Die Coronakrise hat massive Auswirkungen auf die höchst komplexe kapitalistische Wirtschaft. Davon ist auch die Landwirtschaft stark betroffen. Die Regierung will dem mit Appellen an die nationale Einheit beikommen.
Die wirtschaftlichen Prognosen deuten auf eine Weltwirtschaftskrise unvorstellbaren Ausmaßes hin. Das Coronavirus war aber nicht die Ursache, sondern nur der Auslöser dieser Krise, deren Ausbruch aufgrund der systemimmanenten Widersprüche des Kapitalismus nur noch eine Frage der Zeit war. Einige Sektoren werden durch die Pandemie und ihre gesellschaftlichen Folgen jedoch mit voller Wucht und unmittelbar getroffen. Das Notfallmanagement hat zu einer Schließung der gesamten Gastronomie geführt und die Grenzschließungen schränken den Personenverkehr massiv ein. Beides bringt die österreichische Landwirtschaft in eine äußerst schwierige Lage.
Durch die Schließung der Gasthäuser und Restaurants fällt ein wichtiger Abnehmer landwirtschaftlicher Produkte weg. Bei gewissen Produkten (Spargel, Erdbeeren), die in den nächsten Wochen und Monaten geerntet werden müssen, geht normalerweise ein Drittel direkt an die Gastronomie. Dieses Geschäft ist mit ziemlicher Sicherheit verloren, vor allem wenn der Shutdown nach Ostern verlängert wird.
Derzeit versuchen die landwirtschaftlichen Betriebe trotzdem die Ernte zu sichern, damit nicht alles auf den Feldern verfault. Aber wer soll diese Erntearbeit verrichten?
Noch vor einigen Jahrzehnten hat der Bauer unter Einsatz der Arbeitskraft seiner Familie einen großen Teil dieser Arbeit erledigt. In den Dörfern gab es damals oft noch genügend (meist weibliche) Arbeitskräfte, die bereit waren, für wenig Geld oder gar nur für ein paar Lebensmittel bei der Ernte mitzuhelfen.
Seit den 1970er Jahren machte die Landwirtschaft jedoch einen grundlegenden Umstrukturierungsprozess durch. Das Bauernsterben ist ein Fakt. Die kleinen Familienbetriebe werden von Jahr zu Jahr weniger. Von 368.000 bäuerlichen Betrieben im Jahre 1970 sind heute nur noch 160.000 übrig. Davon sind fast die Hälfte Nebenerwerbsbauern, wo also weniger als 50 Prozent der Gesamtarbeitszeit am eigenen Hof erfolgt und der Rest Lohnarbeit in der Fabrik, im Handel oder am Bau ist.
Die restlichen Betriebe haben nur noch wenig bis nichts mit der bäuerlichen Idylle zu tun, die uns die „Urlaub am Bauernhof“-Werbeprospekte vorgaukeln. Das sind mittlere bis größere kapitalistische Betriebe, in denen oft über 100 ArbeiterInnen tätig sind. Die Bauern stehen selbst kaum mehr am Feld oder im Gewächshaus, sondern sind oft nur noch die Geschäftsführer des Unternehmens oder bestenfalls als Aufseher vor Ort. Die Betriebsgröße lässt anderes auch gar nicht zu. Oft sind diese Bauern gar nicht mehr nur in einer Gemeinde aktiv, sondern haben Produktionsstätten in mehreren Orten, manchmal sogar in mehreren Bundesländern.
Die Erntearbeit wird seit Jahren fast ausschließlich von Billigarbeitskräften aus Osteuropa verrichtet. Anfangs wurden sie aus Ungarn, Polen, der Slowakei und Rumänien angeworben. Mit der Zeit holte man Arbeitskräfte auch aus Drittstaaten außerhalb der EU, weil sich in den unmittelbaren Nachbarstaaten immer weniger Menschen fanden, die zu so miserablen Bedingungen in Österreich arbeiten wollten. In den letzten Jahren kamen immer mehr Erntehelfer aus der Ukraine oder den Balkanstaaten.
Die Löhne sind angesichts der Arbeitsbelastung ein Hohn (Nettostundenlohn von 6-7 Euro, wobei nur allzu oft kollektivvertragliche Regelungen nicht eingehalten werden), die Unterkünfte überteuert und oft menschenunwürdig, die Behandlung durch die Bauern nicht selten ebenso (wir berichteten). Durch die Arbeit der von der Gewerkschaft PRO-GE unterstützten Sezonieri-Kampagne (www.sezonieri.at) sind sehr viele Details über die Missstände in der Landwirtschaft öffentlich geworden.
