Die Frage nach der Entstehung des Lebens ist eine Frage, die den Menschen seit Jahrhunderten beschäftigt. Von Vincent Angerer.
Der große antike Gelehrte Aristoteles meinte, dass das Leben spontan aus anorganischer Materie entstanden sei. Er erklärte dies am Beispiel des spontanen Entstehens von Maden in verwesendem Fleisch. Die Wissenschaft widerlegte diese Theorie Jahrhunderte später und bewies, dass der Verwesungsprozess durch mikroskopische Lebensformen verursacht wird. Damit schien die spontane Kreation des Lebens widerlegt. Doch bewies das Miller-Urey-Experiment von 1952, dass unter spezifischen Bedingungen aus anorganischen Stoffen die Bausteine des Lebens hergestellt werden konnten. Friedrich Engels antizipierte dieses Ergebnis bereits im 19. Jahrhundert. Die Wissenschaft kehrte also auf höherer Ebene zur Theorie von Aristoteles zurück.
Das Experiment von 1952 bewies, dass unter gewissen Bedingungen aus „toter Materie“ Aminosäuren entstehen können. Aminosäuren sind die Bausteine von Proteinen und damit auch von Leben. Wenn wir eine Zeitreise durch die Geschichte unseres Planeten vornehmen, dann finden wir vor 3,7 Milliarden Jahren, zu der Zeit als das Leben auf unserem Planeten entstanden sein muss, komplett andere Bedingungen als heute. Die Erde war von großen Ozeanen bedeckt und es gab noch keine Atmosphäre, wie sie heute besteht. Ultraviolette Strahlen prallten direkt auf die Erdoberfläche. Dort konnten sich die vorhandenen chemischen Elemente, durch das Einwirken der Strahlung zu komplexeren Verbindungen, zu Aminosäuren entwickeln.
Die unscheinbare Rolle der Viren
Wie aus diesen organischen Substanzen nun allerdings Leben entstanden ist, dass sich selbst fortpflanzen kann, ist noch nicht vollständig geklärt. Ab einem gewissen Punkt haben sich Zellen entwickelt, in denen sich die nötigen genetischen Informationen in Form von DNS oder RNS befinden. Doch Zellen sind bereits sehr komplexe Dinge. Es ist wahrscheinlich, dass sich zwischen der belebten und der unbelebten Materie noch etwas befunden hat. An dieser Stelle kommen die Viren ins Spiel. Viren, wie wir sie heute kennen, lösen in der Biologie weitreichende Debatten aus. Einerseits fehlt Viren das grundlegende Merkmal des Lebens sich eigenständig fortpflanzen zu können. Um sich zu reproduzieren, brauchen sie eine fremde Zelle, die sie infiltrieren und sie dazu bringen mehr Viren zu produzieren. Dadurch nehmen sie andererseits aber an einer biologischen Reproduktion teil.
Viren liegen also an der Grenze zwischen belebter und unbelebter Materie. Gewissermaßen sind sie sowohl unbelebt als auch lebendig. Es zeigt sich, dass die beiden Gegensätze von „tot“ und „lebendig“ in Wahrheit nicht unversöhnbare Pole sind, sondern Gegensätze, die eine Einheit bilden. Wie bereits Engels erkannte:
„Die Dialektik, die ebenso keine hard and fast lines, kein unbedingtes allgültiges Entweder- Oder! kennt, die die fixen metaphysischen Unterschiede ineinander überführt und neben dem Entweder-Oder! ebenfalls das Sowohl dies-wie jenes! an richtiger Stelle kennt und die Gegensätze vermittelt, ist die einzige ihr in höchster Instanz angemeßne Denkmethode.“
VirologInnen streiten sich darüber, ob Viren nun lebendig sind. Selbst das Pearson Biologie Lehrbuch – das Standardwerk der Biologie – nimmt dazu nicht eindeutig Stellung. Die Autoren schreiben, dass einerseits Viren nicht lebendig sind, nur um einen Absatz später zu erklären, dass sie doch „ein geborgtes Leben“ führen.
