalttätigen Wutausbrüchen gegen Händler und „Schieber“. Diese Protestformen spiegelten den erwachenden Radikalismus insbesondere der städtischen Unterschichten und bis jetzt unorganisierter Teile der Arbeiterschaft wider. Mit ihren Kämpfen hatten sie aber durchaus Vorbildcharakter für die Arbeiter in traditionell gut organisierten Bereichen.
Aus Polizeiprotokollen läßt sich auch ablesen, dass die ArbeiterInnen mit dem Mittel der passiven Resistenz Widerstand leisteten. Dokumentiert ist etwa ein Fall aus Vorarlberg bei der Maschinenfabrik Rusch-Ganahl A.G. in Dornbirn. Konkret hieß passive Resistenz, dass sich die im Akkord tätigen Arbeiter auf eine bestimmte Stückzahl einigten, die sie jeden Tag herzustellen beabsichtigten. Sie befürchteten nämlich bei einer etwaigen Mehrleistung eine Reduzierung des Stücklohnes. Dies verstieß ganz klar gegen eine Kundmachung des Kriegsministeriums, demzufolge es die Pflicht war, „seine ganze Kraft in den Dienst des Vaterlandes zu stellen … und alle Kräfte unausgesetzt aufzubieten“. Dieser Akt der Solidarität ging auf eine Initiative zweier Funktionäre des Dornbirner Metallarbeiterverbandes (Josef Wehinger und Anton Scheffknecht) zurück. Als sie einen Arbeiter bedrohten, der gegen das geheime Abkommen verstieß und glaubte, er müsse Sonderleistungen erbringen, wurde die Staatsgewalt aktiv. Es wurde ein Strafverfahren gegen die beiden eingeleitet. Im Polizeiprotokoll kann man dazu folgendes lesen: „Das wider Anton Scheffknecht und Josef Wehinger (beide vom Militärdienste enthoben) eingeleitete Strafverfahren (…) ist noch nicht zum Abschlusse gelangt, doch kann unberücksichtigt der eventuellen Ausgang des Verfahrens, derzeit schon gesagt werden, daß Scheffknecht und Wehinger aufwieglerische Elemente sind, die auf den Betrieb störend einwirken und daher in geeigneter Weise aus dem Bereiche eines solchen Betriebes zu entfernen wären.“ Ein paar Wochen später wurden die beiden Gewerkschafter tatsächlich aus dem Betrieb entfernt und „einrückend“ gemacht.
Dies war in Tirol und Vorarlberg durchaus kein Einzelfall. Der Metallarbeiterverband hatte hier 1917 eine „intensive Agitationstätigkeit“ entwickelt. Die Ausgangsposition im Westen Österreichs war aber unvorstellbar schwieriger als in Wien und anderen Industriegebieten. In den Betrieben herrschten noch weitgehend patriarchalische Verhältnisse, was die Arbeit der Gewerkschaft sehr erschwerte. Vor allem aber unter jungen Arbeitern gelang es doch, sich eine gewisse Basis zu schaffen.
Diese neue soziale Bewegung entsteht im wesentlichen aber ohne das Zutun der Führungsspitzen der Gewerkschaften oder der Sozialdemokratie. Die traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung hatten zusehends den Draht zur Arbeiterklasse verloren. Die ArbeiterInnen (allen voran Jugendliche und Frauen) agierten zuerst unabhängig von den alten Arbeiterorganisationen und überraschten dabei auch oft ihre eigenen Vertrauensleute.
Der Hunger Anfang 1917 führt zu einer riesigen ersten Streikwelle in Niederösterreich und der Steiermark. Mit der Streikbewegung in der Wiener Metallindustrie im Mai 1917 erreichte diese Entwicklung einen ersten Höhepunkt. Auslöser für den Streik war die Nachricht, daß ein Arbeiter in der Artilleriefabrik im Arsenal vor lauter Erschöpfung zusammengebrochen war. Die jungen, unorganisierten Arbeiter konnten von den Spitzen der Metallergewerkschaft, die des „Verrats an der Sache der Arbeiterschaft“ bezichtigt wurden, nicht mehr gebremst werden. Weder Zugeständnisse noch die Androhung, mit Repressionen die Arbeitsniederlegung zu beantworten, konnten die Arbeiter umstimmen. Unter dem Druck der streikenden Metaller konnte die Gewerkschaft bei Verhandlungen immerhin die Einführung eines Mindestlohns erreichen, was unter diesen Bedingungen einen großen Wurf darstellte.
Anhand dieser Bewegung wurde auch erstmals das neue, durchaus als paradox zu bezeichnendes Verhältnis zwischen den Unternehmern, dem Staat, den Gewerkschaften, ihren betrieblichen Vertrauensleuten und den streikenden ArbeiterInnen deutlich sichtbar: Die ArbeiterInnen sahen im Streik das einzige Mittel, wie sie ihre Lage verbessern konnten. Die Vertrauensleute wurden von dieser Stimmung oft mitgerissen und unterstützten die Forderungen und Methoden der ArbeiterInnen. Die Gewerkschaften versuchten, auf die ArbeiterInnen beruhigend einzuwirken. Sie hatten Angst, angesichts der Dynamik dieser Proteste die Kontrolle über ernst zu nehmende Teile der Arbeiterklasse zu verlieren.
Während die Gewerkschaften in den ersten beiden Kriegsjahren stark an Einfluß verloren hatten, bekamen sie nun durch die Streiks aber wiederum Rückenwind. Der Staat zeigte nun verstärkt Interesse an einer Einbindung der Gewerkschaften, weil sie in diesen das einzige Mittel zur Kalmierung der Lage erkannten. Bei den Verhandlungen mit den Gewerkschaften mußten zumindest in einigen Bereichen Zugeständnisse gemacht werden. Die Gewerkschaften sahen diese Angebote seitens des Regimes als Chance, gaben dabei auch klar zu erkennen, daß aus ihrer Sicht „die ungestörte Fortsetzung der Arbeit in der Metallindustrie heute ein unerläßliches Gebot des Staatsbedürfnisses ist“. Durch die erzielten Zugeständnisse war es für die Gewerkschaften wiederum leichter, die verlorene Autorität in der Arbeiterklasse zurückzugewinnen. Andererseits stieg mit diesen Erfolgen auch das Selbstbewußtsein der ArbeiterInnen, womit die nächsten Konflikte schon wieder vorprogrammiert waren.
Opposition in der Sozialdemokratie
Die völlig neue Situation wurde bei kurz nach dem Streik bei einer gemeinsamen Sitzung der Parteivertretung, der Gewerkschaftskommission und des Wiener Vorstandes in einer hitzigen Debatte diskutiert. Dabei forderten die Vertreter der Gewerkschaftskommission Vorkehrungen, um solche spontanen Proteste in Zukunft auszuschließen. Die wichtigste Angst bestand darin, dass die Jugendorganisation in die Hände der Radikalen gelangt sei. Domes meinte: „Jugendliche, Frauen, der Partei völlig fern stehende Elemente, so Studenten, die sich als Arbeiter deklarieren, machen für Streiks und die Revolution Propaganda. Man untergräbt planmäßig die Autorität der Vertrauensmänner, der Gewerkschaft und der Parteileitung.“ Und weiters: „Sollte der Parteivorstand sich nicht zu einer energischen Abwehr gegen den öden Radikalismus entschließen, werden die Metallarbeiter ihre Vertrauensmänner zusammenberufen und selbst Ordnung machen. (…) Wir können nicht ruhig zusehen, dass ein charakterloses Gesindel unter den Fittichen der Partei ihr dunkles Handwerk treibe.“
Die Radikalisierung der Arbeiterklasse machte vor den Toren der Sozialdemokratie aber nicht halt. Genosse Wiedenhofer dazu in der besagten Sitzung: „In allen Versammlungen macht man jetzt Front gegen den Parteivorstand … Man hat jetzt das Gefühl in einer Versammlung, man stehe vor lauter Feinden … Es ist unerlässlich baldigst Ordnung zu machen.“
Der massive Mitgliederschwund der ersten beiden Kriegsjahre drehte sich im Hungerwinter von 1916/17 erstmals wieder in sein Gegenteil um. Mit Kriegsausbruch war die Partei im tiefen Fall. Die Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen waren auf die Hälfte des Vorkriegsstandes gesunken, in einigen Gebieten in der Provinz auf ein Zehntel. Nicht nur weil die männlichen Genossen einrücken mußten, sondern auch weil sie aus Protest gegen die politische Linie der Parteispitze austraten. Dies wird vor allem durch den deutlichen Rückgang der Zahlen bei den weiblichen Mitgliedern deutlich. Die Partei war politisch tot, was wiederum den rechten Flügel enorm gestärkt hat. Die Parteiführung konzentrierte sich vollends auf die Bewältigung dieser innerorganisatorischen Krise und der Lösung der Finanzprobleme. Hier sah sie ein konkretes Ziel, das sie zu lösen imstande war. Das war aus ihrer Sicht enorm wichtig, schon allein um mit der eigenen psychischen Krise fertig zu werden, in der sie angesichts ihrer politischen Ohnmacht steckte. Dies war wiederum nur durch eine engere Kooperation mit dem Regime denkbar. Der grundsätzliche Anspruch der Sozialdemokratie stand somit immer stärker im Widerspruch zur abwartenden Politik der Parteispitze.
Hunger, Elend und die Nachricht von gefallenen Verwandten, Freunden und Kollegen machten das Leben für die Arbeiterklasse unerträglich. Unter diesen Bedingungen sahen wieder mehr und mehr ArbeiterInnen die Notwendigkeit sich zu organisieren und aktiv zu werden. Für die revolutionären Teile der internationalen Sozialdemokratie war dies keine Überraschung. So schrieb Lenin schon zu Kriegsbeginn: “Durch die Erfahrung des Krieges, wie durch die Erfahrungen jeder Krise in der Geschichte, jeder großen Heimsuchung und jedes Umschwungs im Leben der Menschen, werden die einen abgestumpft und gebrochen, dafür aber die anderen aufgeklärt und gestählt, wobei sich in der Geschichte der ganzen Welt im großen und ganzen die Zahl und die Stärke der letzteren… als größer erwiesen haben als die ersteren.” Neue Schichten traten der Sozialdemokratie nun bei und trieben die Führung wieder nach links.
Noch beschränkten sich die Debatten über die Frage der Stellung zum Krieg rein auf die Parteispitze, wo sich aber schon bald eine Opposition rührte (Friedrich und Max Adler, Robert Danneberg, Josef und Isa Strasser, Gabriele Proft oder Therese Schlesinger). Der einzige aus dieser sehr heterogenen Gruppe, der für eine Politik des proletarischen Internationalismus und für Massenaktionen gegen die herrschenden Verhältnisse eintrat, war Leopold Winarsky, der jedoch schon 1915 starb und somit nicht mehr eine ähnliche Rolle wie sein Freund Karl Liebknecht in Deutschland spielen konnte.
Die Opposition konnte sich nie dazu durchringen, sich wie die Zimmerwalder Linken offen zu organisieren. Letztlich setzte man immer wieder auf Kompromisse mit der Parteiführung. Die “Einheit der Partei um jeden Preis” wollten Fritz Adler & Co. nicht gefährden. Fritz Adler ist zumindest hoch anzurechnen, dass er, wie er selbst meinte, die historische Niederlage der Zweiten Internationale nicht so einfach aus dem Bewußtsein verdrängen wollte und sich dem Großteil der Parteispitze gleich, „die Kriegsparole des Staates“ aneignete. Es gab allerdings von seiner Seite keine ernsthaften Versuche, die ArbeiterInnen zu mobilisieren. Dies sind die eigentlichen Gründe für das Versagen dieser Opposition.
1916 gründet Friedrich Adler den Bildungsverein ‘Karl Marx’, um den sich die Linke in der Sozialdemokratie scharte. Die Aktivitäten des Vereins beschränkten sich aber in erster Linie auf geschlossene Versammlungen im Kellersaal des Eisenbahnerheims in der Margaretenstraße in Wien V und auf Appelle bei parteiinternen Konferenzen z.B. die Linie der Arbeiterzeitung raus zu holen aus dem „Fahrwasser einer rein deutschnationalen Politik“, die „das Durchhalten im Kriege als oberste Pflicht“ predigte. Von der Parteipresse forderte man vielmehr, „den nationalistischen und patriotischen Tendenzen entgegenzuwirken, den imperialistischen Charakter des Krieges aufzudecken und die Massen des Proletariats auf ihre Klassenaufgaben und ihre Pflicht der internationalen Klassensolidarität zu verweisen.“
Im Verein „Karl Marx“ arbeiten auch „scharf links eingestellte“ russische Emigranten (Suniza, die Geschwister Tscherkow,…) und Mitglieder des geheimen “Aktionskomitees der Linksradikalen” mit, die der Zimmerwalder Linken und vor allem Lenin nahe stehen. Sie arbeiteten dahingehend, den Bildungsverein in ein Instrument für illegale Aktionen gegen den Krieg zu verwandeln. Die Parteiführung um Victor Adler ließ sich von diesen kritischen Tönen in den eigenen Reihen allerdings nicht vom Kurs der Unterstützung für den Krieg abbringen. Victor Adler bezeichnete das Treffen von Zimmerwald sogar als Verbrechen an den Prinzipien der Sozialdemokratie.
Je aussichtsloser die Stellung der österreichisch-ungarischen Armee wurde, desto größer wurde der Wunsch der ArbeiterInnen in den Fabriken nach Frieden. Anstatt diese für die Linke günstige Bewußtseinsveränderung zu nutzen, sieht Friedrich Adler im Oktober 1916 mangels politischer Perspektiven in der reinen Verzweiflungstat eines Attentats auf Ministerpräsident Stürgkh einen letzten Ausweg. Dieser Akt individuellen Terrors wurde von den meisten ArbeiterInnen “mit Sturm, mit Begeisterung” aufgenommen, so die damalige Munitionsarbeiterin und linke Sozialdemokratin Hanna Sturm, die 1917 wegen Sabotagetätigkeit verhaftet wurde. Doch erst seine Verteidigungsrede, die eine bemerkenswerte und viel beachtete Abrechnung mit dem Militarismus des Habsburgerreiches war, bekam Friedrich Adler den Status eines Helden in der Arbeiterklasse.
In der Partei setzten nun auch Vater Victor und andere auf Forderungen nach Frieden. Auf der Welle einer unmißverständlichen und offenen Stimmung in der Arbeiterklasse für einen raschen Frieden ohne Eroberungen ließ sich die Parteiführung ein wenig nach links treiben.
1917 wird erstmals wieder der 1. Mai mit Arbeitsruhe gefeiert, der zu Beginn des Krieges als Symbol einer selbständig organisierten Arbeiterklasse verboten wurde. Die Taktik der Regierung, so Dampf abzulassen, stellte sich als richtig heraus. Es kam zu keinen Unruhen.
Die Parteiführung erkannte, daß die Massen nun nur noch durch radikalere Losungen an die Sozialdemokratie zu binden waren. Die Februarrevolution im russischen Petrograd beschleunigte diesen Prozeß. Die Habsburger-Regierung kam den Sozialdemokraten insofern entgegen, daß sie der neuen Forderung nach Wiedereinsetzung des Parlaments zustimmte. Die österreichischen ArbeiterInnen bekamen zwar nur zensurierte Meldungen aus Rußland, diese genügten aber, um der proletarischen Friedensbewegung neuen Auftrieb zu geben. Außerdem wurde die Nachricht, daß sich die ArbeiterInnen unabhängig von den Institutionen des bürgerlichen Staates in Fabrikkomitees und sogenannten Sowjets (Arbeiter- und Soldatenräten) organisierten, und es somit eine Art Doppelherrschaft gab, in der österreichischen Arbeiterbewegung verbreitet.
