China. Ein unbegründeter Optimismus durchzieht die herrschende Klasse. Nach Angaben des EZB-Präsidenten, zahlreicher Ratingagenturen und Finanzspezialisten zeichnet sich eine wirtschaftliche Stabilisierung ab. Ist das die Wahrheit oder nur Propaganda? Wir argumentieren für letzteres. Von Alessandro Giardiello.
Wir werden an dieser Stelle nicht auf den Charakter der Krise in der kapitalistischen Produktionsweise zurückkommen. (Dazu siehe u.a. die Artikelreihe „Das Kapital verstehen“ auf derfunke.at und unsere Broschüre „Krise, Schulden, Staatsbankrotte“). Es ist jedoch bedeutsam, dass es sich um eine Überproduktionskrise handelt – ein in der Geschichte nie dagewesenes Phänomen. Die Krise erfolgt nicht aus einem Mangel an Gütern, sondern aus deren Überfluss; das heißt, sie ergibt sich aus einem System, das fähig ist, mehr zu produzieren, als die Massen sich aneignen können.
Weil die Massen nicht genug konsumieren konnten, um ausreichend Profit zu machen, haben die Kapitalisten beschlossen, Gimmicks zu verwenden, die wir gut kennen: Staatliche Interventionen, Bank- und Immobilienspekulation und Einsatz von Kredit- und Finanzhebeln in nie dagewesenem Ausmaß. Diese Politik gipfelte nach 30 Jahren in der skandalösen Rettung von Banken und Versicherungsgesellschaften mit öffentlichen Geldern und dem Quantitative Easing (der enormen Erhöhung der Geldmenge, die von der EZB, der Fed und anderen Zentralbanken umgesetzt wird).
Schuldenexplosion
Diese Art der Politik hat über eine ganze Periode den Konsum unterstützt und so eine Rezession vermieden. Auf der anderen Seite aber hat sie die Gesamtverschuldung der Staaten maßlos aufgebläht. Die Schulden der Banken, Unternehmen und Familien kommen erschwerend hinzu.
Tatsache ist, dass die Länder, die als treibende Kraft der Weltwirtschaft gelten, wie China, Japan und die USA, in der Welt am höchsten verschuldet sind. Ihre Schulden umfassen jeweils 5,5, 10,5 und 18,5 Bio. US-Dollar.
Die chinesischen Schulden sind zwar deutlich niedrigerer, als die seiner Konkurrenten, sie sind aber wegen des exponentiellen Wachstums, das im letzten Jahr verzeichnet wurde, die größte Gefahr. Chinas gesamte (öffentliche und private) Schuldenlast ist in nur 12 Monaten um etwa 4,5 Bio. Dollar gewachsen. Diese Tatsache reicht aus, um zu verstehen, auf was für Grundlagen jetzt das Wachstum der Weltwirtschaft stattfindet.
Seit 2008 ist nicht nur die Staatsverschuldung in China, sondern auch die seiner Unternehmen von 4,5 auf mehr als 17 Bio. Dollar explodiert. Damit ist der Prozentsatz der faulen, uneinbringlichen Kredite auf 20% gestiegen. Eine Explosion von Verbindlichkeiten verursacht zahlreiche Privatkonkurse. Und wenn öffentliche Unternehmen nicht versagen, dann nur, weil die Regierung beschlossen hat, dass sie sie nicht schließen kann, weil Millionen von Arbeitsplätzen daran hängen.
Der Charakter der wirtschaftlichen Erholung
So ist es nicht unrealistisch, dass es in den nächsten zwei Jahren eine leichte Konjunkturerholung geben kann (allerdings weniger als 2% pro Jahr für Europa und 3% weltweit nach den IWF-Schätzungen). Unglaublich ist allerdings die geringe Auswirkung, die diese Schuldenpolitik auf die Erholung der Wirtschaft gehabt hat. Tatsächlich hat es in den vergangenen zwölf Monaten pro 5 Dollar Neuverschuldung gerade einmal einen Dollar Wachstum gegeben. Damit ist zunehmend offensichtlich, dass es perspektivisch fast unmöglich ist, das Wachstum (nicht nur in China) zu erhalten, wenn man nur einmal über seine Nasenspitze hinwegschaut. Die Schuldenberge aus den vergangenen Jahren werden die Weltwirtschaft in eine wahre Katastrophe stürzen. Das ist die Wahrheit, aber man kann sie den Leuten nicht erzählen. Am Ende werden noch die Märkte nervös!
Es ist wichtig, den verrückten Charakter der Schulden zu analysieren, die in den letzten Jahren gemacht wurden. Denn es ist eine Sache, als Staat Schulden aufzunehmen, um die Infrastruktur zu schaffen, die notwendig ist, um ein Land zu entwickeln (etwa die keynesianische Politik, die in Italien in den 1950er und 1960er Jahren umgesetzt wurde). Eine andere Sache ist, die Wirtschaft mit sinnlosen öffentlichen Arbeiten zu betäuben.