Viren in der Evolution
Viren sind wesentlich einfacher strukturiert als Zellen. BiologInnen stellen sich also die Frage, wann Viren entstanden sind. Tatsächlich datieren neue Forschungsergebnisse die Entstehung von Viren immer früher in die Evolutionsgeschichte zurück. Vor allem die Entdeckung der Mimiviren stellt die Forschung vor einen Widerspruch. Mimiviren sind weitaus größer als gängige Viren, besitzen mehr Gen-Material und haben die Fähigkeit selbst Proteine herzustellen. Woher diese Viren all diese seltsamen Fähigkeiten haben? Die interessanteste und überzeugendste Antwort wird von dem amerikanisch-russischen Biologen Eugene Koonin vertreten.
Er argumentiert, dass es vor den Zellen eine ganze Entwicklungsstufe von virusähnlichen Organismen gegeben hat, aus denen sich auch die modernen Viren entwickelt haben. Diese urzeitlichen virusähnlichen Organismen hatten mehr Fähigkeiten als die heutigen Viren, sie konnten sich selbst fortpflanzen, aber waren doch weitaus einfacher strukturiert als moderne Zellen. Jene Organismen, die sich am effizientesten reproduzierten, entwickelten sich zu Zellen. Jene Organismen, die sich nicht effizient reproduzieren konnten, begannen sich auf jene neuen Zellen zu stürzen, um ihre Effizienz in der Reproduktion für sich selbst zu nutzen. Dabei degenerierten sie und verloren die Fähigkeit sich selbst zu reproduzieren. Sie entwickelten sich über die Jahrmillionen zu dem, was wir heute als Viren kennen.
Die besonderen Eigenschaften von Mimiviren sind also evolutionäre Überbleibsel, die darauf schließen lassen, wie das Leben vor den Zellen aussah. Koonan selbst erklärt in einer Veröffentlichung, dass der Fehler der meisten VirologInnen in der Annahme liegt, dass Viren immer schon Viren waren, also parasitäre „Halblebewesen.“ Konnan hingegen zeichnet sich durch sein dialektisches Verständnis aus, die Bewegung und die Wandlung von Viren zu verstehen. Das ist kein Zufall, Koonan bezieht sich in einem seiner Papers auf den Biologen JBS Haldane, der 1928 als erster diese Theorie aufgeworfen hat. JBS Haldane war sein Leben lang Marxist, der sich tiefgehend mit dem Einfluss des dialektischen Materialismus in der Wissenschaft beschäftigt hat.
Der Mensch
Es ist ein Zufall, dass unser Planet gerade in der richtigen Entfernung zu der Sonne liegt. Doch als sich dieser Planet erst einmal gebildet hatte und unter weiteren günstigen Bedingungen, wie dem Abkühlen der Erdoberfläche, gigantische Ozeane entstanden sind, die „Ursuppe,“ wich die Möglichkeit der Unvermeidbarkeit und das Leben entstand. Auch in der Entwicklung des Menschen zeigt sich dieses Verhältnis von Zufall und Notwendigkeit. Es ist ein Zufall, dass die globalen Umweltveränderungen vor einigen Millionen Jahren gerade dazu führten, dass eine Gruppe von urzeitlichen Affen die Wälder verließ. Doch hinter diesem Zufall steht die allgemeine Notwendigkeit von Leben sich seiner Umgebung und seinen Lebensbedingungen immer klarer bewusst zu werden – eine Entwicklung, die früher oder später über das Entstehen der Nervenzelle zum Bewusstsein führen musste. Die Entwicklung der Proto-Affen hin zum bewussten, menschlichen Leben führte über die Entwicklung des aufrechten Gangs der Proto- Affen, wodurch die Hand befreit wurde. Die Befreiung der Hand spielte eine ausschlaggebende Rolle in der Entwicklung des Menschen. Da nicht mehr das ganze Gewicht des Körpers auf ihr lastet, wird sie feinfühliger, sie wird ausdifferenziert, geschickter. Die befreite Hand ermöglicht es dem Menschen komplexere Werkzeuge zu schaffen. Mit der Arbeit und dem Schaffen von stets aufwändigeren Werkzeugen wird die Hand abermals komplexer. Als Folge dieser Entwicklung schwoll auch das Gehirnvolumen an. Denn durch das Schaffen immer komplexerer Werkzeuge muss der Mensch ein immer klareres Bewusstsein ihrer Zwecke, ihrer planmäßigen Anwendung entwickeln. Er muss abstrakt denken. Karl Marx schrieb dazu im „Kapital“ (Band 1):
„die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigene Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur.“
Dieser Prozess folgt klaren Gesetzen und Notwendigkeiten, so ist es etwa kein Zufall, dass der Mensch, wie alle größeren Tiere, gerade zwei Augen und nicht 3 oder 16 hat. Zwei Augen sind notwendig für Tiefenwahrnehmung und Navigation.
