Stellungnahme der Funke-Redaktion zur aktuellen Lage und den Aufgaben der Arbeiterbewegung.
- Lest hier die Stellungnahme auf Bosnisch/Serbisch/Kroatisch und auf Türkisch.
Europa ist mit der größten Notsituation seit dem 2. Weltkrieg konfrontiert. Es gilt den Aufforderungen der Gesundheitsbehörden, sich körperlich zu isolieren, Folge zu leisten. Wir unterstützen diese Maßnahme inhaltlich und praktisch. Wir vertreten den Standpunkt, der den praktischen Willen und die sozialen Interessen jener vertritt, die auch in Zeiten der Krise dieses Land am Laufen erhalten: Das Programm der arbeitenden Menschen.
Wir kritisieren aufs Schärfste jene Manager und Eigentümer, die ArbeiterInnen und Angestellte in dieser Situation zwingen, gesellschaftlich unnötige Arbeit zu verrichten. In diesem Sinne kritisieren wir ebenso die österreichische Bundesregierung, die in den letzten Tagen den egoistischen Profitinteressen durch eine Politik der „halben Maßnahmen“ systematisch Vorschub geleistet hat und weiterhin leistet. Wir appellieren an die politisch bewussten Teile der Arbeiterklasse, in ihren Betrieben ab sofort kollektiven Widerstand gegen diese unverantwortlichen Bosse und diese Politik zu organisieren und die jeweiligen notwendigen sanitären Maßnahmen durchzuführen und durchzusetzen. Unnötige Produktion und Dienstleistungen sollten von den ArbeiterInnen selbstbestimmt stillgelegt werden.
Unsere besondere Solidarität und gilt dem Gesundheitspersonal, das seit Jahren unter schlechten Bedingungen arbeitet und jetzt mit völlig unzureichenden Mitteln ausgestattet die Versorgung der Kranken selbstlos und engagiert bewerkstelligt. „Wir werden mit Platzpatronen an die Front geschickt“, schreibt uns eine Krankenpflegerin. Wir antworten: Ihr seid Heldinnen und Helden! Unsere Dankbarkeit hat nichts mit den leeren Worten der DienstgeberInnen und der PolitikerInnen gemein. Wir versprechen damit unser Bestes zu geben, um eine Verbesserung eurer Arbeitsbedingungen durchzusetzen.
Jetzt werden Zivildiener eingezogen, um den absehbaren Gesundheitsnotstand bewältigbar zu machen. Wir appellieren an die eingezogenen Jahrgänge, der Einberufung schnell Folge zu leisten, sich freiwillig zu melden und sich in den Dienst der Bekämpfung der Katastrophe zu stellen. Ebenso appellieren wir an das Gesundheitspersonal, das in den letzten Jahren aus dem Beruf ausgestiegen und geeignet ist, sich als Freiwillige bei den Gesundheitsbehörden als dienstbereit zu melden. Wir fordern, dass die sozialen und demokratischen Rechte der Freiwilligen voll gewährleistet werden und sie eine branchenübliche Bezahlung erhalten.
Zur Bewältigung dieser Krise brauchen wir die Aufrechterhaltung der öffentlichen Versorgung sowie der öffentlichen Ordnung. Eine besonders kritische Situation herrscht aufgrund des Mangels an notwendigem medizinischen und sanitären Material. Profitorientierung, Patentrechte, Preisspekulation und nationalistische Konflikte behindern die massenhafte Produktion und Verteilung des notwendigen Materials. Dies ist aktuell insbesondere der Fall bei den COVID-19 Schnell- und Massentests, an denen weltweit Mangel herrscht. Dieses Problem wird sich rasch auf eine Vielzahl anderer sanitärer, medikamentöser und medizinisch-technischer Produkte ausweiten.
Daher appellieren wir:
- An alle WissenschaftlerInnen und TechnikerInnen, die Rezepturen, Herstellungsanleitungen und die technischen Spezifikationen von sanitär und medizinisch notwendigem Material öffentlich im Internet zu verbreiten. Dies gilt insbesondere für die nun entwickelten Schnelltests zum Nachweis des Corona-Virus (SARS-CoV-2), alle Medikamente, die zur Behandlung der Krankheit eingesetzt werden, alles medizinisch-technische Gerät, das zur lebenserhaltenden Intensivbehandlung benötigt wird, Krankenbetten sowie alles Schutzmaterial (Desinfektionsmittel, Schutzmasken, Schutzbrillen…) für das Gesundheitspersonal.