Die Parteispitze unter Victor Adler schwenkte angesichts des sich zuspitzenden Klassenkampfes von einer Politik der Kriecherei vor der Staatsmacht auf zentristische Positionen um. Lenin beschrieb diese Strömung in der internationalen Sozialdemokratie, zu denen er neben “Adler & Co.” auch Kautsky, Turati oder MacDonald zählte, folgendermaßen: “Das ganze ‘Zentrum’ beteuert hoch und heilig, sie seien Marxisten, Internationalisten, sie seien für den Frieden, (…). Der Kern der Sache ist, daß das ‘Zentrum’ von der Notwendigkeit der Revolution gegen die eigenen Regierungen nicht überzeugt ist, sie nicht propagiert, daß es keinen rücksichtslosen revolutionären Kampf führt, daß es gegen ihn die allerplattesten – und erz’marxistisch’ klingenden – Ausflüchte erfindet…”
Diese neue, “linkere” Masche änderte allerdings nichts an der Tatsache, daß die Partei Mitte 1917 zusehends Probleme bekam, die Arbeitermassen wirklich zu kontrollieren. Selbst Karl Renner sah da die Notwendigkeit, eine Art Arbeiterräte zu bilden, um so eine Verbindung zwischen den kämpferischer werdenden Massen und der Sozialdemokratie aufrechterhalten zu können.
Die Radikalisierung immer größerer Teile der Arbeiterklasse spiegelte sich vor allem in der Sozialdemokratie wider. Aber zwischen den Vorstellungen der Parteileitung und denen der Arbeiter klaffte ein immer tieferer Abgrund. Die ersten Erschütterungen der kommenden revolutionären Krise wurden immer deutlicher spürbar. Der Staatsmacht wird bewußt, daß der Sozialdemokratie eine wesentliche Rolle bei der Beruhigung der Massen zukommen werden müsse.
Taufe des Austromarxismus
Der Parteitag Ende Oktober 1917 in Wien-Favoriten wurde im wesentlichen durch die sogenannte “Erklärung der Linken” geprägt, die von 50 der 283 anwesenden Delegierten unterstützt wurde und eine deutliche Kritik an der Haltung der Partei zum Krieg formulierte. Geschrieben wurde sie von Otto Bauer, der kurz zuvor aus russischer Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war.
Die Linken standen vor allem für einen Ausbau der innerparteilichen Demokratie, „die öffentliche Erörterung aller inneren Parteifragen in der Parteipresse und in den Parteiorganisationen“. Die Parteitagsreferate sollten bereits vorher veröffentlicht werden. Die Delegierten sollten erst nach einer Diskussion in den Basisstrukturen gewählt werden. Dem Argument, die Diskussionen würden die Organisation gefährden, hielten sie entgegen, daß diese vielmehr die Anziehungskraft der Sozialdemokratie stärken würde. Die Sorge um die Partei schwingt bei jedem Satz der Erklärung mit.
Dem Parteivorstand wurde vorgeworfen, daß er sich nicht an die Beschlüsse der internationalen Sozialistenkongresse halten würde, die vorsahen, im Kriegsfall die „wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung der Volksmassen auszunützen“. Er habe „die Arbeitermassen zu dem Glauben erzogen, daß der Krieg als ein Verteidigungskrieg der deutschen Nation auch im Interesse der deutschen Arbeiter, als ein Krieg gegen den Zarismus im Interesse der Demokratie, als ein Krieg für die Erhaltung des Wirtschaftsgebietes im Interesse des Proletariats geführt werde“. Und: „Nicht zum Kampf gegen die Klassenherrschaft, sondern zum Kampf gegen den Landesfeind wurden die Arbeiter aufgerüttelt.“
Kritisiert wurde auch die Position in der nationalen Frage, die im Ersten Weltkrieg von großer Bedeutung war. Während die Sozialdemokratie gegenüber Rußland das Prinzip „Jede Nation ein Staat“ vertrat und die Selbständigkeit Polens und Finnlands auf Kosten Rußlands befürwortete, befürwortete man in bezug auf das Habsburgerreich die These, daß ein „übernationaler Staat“ eine höhere Staatsform sei als der Nationalstaat.
Einzelne den Linken nahestehende Delegierte ließen am Parteitag keine Zweifel offen, worum es ihnen ging. So etwa Paul Richter: „Wenn jetzt nicht die Zeit wäre, wo der große Stundenschlag ankündigt, daß sich das Proletariat auf seine eigene Kraft besinnt, dann hören Sie mir mit allen den Redensarten von revolutionärer Sozialdemokratie auf; dann wird sie eben nichts sein, als eine Reformistenpartei.“
Den sehr radikalen Tönen nach dem Motto „Die Sozialdemokratie kann ihre geschichtliche Aufgabe nur im Klassenkampf erfüllen“ oder „Dem kapitalistischen Staat keinen Mann und keinen Groschen!“ folgt aber sogleich die Perspektive nach einem „wirklichen demokratischen Parlamentarismus“ und der „Einberufung konstituierender Nationalversammlungen“.
Otto Bauer & Co. spielten im Endeffekt nicht mehr als das wichtige linke Feigenblatt der Parteispitze, um den Massen zu beweisen, “daß sie die Befriedigung ihrer politischen Bedürfnisse nicht außerhalb der Partei suchen müssen”.
Zu guter Letzt durfte Bauer sogar für Victor Adler die Resolution des Parteivorstands schreiben, und die Einheit der Partei war so einmal mehr bewiesen worden. Typisch das Auftreten von Victor Adler, der ausgestattet mit all seiner Autorität ganz in väterlicher Manier der Linken auf die Schulter klopfte: “Es ist billig, heute so klug zu sein. Wir waren es nicht, und verzeihen Sie, wir hoffen, daß wir uns bessern werden.”
Die Parteilinke integrierte sich angesichts dieser aufkommenden Selbstkritik der Führung brav in das Gefüge der Partei, und die österreichische Sozialdemokratie hat den für den ganzen Verlauf der Ersten Republik sie bestimmenden Kurs gefunden. Der für den Austromarxismus typische Widerspruch zwischen linkem Wortradikalismus und opportunistischer Passivität in der Praxis wurde 1917 erstmals in einen Parteitagsbeschluß gegossen. Eine erste Verfeinerung der austromarxistischen Taktik zur Beschwichtigung der Massen gab es dann schon kurze Zeit später im Jännerstreik, als die rechteren Sozialdemokraten ihr Abwarten und Zaudern damit rechtfertigten, daß die objektiven Bedingungen eine kämpferische Politik von vornherein unmöglich machten. Natürlich mit dem Hinweis, daß man nun “Gewehr bei Fuß stehen und abwarten” und im Notfall auch zu den äußersten Mitteln der Abwehr greifen würde.
Die auf diesem Parteitag gerettete Parteieinheit bedeutete aber vor allem auch, daß die Gründung einer revolutionären Partei mit einer starken Massenbasis (und die hätte es prinzipiell in den Fabriken und Werkstätten gegeben!) nach dem Vorbild der russischen Bolschewiki verhindert wurde. Die entscheidenden Vertreter der Linken in der österreichischen Sozialdemokratie wagten nie den so wichtigen Schritt, mit der rechten Parteispitze zu brechen und schafften es deshalb nie, sich vom Zentrismus zu emanzipieren – schon gar nicht, als die Parteiführung selbst einen zentristischen Kurs einschlug.
Roter Oktober
Während in Wien die Sozialdemokratie ihren Parteitag abhält, kommen Lenin und Trotzki in Rußland zu dem Schluß, daß die Zeit reif sei, den Aufstand zu organisieren. Am 25. Oktober (7. November nach unserem Kalender) 1917 eroberten die Bolschewiki mit der Losung “Alle Macht den Sowjets!” die Staatsmacht. Die Kette des Weltkapitalismus zerbrach an ihrem schwächsten Glied – in Rußland. Der erste Schritt zur sozialistischen Weltrevolution war getan. Deutschland und die anderen industrialisierten Staaten sollten, so das Konzept der Bolschewiki, folgen, um das rückständige Rußland zu unterstützen.
Die Arbeiter-Zeitung vom 9.11.1917 druckte dazu einen Artikel mit dem Titel “Eine Revolution für den Frieden” ab. Das folgende Zitat aus diesem Artikel ist voller Euphorie über die Revolution: “Ein Ereignis von gewaltiger Bedeutung hat sich heute vollzogen. Die Diktatur des Proletariats ist in Petersburg zur Wirklichkeit geworden… Unsere leidenschaftlichen Wünsche sind heute bei unseren russischen Brüdern! Siegen sie in ihrem Kampfe, den sie so kühn begonnen haben, so beginnt eine neue Epoche im Befreiungskampf des internationalen Proletariats! In Rußland geht es um unsere eigenste Sache: vor allem um die Sache des Friedens.”
Die internationalistischen Appelle der Bolschewiki mit der Forderung nach einem sofortigen Ende des Krieges verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Schon im Laufe der Monate zuvor erhoben sich Stimmen in der österreichischen Arbeiterklasse, daß man auch mit den eigenen Herrschern endlich “russisch reden” sollte. Die Oktoberrevolution beschleunigte diesen Prozeß und erweckte bei vielen österreichischen ArbeiterInnen die Hoffnung, dem Beispiel der russischen GenossInnen bald folgen zu können.
Eine Friedensversammlung in Wien am 11. November wird zu einer mächtigen Kundgebung der Solidarität mit der Oktoberrevolution. Das Konzerthaus war mit 3000-4000 Leuten bis auf den letzten Platz gefüllt, und auf dem daneben liegenden Eislaufplatz hatten sich weitere 15000 ArbeiterInnen versammelt. Auf den Transparenten war zu lesen “Gebt uns den Frieden wieder, sonst legen wir die Arbeit nieder” oder “Wir wollen den sozialistischen Verständigungsfrieden”. Die Polizei notierte Rufe der Menge, wie “Generalstreik!”, “Wir kommen wieder!” oder “Revolution!”. Erst durch das energische Auftreten von Karl Seitz konnte die Menge wieder beruhigt werden.
Aus Polizeiberichten geht auch hervor, daß in den Wochen danach die Stimmung unter den ArbeiterInnen immer radikaler wurde, der Unmut gegen die eigenen Parteiführer und Vertrauensleute wuchs, und die Parteispitze war durch zunehmende Wortradikalität bestrebt, die erregten Massen zu beschwichtigen.
Eine der ersten Taten der neuen Sowjetregierung in Rußland war die Unterbreitung eines Vorschlages nach sofortigem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Mit einem von Trotzki und Lenin unterzeichneten Funkspruch vom 28. November 1917 mit der Überschrift „An Alle!“ forderten die Bolschewiki „die Völker der kriegführenden Länder“ auf, ihre Regierungen zu Friedensverhandlungen zu zwingen.
Anfang Dezember beginnt die Sozialdemokratie angesichts der Begeisterung innerhalb der österreichischen Arbeiterschaft im Zuge dieses Friedensangebotes der neuen Sowjetregierung in Wien und Niederösterreich mit der Abhaltung von Massenversammlungen unter dem Motto „Demokratie und Frieden“. Laut einem Bericht der Arbeiter-Zeitung seien z.B. die ArbeiterInnen in Favoriten „allmählich in solche Erregung geraten, daß sie nicht fortgehen wollten: immer wiederholten sich die Rufe: Hoch die russische Revolution!“
Von großem Interesse ist diesbezüglich auch ein Bericht der Polizeidirektion Wien an das Innenministerium vom 30. November 1917: „Die Stimmung unter der Arbeiterschaft ist, wie aus verschiedenen vertraulichen Mitteilungen hervorgeht, eine sehr erregte und zwar einesteils wegen der Ernährungsschwierigkeiten, andererseits infolge der Befürchtung, daß durch den Kohlemangel die Lahmlegung verschiedener Betriebe einen größeren Umfang annehmen und damit auch eine Entlassung von Arbeitern in größerem Ausmaße einsetzen werde. In Gewerkschaftsversammlungen werden Stimmen der Unzufriedenheit mit den Vertrauensmännern laut. Den Gewerkschaftsführern wird vorgeworfen, daß sie und die politische Partei ihre Pflicht gegenüber der Arbeiterschaft nicht erfüllt hätten und die Arbeiterschaft gezwungen sein werde, zur Selbsthilfe zu schreiten. Seitens einzelner Gewerkschaftsführer wird wieder versucht, alle Verantwortung auf die politische Partei abzuwälzen. Die politische Partei ist bestrebt durch die seit kurzem inszenierten Friedensversammlungen die Erregung der Massen zu beschwichtigen.“
Abgesehen davon, daß man von der österreichischen Regierung forderte, sie möge so schnell wie möglich einen Sonderfrieden mit Rußland schließen, setzte die Sozialdemokratie keine Initiativen, um die Sowjets aktiv zu unterstützen. Die Forderung an die Regierung wurde auch vielmehr als Warnung an dieselbe verpackt: „Die großen Hoffnungen der Völker dürfen nicht enttäuscht werden. Denn für die Folgen solcher Enttäuschungen könnte niemand einstehen.“
Interessant ist auch die Berichterstattung der Arbeiter-Zeitung zu den innenpolitischen Maßnahmen der Sowjetregierung. Das „Dekret zur Nationalisierung von Grund und Boden“ wurde als Schritt zum Sozialismus und zur Festigung des Bündnisses der Arbeiterklasse mit den Bauern präsentiert. Auch die Verstaatlichung des Bank- und Kreditwesens und die sich ausbreitende Arbeiterkontrolle über die Produktion wurden voller Optimismus über die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Umgestaltung in Rußland kommentiert. Diese Transformation würde nicht nur einen „Wandel der Staatsform“ sondern auch die Beseitigung der „Lohnsklaverei“ bringen.
Otto Bauer machte später in einem Brief an Karl Kautsky auch deutlich, warum der sozialdemokratischen Parteipresse gar nichts anderes übrigblieb, als die Ereignisse in Rußland positiv darzustellen: „Die Arbeiter blicken nun einmal wie fasziniert auf die russische Revolution. Jede Kritik des Bolschewismus ist ihnen schon deshalb, weil sie sich ja mit der bürgerlichen Kritik gegen ihn begegnet, verdächtig und unglaubwürdig, vor allem aber deshalb, weil sie sich an die große Hoffnung von Rußland her werde in kürzester Zeit die ganze kapitalistische Welt aus den Angeln gehoben werden, klammern und sich diese Hoffnung ebensowenig ausreden lassen wollen, wie etwa eine gläubige Seele die Hoffnung auf das Paradies. Jede Bekämpfung des russischen Bolschewismus ruft bei den Arbeitern einen geradezu leidenschaftlichen Widerstand hervor. Man kann ihn in theoretischen Arbeiten bekämpfen, kann den Leuten auch mit Erfolg klarmachen, daß seine Methoden durch die spezifischen russischen Verhältnisse bedingt und auf unsere Verhältnisse nicht anwendbar sind, aber eine unmittelbar feindliche Kritik an ihm ruft so leidenschaftlichen Widerspruch hervor, daß wir, wenn wir sie in der AZ übten, dadurch geradezu eine Parteispaltung herbeiführen würden.“
Die Massenstimmung war so eindeutig auf Seite der russischen Revolution, daß sich die Sozialdemokratie gezwungen sah, die Revolution positiv darzustellen. Dies galt auch für die Berichterstattung zu den Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk. Dort appellierte Leo Trotzki als Verhandlungsleiter der Sowjetregierung geschickt an die ArbeiterInnen und Soldaten der Mittelmächte, gegen die militaristischen Kräfte im eigenen Land zu kämpfen. In der Arbeiter-Zeitung wurde Trotzkis Auftreten mit Begeisterung kommentiert. Während man die deutsche Regierung für ihre harte Haltung in den Verhandlungen kritisierte, blieben die österreichischen Verhandlungsteilnehmer jedoch ungeschoren.
