Leistungsdruck, schlechte Arbeitsbedingungen, heuchlerische Motivationsspiele des Chefs und Doppelbelastung. Eine Arbeiterin berichtet über den Irrsinn und die Probleme ihres Arbeitsalltags und zeigt auf, wie der Zorn der Belegschaft organisiert werden kann.
Seit wenigen Monaten arbeite ich jetzt schon in einem Vorarlberger Kleinbetrieb der Elektro- und Metallbranche. Bei meinem Vorstellungsgespräch erklärte mir die Geschäftsleitung, hier ginge es in erster Linie darum, dass wirklich jede Lampe perfekt wird, dafür nehme man auch gerne in Kauf, dass das etwas länger dauern kann. Dass das nur eine der vielen Prophezeiungen meines Arbeitgebers war, die ohne jeglichen Bezug zur Realität sind, wurde mir aber schnell klar.
Freitag muss es raus!
Grundsätzlich funktioniert bei uns alles nach demselben Schema: Am Freitag muss es raus. Dass wir dabei mit dem Billigsten vom Billigen arbeiten und es so gut wie nie vorkommt, dass man einen Auftrag abschließen kann, ohne dass irgendetwas dazwischen kommt, spielt dabei für die Geschäftsleitung keine Rolle. In die Planung der Arbeitsabläufe wird nicht die Möglichkeit einbezogen, dass jemand ausfallen könnte – auch nicht in Zeiten der Pandemie oder in den Wintermonaten.
Alle Kolleginnen und Kollegen sind konstant enormem Druck von verschiedensten Seiten ausgesetzt. Zum einen ist da der ständige Zeitdruck: Wenn man mal während der Arbeitszeit zum Arzt muss, ist das ein Ding der Unmöglichkeit, ohne sich mit der Geschäftsleitung darüber zu streiten, dass man den Termin ja auch auf den Nachmittag hätte legen können, und sollte das bei dem betreffenden Arzt nicht möglich sein, wäre ihnen sowieso recht, man würde gleich den Arzt wechseln. Dass die meisten Kolleginnen daheim auch noch einen Mann und Kinder haben, für die sie nach der Arbeit noch kochen, waschen und putzen müssen – ganz abgesehen von der Betreuung der Kinder, die jetzt noch immer teilweise im Home-Schooling sind – interessiert die Firma nicht.
Im Gegenteil: es werden Veranstaltungen wie beispielsweise gemeinsames Bowlen abends angeboten. Zwar sind diese freiwillig, wenn man an diesen allerdings nicht teilnehmen will, kann man damit rechnen, dass keine 5 Minuten später der Chef vor dem Arbeitstisch steht und wissen will, warum man denn keine Lust hat, auch noch den Freitagabend mit der Firma zu verbringen. Diese „freiwilligen” Veranstaltungen sind Teil des sogenannten Gesundheitsprojekts, dessen Ziel es ist, dass die Mitarbeiter gesund leben. Sollte man in allen Kategorien perfekt abschneiden, erhält man am Ende des Jahres eine Zulage von 820€ brutto sowie 180€ in Form von Gutscheinen. Falls man jedoch raucht, kein Abo im Fitnessstudio hat, nicht mindestens drei oder vier der außerbetrieblichen Veranstaltungen besucht, fällt schon einmal ein Großteil des ohnehin schon geringen Betrags weg. Sollte man dann noch mehr als ein paar Tage Krankenstand bezogen haben, gehen weitere 50% der Prämie flöten.
Das führt dazu, dass MitarbeiterInnen, die nicht die rosigste Finanzlage haben, auch mal krank arbeiten gehen, um keinen Abzug der Zulagen zu riskieren. Das setzt alle anderen MitarbeiterInnen einem hohen Risiko aus, ist aber nur im Interesse der Arbeitgeber. So werden die MitarbeiterInnen gezielt motiviert, ihren Körper und ihre Nerven auszubeuten, um selbst ein paar Euro mehr zu bekommen. Die Chefs selbst riskieren dabei kaum etwas und gewinnen viel.
Freche Chefs? Betriebsrat gründen!
Momentan sieht es so aus, dass man als MitarbeiterIn mit einem Problem oder einem Anliegen allein einer zweiköpfigen Geschäftsleitung gegenübersteht. Viele wissen nicht, wie sie sich gegen die ständigen Provokationen und Herabwürdigungen verteidigen können und werfen lieber gleich die Flinte ins Korn, als nochmal eine halbe Stunde zu diskutieren, nur um am Schluss mit einem „Tja, ist halt so” oder einem höhnischen „Wir müssen froh sein, dass wir Arbeit haben“ entlassen zu werden.
Wir haben keinen Betriebsrat, weshalb die Chefs mit so gut wie allem durchkommen: Es gibt ja keine Vertretung für die KollegInnen. Mit einem Betriebsrat wäre die Situation eine völlig andere. Ein Betriebsrat würde uns die Möglichkeit geben, gemeinsam für unsere Interessen einzustehen, anstatt uns immer nur die Interessen der Geschäftsleitung aufdrücken lassen zu müssen.
Die Chefs würden sich zweimal überlegen, ob sie einen blöden Kommentar abgeben wollen, und Versprechen wie eine Stempeluhr im Pausenraum oder Tische, die auf die richtige Höhe eingestellt werden, könnten endlich durchgesetzt werden. Außerdem müssten die Chefs uns dann in Entscheidungen, die uns alle angehen, wie die Regelung der Arbeitszeiten oder die nächsten Investitionen, einbinden – kurz: wir hätten ein Mittel, der Geschäftsführung etwas entgegenzusetzen. Dafür brauchen wir eine starke und solidarische Einheit für den Betriebsrat und den Mut und die Energie aller.
Wer nicht kämpft, hat schon verloren.
(Funke Nr. 192/17.3.2021)