Alle Prognosen und Indikatoren deuten auf eine weitere Eintrübung der Wirtschaft. Sandro Tsipouras fasste dies in dem vorliegenden Artikel, veröffentlicht im Funke Nr. 181 am 25.2.2020, zusammen.
„Europas größte Volkswirtschaft wuchs in den drei Monaten bis September um nur 0,1 Prozent und entging einer Rezession nur knapp“, so die Financial Times kürzlich. „Für die deutsche Wirtschaft wird für das Gesamtjahr 2019 ein dürftiges Wachstum von 0,5 Prozent erwartet, nach 1,5 Prozent im Vorjahr“. Auffällig dabei: die deutsche Industrie ist seit Ende 2018 in Rezession und dies wird auch über das laufende Jahr anhalten.
Deutsche Exporteure sind mit einer Verlangsamung in China, einem schrumpfenden Markt in Europa und der Gefahr von US-amerikanischen Handelszöllen und Umweltvorschriften konfrontiert. Ihre Umsätze und ihre Gewinne fallen. Der Stahlkonzern ThyssenKrupp „ist wegen des schwächenden Stahlgeschäfts tief in die Verlustzone gerutscht“, wie sich die „Presse“ (14.02.20) ausdrückt. „Der um Sondereffekte bereinigte Gewinn vor Zinsen und Steuern (bereinigtes Ebit) schrumpfte auf 50 Mio. Euro nach 217 Mio. im Vorjahr, wobei die Stahlsparte einen Fehlbetrag von 164 Mio. einfuhr.“
Wer dafür bezahlen wird, steht natürlich auch schon längst fest: Der Stahlsparte „machen die gesunkene Nachfrage der Autoindustrie, der Preisdruck und höhere Rohstoffkosten zu schaffen. ThyssenKrupp will hier 2000 Jobs streichen, im gesamten Konzern sollen 6000 der 161.000 Stellen wegfallen.“ Der österreichische Stahlkonzern voestalpine schickt an allen Standorten LeiharbeiterInnen nach Hause und kündigt Kurzarbeit an.
Die Krise in der Produktion breitet sich auf den Finanzsektor aus. Die deutsche Commerzbank beispielsweise sitzt auf faulen Krediten im Wert von 620 Millionen Euro, ein Betrag, der innerhalb des letzten Jahres um 39% gestiegen ist. Das deutet darauf hin, dass immer mehr Kreditnehmer ihre Schulden nicht zurückzahlen können, weil sie jetzt eben ihre Waren nicht mehr loswerden. Dazu gehören auch die sogenannten „Zombie-Firmen“, die allein vom billigen Geld, also von immer neuen niedrigverzinsten Krediten leben.
Europa in der Krise
Wie die MarxistInnen anlässlich der Euro-Einführung betonten, war und ist das „europäische Projekt“ auf kapitalistischer Basis zum Scheitern verurteilt. Solange der Kapitalismus boomte, konnten die Spannungen zwischen verschiedenen Volkswirtschaften innerhalb des Blocks eine Zeit lang abgedämpft werden. Die EU und der Euro erschienen damals als ein großer Segen, der den Peripherieländern Zugang zu billigen Krediten und den großen europäischen Monopolen einen größeren Markt für ihre Waren verschaffte.
Mit dem Ausbruch der Krise im Jahr 2008 kehrte sich jedoch alles um. Plötzlich bewegten sich die verschiedenen Volkswirtschaften in unterschiedliche Richtungen. Den schwächeren und weniger wettbewerbsfähigen Volkswirtschaften von Technokraten und PolitikerInnen in Brüssel und Berlin im Namen der Kapitalisten Lohnsenkungen und Sparmaßnahmen aufgezwungen. Und trotz eines Jahrzehnts von Kürzungen geht in Europa noch immer das Gespenst der Verschuldung um. In den zehn Jahren seit dem Ausbruch der Krise haben die Schulden in Griechenland und Italien dramatisch zugenommen – letzteres ist heute das Epizentrum der Eurokrise. Diese Schulden werden nicht weniger, sondern immer mehr.
Wie weiter?
Die Weltbank prognostiziert eine globale „synchrone Verlangsamung“. In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern sind die Aussichten besonders düster. Das Wachstum der USA wird voraussichtlich von 2,3 Prozent im Jahr 2019 auf 1,8 Prozent im Jahr 2020 zurückgehen. Die Eurozone soll im Jahr 2020 voraussichtlich um schwache 1 Prozent wachsen. In demselben Bericht der Weltbank werden eine Reihe weiterer langfristiger Probleme der Weltwirtschaft hervorgehoben – von steigenden Schulden bis hin zur Verlangsamung des Produktivitätswachstums.
Die Weltbank errechnet ein graduelles Sinken des Wirtschaftswachstums. Jedoch ist die wirtschaftliche Entwicklung im Kapitalismus durch Sprünge und schroffe Übergänge gekennzeichnet. Die „Verlangsamung“ wird an einem gewissen Zeitpunkt einen massiven Einbruch mit sich bringen.
Wir haben es heute nicht wie 2008 mit plötzlich zusammenbrechenden Banken zu tun, die die sogenannte „Realwirtschaft“ mit in den Abgrund reißen, sondern mit einer klassischen Überproduktionskrise, die sich unmittelbar darin ausdrückt, dass produzierte Waren nicht mehr abgesetzt werden können. Das viele billige Geld, das die Zentralbanken täglich ins Finanzsystem pumpen, hat immer kleinere Effekte in der Realwirtschaft. Die Kapitalisten investieren nicht, da die Märkte mit Waren überfüllt sind. Nur der private Konsum sorgt noch für leichtes Wirtschaftswachstum.
Der Augenblick der Wahrheit, in dem auf den Finanzmärkten wiederum große „Spekulationsblasen“ platzen werden, naht. Die glitzernde Welt der Banken mit ständig steigenden Wertpapierpreisen wird wieder auf den Boden der realen Wirtschaftsentwicklung hinunterfallen. Wie das Beispiel ThyssenKrupp und täglich neue Industriekonzerne zeigen, ist die Arbeiterklasse bereits jetzt mit dieser Krise ganz hautnah konfrontiert, aber das ist nur der Anfang.
Das kapitalistische System hat sich festgefahren. Die bürgerlichen Parteien können die heraufziehenden Probleme nicht nur nicht lösen, sondern sie wollen sie aktiv für die Arbeiterklasse verschärfen. Auf den überfüllten Märkten tobt ein heftiger Standortwettbewerb: welcher Wirtschaftsblock, welches Land produziert billiger und gibt weniger für Sozialleistungen aus?
Das ist für die Kapitalisten die einzige Möglichkeit auf schrumpfenden Märkten weiter am Markt zu bleiben und Profit zu machen. Die Arbeiterklasse muss sich bewusst machen, dass sich die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit auf Dauer verschärfen wird.
(Funke Nr. 181/25.2.2020)