- Wir appellieren an die Beschäftigten in Labors, Apotheken, universitären Einrichtungen und in allen Produktionsbetrieben, wo dies technisch möglich ist, die Umstellung der Produktion auf gesellschaftliche notwendige Produkte umzusetzen.
- Etwaiges spekulatives, preistreiberisches Verhalten in Produktions- und Großhandelsbetrieben muss durch die Beschäftigten öffentlich gemacht werden. Solche Betriebe sind unter der Kontrolle der Beschäftigten entschädigungslos zu verstaatlichen.
- Für die Einrichtung von zusätzlichen Unterbringungs- und Krankenhauskapazitäten müssen alle bestehenden Leerkapazitäten in Hotels und am Wohnungsmarkt zentral erfasst und bei öffentlichem Bedarf requiriert werden. Dabei müssen die Bedürfnisse sozial und psychisch verwundbarer Gruppen in der Gesellschaft besonders beachtet werden: Familien in kleinen Wohnungen, Menschen ohne Wohnung, Betroffene von familiärer Gewalt haben ein Anrecht auf diesen zugewiesenen sicheren und gesunden Wohnraum.
Nein zur sozialen Krise!
Der Ausbruch der Pandemie fällt in eine Zeit, in der die Wirtschaftskrise in vielen Produktionsbereichen seit Monaten Realität ist, in dieser Woche erlebten wir anhaltende Preisstürze an den Aktien- und Rohstoffmärkten. Die Dynamik der Corona-Krise wird eine tiefe weltweite Wirtschaftskrise, die in Widersprüchen in der Situation bereits angelegt war, auslösen. Nach dem Leid der Krankheit werden wir eine massenhafte Welle von sozialem Leid und Armut erleben. Wir brauchen Maßnahmen, die der Verarmung der Arbeiterklasse entgegenwirken:
- Ein gesetzliches Entlassungs- und Kündigungsverbot, rückwirkend ab 9. März;
- Volle Lohnfortzahlung;
- Mindestsicherung für alle in prekärer Beschäftigung und alle Selbstständigen, die ihre Einkommensgrundlage durch diese Krise verlieren;
- Abwechselnder, unbeschränkter Pflegeurlaub für Eltern mit Kindern unter 14 Jahren und Kindern mit besonderen Bedürfnissen;
- SchülerInnen, Studierende, KursteilnehmerInnen und MaturantInnen können von zu Hause aus nicht dieselben Lernerfolge erzielen, wie in den Bildungseinrichtungen. Wir verlangen die Aussetzung des Notensystems, den Aufstieg in die nächste Schulstufe und mehr Lehrpersonal nach dem Ende der Gesundheitskrise, um das Versäumte aufzuarbeiten.
Wir misstrauen der Politik der herrschenden Klasse!
In der sich in der letzten Woche entwickelnden Krise sehen wir, dass einige KapitalistInnen und ihre Interessensvertretungen besonders egoistisch und skrupellos ihre Interessen vertreten und umsetzen.
Die Speerspitze dieser asozialen Haltung ist einmal mehr die Industriellenvereinigung, die am 12. März „stabile Bedingungen für Wachstum“ forderte, worunter sie die unmittelbare Abschaffung spezifischer demokratischer, arbeits- und gewerkschaftlicher Rechte versteht. Gleichzeit fordert die IV öffentlich eine unmittelbare Festsetzung der Senkung der Körperschaftssteuer, der wichtigsten Steuer auf Unternehmen!