Der Mensch ist also überhaupt erst in einem Prozess der Wechselwirkung mit der Natur entstanden. Er beginnt damit seine Lebensmittel nicht nur direkt zu konsumieren, wie es Tiere tun, sondern beginnt sie planmäßig zu produzieren. Die frühesten Strukturen von Menschen waren nomadische Jäger- und Sammlergemeinschaften. In der immer aufwändigeren Produktion der Lebensmittel differenzieren sich die Beziehungen der Menschen aus, das Leben wird komplexer. Die Sprache bildet sich heraus, da es notwendig wird komplexe Inhalte weiterzugeben. Die Menschen hatten sich immer mehr zu sagen. Da die Menschen allem voran essen und trinken müssen, liegt die Grundlage ihrer Existenz in der Entwicklung der Techniken ihrer Ernährung, die Produktivkraftentwicklung beginnt. Dazu treten die Menschen in verschiedene Verhältnisse zueinander, mit der Sesshaftwerdung und dem erstmaligen Entstehen eines Überschusses an Lebensmitteln tritt die Entwicklung in eine neue Phase. Zum ersten Mal ist es materiell möglich, dass ein Teil der Bevölkerung von der körperlichen Arbeit befreit wird. Die geschichtliche Entwicklung der Gesellschaft beginnt mit dem gemeinschaftlichen Eigentum an Produktionsmitteln. Veränderungen in der Produktion und Reproduktion des Lebens bringen das Privateigentum an den Produktionsmitteln hervor. Der höchste Ausdruck der Produktion unter den Bedingungen des Privateigentums ist der Kapitalismus. Der Sozialismus, die nächste historische Phase, wird eine Rückkehr zu den urkommunistischen Verhältnissen auf höherer Ebene sein, angereichert durch die immense Produktivkraftentwicklung des Kapitalismus.
Auch die Geschichte der menschlichen Gesellschaft folgt gewissen Gesetzen und Notwendigkeiten. Der widersprüchliche Grundcharakter von Bewegung und Entwicklung wird auch hier deutlich. So war es etwa ein Zufall, dass die Bastille gerade am 14. Juli 1789 gestürmt wurde. Es hätte auch genauso gut am 13. oder am 15. passieren können. Doch in diesem Zufall drückt sich eine Notwendigkeit aus – die Notwendigkeit der Überwindung des Feudalismus, der Privilegien des Adels und der engen Beschränkung der Produktivkraftentwicklung. Auch die Ermordung Franz Ferdinands am 28. Juni 1914 war ein Zufall, sie hätte genauso gut missglücken können. Doch auch hier drückt sich eine Notwendigkeit aus: die Entwicklung der Produktivkräfte waren an die engen Schranken des Nationalstaates gestoßen und drängte über diese hinaus. Die Welt war bereits durch den Imperialismus aufgeteilt, und so konnten die einzelnen kapitalistischen Länder ihre Ökonomien nicht mehr weiterentwickeln. Es fehlte nur ein Tropfen, der das gesamte Fass zum Überlaufen bringen würde, durch den sich die unterliegende Notwendigkeit ausdrücken würde. Und ein solcher Zufall wurde gefunden.