Die Verhandlungstaktik von Trotzki & Co. bereitete den österreichischen Vertretern offensichtlich einiges an Kopfzerbrechen. In einem geheimen Telegramm vom 13. Jänner 1918 schreibt Graf Czernin vom österreichischen Verhandlungsteam an die Regierung in Wien: „Die Taktik der russischen Delegation wird immer klarer und geht dahin, die Verhandlungen zu verschleppen und dadurch in unserem Hinterland Unruhen zu erzeugen. Es ist für mich zweifellos, daß die Bolschewiki geheime Fäden zu unseren Sozialisten haben.“
Als sich noch immer kein Friedensvertrag abzeichnete, kam es in Wien am Sonntag, dem 13. Jänner 1918 bei Parteiversammlungen zu regelrechten Tumulten seitens revolutionärer ArbeiterInnen (vor allem der anwesenden Frauen!), welche die Parteispitze heftig kritisierten. Im Eisenbahnerheim wurde die Versammlung von den anwesenden Polizeibeamten sogar frühzeitig für beendet erklärt, weil es bei der „scharfen“ Rede des Abgeordneten Forstner aus dem Publikum permanent Zwischenrufe, wie „Hoch die Revolution, nieder mit der Regierung, hoch die Revolution in Österreich!“, laut wurden. Wo die Beamten einschritten, reagierten die ArbeiterInnen „in der heftigsten Weise durch Pfuirufe“. Zahlreiche Frauen riefen: „Reißt ihn herunter!“. Bei der Versammlung in Ottakring heizte vor allem der junge Journalist Michael Eber, Mitglied der jüdischen Arbeiterpartei, mit einem Wortbeitrag die Stimmung auf, worauf auch dieses Treffen vorzeitig abgebrochen wurde.
Auch in Wiener Neustadt sahen die Behörden die Gefahr von Arbeiterunruhen. Dabei fällt immer ein Name: Eduard Schönfeld, Sekretär der Metallergewerkschaft und tätig für die Arbeiterkrankenkassa. In einem Bericht des Kriegsministeriums steht, „daß die von dem Genannten (Schönfeld, Anm.) geschürte und geleitete Bewegung sich dieselben Grundsätze zu eigen gemacht hat, welche der russischen Revolution zu Grunde liegen und daß sich die revolutionären Arbeiter „Bolschewiki“ nennen.“ Man hatte Angst, weil durch Spitzel klar wurde, „daß die heute noch in Minorität unter der Arbeiterschaft befindliche sozialrevolutionäre Partei erschreckend an Anhang gewinnt.“ Die revolutionäre Strömung drohte einen derartigen Umfang anzunehmen, „daß selbst schon in den nächsten Tagen oder Stunden der geringste Anlaß dazu herangezogen werden könnte, um den Ausbruch der Bewegung vom Zaune zu brechen.“
Die Konsequenz der Behörden lautete, daß Schönfeld, „dieses schädliche Element schnellst möglich nicht nur von Wiener Neustadt, sondern auch aus dessen Nähe abseits von jedem Wirkungskreise mit der Arbeiterschaft verschwinden muß.“ Man plante die sofortige Einberufung an die Front.
Es häuften sich also die Anzeichen, dass sich das Habsburger-Reich nun mit einer revolutionären Situation konfrontiert sah, deren erster Höhepunkt der Jännerstreik sein sollte.
Der Jännerstreik 1918
Der Streik brach am 14. Jänner in den Daimler-Motorenwerken in Wiener Neustadt aus. Die Daimler-ArbeiterInnen sammelten sich am Morgen sofort im Fabrikshof und nahmen an der von den Vertrauensmännern einberufenen Betriebsversammlung teil. In den Daimler-Werken wurde rein kriegswichtiges Material produziert (Motoren für Flugzeuge, Kriegsschiffe und Armeefahrzeuge).
Angesichts einer 50%ige Kürzung der Mehlration gab es einen konkreten Anlass, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Die Drohungen seitens der militärischen Leitung konnten die ArbeiterInnen nicht mehr schrecken. Der Streik brach nicht spontan aus, sondern wurde von einem Netzwerk radikaler Vertrauensmänner über einen längeren Zeitpunkt geplant und unter dem Druck einer erregten Massenstimmung vorzeitig ausgelöst. Ein Kommentar in der Arbeiter-Zeitung vom 18. Jänner zeigt aber, dass der Streik für die Sozialdemokratie zumindest in diesem Ausmaß eher unerwartet gekommen sein muss: “Ursprünglich wie ein Elementarereignis, das niemand rufen, und gewaltig wie ein Elementarereignis, das niemand zu bannen vermag, ist der Ausstand hereingebrochen.”
Diese Arbeitsniederlegung muss angesichts der militärischen Leitung des Betriebes (der militärische Leiter, Hauptmann Heidler, hatte im Betrieb sein Büro) und der drohenden Sondergesetze allein schon als politischer Streik gesehen werden. Die Sprüche auf den Transparenten untermauerten dies: „Kampf für den sofortigen Frieden! Kampf für politische und soziale Freiheit! Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“
Einstimmig beschlossen die ArbeiterInnen den Streik und eine Demonstration zum Hauptplatz. Die ArbeiterInnen der umliegenden Fabriken (Lokomotiv- und Maschinenfabrik, die Flugzeugwerke, die Radiatorenfabrik und die Munitionsfabrik Roth) schlossen sich sofort an. Im nahen Wöllersdorf ähnliche Bilder in der dortigen Munitionsfabrik. Einige Tausend ArbeiterInnen (hauptsächlich Frauen) machten sich dort zu Fuß auf den Weg nach Wiener Neustadt. Die alten Arbeiterführer hatten bereits erklärt, dass sie die ArbeiterInnen nicht mehr in der Hand hätten.
Die Behörden setzten in Wiener Neustadt nun auf Gewalt. Soldaten räumten mit aufgesteckten Bajonetten den Hauptplatz. Doch selbst unter den Matrosen, die in verschiedene Fabriken abkommandiert waren, gab es etliche, die sich mit den Streikenden verbrüderten. Vom Rathaus, dessen Fenster mit Steinen eingeschossen wurden, zog die Menge zum Arbeiterheim, wo aus jeder betrieblichen Streikleitung ein Vertreter gewählt wurde – der erste Arbeiterrat auf österreichischem Boden hatte das Licht der Welt erblickt!
Schon am nächsten Tag dehnte sich die Streikbewegung aus und nahm die Form eines politischen Massenstreiks für einen raschen Friedensschluß und gegen die Militarisierung der Betriebe an. In Ternitz, Wimpassing, Neunkirchen, das Triestingtal, Wöllersdorf, St.Pölten – überall wurde nun die Arbeit niedergelegt. In St.Pölten hatten schon am 14. Jänner Frauen eine Demonstration gegen die verkürzte Mehlration durchgeführt. Sie drohten dabei unverhohlen mit der „Demolierung der Mehlladen und Lebensmittelgeschäfte“.
In Lichtenwörth, Eggendorf, Hirtenberg, Enzesfeld, Leobersdorf, Sollenau, Felixdorf, Hirschwang, Pitten, Gumpoldskirchen, Brunn am Gebirge, Schwechat – überall schlossen sich die ArbeiterInnen dem Streik an. In Wiener Neustadt reagierten die Behörden auf den Streik mit der Verhängung von Alkoholverbot, Kaffee- und Gasthäuser mußten frühzeitig zusperren. Ein weiteres Streikzentrum war neben Wiener Neustadt die Region um Ternitz und Neunkirchen, wo ebenfalls sehr radikale Vertrauensmänner das Heft in die Hand genommen hatten. Hier gelang es auch Kleinbetriebe, wie etwa zwei Holzschleifereien in Payerbach dazu zu bringen, die Arbeit einzustellen.
Interessant ist auch die Frage, wie es kommen konnte, dass der Jännerstreik gerade in Wiener Neustadt ausbrechen konnte. Karl Flanner gibt dazu einige Gründe an:
a) In dieser traditionellen Industriestadt war der Krieg viel gegenwärtiger als anderswo. Die Armee war hier durch die große Kaserne, die Militärakademie, die Fliegerkaserne mit dem Flugfeld sowie einem riesigen Lazarett allgegenwärtig. Dazu kamen die Munitionsfabriken in und im Umfeld der Stadt. Immer wieder kam es zu gewaltigen Explosionen. Kriegsbegeisterung war hier schnell zum Fremdwort geworden.
b) In diesem Industriegebiet war die Arbeiterklasse hoch konzentriert, und setzte sich zu einem beträchtlichen Teil aus durch den Krieg proletarisierte und entwurzelte ArbeiterInnen zusammen. Gerade unter ihnen war die Sehnsucht nach einem schnellen Frieden enorm groß.
c) Der Anteil an nicht deutschsprachigen ArbeiterInnen war hier immer schon sehr hoch. Die vielen zwangsverpflichteten ArbeiterInnen aus anderen Teilen der Monarchie fanden so eine Arbeiterbewegung vor, die vom Geist der internationalen Solidarität geprägt war.
d) Eine extrem bewußte Gruppe von Vertrauensmännern, die an die kämpferischen Traditionen der Arbeiterbewegung in der Stadt anknüpfte und unabhängig von der Partei- und Gewerkschaftsführung, zu einem Zentrum des Widerstandes geworden war, wurde zum Katalysator in diesem Prozess.
Die Klassengegensätze waren hier äußerst zugespitzt. Es waren alle Bedingungen für eine revolutionäre Entwicklung gegeben.
Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung des Streiks spielte von Anfang die relativ kleine Gruppe junger, antimilitaristisch gesinnter SozialistInnen – die sogenannten Linksradikalen (siehe Anhang 3). Mit ihrer Propaganda hatten sie auch wesentlichen Anteil an der Vereinheitlichung der Bewegung sowie an der Gründung erster Arbeiterräte.
Der 16. Jänner war geprägt durch eine Ausweitung des Streiks auf Wien und weitere Teile von Niederösterreich (Mödling, Traisental, Stockerau). In Mödling kam es am Nachmittag zu einer Demonstration der ArbeiterInnen sämtlicher Fabriken vor der Bezirkshauptmannschaft, wo gegen die Kürzung der Mehlquote und die Haltung der Regierung bei den Friedensverhandlungen protestiert wurde. Die ArbeiterInnen von Blumau marschierten nach Pottendorf zur dortigen Spinnerei und forderten die dortigen KollegInnen erfolgreich zum Streik auf.
Auch in der Hauptstadt spielten linksradikale Vertrauensmänner eine wichtige Rolle bei der Ausweitung des Streiks. Nachdem in ihren Betrieben die Arbeit niedergelegt wurde, marschierte man zu den umliegenden Werken und animierte die dortigen ArbeiterInnen zum Anschluss an die Bewegung. Nur mit Mühe konnte die Partei einen Streik der Eisenbahner verhindern. In einem Aufruf in der Arbeiter-Zeitung appellierte sie an die “Arbeiter und Arbeiterinnen” in den Bereichen Lebensmittelindustrie, Eisen- und Straßenbahnen, Gas- und Elektrizitätswerke sowie Bergbau “die Arbeit im gegenwärtigen Augenblick nicht einzustellen”. Außerdem sei die Ausgabe der Zeitungen nicht zu verhindern. Anstatt den Streik weiter auszudehnen und der Gesamtbewegung eine klare Stoßrichtung und Perspektive zu geben, vertröstete der Parteivorstand die Arbeiter auf “das Ergebnis der Verhandlungen mit der Regierung”, das “in würdiger Ruhe” abzuwarten sei.
Die Linksradikalen verteilten am Abend des 16. Jänners ein Flugblatt mit dem Titel „Das Volk steht auf!“, in dem die wesentlichen Forderungen der Bewegung formuliert werden. Da es sich hierbei um das zentrale Dokument der Revolutionäre im Jännerstreik handelt, wollen wir es hier auszugsweise wiedergeben:
„Arbeiter, Arbeiterinnen!
Das Volk steht auf!
…Die Regierung will auch jetzt noch den Frieden verhindern. In Brest-Litowsk haben die Grafen und Generale gestützt auf das Schwert, den Friedenswillen unserer russischen Brüder brutal zurückgewiesen.
Die Volksmassen aber wollen nicht Sieg noch Waffenruhm – sie wollen den sofortigen Frieden, den Frieden um jeden Preis, auch den Sonderfrieden, wenn die deutsche Regierung zögert! Das Interesse der Volksmassen vertreten nicht Czernin und Kühlmann mit ihren herrschsüchtigen Ansprüchen, sondern Lenin und Trotzky mit ihren internationalen Grundsätzen über das Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Die russischen Arbeiter und Soldaten haben mit den schärfsten Mitteln des Klassenkampfes, mit Massenstreik, Meuterei und Straßenkampf, nicht nur für ihre eigene Freiheit gestritten – nein! Sie haben ihr Blut vergossen für die Befreiung aller Völker der Erde von den Leiden des Krieges, vom Joch des Kapitalismus! Aber ihre Kräfte allein reichen nicht hin, dieses gewaltige Werk zu vollenden! Die Arbeiter der anderen Länder müssen sich um die rote Fahne der russischen Revolution scharen! Vor allem sind wir österreichischen Proletarier erufen, die Revolution vor der gewalttätigen Hinterlist unserer Regierung zu retten.
Darum fordern wir:
1. Die Friedensdelegierten sind vom Volke zu wählen!
2. An allen Fronten ist sofort Waffenstillstand zu schließen.
3. Kriegsleistungsgesetz und Militarasierung der Betriebe sind sofort aufzuheben! Alle Beschränkungen des Koalitionsrechtes und der politischen Freiheit sind abzuschaffen!
4. Friedrich Adler und alle anderen politischen Gefangenen sind sofort freizulassen!
Mißtraut jenen patriotischen „Arbeiterführern“, die Euch seit dem ersten Tage des Krieges verraten und Euch jetzt Euere Streikgelder vorenthalten! Hört nicht auf ihre Beschwichtigungsreden, kondern bleibt fest im Streite für unser Ziel! Habt ihr und Eure Arbeitsbrüder im Schützengraben Euer Leben für die Interessen Euerer Unterdrücker gewagt, dann fürchtet auch jetzt nicht die Säbel der Polizisten und ihre Maschinengewehre!
Ihr andern aber, steht nicht länger abseits! Heraus aus allen Werkstätten! Dreht nicht länger mehr Mordgranaten! Hervor aus den Bergwerken an Tageslicht! Laßt alle Räder stille stehen – Eisenbahn und Straßenbahn! Schart Euch zusammen auf Straßen und Plätzen! Wählt Arbeiterräte, so wie in Rußland! – und der Massengewalt es Proletariats wir der Sieg gehören!
Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“
Mit diesem Flugblatt formulierten die Linksradikalen die Notwendigkeit, eine politische Alternative zur Sozialdemokratie aufzubauen. Im Nachlass von Victor Adler befindet sich eine Kopie dieses Flugblattes. Die fettgedruckten Stellen sind diejenigen Teile, die Adler in seinem Exemplar angestrichen hat. Es läßt uns einen Rückschluss auf Adlers Reaktion angesichts dieses Flugblattes machen. Er sah darin ganz offensichtlich eine Gefahr für die Dominanz der Sozialdemokratie in der Arbeiterbewegung. Es spiegelt Adlers Angst vor jeder von der Partei unabhängigen Bewegung der ArbeiterInnen wider. Und hier haben wir es nicht nur mit einer von der Partei unabhängigen Bewegung sondern sogar mit einer Bewegung, die auch gegen die Partei gerichtet war. Man kann sich vorstellen, von welcher Nervosität Adler angesichts dieser Entwicklungen erfasst wurde. Adler hatte schon im Hungerwinter 1916/17 die wachsende Radikalisierung der Arbeiterschaft mit großem Mißtrauen beobachtet. Er sprach sogar vom “Wutgeheul einer ausgehungerten, wilden Masse”. Es deutet sehr viel darauf hin, dass Victor Adler nicht gerade von großem Vertrauen in die Arbeiterklasse beseelt war.
In dieser Situation war für die Sozialdemokratie absoluter Handlungsbedarf gegeben. Schon am ersten Streiktag hatte der Parteivorstand vom Ministerpräsidenten Seidler die Erlaubnis erhalten, ein scharf gehaltenes Manifest und einen Streikbericht nahezu unzensuriert abdrucken zu können. Dieses Zugeständnis erfolgte aus Sicht der Regierung „als Preis für Einwirkung der sozialdemokratischen Führer auf die Streikbewegung“.
Das Ziel des Manifests war es, so Otto Bauer, die Bewegung „zu vereinheitlichen und ihr ein politisches Ziel zu geben“. Mit anderen Worten: die Kontrolle über die spontane Bewegung zu erlangen.
Wie ernst die Lage war, zeigt eine Nachricht von Kaiser Karl an das österreichische Verhandlungsteam in Brest-Litowsk, in der zu lesen ist, daß “das ganze Schicksal der Monarchie und der Dynastie von dem möglichst baldigen Friedensschluß in Brest-Litowsk abhängt”, sonst “ist hier die Revolution, wenn auch noch so viel zu essen ist”.