Diesen gierigen Egoismus, der hier nur in seiner konzentriertesten Form auftritt, erleben dieser Tage hunderttausende ArbeitnehmerInnen im ganzen Land. Tausende bekommen nun Kündigungsschreiben. Einige Personalchefs versuchen schnell Mütter zu kündigen. In anderen Betrieben werden Sonderprämien gezahlt, um die Produktion am Laufen zu halten. Wir wissen von unzähligen Fällen asozialen Verhaltens von Firmenleitungen. Etwa ein großer Metallbetrieb, in dem die ArbeiterInnen in gefährlichem Schichtbetrieb weiterarbeiten müssen, obwohl mehrere KollegInnen positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. Dieses Verhalten ist ihrem Profitstreben geschuldet. Auch im gesellschaftlichen Notstand geht der Wettbewerb um Märkte und Profitsteigerung weiter. Wir rufen ihnen den Slogan der italischen Streikenden entgegen: „Wir sind nicht euer Schlachtvieh!“
Während wir diesen Appell verfassen, laufen in den touristischen Hochrisikogebieten weiter die Skilifte. Die Tiroler Gesundheitsbehörden verneinten noch am 5. März jeden Zusammenhang mit hunderten Corona-Fällen, die unter Tirol-Urlaubern in Dänemark, Island, Großbritannien auftraten und klar auf Tiroler Skigebiete zurückgeführt werden konnten. Das egoistische Verhalten der österreichischen Tourismus-Industrie und ihres politischen Arms, der Österreichischen Volkspartei, ist ein bereits heute in ganz Europa anerkanntes Faktum.
Daher verweigern wir uns der politischen Unterordnung unter die Apelle an die nationalen Einheit. Stattdessen verlangen wir, dass die politischen und sozialen Interessen der Arbeiterklasse weiter aufrecht bleiben und diese auf jeder öffentlichen Plattform vertreten werden. Wir kritisieren scharf, dass die Gewerkschafts- und SPÖ-Führung keine eigenständige Position vertreten. Ihre Aufgabe wäre es jetzt, die Interessen der Arbeiterklasse zu formulieren und zu organisieren.
Während der Finanzkrise 2008 hat ein Allparteien-Beschluss im Parlament den österreichischen Banken einen Rettungsschirm in der Höhe von 100 Mrd. € zur Verfügung gestellt. 11 Milliarden hat uns dieser politische Wille seither gekostet, alle Bankgarantien der Investoren wurden von der Arbeiterklasse bezahlt. Kaum ein krimineller Banker und kein einziger korrupter österreichischer Politier kam dafür ins Gefängnis. Nein, wir haben jeden Grund, auch jetzt unser Misstrauen auszusprechen, dass heute das Bestmögliche für alle getan wird.
Daher: Wir verweigern uns den politischen Apellen, eine nationale Einheit zu bilden. Die Ideologie vom „Team Österreichs“ ist nicht geeignet, die heraufziehende Krise zu verhindern und bestmöglich zu bewältigen. Unter diesem Deckmantel werden die Mächtigen und ihre Interessensorganisationen weiter alles tun, um ihre Interessen durchzusetzen. Das sind Profitinteressen. Diese stehen der Bekämpfung der Corona-Krise im Weg. Und sie werden die wirtschaftlichen und sozialen Folgekosten der Krise auf unsere Schultern abladen wollen.
Daher argumentieren wir dafür:
- Keine weiteren Gelder zur Bankenrettung. Banken, die pleitegehen, müssen verstaatlicht werden. Entschädigt sollen nur KleinanlegerInnen werden.
- Betriebe, die Massenentlassungen vornehmen, und Standorte, die geschlossen werden, sollen verstaatlicht werden und die Produktion unter Kontrolle der Belegschaft fortführen und ggf. umstellen
Wir, die revolutionären MarxistInnen vom „Funke“ (Teil der IMT, International Marxist Tendency) vertrauen nur auf die Kraft und die Vernunft unserer eigenen Klasse. Unsere GenossInnen werden sich verantwortungsvoll und aufopferungsbereit an allen gesellschaftlich notwendigen Tätigkeiten beteiligen. Wir werden die sanitären Maßnahmen einhalten und dafür werben. Gleichzeitig werden wir unsere politische Arbeit voll aufrechterhalten.
Wir reorganisieren unsere politische Arbeit, aber wir werden sie nicht einstellen. Wir werden unsere Veranstaltungen online abhalten und Publikationen elektronisch zur Verfügung stellen.
Wir rufen alle UnterstützerInnen auf, uns dabei in jeder Hinsicht aktiv zu unterstützen:
- Wenn du zustimmst, verbreite unser Material
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Redaktion, Der Funke
Wien, 15.3.2020