Konsumkritik. Ob Kaffee, Schokolade, Bananen oder Blumen: Immer mehr Menschen achten sehr bewusst darauf, unter welchen Bedingungen Produkte hergestellt wurden und was sie da eigentlich in ihren Einkaufswagen legen. Von Martin Halder.
Hinter dem Boom des bewussten Konsums steckt für viele auch die Überzeugung, sowie der Wille der Ungleichheit und dem Elend den Kampf anzusagen. Aber hinter diesem guten Willen verbergen sich auch Schattenseiten. Der Faire Handel, welcher mit gerechten Produktionsbedingungen wirbt, ist längst keine unbekannte Nische mehr. Alleine in Österreich bieten mehr als 6000 Supermärkte, Cafés und Bäckereien Produkte mit dem bekannten Fair-Trade-Label an. Außerdem hat sich der Fair-Trade-Umsatz allein im Jahr 2016 auf 270 Millionen Euro (ein Plus von 46% im Vergleich zum Vorjahr) erhöht.
Kapitalismus ist schrecklich (profitabel)
Die Basis für einen eigenen Markt für „faire Produkte“ ist erstmal himmelschreiende Unfairness, sprich die enorme Ungleichheit auf der ganzen Welt, die immense Konzentration von Reichtum auf der einen Seite und Elend auf der anderen.
2015 besaß das reichste 1% der Weltbevölkerung so viel wie die restlichen 99% zusammen und diese Entwicklung nimmt weiter rapide zu (vgl. Oxfam-Studie). Zudem ist dies noch eine relativ vorsichtige Schätzung, da die Riesensummen (Schätzungen zufolge 32 Billionen) der Reichen, welche in Steueroasen versteckt sind, nicht berücksichtigt werden. Konkret bedeutet dies, Milliardäre werden immer reicher, während Milliarden Menschen das Nötigste – Trinkwasser, Essen, Unterkunft, Strom, Medikamente – fehlt.
Wenn wir diese grausame Tatsache verändern wollen, müssen wir uns zuerst bewusstmachen, was sie verursacht. Zu oft wird hier eine altbekannte, moralische Erklärung gebracht, in dem die Ungleichheit als einfache Verteilungsfrage zwischen armen und reichen Ländern dargestellt wird. Fairtrade Deutschland wirbt beispielsweise mit folgendem Zitat von Richard David Precht: „Fairen Handel wird es erst dann geben, wenn die Länder der Ersten Welt lernen, die Interessen der ärmeren Länder in der Welt wirklich ernst zu nehmen.“
Dies sagt in Wirklichkeit gar nichts aus. Die Situation in Somalia ist nicht so zerstörerisch, weil wir alle hier in Österreich so „reich“ sind. Weltweite Armut und Elend wird nicht beseitigt, wenn Politik und Wirtschaft „die Probleme der sogenannten Dritten Welt ernster nehmen“ bzw. sind sie aus spezifischen Gründen unfähig dazu.
Die wirtschaftliche und soziale Ungleichheit liegt unserem System zu Grunde. Der moderne Kapitalismus beruht darauf, dass die großen Industriemonopole und Banken der industrialisierten Welt die Entwicklungsländer bis auf den letzten Tropfen aussaugen. Ein aktueller Bericht, der das Jahr 2015 bilanziert, verdeutlicht das. Demnach flossen zwar fast 20 Mrd. Dollar staatliche Förderungen, wie Entwicklungshilfe, nach Subsahara-Afrika (die Länder südlich der Sahara, welche den größten Teil Kontinents ausmachen), es wurden aber fast 28 Mrd. allein für Schuldenrückzahlung aufgewendet und 50 Mrd. neue Kredite aufgenommen, was die Abhängigkeit von den Großbanken im Westen weiter erhöht. Hinzukommt die Zerstörung vieler dieser Länder durch militärische Interventionen und die Finanzierung verschiedener bewaffneter Gruppen durch die USA, Russland und andere imperialistische Giganten. Nicht nur Syrien, Afghanistan und der Irak sind hierfür Beispiele, die Liste lässt sich noch lange fortführen.
Dies ist das Wesen des Kapitalismus, er kann ohne Ausbeutung nicht existieren. Kein Unternehmen, keine kapitalistische Produktion funktioniert, wenn sie nicht gewisse Profite verspricht. Und Profite kommen nicht von irgendwo, sondern aus der Tatsache, dass die ArbeiterInnen weniger bekommen als den Wert den sie in der Arbeit herstellen. Den Rest eignet sich der Unternehmer an (Ausbeutung). Dies wird umso deutlicher, je größer die Unternehmungen und ihr Kapital werden (nebenbei erwähnt, eine unvermeidbare Tendenz im Kapitalismus).
Es funktioniert also nicht eine heile Insel innerhalb dieses Systems aufzubauen, und die Ausbeutung so zu überwinden. Dies zeigt der Versuch von Fair Trade sehr gut.
