Vor einem Jahr entbrannte in Bosnien eine Bewegung, ausgelöst durch die Ermordung des Studenten David D. Dahinter steckt großer Zorn und Unmut, die sich seit Jahren anstauen. Über die Hintergründe von Vincent Angerer.
Das Ende des Jugoslawienkrieges in Bosnien wurde mit dem Abkommen von Dayton unter Führung der USA sowie der EU beschlossen. Das Abkommen festigte die Trennung Bosniens entlang „ethnischer“ Linien. Bosnien wurde in zwei Entitäten unterteilt, in die serbische Republika Srpska (RS) und die Kroatisch-Bosniakische Föderation von Bosnien und Herzegowina. Die festgelegten Nationalitäten, Serben, Kroaten und Bosniaken, werden von jeweils einem Präsidentschaftsmitglied vertreten. Gerade im Rahmen von Protesten oder Streiks, die am Status quo rütteln, wird oft eine Bedrohung der jeweiligen Nationalitäten durch die anderen aufgebauscht. Selbst anti-imperialistische Rhetorik wird von den Regimen aufgegriffen. Tatsächlich goss das Abkommen von Dayton nichts anderes als die Interessen der führenden verhandelnden Parteien in Gesetz. Festgelegt wurde die dauernde Unterordnung und Besetzung Bosniens durch die imperialistische Autorität der EU sowie der NATO Staaten. Die Oligarchen jedoch, die an der Spitze der jeweiligen Regime in Bosnien stehen, profitieren klar von dieser imperialistischen Politik. Sie sind es, die mit dem Auslandskapital zusammenarbeiten, und die Früchte einheimsen, die diese Zusammenarbeit abwirft.
Österreichische Interessen am Balkan
Den größten Finanzkapital-Anteil in Bosnien vertritt Österreich. Im Jahr 2017 alleine konnte die Raiffeisen Bank einen Nettoprofit von 37 Millionen Euro verzeichnen. Ein Teil dieser Profite geht auf die Vergabe von Krediten zurück, wobei hier letzten Endes mehr Geld aus Bosnien fließt, als dortbleibt. Ferner profitiert Österreich durch den billigen Import von Ressourcen, besonders Brennholz. Generell spielt Österreich bis heute eine entscheidende Rolle in der militärischen BesatzungBosniens im Rahmen der European Union Force (EUFOR). Der länderübergreifende Militärverband der Europäischen Union hat im Rahmen der Operation Althea 2004 formell die stationierten NATO Truppen abgelöst. Tatsächlich wurde lediglich die Führung ausgetauscht, der Großteil der Truppen blieb unverändert. Das Ziel der Operation ist die dauernde Überwachung und militärische Durchsetzung des Abkommens von Dayton. Österreichische Truppen stellen hier einen großen Teil der stationierten Truppen dar, die Leitung der EUFOR ist außerdem seit 2011 durchgehend in österreichischer Hand.
Lage in der Republika Sprska
In der Republika Srpska steht Milorad Dodik an der Spitze. In verschiedensten politischen Konstellationen trägt er seit 2006 die politische Macht. Seit November 2008 ist er das serbische Präsidentschaftsmitglied. Auch ihm ist die imperialistische Unterdrückung Bosniens, das Ausschöpfen von lokalen Ressourcen und die Ausbeutung der bosnischen Arbeiterklasse, keineswegs zuwider. Als Oligarch profitiert er gerade von der Ausbeutung der bosnischen ArbeiterInnen und der Präsenz von Auslandskapital in Bosnien, ermöglicht durch Privatisierungen. Diese Privatisierungen seit den 1990ern und die Stilisierung von internationalen Investoren als „Rettung Bosniens“ haben ausländischen Investments den Weg geebnet.
Doch für die bosnische Arbeiterklasse gaben diese nichts her: das Auslandskapital wurde durch geringe Steuern, staatliche Subventionierung und billige Arbeitskraft angelockt. Ein Plus im Außenhandel mit Österreich, wie es im Jahr 2017 erwirtschaftet wurde, bedeutet kein Plus für die Arbeiterklasse sondern ein Plus für die Oligarchen. Auch die lauten Töne, die Dodik gegen die NATO anschlägt drücken lediglich seinen Opportunismus aus, nie würde er wirklich gegen sein eigenes Klasseninteresse gehen.