Ein irrationales System
In China gibt es zwei verschiedene Verwaltungsregelungen für Investitionsprojekte: jene, die auf der zentralen Ebene und solche, die lokal verwaltet werden. Bei ersteren geht es um Dinge wie den Bau einer Hochgeschwindigkeitsstrecke oder eines großen Flughafens oder um den Ausbau von Großstädten wie Peking und Shanghai. Diese Projekte sollen der Volkswirtschaft nützen, und so wurden Billionen Yuan direkt von der Zentralregierung hineingesteckt. Lokale Projekte sind in vielen Fällen äußerst teure Projekte wie der Bau eines Olympiastadions in einer Stadt mit 800.000 Menschen oder der Bau von extrem teuren Regierungsgebäuden. Unter dem Eindruck der Krisenpanik 2008 genehmigte die Zentralregierung den lokalen Verwaltungen alle möglichen größenwahnsinnigen Projekte.
Der Prozess ähnelt stark der Subprimekrise in den USA, die mit dem Scheitern von Lehman Brothers und dem Ausbruch der globalen Krise endete. Auf der anderen Seite gibt es auch Parallelen zur Politik der japanischen Regierung, die in den 1990er und 2000er Jahren für pharaonische Summen Brücken bauen ließ, um früher praktisch unbewohnte Inseln zu verbinden.
Dies gibt eine Vorstellung von der Irrationalität des kapitalistischen Systems. Weit davon entfernt, das beste aller möglichen Systeme zu sein, ignoriert es die wirklichen Bedürfnisse der Menschen vollkommen. Bis auf die Magnaten, die über 90% des Reichtums und der Weltwirtschaft kontrollieren, kommt hier keiner zum Zug.
Die Bruttoinvestitionen, die in China im Jahr 2015 eine astronomische Zahl von 43% des BIP erreicht haben, liegen weit über dem Niveau von 2008, obwohl die Wachstumsrate der chinesischen Wirtschaft um mindestens ein Drittel gefallen ist. Tatsächlich war der hauptsächliche Effekt der Investitionen, die chinesische Staatsverschuldung von 141% vom BIP im Jahr 2008 auf die aktuellen 300% zu katapultieren. Chinas Devisenreserven sanken von 4 auf 3 Bio. US-Dollar. Schließlich gibt es starke Anzeichen von Inflationswachstum (jetzt knapp 10%). Bis vor wenigen Jahren wurde gesagt, dass China das einzige Land der Welt sei, das keynesianische Politik anwenden könne. Diese Politik wurde in den letzten 5 Jahren intensiv betrieben. Aber die Fettpolster sind aufgebraucht und die Ergebnisse nicht ganz zufriedenstellend.
Die Krise ist nicht vorbei
Der Verschuldungsprozess in den historischen Ländern des Kapitalismus dauerte etwa dreißig Jahre, in China hat er sich in zwei oder drei Jahren vollzogen. Nun liegt auch Peking unter einer Schuldenlawine begraben. Es handelt sich um das Land mit den größten Währungsreserven und dem größten Bankensystem der Welt – seine Wirtschaft repräsentiert 17,3% des globalen BIP. Die Effekte werden auf dem ganzen Planeten zu spüren sein.
Es gibt eine riesige Menge an fiktivem Kapital in der Wirtschaft sowie überschüssige Produktionskapazitäten. Der einzige Weg, um „die Krise zu lösen“ ist, dass die Kapitalisten beschließen, schwere private Verluste zu erleiden, anstatt sie auf die Arbeiterklasse abzuwälzen, wie sie das seit einem Jahrzehnt tun. Doch sie machen weiterhin riesige Gewinne auf Kosten der Gesellschaft, die für die Rechnung mit endloser Sparpolitik aufkommen muss.Chinas Investitionen sind nicht nur in der Eurozone zu spüren, sondern rund um den Globus. In den vergangenen Jahren haben sie – 2014 waren es 118 Milliarden US-Dollar, 130 Milliarden im Jahr 2015 und 156 Milliarden im Jahr 2016 – exorbitante Werte erreicht und werden in den kommenden fünf Jahren wohl um eine weitere Billion anwachsen. Wenn wir davon ausgehen, dass die Trump-Regierung verstärkt eine protektionistische Politik treiben wird, wie der jüngste G7-Gipfel deutlich gemacht hat, dann haben wir alle Zutaten für noch tiefere und langwierigere Krisen, die das System in den nächsten Jahren erschüttern werden.
Das Licht, das die Herrschenden am Ende des Tunnels sehen, ist wahrscheinlich ein Zug, der mit voller Geschwindigkeit auf uns zukommt und der uns überrollen wird, wenn wir dieses faulige und korrupte Kartenhaus namens Kapitalismus nicht beseitigen.