Eine Erfüllung des Forderungskatalogs der Streikenden war unter den Bedingungen des herrschenden Regimes de facto undenkbar :
„1. Allgemeiner Friede ohne Annexionen und Kontributionen.
2. Die Friedensdelegation für Brest-Litowsk ist vom Volke zu wählen.
3. An allen Fronten ist sofort Waffenstillstand zu schließen.
4. Das Kriegsdienstleistungsgesetz und die Militarisierung der Betriebe sind sofort aufzuheben, die Zensur, alle Beschränkungen des Koalitionsrechtes und der politischen Freiheiten sind abzuschaffen.
5. Friedrich Adler und alle anderen politischen Gefangenen sind sofort freizulassen.
6. Einführung des Achtstundentages.
7. Aufbringung und Verteilung der Lebensmittel durch Arbeiterkomitees.“
Wollte man diese Forderungen umsetzen, war das nur mit revolutionären Mitteln möglich.
Exkurs: Streik in der Provinz
Der Bericht des Festungskommissars von Pola über den dortigen Streikverlauf stellt ein interessantes Dokument dar, das den Charakter dieser Bewegung am Beispiel einer Provinzstadt erhellt: „Dies vorausgeschickt, glaube ich meinen Gesamteindruck dahin zusammenfassen zu können, daß es sich um eine ausgesprochen revolutionäre Bewegung gehandelt hat, die nur – dank dem ganz besonders einsichtsvollen Entgegenkommen der Marineverwaltung und dem sehr geschickten Eingreifen des Abgeordneten Domes – auf das ökonomische Gebiet übergeleitet und so zum Stillstand gebracht wurde.“
Der Streik war hier am 22. Jänner ausgebrochen, also zu einer Zeit, als in Wien schon wieder gearbeitet wurde. Die Forderungen der Arbeiterdeputation lauteten unter anderem: bessere Löhne, Beschaffung von Bekleidung und Schuhen und Besserstellung der Landsturmarbeiter. Als ihnen alles zugesichert wurde, erklärten sie sich bereit, zur Arbeit zurückzukehren. Bei der am selben Nachmittag abgehaltenen Versammlung wurden die Vertreter verdächtigt, von der Behörde gekauft worden zu sein. Die Wiederaufnahme der Arbeit wurde abgelehnt, genauso wie die Wahl neuer Vertreter. Dementsprechend turbulent verlief am folgenden Tag eine neuerliche Versammlung. Ohne Ergebnisse zog man zurück in die Stadt. Als sich ihnen die Polizei entgegenstellte, kommt es zu Steinwürfen. Die Menge ruft „abbasso la guerra“ (Nieder mit dem Krieg), „abbasso il governo“ (Nieder mit der Regierung) und „evviva la repubblica“ (Es lebe die Republik). Es gab Gerüchte die stationierten Torpedoboote würden auf Seite der Streikenden eingreifen. Die Behörden verhängten nun völliges Versamlungsverbot, da sich die alten Vertreter außerstande sahen, Ordnung zu schaffen.
Erst mit der Ankunft des Abgeordneten Domes trat eine Wendung ein. Er erreichte Zugeständnisse seitens des Hafenadmirals und eine Erklärung des angeblichen Friedenswillens der Regierung. Das allein war aber noch zu wenig, um die ArbeiterInnen zu beruhigen. Erst als Domes bekanntgab, er würde abreisen und die Sache im Stich lassen, gingen die ArbeiterInnen mangels Alternativen auf die Vorschläge ein. Der Streik war beendet.
Selbst der k.u.k.-Beamte sah die Ursachen des Streiks „in den wirklich traurigen Lebensverhältnissen der hiesigen Arbeiterbevölkerung“: Die bereits seit drei Jahren andauernde Trennung von ihren Familien, der Mangel jeder häuslichen Bequemlichkeit und Erholung, der jede freie Bewegung hemmende polizeiliche Zwang. Dass sich die Wut über diese „Verelendung der Massen“ in einem so radikalen Streik ausdrücken konnte, sei nicht zuletzt den „Nachrichten aus dem revolutionären Rußland“ geschuldet gewesen, welche „die Gemüter erregten“. In einer Stadt wie Pola mit seinem großen Kriegshafen, „wo der polizeiliche Druck naturgemäß die ganze Kriegszeit hindurch viel stärker war als im Hinterland“, fielen die Ideen von einer sofortigen Beendigung des Krieges auf einen besonders günstigen Boden. Außerdem war „die sozialistische Agitation“ sogar bis hierher vorgedrungen. Der Kommissar ortete neben „bolschewikische Tendenzen“ bei den führenden Köpfen des Streiks auch Vertreter der jugoslawischen Idee. Ein Vorgeschmack auf die Sprengkraft der nationalen Frage in der Habsburgermonarchie. Da sich auch im Mittelstand, vor allem bei den Beamten, Unzufriedenheit breit machte, verlangte unser Berichterstatter eine soziale Besserstellung dieser Schichten.
Draufsetzen und Abwiegeln
Die sozialdemokratische Parteiführung hatte die Kontrolle über die Arbeitermassen verloren. Dies wird auch sehr schön anhand einer Anekdote aus Floridsdorf ersichtlich. Dort fragte Metallarbeiterobmann Domes die Streikenden: „Was will man? Mehl?“ Dafür erntete er nur Gelächter und die Antwort: „Friede!“
Der Parteivorstand der Sozialdemokratie verfaßte nun einen Forderungskatalog, der aus vier Punkten bestand:
1. Die Zusicherung, die Friedensverhandlungen nicht an territorialen Forderungen scheitern zu lassen und auf der Basis der Anerkennung des „unverfälschten, demokratischen Selbstbestimmungsrechtes“ unter ständiger Information und „gebührendem Einfluß“ der „Vertrauensmänner der Arbeiterschaft“ zu führen.
2. Die Reorganisation des Verpflegungsdienstes.
3. Die Demokratisierung des Gemeindewahlrechts.
4. Die Aufhebung der Militarisierung der Betriebe.
Streikziel sei es, dass die Regierung diese Forderungen akzeptiere, was für diese nicht wirklich ein Problem darstellte. Papier ist bekanntlich geduldig.
Zusätzlich ergriff man die Initiative und rief – „um die Bewegung in geregelte Bahnen zu lenken“ – zur Bildung von Arbeiterräten auf. Die immer noch vorhandene Organisationsstärke von Partei und Gewerkschaft sollte genützt werden, um bei den Wahlen zu den Räten eine Mehrheit zu bekommen und so den wachsenden Einfluß der radikalen Vertrauensmänner unterbinden zu können. Und dieses Vorhaben gelang. Die Position der Parteiführung brachte Otto Bauer auf den Punkt, als er meinte: “Wir hatten den Streik als eine große revolutionäre Demonstration gewollt. Die Steigerung des Streiks zur Revolution selbst konnten wir nicht wollen.” Von nun an wird sich die österreichische Rätebewegung unter den Fittichen der Sozialdemokratie weiterentwickeln.
Der Streik erreichte am 17. Jänner auch die Steiermark (Kapfenberg, Graz) sowie Krakau. Sogar in Innsbruck, wo die Sozialdemokratie voll im Korsett der Burgfriedenspolitik gefangen war, gab es am 21. Jänner eine Großdemonstration, bei der die Streiklosungen im Mittelpunkt standen. Die Parteiführung hatte aber die Gleise bereits so gestellt, dass ein möglichst schneller Abbruch des Streiks möglich wird. Eine Beilegung des Ausstands schien aus der Sicht der Sozialdemokratie nur denkbar, wenn die Regierung auf die Forderungen des Parteivorstandes einging und dies über die Räte den ArbeiterInnen vermittelt werden könne. Ihre zentrale Position im Wiener Arbeiterrat sollte dies erleichtern. Eine Vereinheitlichung mit dem Arbeiterrat in Wiener Neustadt wurde tunlichst vermieden, da sich dieser unter der Führung von Eduard Schönfeld ohnedies nicht auf die offizielle Parteilinie einschwören hätte lassen. Der Parteivorstand hoffte offenbar, dass die Wiener Neustädter den Entscheidungen des Wiener Arbeiterrates folgen müßten und nicht isoliert weiterstreiken würden.
Was der Sozialdemokratie in die Hände spielte, war die überragende Bedeutung der Wiener Parteiorganisation während des Krieges. In der Hauptstadt konnte im Gegensatz zu vielen Industriegebieten in der Provinz die Sozialdemokratie ihre Strukturen (vor allem die Institution der Vertrauensleute) gemessen an den widrigen Umständen relativ behaupten. Zum Parteivorstand gab es somit kaum ein Gegengewicht. In Wien hatte sich auch noch genügend personelle Ressourcen, um die spontanen Arbeiterproteste wieder in geordnete Bahnen zu bringen.
Am Höhepunkt der Bewegung beteiligten sich in der gesamten Monarchie nicht weniger als 750.000 ArbeiterInnen am Streik. Mit den Versprechungen der Regierung wurde der wichtigsten Streikforderung nach sofortigem Frieden die Spitze genommen. Der Parteivorstand sah die Möglichkeit, alle Konflikte nun auf eine parlamentarische Ebene zu bringen. Die sozialdemokratische Führung konnte nun am 19. Jänner in die Arbeiterräte gehen und in der entscheidenden Sitzung einen Abbruch des Streiks durchsetzen. Die ArbeiterInnen reagierten mit wütenden Protesten gegen diese Entscheidung. In vielen Betrieben weigerten sie sich aber, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Die Linksradikalen fanden in den Versammlungen, wo die Vertrauensmänner das Ergebnis bekanntgeben mußten, zwar ein sehr gutes Echo, der Streik bröckelte nun jedoch zusehends ab.
Die Folgen
Spätestens am 25. Jänner wurde auch im südlichen Niederösterreich wieder voll gearbeitet. Die Sozialdemokratie hatte den Habsburgern noch einmal den Kopf aus der Schlinge gezogen. Die Regierungsversprechungen blieben, wie nicht anders zu erwarten, zur Gänze unerfüllt. Das einzige handfeste Ergebnis der Bewegung war, daß die Arbeiterräte als permanente Institution aufrecht blieben. Das Hauptziel der Sozialdemokratie war klar: Die Räte sollten helfen, zukünftige Bewegungen der ArbeiterInnen besser zu kanalisieren, was mit den traditionellen Strukturen nicht mehr möglich war. Die Sozialdemokratie hatte vollständig den Kontakt zu ihrer sozialen Basis verloren. Die ArbeiterInnen hatten sich nach dem Vorbild der Russischen Revolution in Räten autonom von ihren traditionellen Organisationen zusammengeschlossen. Um die Kontrolle über die Arbeiterklasse wiederzuerlangen, mußte die Sozialdemokratie erst die Kontrolle in diesen neuen Institutionen der radikalisierten Arbeiterbewegung erlangen. Die Räte als institutionalisierte Organisationsform wurden so de facto als Unterbau der Partei in den Betrieben in die Sozialdemokratie eingegliedert.
Dies war aber nicht zuletzt auch durch die sehr flexible Reaktion der Partei auf die völlig neue Zusammensetzung der Arbeiterklasse im Zuge des Krieges möglich geworden. Die Bindung an den Wohnort trat immer mehr hinter die mit der Fabrik verknüpften Interessen zurück. Zentrales Konfliktfeld wurde nun auch die Fabrik. Die organisatorische Antwort konnte nur darin liegen, den Ausdruck dessen, nämlich die neu entstandenen Arbeiterräte, in die Partei zu integrieren. Nur über diese Schiene war noch eine unmittelbare Kommunikation mit der Arbeiterklasse möglich. Von Anfang an bestand aber das Ziel, die Arbeiterräte nur zum Erhalt der sozialdemokratischen Hegemonie in der Arbeiterklasse zu instrumentalisieren.
Wie ernst die Lage war, zeigt ein Zitat eines steirischen Delegierten auf der Reichskonferenz der Partei im Mai 1918: „Wir sitzen mitten unter Pulverfässer und müssen nach unten und oben beschwören, nicht zu zündeln, damit wir nicht in die Luft gehen.“ Ein schöneres Bild kann man von der Sozialdemokratie jener Tage gar nicht zeichnen!
Da die Lage offensichtlich alles andere als entspannt war, bastelten hohe Vertreter des Regimes bei einem Treffen kurz nach dem Jännerstreik an einem Plan, wie man die Arbeiterbewegung in Zukunft unter Kontrolle halten könnte. Bei besagtem Treffen zeigten die Herrschenden sehr deutlich ihr wahres Gesicht: Strategisch zentralen Stellen (z.B. Telefondienst) sollten von politisch unzuverlässigen Leuten „gesäubert“ werden, die Arbeiter sollten entwaffnet werden, die Wiener Garnison verstärkt werden, mit rund 10.000 Soldaten wollte man im Fall des Falles den äußeren Gürtel und die Donaubrücken sperren, um die Innere Stadt zu sichern, man erwog sogar den Einsatz von Maschinengewehren sowie die Verhängung des Standrechtes. Um streikende Arbeiter möglichst schnell unter militärische Gewalt zu stellen, sollten sie nachträglich einer Musterung unterzogen werden (diese Untersuchungen müßten „in möglichst unauffälliger Weise durchgeführt werden“!). Im Umgang mit den Arbeitern, so weit war die Einsicht bereits gediehen, müsse man sensibel vorgehen. Mit Zwang alleine könne man den Arbeitern nicht so einfach entgegentreten. Nach dem Motto: „Den Arbeiter zur Arbeit zwingen nütze nichts, weil er passive Resistenz treibe.“
In einem Rundschreiben des Innenministeriums, in dem man sich für den Fall zukünftiger Aufstände vorbereitete, tritt das sehr klar zu Tage: “1…Bei Ausstandsbewegungen wird zunächst im Wege der Einwirkung durch die Arbeiterführer eine friedliche Beilegung zu versuchen sein; wird hierbei festgestellt, daß die radikalen Elemente die Oberhand gewonnen haben, so sind (…) Zwangsmaßnahmen zu ergreifen. 9. Während der Unruhen (…) sind Versammlungen der Arbeiter zur Besprechung mit ihren Führern nicht zu verhindern, insoweit zu gegenwärtigen ist, daß diese auf die Arbeiterschaft beruhigend einwirken werden…” Die Regierung lieferte damit einen schönen Beweis, wie wichtig die Führer der Sozialdemokratie mittlerweile für ihren Machterhalt schon waren. Wo diese alten „Arbeiterführer“ aber nicht mehr das Heft in der Hand hätten und sich radikale Strömungen durchsetzten, dort müsse man mit allen Mitteln durchgreifen, die Verhandlungen nach einer kurzen etwa zweitägigen Frist abbrechen und „mit rücksichtsloser Strenge“ einschreiten, Rädelsführer wären zu verhaften, Versammlungen seien auseinanderzutreiben (sofern nicht wegen der großen Zahl der Versammelten und der Beschränktheit der verfügbaren Machtmittel eine Duldung opportuner erscheint), in zentralen Bereichen, wie bei der Eisenbahn, müsse die Militarisierung veranlaßt werden. Die Entwicklung der Arbeiterräte zu echten Kontrollorganen sei zu verhindern. Das gesamte Protokoll dieser Sitzung strotzt nur so von Zynismus und Heuchelei. Ein mehr als aussagekräftiges Zeugnis über die Natur der herrschenden Klassen in Österreich.
Weiterhin Unruhe
Mit den Arbeiterräten hatte die Sozialdemokratie nun ein Instrument in ihren Händen, mit denen es ihr leichter möglich war, den Gang der revolutionären Ereignisse zu dirigieren. Der Arbeiterklasse wurde zwar im Jänner 1918 von ihrer eigenen Parteiführung die Niederlage aufgezwungen, was aber nichts am revolutionären Elan des österreichischen Proletariats änderte.