Verstöße gegen kollektivvertragliche Vereinbarungen, die Heranziehung von ErntehelferInnen zu anderen, nicht vereinbarten und genehmigten Arbeiten, Akkordlohn, unbezahlte Mehrarbeit, Verstöße gegen die Arbeitszeitregeln und Steuerhinterziehung sind weit verbreitete Praxis. Mehrmals konnten derartige Fälle vors Arbeitsgericht gebracht werden. Die Landwirte sitzen aber oft am längeren Ast, nicht zuletzt, weil die ErntehelferInnen keine österreichische Staatsbürgerschaft haben und leichter erpressbar sind. Eine dauerhafte Organisierung dieser ArbeiterInnen ist nicht zuletzt aufgrund der zeitlichen Befristung und der hohen Fluktuation sehr schwierig.
Aufgrund der Coronakrise bleiben diese Arbeitskräfte großteils aus. In Tirol sind nur 350 ErntehelferInnen gekommen, weitere 600 bis 800 würden gebraucht. Insgesamt fehlen der Landwirtschaft derzeit 5.000 ErntehelferInnen. Plötzlich sprechen die Vertreter der Landwirte in den Medien vom „Fachpersonal“, das man dringend suche. In der Praxis wird dieses Personal aber wie einst die Knechte und Mägde behandelt – als Untertanen, die nichts gelten und die man tunlichst verschweigt, weil ihre Arbeits- und Lebensbedingungen ein Hohn für eine moderne Gesellschaft sind.
Dieser Arbeitskräftemangel treibt komische Blüten. Die FPÖ fordert etwa, dass SchülerInnen, die in der Klimastreikbewegung aktiv sind, jetzt auf den Feldern arbeiten sollten. Die zweite Gruppe, die aus der Sicht der „besorgten Bürger“ für die Drecksarbeit in Frage komme, sind „Asylwerber“.
Die Regierung appelliert in dieser zugespitzten Situation an die nationale Einheit und bemüht die Ideologie vom „Team Österreich“. Über eine Online-Plattform werden „Lebensmittelhelfer“ gesucht. Sorgt das Virus in Zukunft auch für Ausfälle in tierhaltenden Betrieben, sollen SaisonarbeiterInnen auch hier eingesetzt werden. Entlohnt wird nach Kollektivvertrag, sprich zu Löhnen, von denen man beim besten Willen nicht leben kann. Aber nur aus patriotischer Verbundenheit zu rot-weiß-roten Lebensmitteln wird diese Arbeit kaum jemand machen.
Angesichts des massiven Anstiegs der Arbeitslosigkeit wird es aber wohl genügend Menschen geben, die sich gezwungen sehen, selbst unter diesen Bedingungen am Feld zu schuften. In vielen Fällen werden gerade diejenigen einspringen, die bereits Erfahrungen mit prekärer Beschäftigung haben und die aufgrund der „Ausländergesetze“ wenig Alternativen sehen. Genau darauf scheint der Staat abzuzielen. So haben wir erfahren, dass der „Fonds Soziales Wien“ die Grundversorgungskooperationspartner bittet, „körperlich fite und gesunde“ AsylwerberInnen für die Erntehilfe in Niederösterreich anzuwerben. In dem uns vorliegenden Schreiben wird ein Anforderungsprofil angeführt, Informationen über die Bezahlung oder kollektivvertragliche Rechte fehlen jedoch.
Eine Hebung der Löhne und Verbesserung der Arbeitsbedingungen wollen sich die Landwirte jedenfalls nicht leisten. Und die türkis-grüne Regierung tut alles, damit sich daran nichts ändert. Die Gewerkschaft ist nun gefordert, die neuen ErntehelferInnen über ihre Rechte zu informieren und zu organisieren.
Die Bauern rechtfertigen die Bedingungen in ihrer Branche damit, dass sie selbst vom Handel massiv unter Druck gesetzt werden. Die wenigsten bäuerlichen Betriebe vermarkten selbst ihre Produkte, der Großteil der Produktion geht direkt an den Handel. In Österreich ist der Handel tatsächlich extrem konzentriert. Drei Großkonzerne teilen unter sich einen großen Teil des Marktes auf, sie haben eine gute Verhandlungsposition gegenüber der Landwirtschaft, die sie auch ausspielen, indem sie die Preise diktieren.
Gerade jetzt, in Zeiten der Coronakrise, zeigt sich die strategische Bedeutung des Lebensmittelhandels für die Grundversorgung. Es ist sinnwidrig, dass dieser gesellschaftlich so zentrale Sektor privatwirtschaftlich und nach dem Profitprinzip geführt wird. Die Vergesellschaftung der größten Handelskonzerne (REWE, Spar, Hofer) wäre eine wichtige Voraussetzung, um auch die Probleme in der Landwirtschaft im Sinne der dort Beschäftigten, der Natur und der Gesundheit der KonsumentInnen zu beheben.
Eingebettet in eine demokratisch geplante Wirtschaft wäre es möglich, die Löhne der ErntehelferInnen zu erhöhen, den landwirtschaftlichen Betrieben angemessene Preise zu zahlen und eine ökologisch sinnvolle Anbauweise zur Herstellung qualitätsvoller, gesunder Lebensmittel durchzusetzen.