Der ägyptische Präsident Sisi empfiehlt „seinem“ Volk das Essen von Blättern, der österreichische Bundeskanzler stellt uns vor die Wahl des Alkohol- oder Medikamentenmissbrauchs. So reden die Vertreter der „Alten Regimes“ am Nil wie an der Donau. Das Neue entsteht im Widerstand der weltweiten Massenproteste gegen Teuerung und die Verknappung von Essen und Energie.
„Die Massen gehen in die Revolution nicht mit einem fertigen Plan der gesellschaftlichen Neuordnung hinein, sondern mit dem scharfen Gefühl der Unmöglichkeit, die alte Gesellschaft länger zu dulden.“
So verallgemeinert der russische Revolutionär Leo Trotzki die Lehren der Russischen Revolution von 1917. In dieser Ausgabe beschreiben wir die Erfolge der Massen in Lateinamerika. Keinen Platz finden leider die neue Massenbewegung in Libyen, die Massenproteste in Albanien und auch nicht der jetzt erzwungene Sturz des Präsidenten Sri Lankas durch den Sturm der Massen auf den Präsidentenpalast (und seinen Swimmingpool – wir grüßen die Badenden!).
Die gemeinsame Ursachen dieser Welle an (beginnenden) Revolutionen liegt in der Fäulnis des Kapitalismus. Eine Krise überlagert und vermischt sich mit der vorangegangenen. Die politischen Repräsentanten des Systems sind machtlos gegenüber den Widersprüchen ihres eigenen Systems, deren wichtigsten zwei der Nationalstaat und das Privateigentum an den Produktionsmitteln sind. Die globale Arbeitsteilung ist eine einzige Weltfabrik, der wir alle angehören. Organisiert ist sie nach dem Prinzip der ungezügelten Profitgier der Konzerne. Diese wiederrum instrumentalisieren die Nationalstaaten für ihre Interessensdurchsetzung. Das einzige Ziel dabei ist die private Aneignung des Reichtums, den die ArbeiterInnen weltweit produzieren. Machtverschiebungen in diesem Gefüge sind der Grund für Kriege, ebenso wie das monströse Nebeneinander von absurdem Reichtum und menschlicher Verelendung zum All-inclusive-Package des Kapitalismus gehört.
Diese Widersprüche können durch diesen oder jenen Politikansatz nicht grundlegend gelöst werden. Was die bürgerliche Politikerreichen kann, ist das Aufbrechen der Krisen und ihre Auswirkungen zu dämpfen – mit dem Resultat, dass sie später umso schärfer ausbrechen. Doch selbst hier verengen sich die Spielräume.
Ein erster wichtiger Wendepunkt war die Finanzkrise 2008, im Zuge deren Bewältigung die herrschenden Klassen aller Nationen in einer gemeinsamen Kraftanstrengung durch Schulden und Geldschwemme einen völligen Zusammenbruch der Weltwirtschaft verhinderten. Trotzdem löste diese Krise den „Arabischen Frühling“ aus, der in kürzester Zeit vier Diktaturen stürzte und von Marokko bis in den Iran zu Massenbewegungen führte.
Die Covid-Krise ab 2020 spitzte die Gegensätze zwischen den herrschenden Klassen weiter zu. Der wirtschaftliche Einbruch wurde in den imperialistischen Nationen durch neues Geld und neue Schulden bekämpft. Dies in Kombination mit dem tatsächlichen Einbruch der Produktion bildete die Grundlage der seit 2021 steigenden Inflation.
Der Ukraine-Krieg zeigt die wachsenden Spannungen zwischen den imperialistischen Staaten im Zuge der permanenten Instabilität und Krise. Eine Neuregelung der Einflusszonen in Osteuropa und dem Balkan steht seit zwei Jahrzehnten auf der Tagesordnung des Westens und die Herrscher Russlands verteidigen hier ihre eigenen imperialistischen Interessen.
Die herrschende Klasse Deutschlands sitzt hier zwischen allen Stühlen: Sie braucht gleichermaßen die billige russische Energie, die Ausweitung ihrer Einflusszone im Osteuropa, die wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen mit den USA, den Handel mit China und den Zusammenhalt der EU unter ihrer politischen Dominanz. Diese Gratwanderung versucht der deutsche Kanzler Scholz, dessen „progressives Projekt“ inklusive „feministischer Außenpolitik“ restlos im imperialistischen Kriegstreiben pulverisiert wird. Demgegenüber steht der feste Wille der USA und ihrer europäischen Vasallen (einige Staaten plus grüne und liberale Parteien), Russland um jeden Preis zu schwächen.
Die österreichische Regierung hat in diesem Ringen der Großmächte weder die ökonomischen, politischen noch die intellektuellen Voraussetzungen, um die sozialen Probleme, die jetzt auftreten, zu lösen. Daher stellt uns Bundeskanzler Nehammer vor die Alternative: Die EU (wer soll das sein?) wird’s lösen – sonst blieben uns nur Alkohol oder Psychopharmaka.