Die Macht Dodiks selbst stützt sich auf eine Mischung aus Demagogie und ein Netzwerk von regimetreuen Menschen im Staatsapparat und in den Unternehmen. Die Medienlandschaft liegt seit Kurzem komplett in den Händen des Regimes. Der Oppositionsblock der rechten SDS und der liberalen Fortschrittspartei ist zahnlos.
Die Angriffe auf den Lebensstandard in der RS sind konstant. Eine Preiserhöhung von grundlegenden Konsumgütern im Jahr 2018 hat zu einer Senkung der Reallöhne geführt. 2015-2018 wurde ein von der IMF diktiertes Sparpaket im Gesundheitssystem und der Bildung durchgeführt. Die Bourgeoisie, bosnisch wie international, will die Staatsausgaben senken, den Markt liberalisieren und das Arbeitsrecht im Interesse der Kapitalisten abändern.
Gerechtigkeit für David
Seit langem baut sich in der Republika Srpska Unmut auf, Unmut über korrupte, mafiöse Politiker, unaufgeklärte Morde, im Rahmen derer Politiker sowie Mafiosi geschützt werden. Der Hass auf die krassen Zustände seit dem Zusammenbruch Jugoslawiens spitzte sich in der Bewegung „Gerechtigkeit für David“ zu. Als am 24. März 2018 die Leiche des Studenten David D. gefunden wird, und Innenministerium und Medien erklären, dass es sich bei der Todesursache um Suizid handelte, und dass David ein drogensüchtiger Dieb war, läuft das Fass über. Die offensichtliche Lüge von Medien und Regierung – die Leiche Davids wies zahlreiche Hämatome auf – brachte breite Teile der Gesellschaft auf die Straßen. Im Rahmen der Bewegung „Gerechtigkeit für David“ fanden seit dem 26. März täglich Versammlungen in Banja Luka stand. Eine ähnliche Bewegung rund um den in Sarajevo ermordeten Dženan solidarisierte sich über nationale Grenzen hinweg mit den Protesten; selbst in Wien wurden Solidaritätskundgebungen abgehalten.
Die Bewegung bot eine Plattform, um ein breites Spektrum von Unzufriedenheit und Empörung über die Lage in der Republika Srpska auszudrücken. Die größten Kundgebungen in Banja Luka zählten um 10.000 TeilnehmerInnen. Der engere Kern der Bewegung umschloss Freunde und Eltern des ermordeten Studenten sowie liberale und zivilgesellschaftliche AktivistInnen. Die ersten Forderungen zielten, neben der Aufklärung der Morde, auf eine rechtsstaatliche Demokratie und „unabhängige Institutionen“ ab. Die radikalsten Forderungen zielten auf den Rücktritt einer Reihe von Amtsträgern, darunter des Innenministers, ab. Obwohl die Bewegung doch teilweise einen Klassencharakter annahm, blieb sie insgesamt in liberalen Forderungen verhaftet.
Wir haben im Rahmen dieser Bewegung ein hohes Level von persönlicher Widmung und Courage gesehen. Gerade die Eltern des ermordeten Studenten, David Dragičević und Suzana Radanović, zeigten übermenschliche Kraft. Es kam zu einem massenhaften Abtasten von liberalen Ideen. Im Endeffekt haben sich diese liberalen Ideen und Forderungen als unfähig erwiesen, den Kampf im Interesse der Arbeiterklasse zu entscheiden. An den bürgerlichen Staatsapparat oder die EU zu appellieren, kann die Klasseninteressen hinter diesen Institutionen nicht zugunsten der ArbeiterInnen verschieben. Doch wenn wir betrachten, wie etwa der Streik von BahnarbeiterInnen in der RS von 2017 das Regime in Panik versetzte, so sehen wir, welche Macht die Arbeiterklasse tatsächlich hat.
Unsere jugoslawische Schwesterorganisation, Crveni (die Roten), legt dar, dass es die Aufgabe von MarxistInnen ist, den Kampf von Davor und Suzana zu unterstützen und dabei Menschen für die revolutionäre Bewegung zu gewinnen. Eine organisierte Arbeiterklasse, die sich, geführt von revolutionären Ideen, gegen das Regime von Dodik stellt, kann nichts stoppen. Für unsere GenossInnen sind die wichtigsten Schritte dafür, eine revolutionäre Arbeiterpartei zu schaffen und alle Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien zu vereinigen.
(Funke Nr. 173/Mai 2019)