Ja, der Jännerstreik beschleunigte den Prozess der gesellschaftlichen Umwälzung noch einmal. Vor allem in der Armee fand der Streik nun ein gewaltiges Echo. Die kriegsmüden, hungernden Soldaten waren bereit, Widerstand zu leisten. So meuterten Ende Mai in Judenburg slowenische, in Fünfkirchen serbische, in Rumburg tschechische, in Budapest ungarische Truppen. Diese Ersatztruppen waren fast zur Gänze ehemalige Kriegsgefangene, die in Rußland mit “bolschewikischen Ideen” infiziert worden waren. In den ersten Februartagen kam es zur Meuterei der Matrosen in Cattaro (siehe Kasten: „Mehr Käfer als Erbsen“), wo schon zuvor die Arsenalarbeiter gestreikt hatten. Die Marinesoldaten folgten deren Beispiel, nahmen die eigenen Offiziere gefangen und hißten rote Fahnen auf den Kriegsschiffen. Im November kam es dann sogar zur Gründung von Soldatenräten.
Die Arbeiterklasse selbst war ebenfalls noch lange nicht zur Ruhe gekommen. Ein Polizeibericht über die Stimmung in der Ternitzer Arbeiterschaft gibt diesbezüglich ein beeindruckendes Bild. Auch nach der Einstellung des Streiks befand sich die Arbeiterschaft „in einem Zustande hochgradiger Erregung“, was durch „ein behördliches Einschreiten“ (z.B. Verbot von Arbeiterversammlungen, Anm.) „zu einer neuerlichen Entfesselung der Streikbewegung oder zum Ausbruche von Unruhen hätte führen können, zu deren Unterdrückung entsprechende Machtmittel nicht zur Verfügung standen“. Ternitz, so der Bericht, war nach dem Streik neben den Daimler-Werken in Wiener Neustadt ein wichtiger Herd „für die revolutionäre Agitation unter der Arbeiterschaft des Südbahngebietes“, wobei die Ternitzer Arbeiterschaft eine lange kämpferische Tradition hatte und „seit jeher der radikal-sozialistischen Richtung zuneigte und gemäßigten Erwägungen stets abhold“ war. Schon im Herbst 1917 waren die Gemäßigten unter dem Einfluß von Karl Renner schwer in Bedrängnis geraten. Im Jänner 1918 stand „die Arbeiterschaft in Ternitz vollständig im Banne der radikalen Ideen. Das Gleiche gilt auch von der Arbeiterschaft in Wimpassing und in den Kohlewerken Hart bei Gloggnitz.“
Der Bericht zeichnet ein Bild, das uns davon ausgehen lassen kann, dass während des Streiks in den Köpfen so etwas wie ein revolutionäres Bewußtsein entstanden war. „Die Arbeiter betrachten sich gegenwärtig als die Herren der Situation. Ihr Auftreten gegenüber der Werksleitung ist überaus anmaßend.“ Die Bestimmungen des Versammlungsgesetzes wurden in dieser Phase vollständig ignoriert. Die Behörden wurden gar nicht mehr informiert. In mehreren Orten waren die Arbeiter sogar bewaffnet.
Der Respekt vor dem Privateigentum war gänzlich erodiert. „Für die in der Arbeiterschaft bestehende Stimmung ist charakteristisch, daß Äußerungen laut wurden, wie: ‚Solange die Bauern noch Kühe haben, die wir requirieren können, werden wir auch zu essen haben.‘ Die Brennstofffrage wurde während des Streiks nach der Parole gelöst: ‚Solange noch ein Baum im Walde steht, braucht niemand zu frieren‘. Die Leute gingen ganz offen mit Arbeitsgeräten in den Wald, fällten Bäume und transportierten diese ebenso offen nach Hause. Diese Brennstoffbeschaffung hat beträchtlichen Umfang angenommen; die Waldbesitzer wagten keinen Widerspruch. Da mit Rücksicht auf die Gesamtlage ein energisches Einschreiten nicht tunlich war, hat sich die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen darauf beschränkt, durch Einflußnahme auf die Vertrauensmänner den Unfug abzustellen; diese Maßnahme war von Erfolg begleitet. Für diese Stellungnahme der Behörde war auch maßgebend, daß die hauptsächlich als geschädigt in Betracht kommende Werksleitung selbst ausdrücklich gebeten hatte, es möge von der Einleitung der Strafamtshandlung gegen die Waldfrevler abgesehen werden.“
Anhand dieser Frage zeigt sich, wie sich durch den Streik das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterschaft verschoben hatte. Die Werksleitung (gleichzeitig der wichtigste Waldbesitzer) sah sich aus Angst vor den Streikenden gezwungen, Väterchen Staat ruhig zu halten. Sogar die Arbeiterkinder wurden durch diese Ereignisse in gewisser Form politisiert. Der Bericht meint, dass „sogar schon kleine Kinder davon sprechen, daß man den Geschäftsleuten die Fenster einschlagen werde und daß sich die Kinder dann die in den Auslagen befindlichen Gegenstände aneignen könnten“!
Nicht vergessen sollte man auch die Rolle der Arbeiterfrauen. Diesbezüglich sehr interessant ist ein Polizeibericht über eine spontane Protestaktion von rund 2-300 Frauen und Kindern vor dem Stahl- und Eisenwerk. Als Bureauchef Uxa in der Früh des 11. März auf dem Weg ins Werk war, wurde er von den aufgebrachten Frauen „umringt und mit den verschiedensten Vorwürfen bezüglich der Verpflegung überhäuft“. Dabei erklärten sie, „daß sie es nicht mehr ansehen können, wie ihre Männer durch den Nahrungsmangel immer mehr herunterkommen und wenn nicht auf friedlichem Wege etwas geschehe, so muß Gewalt angewendet werden.“ Daraufhin stürmten einige Frauen die Verkaufshalle, stellten sich vor die Kasse und forderten, daß für die Ausgabe von Fleisch kein Geld mehr einkassiert werden dürfe. Inzwischen wuchs die Menge vor dem Werkstor auf mehrere 100 Frauen an. Ein zur Verkaufshalle fahrender Brotwagen wurde gestoppt und es wurden ca. 63 Laib Brot entwendet. Am Nachmittag stellten sogar die Arbeiter im Werk die Arbeit ein.
Ein wesentlicher Grund für die Radikalität der Verhältnisse in bestimmten Städten oder Betrieben im Vergleich zu anderen ist in der Existenz eines subjektiven Faktors zu sehen. Im südlichen Niederösterreich fiel diese Rolle mehreren Vertrauensmännern aus wichtigen Industriebetrieben zu. In den Daimler-Werken waren das Schönfeld und Buchleitner. In Ternitz lag die Führung der Bewegung in den Händen „einer Gruppe von intelligenten Arbeitern“ – allen voran Ferdinand Zehnder, ein Anhänger des Zimmerwalder Programmes. Neben einer Handvoll an „Hauptvertrauensmännern“, die fast allesamt im Ausland schon gearbeitet hatten und dort wahrscheinlich auch mit radikalen Ideen in Kontakt gekommen waren, gab es ungefähr 50 „Vertrauensmänner“, darunter auch einige Frauen. Durch weitere Kontaktpersonen in allen Abteilungen war man jederzeit in der Lage, auf die übrige Arbeiterschaft Einfluß zu nehmen. Oft scharten sich sogar während der Arbeit die Arbeiter um ihre Vertrauensleute, um zu diskutieren, wobei es die Meister nicht wagten, dies abzustellen, weil sie sich von den Reaktionen der Arbeiter fürchteten. Hier haben wir ein Musterbeispiel, daß sobald man in einem Betrieb auch nur eine kleine Gruppe von bewußten SozialistInnen hat, dies bereits den entscheidenden Unterschied machen kann, wodurch ein Streik bereits alle Elemente einer Revolution in sich tragen kann.
Auch nach dem Jännerstreik kam es zu ziemlich großen Arbeitsniederlegungen. Die Streiks in Graz und Bruck im April, die spontane Bewegung in Wien gegen die Brotkürzungen im Juni sind die wichtigsten Beispiele dafür. Die Sozialdemokratie unternahm auch hier alles, um diese Kämpfe rein auf ökonomische Forderungen zu beschränken, was aber angesichts der stetigen Teuerungswelle absolut unzulänglich war. Die von den fortgeschrittensten Teilen der Arbeiterklasse gewünschte Politisierung der Kämpfe versuchte sie schon im Keim zu ersticken.
Die im Jänner 1918 in Bewegung geratenen Massen ließen sich aber nicht mehr unterdrücken. Österreich-Ungarn verlor den Krieg, das Habsburgerreich zerfiel unter dem Druck der Bewegungen nach dem Selbstbestimmungsrecht der Nationen, die Monarchie war am Ende. Daß die Revolution bei ihrer bürgerlich-demokratischen Etappe stehenblieb und die Arbeiterklasse im Jahre 1918 nicht die Macht erobern konnte, war einmal mehr das “Verdienst” der sozialdemokratischen Parteiführung. Vor allem Otto Bauer sah in dieser Phase, als die herrschenden Klassen ihre völlige politische Handlungsfähigkeit verloren hatten, die Hauptaufgabe der Sozialdemokratie darin, die “ungeduldigen Massen”, die zur sozialen Revolution weitergehen wollten, zu bremsen.
Man sollte dabei nicht vergessen, daß eine wesentliche Folge des Scheiterns der sozialistischen Revolution in Österreich oder Deutschland die Isolation der russischen Revolution war, was wiederum eine Grundbedingung für die stalinistische Entartung der Sowjetunion sein sollte.
Lehren des Jännerstreiks
Der Jännerstreik ist ein gutes Beispiel für die Spontaneität der Arbeiterklasse, für ihre revolutionäre Kraft. Binnen kürzester Zeit breitete sich die Streikwelle über alle wichtigen Industriezentren der Donaumonarchie aus – und das ohne eine revolutionäre Massenorganisation.
Im Jänner 1918 hatten sich die objektiven Bedingungen soweit herausgebildet, daß man von einer revolutionären Situation sprechen kann. Die kriegführende Habsburger-Monarchie stand kurz vor einer Niederlage, die Soldaten an der Front wünschten nichts sehnlicher als den Frieden, eine Aufrechterhaltung des k.u.k.-Völkerkerkers war so nicht mehr möglich, die Militarisierung der Betriebe und die sich rasch ausbreitende Not riefen immer größeren Widerstand der ArbeiterInnen hervor, die Arbeiterklasse war nicht mehr bereit, sich weiter so beherrschen zu lassen, und ihr Selbstbewußtsein wuchs im Laufe des Jahres 1917 stetig. Die russische Revolution spielte dabei die Rolle eines Katalysators für die österreichische Arbeiterbewegung.
Der Jännerstreik machte deutlich, daß die Habsburger-Regierung ohne Unterstützung der Sozialdemokratie nicht mehr herrschen konnte. Die Führung der Sozialdemokratie hätte mit einem Schlag das System zu Sturz bringen können, ein Wink von Victor Adler & Co. hätte genügt, und die Arbeitermassen wären bereit gewesen, mit den Habsburgern und den herrschenden Klassen “russisch zu reden”. Diese “Arbeiterführer” eilten aber lieber der Regierung zu Hilfe und blieben selbst unter dem Druck einer Massenbewegung ihrem reformistischen Konzept einer langsamen Umgestaltung der Verhältnisse treu.
Die ArbeiterInnen wollten eine gesellschaftliche Veränderung, was sich in den Forderungen nach Brot und Frieden ausdrückte. Es fehlte aber eine politische Kraft, die dieser revolutionären Grundstimmung in weiten Teilen der Arbeiterklasse Programm und Perspektive gegeben hätte. Diese zum Erfolg der Revolution notwendige Organisation existierte in Rußland in Form der Bolschewiki. Die Bolschewiki hatten sich jahrelang auf das Ziel, eine Revolution anzuführen, vorbereitet, und sie verfügten mit Lenin, Trotzki und anderen über Persönlichkeiten, die mit ihren Analysen und ihrem strategischem Verständnis das Proletariat auch tatsächlich zum Sieg führen konnten.
Die Linksradikalen standen den Bolschewiki politisch nahe. Ihnen mangelte es aber an all dem, was die Bolschewiki zur Führung der sozialistischen Revolution in Rußland befähigte. Die Linksradikalen schafften es erst im Laufe der revolutionären Situation, in der Arbeiterklasse erste Wurzeln zu schlagen. Sie waren weder organisatorisch noch politisch so gefestigt, die Aufgaben einer revolutionären Partei erfüllen zu können.
Der Jännerstreik hätte der Ausgangspunkt für die Eroberung der Staatsmacht durch die Arbeiterklasse sein können. Aber dazu hätte es eben einer revolutionären Massenpartei bedurft. Sind die ArbeiterInnen einmal auf der Straße, ist es für den Aufbau einer solchen Partei zu spät. Ohne eine solche Partei konnten auch die sich bildenden Arbeiterräte keine eigenständige revolutionäre Rolle spielen. Mit diesen Räten haben sich die ArbeiterInnen dort organisiert, wo sie arbeiteten und lebten. Aufgrund der demokratischen Konstitution der Räte spiegelten sich natürlich die Stimmung, Wünsche und Bedürfnisse der ArbeiterInnen viel direkter wider. Die Entwicklung der Rätebewegung ist aber sehr stark abhängig vom Kräfteverhältnis der verschiedenen politischen Gruppierungen in der Arbeiterbewegung. Die Dominanz der Sozialdemokratie wirkte sich auf die Entwicklung der österreichischen Revolution aus.
Trotz allem: Der Jännerstreik von 1918 wird immer zu den großen revolutionären Traditionen unserer Bewegung gehören.
Anhang 1:
Ende durch Verrat
„Als nach der Sitzung des Arbeiterrates, in welcher auf Drängen des Abgeordneten Seitz nach vielen Bemühungen der Parteileitung der Beschluß zur Arbeitsaufnahme gefaßt worden war, die einzelnen Vertrauensmänner auf die Straße hinauskamen, da graute ihnen selbst vor den Dingen, die da kommen sollten. Und ihr Empfinden sollte sie nicht getäuscht haben: Die Szenen, die sich in den massenhaft besuchten Streikversammlungen abspielten, waren unbeschreiblich. Manche Leute, die eine der in Wien spärlich erscheinenden ‘Mitteilungen’ mit der Nachricht des Beschlusses der Arbeitsaufnahme bereits gelesen hatten, erschienen in den Versammlungen wie Wahnsinnige. Als die Redner, die den Beschluß bekannt zugeben und zu begründen hatten und dies mit sehr viel Geschick auch zuwege brachten, geendet hatten, schienen die Versammelten wie vor Schreck gelähmt. Unfaßbar erschien es ihnen, daß die Bewegung, die von solcher Kraft und hoher revolutionärer Bewegung getragen war, ein so klägliches Ende finden sollte. Alte ergraute Arbeiter schluchzten laut auf, als sie das Resultat des Streiks vernahmen, besonnene, ernste Männer blickten finster und entschlossen darein, von dem Wunsche beherrscht, die Bewegung trotz des Wiener Arbeiterrates weiter zu drängen und diesem keine Folge zu leisten.
(…)
So war, um die Bewegung nicht vollständig im Sande verlaufen zu lassen, die Arbeitsaufnahme nach dem Verrat der Parteiführerschaft das einzig Empfehlenswerte. In Währing (Wien) und anderen Wiener Bezirken wurde ein Antrag aus der Mitte der Versammlung eingebracht, die Arbeit nicht, wie der Beschluß verlangte, am Montag aufzunehmen, sondern erst am Dienstag, mit dem ausdrücklichen Zusatze, daß diese Weigerung nur aus Protest gegen den Parteivorstand geschehe. (…)
Es war für die linksradikalen Genossen eine furchtbar tragische Situation, aus der sie aber keinen anderen Ausweg finden konnten, als eben mit die Aufnahme der Arbeit zu empfehlen, darauf hinweisend, daß dieser Kampf nur eine Etappe in dem einen großen Kampf des Proletariats um die Eroberung der politischen Macht darstelle. Den Führern der Rechten sowohl als der Linken, die sich bemühten, den Arbeitern die Arbeitsaufnahme durch Betonung der bedeutenden Errungenschaften des Kampfes zu erleichtern, erging es in den meisten Fällen sehr übel. Der Abgeordnete Müller, der sich stolz zur “Linken” zählt, entging nur durch rasche Flucht einer tätlichen Insulte. Die übrigen mußten den Sturm der Entrüstung, der in manchen Versammlungen zum Tosen ausbrach, hilflos über sich ergehen lassen und den linksradikalen Genossen das Feld überlassen.“
Aus: Wiener bolschewistische Gruppe, Der Januaraufstand der österreichischen Arbeiterschaft und der Verrat der sozialpatriotischen Führer, Zürich, 1918.