Der neuartige Corona-Virus
Auch dass der neuartige Corona-Virus, Sars-Cov-2, gerade vergangenes Jahr mutiert ist und die von Mensch zu Mensch übertragbare Lungenkrankheit Covid-19 verursachte, ist ein Zufall. Dafür war eine spezifische Verkettung einzelner Ereignisse notwendig. Das Virus, das mit sehr großer Wahrscheinlichkeit seinen Ursprung in Fledermäusen hat, die aufgrund ihrer hohen Körpertemperatur im Flug wahre Brutkästen für besonders resistente Viren sind, ist an irgendeinem Punkt auf den Menschen übergesprungen. Doch gleichzeitig unterliegt diesem Zufall eine gewisse Notwendigkeit. Covid-19 ist nur die jüngste Addition einer langen Liste von sogenannten zoonotischen Krankheiten, also Krankheiten, die von Tieren auf den Mensch übertragen werden.
Tatsächlich sind etwa 60 Prozent aller Viren zoonotisch, wobei eine Reihe besonders infektiöser Viren wie Ebola, MERS, SARS erst in den letzten 50 Jahren aufgekommen sind und wohl von Fledermäusen auf Menschen übertragen wurden. Das ist auf den rasanten Bevölkerungsanstieg und den ebenso starken Anstieg an Umwandlung von Wald in landwirtschaftlich nutzbare Flächen zurückzuführen. Zwischen 1980 und 2020 wurde allein in den Tropen mehr als 150 Millionen Hektar Land auf diese Art gewonnen. Durch das Vorstoßen der Landwirtschaft und der Viehzucht in Lebensräume von Fledermäusen kommt es dazu, dass durch Kot oder Ausscheidungen Viren auf Zuchttiere übergehen und dadurch unter Menschen verbreitet werden.
Anarchie des Wettkampfes
Das Problem ist, dass die Nutzbarmachung von Land auf eine völlig chaotische und unplanmäßige Art und Weise passiert, was wiederum dem kapitalistischen Produktionsmodus entspricht. Die Arbeitskraft ist für das Kapital vor allem eines – ein Mittel um Profit zu machen. Das Kapital hat ein Interesse daran, die Arbeitskraft arbeitsfähig zu halten, spart allerdings an allen Ecken und Enden. Die Sorge um Ernährung, Erziehung, Gesundheit, wird im Kapitalismus großteils privat erledigt. Anstelle eines zentralen Ernährungsplans, der einen vernünftigen, gesunden Umgang mit Nahrung organisiert, ist der Großteil der Arbeiterklasse gezwungen privat für die eigene Ernährung zu sorgen. In China etwa, wo in den letzten Jahrzehnten eine gigantische Arbeiterklasse entstanden ist, haben sich riesige Garküchen und Straßenimbisse entwickelt, die preiswert die Massen von ArbeiterInnen ernähren. Auf gesunde Ernährung, die nicht nur gegen Infektionskrankheiten sondern auch Gefäßkrankheiten vorbeugen würde, wird aus Profitinteresse nicht geachtet.
