Am 11.November präsentierte der Ökonom und Psychotherapeut Martin Schürz sein neues Buch „Überreichtum“ in der Arbeiterkammer Wien. Der Raum war mit ca. 100 Personen gut gefüllt, und auf die Buchvorstellung durch den Autor und einen vorbereiteten Beitrag von Julia Hofmann folgte eine rege Diskussion. Ein Veranstaltungsbericht von Stefan und Yola.
Das Buch „Überreichtum“ stellt den Versuch dar, die wirtschaftliche Ungleichheit in der Gesellschaft und welche Rolle Gefühle oder gesellschaftliche Debatten über Gefühle für „Überreichtum“ spielen, zu beleuchten.
Was ist „Überreichtum“?
Die Grundlage der Argumentation des Autors war in erster Linie eine emotionale und moralische. Er sagte, dass eine Klassenanalyse geeignet sei, um die Vermögensverteilung zu beschreiben, jedoch alleine unzureichend sei, um alle gesellschaftlich relevanten Aspekte zu erklären. „Es ist nicht nur: Proletariat und Kapitalismus.“ Seiner Ansicht nach spielen Gefühle eine wesentliche Rolle in der Gesellschaftsanalyse.
Der Überreichtum wird demnach ebenfalls nicht aus der wirtschaftlichen Funktionsweise des Kapitalismus erklärt, sondern aus einer moralischen Empörung darüber. Den Begriff „Überreichtum“ hat er von Sokrates entlehnt. Er wählte ihn, weil er negativ konnotiert ist. Überreichtum sei ein geeigneter Gegenbegriff zu „Armut“. Das Wort „Reichtum“ sei es nicht, da Reichtum nicht abgeschlossen sei. Reichtum sei ständig steigerbar, Armut sei nach unten hin begrenzt, sie endet mit dem Tod. Überreichtum hingegen impliziere bereits die Wertung „zu viel von Etwas“ und soll darauf hinweisen, dass der Autor den Überreichtum einiger weniger Personen und die zunehmende Ungleichheit der Vermögensverteilung für problematisch hält.
Im Lauf des Vortrags erläuterte er, dass er mit Überreichtum nicht das reichste Prozent der Bevölkerung meint (Anm.: welches in Österreich nach aktuellen Schätzungen etwa 40% des Gesamtvermögens besitzt), sondern die Top-100 der reichsten Menschen. Schürz bot keine konkrete Grenze an, ab der man jemanden als „reich“ oder „überreich“ bezeichnen solle, erst in der öffentlichen Debatte würde sich herauskristallisieren, was als Überreichtum gelte.
Lasterhafte Tugend
Ein wesentlicher Teil des Vortrags widmete sich daher der Darstellung, wie die Überreichen selbst mit ihren Mitteln öffentliche Debatten, Meinungen über Tugenden u.ä. ungleich stärker beeinflussen, als andere.
Überreiche Menschen können Spenden tätigen. Spenden sind jedoch keine selbstlosen Abgaben, es sind Investitionen in moralische Superiorität. Wer spendet, ist also auch ein „besserer Mensch“. Dieser Umstand mache das Reichsein in den Augen Vieler noch erstrebenswerter. Dadurch hat man zwei Fliegen mit einer Klatsche: Die realen Machtverhältnisse in der Gesellschaft werden nicht nur nicht hinterfragt, sondern sogar indirekt für gut befunden, da man ja selbst eines Tages zu den Reichen zählen könnte, ungeachtet der Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios.
Mit Verweis auf die Geschichte vom Heiligen Martin und die historische Rolle der Kirche erklärte er, dass Tugenden wie „Barmherzigkeit“ zur Beibehaltung der Ungleichheit führen. Im paternalistischen Leitbild trete an die Stelle des gemeinsamen Sozialstaats der individuelle Übermensch, der sich neben seinen Verpflichtungen auch noch um soziale Belange wie die Armutsbekämpfung kümmere.