Tatsächlich droht eine gesellschaftliche Verarmung, wie wir sie in den reichen Ländern seit Generationen nicht mehr gekannt haben. Das ist nur ein gesellschaftlicher Aspekt der kapitalistischen Krise. Auf der anderen Seite bedeutet dies, dass es vorbei ist mit dem „sozialen Frieden“, dessen Inhalt schon bisher nichts anderes war als die schleichende Erosion des Lebensstandards bei gleichzeitiger Steigerung der Ausbeutung.
Trotzki erklärte den Prozess der Revolution folgendermaßen:
„Der unbestreitbarste Charakterzug der Revolution ist die direkte Einmischung der Massen in die historischen Ereignisse. In gewöhnlichen Zeitläufen erhebt sich der Staat (…) über die Nation; Geschichte vollziehen die Fachmänner dieses Handwerks: Monarchen, Minister, Bürokraten, Parlamentarier, Journalisten. Aber an jenen Wendepunkten, wo die alte Ordnung den Massen unerträglich wird, durchbrechen diese die Barrieren, die sie vom politischen Schauplatz trennen, überrennen ihre traditionellen Vertreter und schaffen durch ihre Einmischung die Ausgangsposition für ein neues Regime.“
Dies geschieht nicht als historischer Einakter, sondern mittels der „Methode sukzessiver Annäherungen“. Die Massen lernen durch ihre Erfahrungen in den Kämpfen und in ihren Niederlagen und gewinnen ein immer klareres Bild davon, welches Programm, welche Maßnahmen und welche politischen Organisationen gestärkt werden müssen, um das Leben wieder lebenswert zu machen.
In der vergangenen Ausgabe schrieben wir über Sri Lanka: „Das Hauptziel, Gotabaya Rajapaksa zu stürzen, ist jedoch noch nicht erreicht“ und benannten die konservative Haltung der Gewerkschaftsführer als zentrale Stütze für das alte Regime. Heute haben die Massen Colombos diese Leute beiseitegeschoben und den Präsidenten gestürzt.
Dasselbe sehen wir in Lateinamerika, wo die erste Welle der linken Regierungen und aufständischen Bewegungen der 2000er Jahre gescheitert ist, und die Massen nun entschlossener und klarer den Weg der Revolution betreten.
Selbst in Libyen, ein Land, dessen Revolution von 2011 im Bandenchaos und imperialistischer Intervention und Abhängigkeit erstickt wurde, haben es die Massen geschafft, wieder einen eigenständigen Standpunkt einzunehmen und gegen alle Exponenten der Ausbeutung und Unterdrückung aufzustehen.
Dies ist der Prozess der internationalen Revolution. Österreich ist ein reiches imperialistisches Land, was die Privilegierung und Einbindung von RepräsentantInnen der Arbeiterbewegung in das herrschende System sehr erleichtert. Auch diese Stabilität wird bald erschüttert werden. Die permanente Krise der traditionellen Parteien zeigt das Ende des Alten an, Inflation und drohende Energieknappheit werden das Ende des Klassenfriedens in Österreich bedeuten.
Die International Marxist Tendency, in Österreich Der Funke, kämpft für ein Programm, mit dem die kommenden Aufgaben des Klassenkampfes und der Revolution erfolgreich bewältigt werden können. Werde aktiv bei uns!
Wien, am 13.7.2022
Aus dem Inhalt
- Österreich
- Teuerung und Energiekrise: Regierung völlig planlos
- Die Angst der SPÖ vor sozialen Unruhen
- Betrieb & Gewerkschaft
- Herbstlohnrunde: Vollen Inflationsausgleich durchsetzen!
- Metaller kampfbereit
- Sozialbereich: Gemeinsam kämpfen statt „Alkohol oder Psychopharmaka“
- Erfolgreicher Streik bei REMUS in Bosnien!
- Militärisch begründete Arbeitspflicht
- Jugend
- Die bunte Seite der Arbeiterklasse
- Sommerticket für alle!
- Schwerpunkt
- Hararis kurze Geschichte der Zufälligkeiten, oder: Wie man die Welt nicht verändern kann
- In eigener Sache
- Fünfte Ausgabe des Theoriemagazins zum Amerikanischen Bürgerkrieg
- Sommerspendenappell
- Triff uns am Volksstimmefest 2022
- Gesellschaft
- Klassenkampf gegen Hungerkatastrophe und Krieg
- Dürre, Hunger, Wasserknappheit: Wir brauchen eine Revolution!
- „Fuck the Supreme Court“
- International
- Ecuador: Generalstreik gegen Teuerung
- Großbritannien: Klassenkampf kommt, Regierung geht
- Historischer Wahlsieg in Kolumbien
- Ukraine-Krieg: EU vor Zerreißprobe
Die Ausgabe ist um 2€ bzw. 5€ Solipreis erhältlich beim Funke-Verkäufer/der Funke-Verkäuferin eures Vertrauens und hier im Funke-Shop – auch als Online-Version. Abobestellungen können >>hier<< vorgenommen werden.