Bereits Marx hatte ein sehr scharfes Auge für diese Tendenzen und schrieb im „Kapital“ darüber, wie sich die Körpergröße von Soldaten im Zuge der Industrialisierung und der Lohnarbeit verkleinerte. Nicht nur das, Marx sprach bereits darüber, dass die blinde Raubgier der Bourgeoisie zu regelmäßigen Epidemien führte: „Dieselbe blinde Raubgier, die in dem einen Fall die Erde erschöpft, hatte in dem andren die Lebenskraft der Nation an der Wurzel ergriffen. Periodische Epidemien sprachen hier ebenso deutlich als das abnehmende Soldatenmaß in Deutschland und Frankreich.“
Dialektik
In all den vorangehenden Ausführungen zeigt sich, dass die Entwicklung und Bewegung der Materie gewissen Gesetzen, gewissen allgemeinen Bewegungsabläufen folgt. Überall gibt es ähnliche Prozesse: Die urzeitlichen Viren-ähnlichen Organismen stellen einen großen Schritt vorwärts gegenüber der unbelebten Materie dar. Doch die weitere Entwicklung stuft einen Teil von ihnen zurück zu den parasitären Viren, die wir heute kennen, scheinbar geht die Entwicklung wieder zurück zur unbelebten Materie. Doch dies ist keine einfache Wiederholung, sondern eine Wiederholung auf höherer Ebene. Neben den parasitären Viren sind hochkomplexe Zellen entstanden, an die die Viren gebunden sind. Der anfängliche Ausgangspunkt wird also verneint, nur um auf höherer Ebene wieder zurückzukommen. Das ist ein allgemeiner Ablauf der Dinge im Universum, die Dialektik bezeichnet ihn als „Negation der Negation.“ Auch in der Wissenschaftsgeschichte der These rund um die Entstehung des Lebens ist dieser Prozess zu erkennen, die Wissenschaft ist nach einer Negation der anfänglichen These von Aristoteles wieder zu ihm zurückgekommen, allerdings auf höherer Ebene, angereichert durch ein großes Maß an Erkenntnis. Selbst in der Entwicklung der Gesellschaft sehen wir eine Negation. Der ursprüngliche gemeinschaftliche Besitz an den Produktionsmitteln wird negiert durch das Privateigentum. Der Sozialismus wird das Privateigentum negieren und zum früheren Zustand zurückkehren.
Der Grund für all diese Ähnlichkeiten bei auf den ersten Blick völlig verschiedenen Prozessen liegt im widersprüchlichen Grundcharakter der Materie. Lange haben die Philosophen darüber reflektiert, wie es sein kann, dass die Materie als doch so starres Ding bewegt ist. Die Antwort darauf ist, dass die Materie selbst widersprüchlich ist, dass in jedem existierenden Ding entgegengesetzte Tendenzen wirken. Die Atome, aus denen letztlich alles, was wir um uns sehen, erschaffen ist, bestehen aus positiv und negativ geladenen Teilchen, sie sind also immer im Widerstreit miteinander. Überhaupt verkehrt sich im Universum alles früher oder später ins Gegenteil. Wirkung verkehrt sich in Ursache und Ursache in Wirkung. Das Leben konnte auf der Erde aufgrund der durchlässigen Atmosphäre, die das notwendige ultraviolette Licht durchgelassen hat, entstehen. Doch entwickelten sich bald riesige Algenteppiche auf der Ursuppe, die Unmengen an Sauerstoff freisetzten und jene Atmosphäre schufen, die wir heute haben. Dadurch konnten neue Organismen entstehen, die eine sauerstoffreiche Atmosphäre brauchen. Das Leben wurde also selbst zur Ursache von neuem Leben.
Wie wir gesehen haben, sind Gegensätze keine unversöhnbaren Dinge, sondern durchdringen sich, bilden eine Einheit. Selbst Leben und Tod bilden eine Einheit, wie wir bei den Viren sehen. Organismen, die aus mehreren Zellen bestehen, konnten sich nur dadurch entwickeln, dass die einfachen Zellen absterben und neue gebildet werden können. Das Alte weicht dem Neuen. Dies ist durch Mutation, durch die Veränderung von Zellen oder eben den Tod alter Zellen und das Entstehen von neuen Zellen möglich. Auch die Zellen von uns Menschen verändern sich, sterben ab, werden neu gebildet. Das ist das Geheimnis des Lebens. Wie Engels sagt ist „die Negation des Lebens als wesentlich im Leben selbst enthalten, so daß Leben stets gedacht wird mit Beziehung auf sein notwendiges Resultat, das stets im Keim in ihm liegt, den Tod. Leben heißt Sterben“ (Engels, Dialektik der Natur).