Den Überreichen komme die Tatsache, dass öffentliche Debatten zu Überreichtum und Ungleichheit maximal kurz an der Oberfläche dieser Thematik kratzen, sich aber schnell zu Diffamierungen von vermeintlichen „Neiddebatten“ entwickeln, sehr gelegen. Den Menschen solle von vornherein das Zustandekommen solcher Diskussionen madig gemacht werden, damit die Ordnung des „Regimes der Ungleichheit“ aufrecht erhalten bleibe. Ökonomen warnen laut Schürz gerne vor „Neiddebatten“, um sich dadurch selbst als „anständig“ darzustellen. Der Überreichtum und seine Folgen werden von der öffentlichen Debatte nicht angerührt. Die Politik tue nicht nur nichts gegen die zunehmende Ungleichheit der Vermögensverteilung, sondern mache sich auch darüber lustig, wenn dieses Thema angesprochen wird. Zu diesem Sittenbild passt die Tatsache, dass die Datenlage punkto Vermögenforschung in Österreich laut Martin Schürz sehr schlecht ist. Es gibt „Reichenlisten“ und „Haushaltserhebungen“, welche aber kaum Daten zu Überreichtum liefern. Der Psychotherapeut leitet sich daraus ab, dass es offenbar unerwünscht ist, solche Daten zu erheben.
Er meint, es sei ein weiteres Problem, mit welchen Absichten Menschen in die Politik gehen. Politiker würden nicht in die Politik gehen, um nach ihrem Ausscheiden aus dieser Branche in einer Einzimmerwohnung zu leben, vielmehr streben sie selbst ein Leben in Reichtum an. Insgesamt, so lautete eine wesentliche Aussage, zerstöre der Überreichtum so die Demokratie.
Gefühle statt Klassen
Die Beschreibung, wie Gefühle in unserer Gesellschaft durch die öffentliche Debatte beeinflusst werden, und wie „Überreiche“ diese Debatten selbst mitformen ist durchaus interessant. Er zeigt mit der „Barmherzigkeit“ und der „Neiddebatte“ die Heuchelei der kapitalistischen Moralvorstellungen auf. Doch der moralische, idealistische Ansatz des Autors ist gleichzeitig seine größte Schwäche. Denn letztendlich will er den Überreichtum mit den Moralvorstellungen des Kapitalismus selbst kritisieren und „überlisten“.
Der Autor erklärte, dass „Mitgefühl“ als Argument gegen Überreichtum ungeeignet sei. Mitgefühl werde durch Überreichtum zerstört, da Überreiche täglich erleben, dass sie sich alles, was sie wollen, jederzeit kaufen können, unabhängig von den Kosten und wer sie letztlich zu tragen hat. Dadurch würden diese Menschen tendenziell Gleichgültigkeit gegenüber ihren Mitmenschen entwickeln. Außerdem sei Mitgefühl nur auf Menschen im eigenen Umfeld beschränkt. Wenn man tragische Nachrichten vom anderen Ende der Welt erhält, sorge das für kurzen Unmut, führe aber nicht zu schlaflosen Nächten. Passiert hingegen einer nahestehenden Person etwas ungleich Harmloseres, oder erlebt man eine kleine Verletzung am eigenen Leib, beeinflusse das die eigene Wahrnehmung stärker. Da Überreichtum aber kein örtliches, sondern ein globales Problem ist, eigne sich der Appell an das Mitgefühl nicht, um Überreichtum in die Schranken zu weisen.
Welches Gefühl also kann die Ablehnung des Überreichtums argumentieren?
Der Überreichtum, so sein Argument, sei selbst mit den moralischen Vorstellungen des Kapitalismus nicht vereinbar, die ja das Leistungsprinzip und „jeder kann es schaffen“ propagieren. Martin Schürz sagte, dass das Argument: „Der Reiche hat sich seinen Reichtum verdient“ bei Arbeitseinkommen und bei Reichtum Gültigkeit hätte, nicht aber bei Überreichtum. Überreiche erbringen keine Leistungen mehr, die ihren Überreichtum rechtfertigen würden. Überreichtum sei also nicht rechtfertigbar, solange es noch Armut gibt.