Anhang 2:
Österreichische Kriegsgefangene und die
Oktoberrevolution
Eine wesentliche Ursache für die revolutionären Ereignisse ab 1917 waren natürlich die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs, der, frei nach Karl Kraus, Absatzgebiete in Schlachtfelder verwandelte, um sie dann wieder zu Absatzgebieten zu machen. Die Schrecken des Krieges ließ viele Soldaten zu Revolutionären werden. 2,1 Millionen Soldaten der Habsburgerarmee (davon etwa 200.000 Deutschösterreicher) gerieten in russische Kriegsgefangenschaft. Sie mußten in Fabriken und Bergwerken arbeiten und knüpften dort Kontakt zu russischen ArbeiterInnen. Bereits Ende 1916 gab es erste Zirkel revolutionär gesinnter, von den Bolschewiki beeinflußter Kriegsgefangener. Bei den 1917 von den Bolschewiki organisierten Solidaritätsdemonstrationen für Friedrich Adler in Petrograd und vor allem in Moskau beteiligten sich „tausende und abertausende deutsche und österreichische Kriegsgefangene mit roten Fahnen“. Dabei wurde auch Geld gesammelt zur Unterstützung der deutschen und österreichischen revolutionären Bewegung.
Welch großen Eindruck die in Rußland veröffentlichte Rede von Friedrich Adler vor Gericht gehabt haben muß, läßt sich an einer Weisung des Ministeriums des Innern in Wien ablesen: „Das Gemeinsame Zentralnachweise-Bureau, Abt. für Kriegsgefangene, Zensurabteilung, übermittelte anher eine Antwort-Korrespondenzkarte für Kriegsgefangene, adressiert an das Ministerium des Innern in Wien und aufgegeben in Nischni-Nowgorod am 18. Mai 1917. Die Karte hat folgenden Text: ‚Mai 28. 1917. Zur Notiz! Die österreichisch-ungarische Regierung möge sich zur Notiz nehmen, daß sobald das Urteil gegen F. Adler vollstreckt wird, so wird diese Ungerechtigkeit die österreichische Regierung, vor allen Dingen der österreichische Kaiser mit seinem Leben bezahlen. Ein Kriegsgefangener Wiener Oberstleutnant in Russland.“
Mit der internationalistischen Politik der Bolschewiki verbanden sie die Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen, auf einen raschen Frieden und somit die Rückkehr zu ihren Familien. Nach der siegreichen Oktoberrevolution wurden die proletarischen Kriegsgefangenen zu freien Bürgern erklärt, konnten sich politisch betätigen und bekamen gleichen Lohn für gleiche Arbeit.
Wieder in der Heimat wurden viele ehemalige Kriegsgefangene zu Verkündern antimilitaristischer Ideen. Die k.u.k-Armee versuchte mit einem “vaterländischen Unterricht” diese Soldaten für den Fronteinsatz wieder zu aktivieren, was sich aber als unmöglich herausstellte. Rußland-Heimkehrer wurden kontrolliert, ob sie auch nicht “verdächtig” (sprich revolutionär) seien.
Im Dezember 1917 gründete sich die “Organisation der sozialdemokratischen Internationalisten der Kriegsgefangenen des Moskauer Militärkreises”, an deren Spitze auch zwei Österreicher, Reiter und Ebenholz, standen. Sie organisierten 20.000 Mann. Ähnlich in Omsk, wo Tomann und Effenberger 6.000 Soldaten führten. Kleinere von Österreichern geführte Kriegsgefangenenkomitees gab es in Gorki (Johann Koplenig), Tomsk (Max Jung), Krasnojarsk (Fichter), Simbirsk (Leopold Forst), Tula (Walter Kersche), Rostow am Don (Gilbert Melcher) und im Ural (Josef Grün). In Mittelasien gründete der Sozialdemokrat Josef Zwilling das “Komitee der kriegsgefangenen Sozialisten Turkestans”.
Teilweise kämpften diese wie die Räte strukturierten Komitees schon ab Mai 1917 mit den Bolschewiki für die sozialistische Revolution. Ein gutes Beispiel war die von Melcher und Wager anläßlich der Februarrevolution in Rostow gegründete “Gruppe Kriegsgefangene” der Bolschewiki, die am 1.Mai 1917 eine Demo mit 2000 in den Kohlegruben arbeitenden Kriegsgefangenen veranstalteten. Melcher wurde später von den im Rostower Sowjet dominierenden Menschewiki und Sozialrevolutionären wegen “Spionagetätigkeit” verhaftet, was aber nichts am wachsenden Einfluß seiner Gruppe ändern konnte.
Durch den Frieden, den die neue Sowjetregierung erklärte, mußten die Kriegsgefangenenkomitees die Rückkehr der Soldaten vorbereiten. Dazu wurde im April 1918 ein “Allrussischer Kongreß der Kriegsgefangenen” einberufen, zu dessen Vorsitzenden der Österreicher Tomann gewählt wurde. Außerdem wurde die “Deutsche Gruppe bei der KP Rußlands (Bolschewiki)” gegründet, an der sich auch Österreicher beteiligten. Ihre Hauptaufgabe lag in der politischen Erziehung der Kriegsgefangenen. Wichtiges Propagandainstrument war ihre deutschsprachige Zeitung “Weltrevolution” mit einer Gesamtauflage von 800.000 Stück. Darin wurden theoretische Artikel genauso abgedruckt wie auch Berichte über den Jännerstreik 1918, den Zerfall der Donaumonarchie usw. Es wurden auch Sprachkurse, Konzerte, Lesungen abgehalten.
Als die Weißen mit Unterstützung der imperialistischen Interventionstruppen den Bürgerkrieg gegen die Sowjetmacht begannen, meldeten sich Dutzende österreichische Kriegsgefangene zur Roten Armee, um gegen die Konterrevolution zu kämpfen.
Nicht wenige Kriegsgefangene bildeten nach ihrer Rückkehr den Kern der 1918 gegründeten Kommunistischen Partei. Auch Otto Bauer befand sich in Rußland in Gefangenschaft. Bei seiner Rückkehr schrieb Victor Adler an Kautsky: “Jetzt ist ja alles leichter, da Otto da ist. Allerdings ist er noch ein wenig zu viel Bolschewik und muß sich an das alte Milieu erst wieder anpassen.” Die Bürgerlichen beschuldigten Bauer, den “Bolschewistenhäuptling”, auch für den Jännerstreik verantwortlich zu sein, was die Arbeiter-Zeitung aber entrüstet zurückwies – womit sie zwar Recht hatte, was aber auch einiges über die Sozialdemokraten dieser Tage sagt. Otto Bauer wurde in Rußland zumindest so weit politisch beeinflußt, daß er ab 1917 maßgeblich für die Positionierung der österreichischen Sozialdemokratie als zentristische Kraft eintrat.
Alles in allem ist die Geschichte der österreichischen Kriegsgefangenen in Rußland voller Beispiele für wahren proletarischen Internationalismus. Die Oktoberrevolution wurde für viele Kriegsgefangene zum Symbol für Friede und Freiheit, und die Erfahrungen, die sie beeinflußt durch die Bolschewiki machten, ließen viele nach ihrer Heimkehr aktiv in der Rätebewegung werden.
Anhang 3:
Geschichte der Linksradikalen
Vor 1914 gab es in der österreichischen Sozialdemokratie keine Strömung, die mit den Bolschewiki oder dem marxistischen Flügel in der SPD rund um Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Clara Zetkin, Franz Mehring u.a. vergleichbar gewesen wäre. Einzig die böhmische “Reichenberger Linke” unter Karl Kreibich und dem Ehepaar Strasser vertrat klar marxistische, internationalistische Positionen. Bereits kurz nach Kriegsbeginn regte sich aber erster Widerstand in den Reihen der Sozialdemokratie gegen das sinnlose Abschlachten von Arbeitern für die (Neu)Aufteilung des Weltmarktes unter den imperialistischen Mächten. Vor allem in der Jugendorganisation der Sozialdemokratie, dem “Verband Jugendlicher Arbeiter” (VJA), war ein gewisser Aufbruch zu bemerken. Nachdem bereits Ende 1914 einzelne Aktivisten mit illegaler Aufklärungsarbeit begonnen hatten, folgten schon bald ganze Ortsgruppen des VJA (Leopoldstadt, Ottakring, Favoriten) dem Beispiel Karl Liebknechts.
Erleichtert wurde ihre Tätigkeit durch die Tatsache, daß sich die Sozialistische Jugendinternationale bei Kriegsbeginn nicht aufgelöst hatte, sondern ihr Büro in die Schweiz verlegt hatte und weiterhin eine klassenkämpferische Position einnahm. Die österreichische Verbandsführung unter Honay und Helmer begrüßte zwar in Worten die Aktivitäten der SJI, im eigenen Land verfolgte sie jedoch die gleiche Politik wie die Parteiführung. Obwohl das politische Material der SJI nicht verteilt wurde, müssen einige Ortsgruppen Zugang dazu gehabt haben.
Im Winter 1915/16 bildete sich das geheime “Aktionskomitee der Linksradikalen” mit Franz Koritschoner, Pjatigorski, Lazarowitsch, Anna Ströhmer u.a. Um auch legal tätig sein zu können und aus der Erkenntnis heraus, man wäre noch zu schwach, um eine eigenständige Organisation abseits der Sozialdemokratie aufbauen zu können, schlossen sie sich dem Bildungsverein “Karl Marx” der Linken um Fritz Adler an, wo sie schon bald mit ihrer Propaganda für die Ideen der internationalen Zimmerwalder Linken an Einfluß gewinnen konnten. Dieser Verein umfaßte rund 40 GenossInnen (unter ihnen Gabriele Proft und Therese Schlesinger, Josef und Isa Strassers, Max Adler oder Robert Danneberg). Die Aktivitäten beschränkten sich im Großen und Ganzen aber auf einige Diskussionsabende.
Die „Linksradikalen“ wollten sich mit dem jedoch nicht zufrieden geben. In einem von 22 ihrer UnterstützerInnen (darunter Koritschoner, Pjatigorski, oder Berta Pölz ) unterzeichneten Antrag formulierten sie den Zweck des Vereins „Karl Marx“, der aus ihrer Sicht nur in einer scharfen Kritik an „von den Parteiinstanzen begangenen Unterlassungssünden in Bezug auf die Aufklärung der proletarischen Massen über das Wesen des Imperialismus“ liegen konnte. Die Arbeiter müßten sich wieder „im Kampfe“ die alten Methoden sozialistischer Politik aneignen. Eine wichtige Aufgabe in diesem Sinne sollte die Bildungsarbeit in der Arbeiterbewegung einnehmen. Sie beantragten deshalb im Verein die „Bildung von Lesezirkeln in allen Bezirken“. Sie verstanden jedoch, dass „nicht allein die theoretische Aufklärung, sondern vor allem die Betätigung im Sinne des unverfälschten Marxismus vonnöten sei“. Deshalb beantragten sie weiters „die Versorgung der Mitgliedschaft und ihrer Vertreter mit Agitationsmaterial“, was durch gewählte Vertrauensmänner auf Bezirksebene passieren sollte. Außerdem strebten sie „die Herausgabe einer kleinen populären Zeitschrift mit aktuellen Artikeln über die Arbeiterbewegung des In- und Auslandes in der Art der Bremer ‚Arbeiterpolitik'“ an.
Für die Linksradikalen waren die Diskussionen und die politische Bildung nur eine Voraussetzung für praktisches Handeln. Dies wird sehr schön am Ende ihres Antrages deutlich, wo sie schreiben:
„In Erwägung, dass es heute unmöglich ist, im Rahmen des Gesetzes für die Befreiung des Proletariats und gegen den offenen, echt österreichischen Absolutismus und seine Bundesgenossen in allen Klassen aufzutreten, beantragen wir: 4.) Die Herausgabe populär gehaltener aktueller und zensurfreier Flugblätter, insbesondere aber das sofortige Eingreifen der organisierten Mitgliedschaft in alle Volksbewegungen, sie mögen in welcher Form immer auftreten, um die Bewegung über sich selbst hinauszutreiben und für den proletarischen Klassenkampf nutzbar zu machen.
Da wir wissen, dass in der Provinz in vielen Kreisen eine gleiche Stimmung sich bemerkbar macht, wie in der Hauptstadt, fordern wir 5.) Die Leitung des Vereines auf, sich, da es bisher unterblieben ist, mit den radikal-marxistischen Vertrauensmänner der Provinz ins Einvernehmen setzen, um den Ausbau des wiener Lokal- in einen Reichsverein anzubahnen.“
Als im April 1916 die Konferenz von Kienthal in der Schweiz stattfand, wo sich die Vertreter der Kriegsgegner in der europäischen Arbeiterbewegung trafen, entsandte man Franz Koritschoner als Vertreter der Linksradikalen. Lenin war von Koritschoner trotz anfänglich unterschiedlicher Meinung in der Frage des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen sehr angetan. Auch die Linksradikalen waren noch sehr stark von der vorherrschenden Idee innerhalb der österreichischen Arbeiterbewegung geprägt, man sollte die nationale Frage durch einen Ausbau der kulturellen Autonomie für alle Nationen im Rahmen des damaligen Österreich-Ungarn angehen. Schon zuvor hatte Koritschoner einen Artikel über die Situation in der österreichischen Sozialdemokratie für die Zeitung der Zimmerwalder Linken geschrieben.
Die Linksradikalen hatten in der Wiener Organisation des VJA nun auch GenossInnen in Mariahilf, Meidling und der Landstraße. Diese linken VJA-Ortsgruppen waren schon ab Mai 1915 mit polizeilicher Auflösung bedroht worden, weil sie revolutionäre, antimilitaristische Rekrutenabschiedsfeiern veranstalteten. Diese illegale Arbeit wurde verbunden mit konsequenter marxistischer Schulung.
Als man im Verein “Karl Marx” endlich die Mehrheit für den Beginn illegaler Aktivitäten mit einer Orientierung auf die Arbeiterklasse erlangte, sollte das Attentat von Fritz Adler auf Ministerpräsident Stürgkh die Bedingungen für die politische Arbeit der Linksradikalen grundlegend verschlechtern, da der Staatsapparat diese Tat zum Anlaß nahm, mit verstärkter Repression gegen die Kriegsgegner vorzugehen. Die Linksradikalen solidarisierten sich mit dieser Tat, was Lenin dazu bewegte, diesen Fall etwas genauer zu analysieren.
Die Linken waren nach dem Attentat aber für eine gemeinsame politische Arbeit nicht mehr zu haben, diese beschränkten sich nun weiter rein auf ein Wirken innerhalb der Sozialdemokratie, das darauf gerichtet war, die Linie der Parteiführung in der Kriegsfrage zu verändern.
Im Dezember 1916 wurde das „Aktionskomitee der linksradikalen Arbeiterjugend“ gegründet, um den Einfluß in der sozialdemokratischen Jugendbewegung weiter auszubauen. Nach der Auflösung des Vereins suchten die Linksradikalen eine neue Struktur für legale Arbeit, dies waren die Vereinigung sozialdemokratischer Handelsakademiker “Bildung” und die “Freie Vereinigung sozialistischer Studenten” in Wien-Josefstadt. In dieser Zeit organisierten sie auch eine Demo von Favoritner Arbeiterfrauen für Frieden und Brot.
