Eigentlich wollte ich einen anderen Leserbrief schreiben. Darüber wie es ist, als Behinderter mit gefördertem Arbeitsplatz. Wie viel die Firma für einen tut, so etwas wie raushauen wenn man wegen der harten Arbeit und einer schwierigen Privatsituation, nebst bekannter Behinderung und psychischen Problemen doch mal lange im Krankenstand ist. Aber das ist jetzt erst mal passé. Das Virus ist jetzt wichtiger.
Es geht nicht mehr bloß um mich oder meine Mitbehinderten (was ohnehin nicht stimmt, weil es auch weitere Implikationen gehabt hätte).
Jetzt sind wir alle am Arsch. Die Hunderttausend neuen Arbeitslosen in den ersten vier Tagen diese Woche sind erst der Anfang. Jetzt geht’s der Industrie an den Kragen. Zwar hätten unsere Chefs gern gehabt, dass wir normal weiterarbeiten. Der Vorsitzende der Industriellenvereinigung, Kapsch hat ja noch unlängst darüber schwadroniert, dass das mit dem Virus eine „Absurde Hysterie“ sei. Dieser dürfe man nicht nachgeben, die Industrie werde weiter laufen. Zwei Wochen ist das her, am 08.03. im Standard.
Es war Anfang März, als Corona auch für andere Kollegen ein Thema geworden ist. Ich komme normalerweise mindestens eine halbe Stunde früher zur Arbeit, wegen Kaffee und nervöser Störung. Da sind dann natürlich auch die Kollegen der anderen Schicht noch da. Zum ersten Mal hat da die einzige Frau in unserer Abteilung etwas dazu gesagt. Ihr waren die Sorgen schon anzuhören.
Aber alle haben dann, auch danach noch, nur beschwichtigt. Im Sinne, klar, es treffe die Alten und auf die müsse man schon schauen, aber wir? Es hat niemand gemeint es werde etwas auf uns zu kommen.
Die Woche darauf waren dann schon Versammlungen verboten, Tirol offensichtlich ein Seuchenherd.
Bei uns haben sie dann angefangen. Zwei Ständer mit Desinfektionsmittelspender, im Hof haben sie den Pausenplatz gesperrt. Das war es erst mal für die Woche, ein Hinweiszettel noch, man solle die Hygienemaßnahmen einhalten, und fertig.
Sorgen haben sich die Kollegen dann auch erst darüber gemacht, dass es eine Ausgangssperre geben könnte. Und praktisch jeder hat die Sache mit den Abständen oder der Distanz nicht sehr ernst genommen.
Das hat einen guten Grund. Bis es auch in Österreich zu spät war hat keiner, kein Chef, kein Politiker, aber vor allem auch kein Gewerkschafter oder Betriebsrat einen ernsthafter Kommentar zu Corona verlauten lassen. Und ja, Veranstaltungen über hundert Menschen zu verbieten (während in den Fabriken, Geschäften und anderen Arbeitsplätzen Dutzende, ja Hunderte sich versammeln ist ein Witz) und Schulen zu schließen ist halt eine halbe Sache. Wen soll es also wundern, dass viele Arbeiter eher über Klopapier und Memes reden als über die ernsten Konsequenzen.
Es sind sich dann aber doch alle mit denen ich geredet habe einig gewesen, dass alle Maßnahmen nichts bringen, wenn man uns weiter arbeiten lässt, alles weiter läuft. Und dass man das halt ändern müsste. Am Freitag dann sind die ersten ernsthafteren Maßnahmen im Betrieb angekündigt worden. Erst fünf Minuten vor Arbeitsbeginn rein gehen, eine viertel Stunde vorher draußen sein. That’s it.
Zehn Minuten in denen sich zwei Schichten aneinander vorbei quetschen. Echt jetzt? Das macht die Sache gar noch lachhafter. Ich habe dort Leute gesehen, aus anderen Abteilungen, die mir sonst nie über den Weg laufen würden.
Das war diese Woche.
Dann ist die Sache aber schnell ernster geworden. Noch Anfang Woche war es dann so weit. Drei Monate Kurzarbeit. Das ist schon ein Stück ernster als eine Ausgangssperre, die für uns Fabrikler nichts bedeutet. Von dort an war ein bisschen mehr Ernsthaftigkeit in den Gesprächen. Die Kollegen fragen sich schlicht, wie sie mit zwanzig Prozent weniger durchkommen sollen. Auf einmal ist jedem klar: danach ist es nicht mehr wie vorher.
Während unseren Chefitäten das Ganze wie ein Gottesgeschenk vorkommen muss. Haben sie doch schon vor Monaten die Überstunden gestrichen und nach und nach Mitarbeiter gekündigt. Ohne die Kurzarbeit, eine Folge des Coronavirus, wäre unsere Firma sicher gegen die Wand gefahren. Das haben sie sich gut ausgerechnet. Für drei Monate, in denen wir achtzig Prozent arbeiten hat die Firma kaum noch Kosten. Na das ist doch was.
Argumentiert wird das aber natürlich nicht vorderhand mit der desaströsen Situation der Firma wie sie davor schon da war, sondern mit dem Coronavirus. Zwei Wochen haben wir erst mal frei. Juhu, Zwangsurlaub. Und dann? Machen wir wieder Coronaparty?
Damit ist zu rechnen, und wie in Italien, wo sie erst jetzt, nach tausenden Toten, tatsächlich alle Betriebe schließen, sollten die nicht unbedingt nötig sind, so wird es uns treffen. Wir produzieren nichts, das unbedingt nötig ist in dieser Situation. Ein Grauen, mehr noch für die Alten und Kranken als für uns.
Deshalb werde ich, auch wenn ich den Job echt brauche, nach diesen zwei Wochen vor allem eines tun: dafür eintreten, dass wir dicht machen, ODER, dass wir wenigstens die Produktion auf etwas umstellen, das es dieser Tage wirklich braucht.