Fakt ist jedoch, dass Reichtum in erster Linie durch (direkte oder indirekte) Ausbeutung entsteht. Die Akkumulation von Kapital geschieht nach dem kapitalistischen Prinzip: Wer EigentümerIn von Produktionsmitteln ist und ArbeiterInnen für sich arbeiten lässt kann Kapital akkumulieren, und zwar völlig unabhängig von selbst erbrachten Leistungen. KeinE WerktätigeR wird in seinem/ihrem Leben jemals MultimillionärIn allein durch seine/ihre Werktätigkeit. Die Behauptung, dass „Überreichtum“ nicht kapitalistisch rechtfertigbar sei, stimmt jedenfalls nicht. Bedient man sich der marxistischen Klassenanalyse, die er als unzureichend bezeichnet, erkennt man, dass Überreichtum eine direkte Folge des Kapitalismus ist und dem kapitalistischen Prinzip ganz und gar entspricht.
Vermögens-, Erbschafts- und Transaktionssteuer, aber …
Was also tun gegen Überreichtum? Diese Frage war der Hauptfokus in der Diskussion nach der Buchvorstellung.
Da der Autor nicht im Kapitalismus, der exzessive Ungleichheit gerade erst produziert, das Grundproblem sieht, sind seine Vorschläge zur Eindämmung des Überreichtums-Exzesses auch in erster Linie an eine „Verbesserung“ des Kapitalismus gerichtet. Da er weiters die Emotionen und seiner Meinung nach vorherrschenden Gefühlslagen in der Gesellschaft als Triebfedern für jegliche Veränderung oder ihre Unmöglichkeit ansieht, sieht er für diese Verbesserungen eher Schwarz: Schürz erachtet Vermögens-, Erbschafts-, Transaktionssteuern für notwendig, hält deren Umsetzung aber für unwahrscheinlich.
Er argumentiert, dass für die Mehrheit der Menschen Familiengefühle schwerer wiegen, als Sachargumente für die Umverteilung von Vermögen. Finanziell schwache Schichten der Gesellschaft sollen täglich Ungerechtigkeiten erleben und seien daher Ungerechtigkeit gewohnt und mit dem Schlagwort Verteilungsgerechtigkeit nicht zu erreichen. Familiäres Denken sei aber fast jedem zu eigen. So unwahrscheinlich es auch sein mag für finanziell schlechter Gestellte, ihren Kindern jemals etwas vererben zu können, so seien viele dieser Leute dennoch gegen eine Erbschaftssteuer, da allein die Möglichkeit, dass ihre Kinder selbst eines Tages dazu kommen könnten, ihren Kindern etwas vererben zu können, eine Hoffnung ist, die sie ihrem Nachwuchs und sich selbst (als künftigen Großeltern) nicht verwehren wollen. Die Gefühle, dass die Kinder möglicherweise eines Tages selbst reich sein können, wollen nicht getrübt werden durch den Gedanken, dass ein Staat ihnen ihren potenziellen Reichtum wegnehmen könnte, wie das mit Vermögens- und Erbschaftssteuern der Fall sein könnte.
Was ist eine Alternative?
In der Diskussion war eine prominente Idee, vorgetragen insbesondere von Julia Hofmann, dass es ein „Narrativ“ bräuchte, das die Menschen von der Notwendigkeit eines Sozialstaates überzeugt.
Schürz schien der Begriff des „Narrativs“ nicht zu gefallen, er selbst bietet aber ebenfalls keine konkreten Alternativen zum jetzigen System an. Er bleibt bei der Forderung nach einer „neuen Erzählung“, kann eine solche aber weder anbieten, noch hält er die Durchsetzung einer solchen Erzählung in der Mehrheitsmeinung für wahrscheinlich. Diese Haltung fließt aus seiner Analyse, die die vermeintlich vorherrschenden Gefühle und Emotionen als Grundlage heranzieht, ohne zu berücksichtigen, dass die Widersprüche des Kapitalismus selbst das Leben der Menschen verändern, sodass sie althergebrachte Vorurteile auch überdenken.