Da die Parteilinke eine Zusammenarbeit ablehnte, bewegten sich die Linksradikalen nun immer schneller weg von zentristischen hin zu wirklich marxistischen Ideen. In Diskussionen einigte man sich dann auf ein einheitliches Programm, in dem zu lesen war:
„1. Aufklärung über die wirtschaftliche Lage der Arbeiterklasse und der Arbeiterjugend im besonderen, und zwar:
a) Über die Grundlagen des Marxismus und Anwendung desselben auf Tagesereignisse, die Erziehung zu selbständigem, sozialistischem Urteil.
b) Über die Entwicklung der gewerkschaftlichen und politischen Arbeiterbewegung…
Wir fordern:
1. Aufklärung über das Wesen des Militarismus und der Landesverteidigung in Wort und Schrift.
2. Einführung des Liebknecht-Fonds.
3. Verbreitung des Manifests der Jugendinternationale!“
Im Winter 1916/17 sammelten sich auch unter den Wiener sozialdemokratischen Mittelschülern Oppositionelle, die schon bald in den VJA-Ortsgruppen Margareten und Meidling aktiv wurden. Unter ihnen waren Paul Lazarsfeld, Leopold Grünwald u.a. Diese linken Mittelschüler waren dann später im Jännerstreik sehr aktiv, verteilten Flugblätter vor den Betrieben und versorgten als Kuriere die ArbeiterInnen in NÖ mit Informationen (siehe Kasten mit den Erinnerungen von F. Kunert „Das Wetterleuchten der Revolution“). Nach dem Streik schlossen sie sich mehr oder weniger gänzlich den Linksradikalen an.
In der Wiener Organisation des VJA hatten die Linksradikalen bei einer Konferenz im Eisenbahnerheim im April 1917 auf Basis eines eigenen sozialistischen Programms sogar die Mehrheit hinter sich. In diesem werden jene Kräfte in der Sozialdemokratie angegriffen, “die das Wesen des proletarischen Klassenkampfes nicht in der revolutionären Massenbewegung, sondern allein in der Bildung möglichst umfangreicher Organisationen, in der Erlangung vieler Parlamentsmandate sehen, damit die Führer durch Kompromisse, Bündnisse mit Teilen der Gegner, durch diplomatische Schachzüge und so weiter den Arbeitern auf dem Boden der kapitalistischen Ordnung karge Vorteile erringen können.”
Durch organisatorische, aber auch politische Schwächen konnten die Linksradikalen diese Mehrheit aber nicht dauerhaft verteidigen. Als es im Mai 1917 zum ersten großen Streik im Wiener Arsenal kam, unterstützten sie sofort diesen Arbeitskampf und verteilten Flugblätter, die mit “die revolutionären Sozialisten Wiens” gezeichnet wurden. Das Echo auf diese Flugblätter unter den Arbeitern blieb gering, was aber nichts daran ändern konnte, daß die Linksradikalen nun offensiv versuchten, verstärkt Verbindungen zu Betrieben in Wien und im südlichen NÖ aufzubauen. Man agitierte für höhere Löhne, eine verbesserte Lebensmittelversorgung und gegen die Militarisierung der Betriebe.
Die zentrale Figur bei den Linksradikalen war offensichtlich Franz Koritschoner, der sich nach Absolvierung seines Studiums der Rechtswissenschaften mit Haut und Haaren der revolutionären Arbeit verschrieben hatte. Er trat als Redner und Bildungsreferent beim VJA und bei den sozialistischen Studenten auf und versuchte „unter der Arbeiterschaft namentlich in den für den Heeresbedarf arbeitenden Betrieben, im Interesse der Herbeiführung des Friedens eine Streikpropaganda zu inszenieren“. Auch der Vorstand der sozialdemokratischen Partei war auf ihn bereits aufmerksam geworden und sah sich veranlaßt, vor seinen „Umtrieben“ zu warnen, wobei man diese Warnung vor allem an den VJA richtete. Im Juni und Juli 1917 war er an Tuberkulose erkrankt und deshalb im niederösterreichischen Alland in Pflege. Nach seiner Rückkehr nach Wien wurde er aber sofort wieder politisch aktiv. Mittlerweile hatte er auch eine Verbindung mit gewerkschaftlichen Vertrauensmännern in Wiener Neustadt geknüpft, was im Jännerstreik von entscheidender Bedeutung sein sollte. Seine wichtigsten Kontaktpersonen waren Schönfeld von der dortigen Ortsgruppe des Metallarbeiterverbandes und der Eisenbahner Pichler.
Die Bemühungen, zur Arbeiterschaft Kontakt zu knüpfen, war also nach einigen Anlaufschwierigkeiten erfolgreich. Dies zeigte vor allem die Konferenz in St. Egyden am 5. September 1917, an der Vertrauensmänner aus mehreren Großbetrieben aus dem Raum Wiener Neustadt sowie Anna Ströhmer für die Linksradikalen teilnahmen. (siehe Kasten) Teilweise nahmen diese von der Parteiführung enttäuschten Arbeiter von sich aus mit den Linksradikalen Kontakt auf und luden sie ein, bei Streiks als Berater aktiv zu werden. Bald schon erweiterte man die Kontakte zu Betrieben im Traisental und auch in Wien (Fiat, Arsenal).
Auf dem sozialdemokratischen Parteitag im Oktober 1917 hatten die Linksradikalen zwei Delegierte. Einer der beiden, Johann Janecek aus Wien-Brigittenau, machte dabei durch eine treffende Kritik an der von Otto Bauer geführten Parteilinken und einen Antrag gegen das Verhalten der Parteiführung bei Kriegsausbruch auf sich aufmerksam. Jedoch ohne Erfolg.
Im VJA ging die Parteiführung mittlerweile mit bürokratischen Methoden gegen die Linksradikalen vor. Die Ortsgruppe Leopoldstadt wurde ebenso ausgeschlossen wie Franz Koritschoner aus Ottakring, die Favoritner gingen daraufhin aus Protest von selbst. Diese Oppositionsbezirke vereinigten sich nun zum “Verein der arbeitenden Jugend Wiens”, dem etwas später auch andere Ortsgruppen (u.a. aus Ternitz) beitraten. Kontakte dürfte es Polizeiberichten zufolge auch in Ebergassing und in Traisen gegeben haben. Nach einem polizeilichen Verbot ging man in die Illegalität.
Der richtige Aufschwung für die linksradikale Bewegung kam aber erst nach der russischen Oktoberrevolution. Nun schlossen sich die Anarcho-Syndikalisten (Leo Rothziegel), die jüdischen Bolschewiken (Michael Kohn-Erber) und die Anarchisten-Terroristen (Arnold Baral) – allesamt Kleinstgruppen – den Linksradikalen an. Was aber viel wichtiger sein sollte, waren ihre Interventionen bei den Friedensversammlungen der Sozialdemokratie. Unterstützung erhielten sie dabei auch von der am 12. Dezember 1917 gegründeten “Wiener bolschewistischen Gruppe”, in der Leo Suniza, ein alter Revolutionär, Dr. Filippowitsch u.a. aktiv waren. Die Propagierung des Rätegedankens stand nun im Mittelpunkt der linksradikalen Aktivitäten. Am 30.Dezember 1917 bildeten sie den illegalen Arbeiterrat, an dem sich schon bald auch Soldaten anschlossen (z.B. Egon Erwin Kisch, Fränkel, Wertheim).
Für die von der Parteiführung einberufenen Friedensversammlungen schrieben die Linksradikalen das Flugblatt “Arbeitendes Volk!”, wo die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten gefordert wurde, um den Kampf gegen den Krieg führen zu können. Der Jännerstreik, der am 14. Jänner 1918 ausbrach, war von den Linksradikalen erst für Ende Jänner geplant worden. Durch die Vorbereitungsarbeit in den Monaten davor hatten die Linksradikalen aber von Anfang an durch ihren Kontakt zu den Vertrauensmännern vor allem im Raum Wiener Neustadt einen großen Einfluß. Ohne die dem Streik vorausgegangene Propaganda der Linksradikalen wäre der Streik wahrscheinlich gar nicht über ein spontanes Stadium hinausgegangen, ohne die Linksradikalen hätten sich in dieser Bewegung kaum die Arbeiterräte herausgebildet. Der Wiener Neustädter Streikführer Eduard Schönfeld war schon Vorsitzender der Konferenz von St. Egyden, der 18jährige Leopold Kulcsar fungierte als Verbindungsmann mit Wien, Koritschoner und Baral koordinierten die Agitation jener Tage.
Die Parteiführung war offensichtlich gezwungen, selbst radikaler aufzutreten, um so den Linksradikalen das Wasser abzugraben, nur so sind die Bildung des Wiener Arbeiterrates und ihre kämpferischen Manifeste während des Streiks zu verstehen. Als dies gelang und der Streik auf Anraten der Parteispitze abgebrochen wurde, blieb selbst den Linksradikalen nichts anderes übrig, als für die Wiederaufnahme der Arbeit zu stimmen. Ihr Einfluß war noch zu gering (vor allem in der Wiener Arbeiterschaft), um die Führung der gesamten Bewegung übernehmen zu können.
Die letzten ArbeiterInnen waren noch gar nicht zur Arbeit zurückgekehrt, da setzte schon eine Verhaftungswelle unter den Linksradikalen ein. 20 der besten Kader der Linksradikalen wurden wegen “Hochverrat” und Aufruf zum “Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung und des österreichischen Staates” aus dem Verkehr gezogen (darunter Koritschoner, Hexmann, Beer, Kohn-Eber, Hübl). Die “Wiener bolschewistische Gruppe” konnte sich durch ihre größere Erfahrung mit konspirativer Arbeit aus dem Kampf gegen den Zarismus der Verfolgung entziehen.
In einem dritten Flugblatt “Verraten und verkauft!” schrieben die Linksradikalen, die (noch) nicht verhaftet waren: “Nichts als papierene Versprechungen, leere Tröstungen und nichtssagende Phrasen hat die Regierung als Antwort auf die Forderungen der Arbeiterschaft zu bieten gewußt. Die sich ‘Sozialdemokraten’ nennenden Führer haben nichts Besseres zu tun gewußt, als die Arbeiter wieder in das Joch der kapitalistischen Unterdrückung zu treiben. Für jeden denkenden Arbeiter ist es heute klar, daß dieser Kampf schon im Anfang das Mißfallen der Parteiinstanzen gefunden hat, daß sie von Anbeginn gebremst haben…Von den heutigen ‘Arbeitervertretern’ ist nichts mehr zu erwarten! Schließen wir uns selbst zu Gruppen des Kampfes zusammen! Die Gruppen mögen unter sich die Fragen des Tages besprechen, mit den Genossen der anderen Gruppen in Verbindung treten, so daß eine neue Organisation des Kampfes und der Befreiung entstehe!”
Hautmann wertet den letzten Satz als Zeichen, daß durch die Niederlage im Jännerstreik die Linksradikalen zu dem Entschluß gekommen waren, daß man sich nun an den Aufbau einer neuen revolutionären Partei machen müsse, und die Geburtsstunde der Kommunistischen Partei eigentlich mit diesem Flugblatt zu datieren sei. So verständlich die Reaktion der jungen Linksradikalen auch sein mag, so denken wir, daß der Bruch mit der Sozialdemokratie in dieser Phase ein Fehler war. Die Parteiführung hatte bewiesen, daß sie trotz allem einen gewaltigen Einfluß auf die Arbeiterklasse hatte. Die Aufgabe wäre es gewesen, in den folgenden Monaten, eine geduldige Arbeit in der Sozialdemokratie im Sinne einer revolutionären Propaganda zu machen, sich verstärkt zu verankern, die eigenen organisatorischen Strukturen zu festigen und so den Keim für eine wirklich revolutionäre Massenpartei zu legen.
Mit Auflösung der „Freien Vereinigung sozialistischer Studenten“ im Februar 1918 mußte die politische Arbeit in Kaffeehäuser ausgelagert werden. Diskussionen in Kleingruppen wurden auch in den stets leer fahrenden Waggons der 1. Klasse in der Wiener Stadtbahn abgehalten. Einige wenige jugendliche Linksradikale, wie Otto Pfeffer und Max Lazarowitsch aus dem VJA, blieben in der Illegalität weiter aktiv. Besonders tragisch das Schicksal von Leutnant Fränkel, der sich aus Angst, GenossInnen zu verraten, in den Selbstmord flüchtete.
Im südlichen NÖ hatten die linksradikalen Vertrauensmänner auch weiterhin großen Einfluß, wie etwa ein Polizeispitzel berichtete: “Die Arbeiterschaft in Ternitz steht vollständig im Banne der radikalen Ideen. Von der Leitung der Ternitzer Arbeiterschaft durch eine einzelne Person kann hiebei nicht die Rede sein. Die Führung erfolgt vielmehr von einer Gruppe von überaus intelligenten Arbeitern…”. Als Hauptverantwortlicher wird dabei ein Vertrauensmann der Schöllerwerke, der Linksradikale Ferdinand Zehnder, genannt. Noch radikaler muß die Stimmung in Wiener Neustadt gewesen sein. Auch von Baden wurde gemeldet, daß “die sogenannte Bolschewiki-Idee” stark verbreitet war. Im April 1918 wurde auch Rothziegel als Deserteur verhaftet, nachdem er zuerst über Ebergassing (NÖ) nach Ungarn geflüchtet war. Die Linksradikalen nannten sich nun in “Revolutionäre Sozialisten Österreichs” um.
Trotz allem waren die Linksradikalen nach dem Jännerstreik durch Verhaftungen oder Einberufungen an die Front ihrer wichtigsten Kader so geschwächt, daß sie bis zur Novemberrevolution ihren Einfluß auf die Massen der ArbeiterInnen nicht halten konnten. Andere revolutionäre Gruppen, die am 3. November 1918 die Kommunistische Partei gründeten, blieben – auch durch eigene Inaktivität – viel zu schwach, um die Arbeiterklasse aus der Geiselhaft der reformistischen Führer der Sozialdemokratie zu entreißen. Ein weiterer Beweis, daß die Salonrevolutionäre am Rande der Arbeiterbewegung, so gute theoretische Arbeit sie auch leisten mögen, in revolutionären Prozessen keine Rolle spielen können.
Die Linksradikalen hätten zum Kern einer neuen revolutionären Massenpartei ähnlich den Bolschewiki werden können. Wie wir gesehen haben, ist dies nicht gelungen, was später eine wesentliche Ursache für die Niederlage der österreichischen Revolution war. Die Arbeit der Linksradikalen ist aber auch aus heutiger Sicht noch voller Lehren und sollte von allen revolutionären SozialistInnen studiert werden. Die Linksradikalen sind ein wesentlicher Bestandteil unserer Tradition als MarxistInnen und als Revolutionäre – eine Tradition, die in den Festschriften der Sozialdemokratie wohlweislich verschwiegen wird!
Zitate:
“Es gibt vielleicht noch einige Führer, die rückständig geblieben sind, denen das Verständnis für die revolutionären Möglichkeiten des Augenblicks fehlt, aber die Massen in der Partei sind heute sicher von den Ideen des internationalen revolutionären Sozialismus erfüllt.” (Fritz Adler, Nach zwei Jahren, Wien, 1918, S.18)
“Was nützt unter solcher Führerschaft die Gesinnung der Massen? Was nützt dem Ringkämpfer seine Körperkraft, wenn seine Arme gelähmt sind?” (Egon Erwin Kisch, in: Der freie Arbeiter, 7.12.1918, S.37)
Anhang 4:
Das Wetterleuchten der Revolution – Erinnerungen an den Jännerstreik 1918
„Es wird dich bestimmt interessieren.“ Ich erinnere mich gut an diese Worte, die an einem Dezemberabend 1917 ein guter Freund zu mir sprach, als er mich zu einem kleinen Vortrag einlud. „Was für ein Vortrag?“ fragte ich. „Wirst du schon noch rechtzeitig merken!“ meinte der Freund “ es wird dir nicht leid tun.“
Es hat mir bestimmt nicht leid getan, der Einladung zu folgen. Mit großer Spannung betrat ich ein kleines Zimmer, in dem mehrere, zum Teil gleich mir, recht junge Menschen versammelt waren. Es war ein illegaler Vortrag in einem Zirkel von linksradikalen Sozialdemokraten über das Thema: Die russische Revolution und die Sozialdemokratie. Natürlich konnte ich nicht alles erfassen, was ich da hörte. Dennoch erhielt ich hier die erste Grundlage für die Entwicklung zum Kommunisten: die Lehre vom Klassenkampf, die geschichtliche Rolle und Aufgabe der Arbeiterklasse, die ursächlichen Zusammenhänge von Kapitalismus, Krise und Krieg, die verräterische Rolle der sozialdemokratischen Führung, die sich und die Arbeiter in den Dienst des Krieges gestellt hatte, die Notwendigkeit, gegen den Krieg zu kämpfen, das Beispiel, das auch den österreichischen Arbeitern die russischen Bolschewiki gegeben haben.