Der grundlegende Charakter aller Bewegung ist der Widerspruch. Lenin drückte diese Erkenntnis besonders scharf aus: „Identität der Gegensätze bedeutet Aufdeckung widersprechender, einander ausschließender, gegensätzlicher Tendenzen in allen Erscheinungen und Vorgängen der Natur (darunter auch des Geistes und der Gesellschaft). Bedingung der Erkenntnis aller Vorgänge in der Welt in ihrer ‚Selbstbewegung‘, in ihrer spontanen Entwicklung, in ihrem lebendigen Leben ist die Erkenntnis derselben als Einheit von Gegensätzen“ (Lenin, Philosophische Hefte). Nur wenn wir die Geschichte und die Entwicklung der Dinge so fassen, wie sie sich tatsächlich in all ihrer Widersprüchlichkeit vollziehen, können wir ein klares Bild der Wirklichkeit erlangen. Auch Zufall und Notwendigkeit können nur in ihrem ständigen Widerstreit, in ihrem konstanten Konflikt gefasst werden. Gleichzeitig durchdringen sie sich gegenseitig, der Zufall widerlegt nicht die Notwendigkeit, sondern ist im Gegenteil seine Bedingung. Die Notwendigkeit wiederum ist, wie Engels einmal sagte, „die natürliche Auslese der Zufälle.“
Auch beim Vorstoß der Lebensmittelindustrie in den Lebensraum von Fledermäusen zeigt sich dieses dialektische Verhältnis von Zufall und Notwendigkeit. Die Vorstöße der Lebensmittelindustrie haben die nötigen Bedingungen geschaffen für neue Zoonosen. Solange diese Bedingungen nicht verändert wurden, war es nur eine Frage der Zeit, bis sich die Notwendigkeit im Zufall ausdrücken würde und neuen Viren entstehen. Vor diesem Szenario warnten auch zahlreiche virologische Veröffentlichungen, die teilweise sogar dezidiert von der Gefahr der Mutation eines neuen Sars-Corona-Virus sprechen. Selbst an Impfungen gegen einige Corona-Viren wurde nach der SARS-Epidemie gearbeitet – bis diese nicht mehr finanziert wurden, weil ein Impfstoff nicht profitabel genug schien.
Der dialektische Materialismus befähigt uns die Dinge in der Ganzheit ihrer widersprüchlichen Entwicklung zu sehen und die Notwendigkeiten zu erkennen. Unseren Ursprung in unbelebter Materie und die Rolle von Viren in der Evolution zu verstehen, zeigt nur die Bedeutung des Bewusstwerdens von Materie im Menschen. Dieses Wissen bringt uns dem Universum viel näher, indem wir uns selbst als Teil ebenjenes fassen. Viren sind an sich nichts Schlechtes, viele von ihnen können wir uns sogar dienstbar machen, indem wir immer besser lernen auf die Natur einzuwirken und gezielt Viren einsetzen, die Krankheiten angreifen. Sogenannten Bakteriophagen sind Viren die Bakterien zerstören können.
Der Grund dafür, dass wir uns in der aktuellen Epoche immer mehr als Fremde im eigenen Körper fühlen, dass wir uns von unserer Umwelt und unseren Tätigkeiten entfremden, ist nicht die Bedeutungslosigkeit des Menschen oder die Indifferenz des Universums. Im menschlichen Geist wird sich erstmals die Materie ihrer selbst bewusst, eine gewaltige Revolution kosmischen Ausmaßes. Nein, den Grund für unsere Entfremdung und auch für den aktuellen Corona-Virus müssen wir in unseren Produktionsverhältnissen suchen, im Kapitalismus. Die Profitgier gefährdet unsere Gesundheit und nimmt uns allen die Freude am Leben, dieser unglaublichen Erfahrung. Enteignen wir die KapitalistInnen und schaffen wir eine demokratische Planwirtschaft unter Kontrolle der arbeitenden Menschen selbst, dann wird uns kein Virus etwas anhaben können und jenem galaktischen Abenteuer des Entstehens von bewusster Materie im Universum werden keine Grenzen mehr gesetzt sein!
(Funke Nr. 183/27.4.2020)
Buchtipp:
Alan Woods, Ted Grant; Aufstand der Vernunft
Alan Woods und Ted Grant legen mit ihrem Buch „Aufstand der Vernunft“ eine kritische Bestandsaufnahme der modernen Naturwissenschaft vor und appellieren dafür, sie anhand der materialistisch-dialektischen Methode des Marxismus zu betrachten.
Promedia Verlag, 2002
Taschenbuch
ISBN 3-85371-197-9