Und selbst im heutigen Österreich, wo die Krisenhaftigkeit erst langsam beginnt in das Bewusstsein vorzudringen, ist die Mehrheitsmeinung der Bevölkerung nicht so konservativ, wie es in der Diskussion dargestellt wurde: Laut einer Umfrage des Profil vom Juli 2017 wollen 56% der Befragten eine Wiedereinführung der Erbschaftssteuer (n=500, Online-Befragung, österr. Bevölkerung ab 16 Jahren). Vermögenssteuern werden laut mehreren Umfragen sogar noch stärker befürwortet.
Schürz merkte zwar auch an, dass das, was man momentan für unwahrscheinlich halte, sich ändern kann. Dafür sei es jedoch notwendig, dass die Debatte um Vermögensverteilung im öffentlichen Diskurs neu geführt werden muss. Welche politischen Neuerungen dann möglich werden, oder nicht, das stelle sich im Zuge solcher Auseinandersetzungen heraus. Das Wichtigste, um linke Ideen mehrheitsfähig zu machen, wurde in der Diskussion gar nicht erwähnt: Nämlich, dass es politische Kräfte braucht, die offensiv für eine Alternative zum kapitalistischen System eintreten und bereit sind, nicht nur viel zu reden sondern auch zu handeln, dafür mit Methoden des Klassenkampfes einzustehen. So könnten die schlummernde Unzufriedenheit und der Unmut in einen aktiven Kampf für Verbesserungen umgewandelt werden.
Eine solche Alternative muss jedoch über den Kapitalismus hinausgehen, wenn sie das Leben der Menschen nachhaltig verbessern will. Vermögens-, Erbschafts- und Transaktionssteuern wären positive Schritte, aber neue Steuern alleine ändern nichts an der Funktionsweise des Kapitalismus. Das vorgeschlagene Modell des Sozialstaats ist auf Dauer nicht durchführbar, solange dessen rechtlicher und materieller Rahmen auf kapitalistischen Prinzipien fußt. Im Kapitalismus müssen Unternehmen stets Gewinn erwirtschaften und ihre Konkurrenz übertreffen. Das führt automatisch zu einem „Wettlauf nach unten“: Wer am billigsten produziert und am meisten verkauft, gibt den Ton an. Wer nicht mithalten kann, wird über kurz oder lang aus dem Rennen fliegen. Solange diese Spielart am Weltmarkt beibehalten wird, solange werden soziale Errungenschaften auch weiterhin sukzessive abgebaut werden. Solange Banken und Konzerne nicht verstaatlicht werden, wird sich an dieser Spirale nach unten nichts ändern. Die Klasse der Besitzenden wird weiterhin ihren Besitz mehren und die Klasse der Ausgebeuteten wird weiterhin ausgebeutet werden. Neue Steuern und soziale Erlässe sind kosmetische Änderungen an einem System, das auf dem Prinzip der Ausbeutung basiert, sich immer weiter radikalisiert und immer größere Krisen verursacht.
Der Vortrag zu „Überreichtum“ war somit eine facettenreiche und interessante Beschreibung der Ungleichheit des Kapitalismus. Die Darstellung darüber, wie Moral und Gefühle die derzeitige Ordnung untermauern war lebhaft und überzeugend. Der idealistische, emotionale Zugang der Analyse bedeutete jedoch, dass der Kapitalismus nicht als Hauptproblem anerkannt wurde und auch keine Alternative und Lösungsvorschläge präsentiert wurden.
Buchdetails:
Titel: Überreichtum
Autor: Martin Schürz
Jahr: 2019
Campus-Verlag