Am Abend des 15. Jänner kam ein Schulkamerad zu mir, ganz erregt, und sagte: „Morgen früh müssen Flugblätter verteilt werden, in den Betrieben streiken die Arbeiter, man darf nicht zulassen, daß der Streik abgewürgt wird, es geht um den Frieden.“ Und so fuhren wir, eine Gruppe Jugendlicher, nach Favoriten, um Flugblätter der Linksradikalen zu verteilen. In der Nähe eines großen Betriebes kam ein Arbeiter auf uns zugelaufen. „Aufpassen, Spitzeln, grad ham’s wieder wen vahaft!“
Am nächsten Tag ging ich zu einer von der SP einberufenen Versammlung im Bayrischen Hof.
Der Referent sprach lange, ihm folgte eine Reihe von offenbar bestellten Diskussionsrednern, um jeden Preis sollte verhindert werden, daß Redner der Linksradikalen auftreten. Dies gelang zwar, aber sowohl die entschlossene Stimmung der Masse der Teilnehmer als auch die Wirkung der Flugblätter der Linksradikalen hatten sich geltend gemacht. Zwischenrufe unterbrachen immer wieder die offiziellen Redner, die meisterhaft die Taktik des Manövrierens, Ablenkens, Abbremsens anwandten. Das Spiel mit verteilten Rollen war dabei unverkennbar. Zunächst wurde versucht, den Streik als bloßen Protest gegen die Kürzung der Mehlration hinzustellen, ihn auf das Geleise der Lebensmittelfrage zu schieben.
Aber aus den empörten Zwischenrufen ging klar hervor, daß es der Arbeiterschaft diesmal nicht um einige Dekagramm Brot oder Mehl ging oder um etliche Waggons Speck oder Kondensmilch, sondern um den Frieden, um alles. Frauen sprangen auf und riefen: „Unsere Männer, unsere Söhne wollen wir wieder!“
„Jawohl, wir wollen den Frieden, selbstverständlich, Genossen, und auch darauf arbeiten unsere Unterhändler hin, und sie verlangen von der Regierung mit aller Energie, daß in Brest-Litowsk auf jede Eroberung und Entschädigung verzichtet wird.“ Solcherart reagierten die Redner. Doch nur neue Zwischenrufe waren die Antwort: Keine Munition mehr herstellen! Genug vom Blutvergießen! Wir müssen’s so machen wie die Russen!“
Der Empörungssturm steigerte sich. Die Worte der Redner waren kaum mehr zu verstehen. Plötzlich ertönten Stimmen: „Genug geredet, Genossen! Auf die Straße! Wir müssen demonstrieren!“ Der Vorsitzende fährt auf: „Genossen, was tut ihr, seid vernünftig, das sind doch unreife Burschen…!“ Es nützte nichts, schon drängten die Menschen zum Ausgang, vereinigten sich mit den zahlreichen Gruppen von Arbeitern, die vor dem Versammlungslokal standen. In wenigen Minuten hatte sich ein Zug gebildet, der, die ganze Straßenbreite einnehmend, vom Bayrischen Hof zur Ferdinandsbrücke (heute Schwedenbrücke) zog. „Schluß mit dem Gemetzel! Wir wollen den Frieden!“ – immer wieder erschallten die Rufe aus dem Gewoge der Masse. Auch an Stangen befestigte Tafeln, wo zu lesen war „Brot, Frieden, Freiheit!“, wurden getragen. Das Lied der Arbeit wurde gesungen, Kampfbegeisterung hatte alle erfaßt.
Der Zug schwoll immer mehr an, überschritt die Brücke und bog nach links ein. „Zum Kriegsministerium! Zum Kriegsministerium!“ erschollen die Rufe. Immer mehr Polizei tauchte auf, knapp vor dem Gebäude des Kriegsministeriums große Abteilungen von Berittenen. Nur schwer gelang es ihnen, die Demonstranten abzudrängen. Immer wieder bildeten sich neue Gruppen, immer wieder erhoben sich die Fäuste in die Richtung der hell erleuchteten Fenster des Kriegsministeriums. Immer wieder Rufe: „Nieder mit den Kriegsgewinnern! Wir wollen Frieden!“
Einige Tage später, ich glaube es war ein Sonntag, veranstaltete die SP eine Kundgebung auf dem Platz an der Ankunftsseite des Franz-Josefs-Bahnhofes. Der Redner war der SP-Gemeinderat Max Winter. Hier war schon eine recht gedrückte Stimmung bemerkbar. Alles stand unter dem Eindruck des Beschlusses – den die SP bei der am Tag vorher in einer gesiebten Vertrauensmännerkonferenz durchgesetzt hatte -, den Streik abzubrechen. Der Redner sprach viel von Brot und von Frieden, noch mehr vom Vertrauen zur Führung, er malte das Gespenst der Spaltung an die Wand. Es sei ohnehin alles getan worden, mehr sei nicht zu erwarten gewesen als Versprechungen der Regierung, die Arbeiter hätten ihre Stärke gezeigt, und auf das sei es ja angekommen. Die meisten Teilnehmer, ebenso wie die meisten Arbeiter in diesen Tagen, standen fassungslos dem Streikabbruch gegenüber. Wortlos verließen die meisten der Versammelten den Platz, so manche mit Tränen in den Augen. (…)
Quelle: VGA, Sacharchiv, Lade 15, Mappe 27A
Anhang 5:
Mehr Käfer als Erbsen – Der Matrosenaufstand von Cattaro
Wer durch Österreich fährt, der kommt an ihnen nie und nimmer vorbei – genau den Kriegerdenkmälern. In jedem kleineren Ort wird den „Helden der Weltkriege“ gedacht. Wer die „Veteranen“ in Schutz nimmt, Kameradschaftsverbänden einen Kranz spendet, der kann hierzulande immer noch getrost auf Stimmenfang gehen. In das kollektive Gedächtnis, das dieser allgegenwärtigen Ehrdarbietung gegenüber denen gewidmet ist, die in den beiden Weltkriegen für „Gott, Kaiser (oder Führer) und Vaterland“ hingemetzelt wurden, sind aber die Matrosen nicht eingegangen, die im Februar 1918 meuterten und so ein Zeichen gegen den Großen Krieg setzten.
Daß sie nicht ganz in Vergessenheit geraten sind, verdanken wir nicht zuletzt dem kommunistischen Dramatiker Friedrich Wolf, der ihnen mit seinem 1930 verfaßten Stück „Die Matrosen von Cattaro“ eine Art Denkmal gesetzt hat.
Cattaro war neben Pola der zweitwichtigste Kriegshafen der kaiserlich und königlichen Marine. Bei Ausbruch des Krieges noch der große Stolz der Monarchie wurden die Kriegsschiffe immer mehr zur Hölle auf Erden. Zu fressen gab es verfaultes Gefrierfleisch von Notschlachtungen, im Eintopf, welcher der Besatzung serviert wurde, waren mehr Käfer als Erbsen. In der Offiziersmesse war alles in Überfluß vorhanden. Teilweise wurden sogar bestimmte Bestände, die für die Mannschaft vorgesehen waren, für den Luxuskonsum der Offiziere verschachert. Diese feierten die protzigen Gelage samt ihren nachgekommenen Familien. Die einfachen Matrosen hingegen waren bereits jahrelang nicht mehr bei ihren Frauen und Kindern gewesen.
Als die Matrosen von den Streiks der ArbeiterInnen in Wien und Niederösterreich, in den großen Schiffswerften von Trieste und Muggia und dann auch in Pola erfuhren, war dies für sie Zeichen genug. Außerdem hatten sie auch Kenntnis von den Ereignissen in Rußland und dem Friedensaufruf der Sowjets. Die Forderung nach sofortigem Frieden ohne Annexionen gepaart mit der Idee des Selbstbestimmungsrechts der Nationen muß gerade bei den Matrosen, die selbst aus allen Teilen der Monarchie zusammengewürfelt waren, einen enormen Eindruck gemacht haben. Ihre ganzen persönlichen Wünsche nach einem baldigen Frieden und dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie fanden in diesen Losungen der Bolschewiki einen politischen Ausdruck.
Matrosenkomitees leisteten ganze Arbeit bei der Vorbereitung des Aufstandes. Am 1. Februar 1918 wurde auf 40 Kriegsschiffen rote Fahnen gehißt. 6000 Matrosen waren an der Meuterei beteiligt. Den Offizieren wurde sofort die Befehlsgewalt entzogen. Diese waren völlig überrascht worden, nur auf einem Schiff kam zu einer Schießerei mit zwei Verletzten.
Noch am ersten Tag des Aufstandes deklarieren die Matrosen ihre Forderungen:
1. Maßnahmen zur Einleitung eines sofortigen allgemeinen Friedens.
2. Vollständige politische Unabhängigkeit von anderen Mächten.
3. Frieden auf Grund des russischen demokratischen Vorschlages, ohne Annexionen etz.
4. Vollständige Abrüstung (Demobilisierung) und Aufstellung der freiwilligen Miliz.
5. Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Weiters verlangen sie eine ausreichende Versorgung mit Lebensmitteln und Bekleidung, das „Weglassen jeder unnötigen Arbeit und Exerzitien“ infolge der schlechten Ernährungslage, mehr und längerer Landgang, 3 Wochen Heimaturlaub alle 6 Monate (ohne Reisetage), Erhöhung des Kostgeldes bei Heimaturlauben, gerechte Verteilung der Schiffskost, wobei Mannschaft und Offiziere gleich behandelt werden sollen, eine bessere Versorgung mit Rauchmaterialien, die Abschaffung der Briefzensur und eine Erklärung, dass diese Demonstration „keine irgend geartete Konsequenz“ haben wird.
In einer Depesche an Victor Adler drückt das Matrosenkomitee seinen Wunsch aus, „ehestens mündlichen Gedankenaustausch mit sozialdemokratischen Abgeordneten aller Nationen behufs sofortiger Einleitung allgemeiner Friedens, Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Und die ungarischen Matrosen im Zentralmatrosenkomitee schrieben: „Wir, die ungarische Bemannung der k.u.k. Kreuzerflottille in der Bocche von Cattaro, die wir die Leitung sämtlicher hier befindlichen Einheiten ohne jedes Blutvergießen übernommen haben, wünschen die sofortige Schließung des Friedens ohne Annexionen auf sozialistischer Grundlage.“
Wie so oft in der Geschichte der Revolutionen machten aber auch die Matrosen von Cattaro den schwersten Fehler, den man in so einer Situation nur machen kann, was schon Engels in „Revolution und Konterrevolution in Deutschland“ beschrieb: „Nun ist der Aufstand eine Kunst ebenso wie der Krieg oder andere Künste, und gewissen Regeln unterworfen, deren Vernachlässigung zum Verderben der Partei führt, die sich ihrer schuldig macht … Die Defensive ist der Tod jeder bewaffneten Erhebung.“
Anstatt den Überraschungseffekt auszunützen und weiter in die Offensive zu gehen, ließ man den Offizieren volle Bewegungsfreiheit, was diese zur Kommunikation mit anderen Truppen nutzten. Das gab der Armeeführung die Möglichkeit die meuternden Schiffe in der Bucht von Cattaro einzukesseln. Den Revolutionären blieb nur noch die Kapitulation am 3. Februar um 8 Uhr morgens.
Das Regime antwortete mit einer beinharten Repression. 800 Matrosen wurden verhaftet, 40 von ihnen vor das Standgericht gebracht. Mit vier führenden Köpfen des Aufstandes machte man kurzen Prozeß: Franz Rasch, Anton Grabar, Jerko Sisgoric, Mate Bernicevic. Sie wurden am 11. Februar um 6 Uhr früh hingerichtet.
Entscheidend war auch, dass dieser Aufstand völlig isoliert blieb. Die Regierung verhängte natürlich einen sofortigen Informationsstop über dieses Ereignis. Erst im Oktober sollte die Öffentlichkeit davon erfahren. Die Matrosen hatten bis kurz vor der Kapitulation auf die Ausrufung von Solidaritätsstreiks gehofft. Vergeblich. Ihre Nachrichten konnten abgefangen werden.
Trotzdem hätte der Aufstand doch noch zu einem neuerlichen Flächenbrand werden können. Bei den Landstreitkräften in Cattaro diente damals gerade der Sozialdemokrat Julius Braunthal. Er schickte so schnell wie möglich einen Bericht an seine Frau, mit der Bitte, diesen an Otto Bauer weiterzugeben. Braunthal schrieb dazu folgendes: „Am 11. Februar war der Bericht in den Händen Otto Bauers … Noch am selben Tag begab sich Victor Adler mit Karl Seitz zum Kriegsminister. Seitz schilderte mir später die Unterredung: ‚Was soll das heißen?‘ fragte der General. ‚Sie werden doch nicht zum Streik aufrufen?‘ – ‚Dazu brauchen die Arbeiter keine besondere Aufforderung‘, bemerkte Adler. ‚Es wird vollkommen genügen, wenn ihnen erzähle, was sich in Cattaro zuträgt…'“
Der Minister versprach daraufhin, von weiteren Hinrichtungen abzusehen, was nicht schwer war, da man ohnedies bereits das beabsichtigte Exempel statuiert hatte. Adler gab sich damit zufrieden. Die Arbeiter-Zeitung sollte erst am 9. Oktober (!) über den Aufstand der Matrosen und die anschließende Repression berichten. Nicht einmal im Parlament, das seit 1917 wieder zusammentreten durfte, brachten die Sozialdemokraten diesen Fall vor. Dies blieb einem bürgerlichen Abgeordneten aus Slowenien vorbehalten.
Wenn man dann noch bedenkt, daß Otto Bauer im September 1917 gegenüber Braunthal meinte, in Österreich wären keine revolutionären Machtkämpfe möglich, weil „…weder unsere, geschweige denn die deutsche Armee, zeigt irgendein Anzeichen der Zersetzung“, dann braucht man wohl nicht mehr viele Worte über die Rolle der Sozialdemokratie im Zuge der österreichischen Revolution verlieren.
Anhang 6:
Die Konferenz von St. Egyden
St. Egyden im Föhrenwalde ist wahrscheinlich nur den wenigsten unserer LeserInnen ein Begriff. Hier wurde aber ein alles andere als unwichtiges Kapitel der Geschichte der Arbeiterbewegung geschrieben. Am 5. September 1917 trafen sich hier zwischen Wiener Neustadt und Neunkirchen, und zwar im Extrazimmer des Gasthauses Schwartz bei der Eisenbahnhaltestelle rund 35 Betriebsvertrauensmänner aus der Rüstungsindustrie des südlichen Niederösterreich aber auch aus Wien. Unter ihnen waren: Buchleitner, Wandera und Urbanek aus den Daimler-Werken, Richter, Zehnder, Tschochor vom Schoeller-Bleckmann-Werk in Ternitz, Wehdam aus der Wöllersdorfer Munitionsfabrik. Eine zentrale Rolle spielte bei dieser Sitzung Eduard Schönfeld aus Wiener Neustadt, der in seiner Funktion als Obmann des Metallarbeiterverbandes für die gesamte Südbahnstrecke, von Mödling bis zum Semmering, schon bei der Organisierung des Treffens einen wichtigen Beitrag geleistet hatte. Im Mittelpunkt des Treffens stand die Diskussion über zu ergreifende Maßnahmen zur Beendigung des Krieges. Man ließ auch keinen Zweifel daran, mit welchem Mittel der Frieden zu erreichen sei: Generalstreik! Um diesen vorzubereiten, mußte man sich enger vernetzen. Zu diesem Zweck wählte man dann auch ein siebenköpfiges Komitee.
Mit dieser Initiative stellte man sich auch ganz bewußt auf die Grundlage der Beschlüsse der Zweiten Internationale, die zum Beispiel 1907 beim internationalen Sozialistenkongreß in Stuttgart eine Resolution mit den folgenden Worten verabschiedet hatte: „Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen verpflichtet, alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern. Falls er dennoch ausbrechen sollte, sind sie verpflichtet, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunützen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.“