Fair (Tr)ade
Bei dem Konzept von Fair Trade werden Produkte, die gewisse ökologische und soziale Standards erfüllen, mit dem bekannten Siegel ausgestattet. Zu den Kriterien gehören unter anderem Nachhaltigkeit, Verbot von Kinderarbeit, höhere Löhne und geregelte Arbeitsbedingungen.
Das Fair-Trade-System umfasst mittlerweile 1,66 Mio. Kleinbauernfamilien und Beschäftigte auf Plantagen in Lateinamerika, Afrika und Asien (Stand 2015), denen ein Fixpreis für ihre Rohstoffe und so höhere Löhne, sowie ein besseres Leben garantiert werden sollen. Dafür sind die Produkte deutlich teurer. Wie bei anderen ethischen Ansätzen sollen die KonsumentInnen den unfairen Markt ausgleichen und nicht die großen Händler und Konzerne, die dies verursacht haben und deren Profite nicht beschnitten werden.
Doch selbst dies würde wahrscheinlich vielen nichts ausmachen, wenn das Konzept halten würde was es verspricht. Ab Mitte der 2000er erlebte der faire Handel einen starken Boom. Der Umsatz der Produkte in Deutschland hat sich kontinuierlich von 2004 (58 Mio.) bis 2016 (ca. 1,2 Mrd.) verzwanzigfacht. In Österreich ist die Entwicklung ähnlich. Mit der zunehmenden Beliebtheit wollten auch immer mehr Großkonzerne vom sogenannten fairen Geschäft profitieren. 2005 brachte sogar Nestlé, bekannt für Beschneidung von Wasserressourcen und sklavenähnliche Arbeitsbedingungen, einen Fair-Trade-Kaffee auf den Markt.
Der Geschmack wurde immer bitterer. 2011 wurde der Mindestanteil an „fair gehandelten Zutaten“ für Mischprodukte (z.B.: Schokolade, Eis, Kekse) von 50% auf 20% gesenkt und somit aufgeweicht. Zudem kommt der größte Teil des Profits nicht den Kleinbauern zugute, sondern den großen Handelsketten und Supermärkten. Dies sind die wahren Profiteure des „fairen“ Labels.
Die verarmten Farmer und Plantagenarbeiter haben nahezu keinen Vorteil durch die Einbindung ins Fair-Trade-System. Diverse Studien bestätigen dieses Bild. Die meist höheren Einkünfte der Farmer werden durch die hohen Kosten der Zertifizierung wieder zunichtegemacht. In vergleichbaren Sparten, die nicht Teil von Fair-Trade sind, werden oft sogar höhere Löhne bezahlt.
Untersuchungen in Äthiopien und Uganda, bei denen Detailinformationen von über 1500 Personen gesammelt wurden, stellten sogar fest, dass Kinderarbeit auch auf Fair-Trade-Plantagen weitverbreitet ist.
Die Arbeiterklasse
Unter dem Profit- und Konkurrenzdruck des Kapitalismus verwandeln sich noble Ideen in ihr Gegenteil. Wie viele andere Siegel und Konzepte ist Fair-Trade ein gutaussehender Deckmantel für Großkonzerne, die dahinter in Ruhe ihre Profite weiter vermehren können. Es kann keine heile Welt her-konsumiert werden, vor allem nicht innerhalb dieses Systems.
Mit Ausbeutung und Elend Schluss machen, kann nur eine sozialistische Gesellschaft, die die Wirtschaft kollektiv und demokratisch plant und tatsächlich nach Bedürfnissen und nicht nach Profitlogik agiert. Nur so wäre es möglich gerade den Entwicklungsländern tatsächlich hohe Standards und Wohlstand zu garantieren. Hierfür dürfen wir nicht auf Wirtschaft und Labels vertrauen, die uns bessere Bedingungen versprechen. Wirkliche Veränderung in dieser Gesellschaft geht nur gegen die Großkonzerne und deren System mit der Stärke der organisierten Arbeiterklasse.
Jeder Streik, jeder Organisierung der ArbeiterInnen ist mehr wert als gesteigerter Fair-Trade-Konsum (selbst wenn das Konzept nicht ständig unterwandert würde). Denn letzteres muss sich immer auf die Gunst der großen Monopole in Handel und Industrie verlassen, welche jederzeit zu billigeren Anbietern wechseln, eigene Labels gründen oder massive Kürzungen durchführen können.
Nur die Arbeiterklasse alleine kann durch ihre Macht in der Produktion höhere Löhne, Mitbestimmung und darüber hinaus den Sturz des Kapitalismus garantieren. Deswegen stützen wir uns als MarxistInnen auf die Arbeiterbewegung und nicht auf kritischen Konsum.
Oder um es mit den Worten des Revolutionär Ted Grant auszudrücken: „Kein Rad dreht sich, kein Telefon läutet, keine Glühbirne scheint ohne die gütige Erlaubnis der Arbeiterklasse! Wenn sich diese enorme Kraft in Bewegung setzt, kann sie keine Macht der Welt stoppen.“