Die kommenden Nationalratswahlen werden die wachsende gesellschaftliche Instabilität widerspiegeln und befeuern. Der Bürgerblock tritt an, um die Verhältnisse im Sinne des Kapitals umzukrempeln.
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Die Umfragen sind sich einig, die umlackierte ÖVP wird zum klaren Wahlsieger, SPÖ und FPÖ kämpfen um Platz zwei und drei. Auf den hinteren Plätzen scheint alles möglich. Die Grünen mutieren zur Personalreserve aller politischen Lager und stecken in der tiefsten Krise seit ihrem Einzug ins Parlament im Jahr 1986. Mit der Liste Pilz ist eine neue politische Formation am Entstehen, eine parlamentarische Repräsentanz scheint sicher. Die NEOS verwandeln sich für die pensionierte Richterin Irmgard Griss in eine noch undefiniertere politische Bewegung. Der Bäume-Umarmer Matthias Strolz muss in den Hintergrund treten, um sein politisches Projekt vor dem Untergang zu retten. Und das Team Stronach streckt die Segel, allein ihr aktueller Vorsitzender versucht noch, sein Kopfgeld hinaufzutreiben, indem er damit droht, sich ebenfalls den Wahlen zu stellen. Sein Ziel ist es dabei allerdings, seinen Lebensunterhalt auf Kurzscher Liste fristen zu können.
Doch es ist noch zu früh, um voreilig einen Wahlausgang zu prognostizieren. Alle Umfragen und auch der Wahlausgang selbst werden nur eine kurze Momentaufnahme im Prozess der Destabilisierung der 2. Republik abbilden. Wir können bereits jetzt mit Sicherheit voraussagen, dass die Hälfte der WählerInnen vom 15. Oktober schon nach wenigen Wochen die individuell getroffene Wahlentscheidung bitter bereuen wird. Dies ist deshalb so, weil keine der drei erstgereihten Parteien ihr tatsächliches Programm präsentiert.
Sebastian Kurz versucht die ÖVP mittels eines menschenverachtenden Rassismus über die Ziellinie zu bringen. Sein Kalkül ist, dass jeder ertrinkende Mensch im Mittelmeer seiner bankrotten politischen Formation eine Stimme zutreibt. Das Herbeischreiben von IS-Terror im Zuge des tragischen Linzer Doppelmordes gehört ebenso zu dieser Strategie, wie die Falschdarstellung gesellschaftlicher Problemstellungen durch gezählte 902 Eingriffe in eine sogenannte „wissenschaftliche Studie“ zu Islamkindergärten eines Professors der Universität Wien durch weisungsgebundene Beamte des Außenministeriums.
Der holprige Rhetoriker und charismabefreite Selbstdarsteller Sebastian Kurz behauptet, die Hauptformation des österreichischen Bürgertums in eine „Bewegung“ umgemodelt zu haben. Wir müssten hinzufügen: Eine Bewegung nach seinem persönlichen Zuschnitt, alle gezählte 20 Sekunden redete Kurz auf seiner Parteitagsrede vom „Ich“. Das „Ich“ trägt die Toten im Mittelmeer als eine persönliche politische Leistung vor sich her. Das tatsächliche politische Programm, die radikale Zerschlagung aller solidarischen Sicherungssysteme und gesetzlichen Schutzmechanismen für ArbeiterInnen sowie eine massiv beschleunigte Umverteilung von der Arbeiterklasse hin zum Kapital, versucht er dabei peinlichst im Dunkeln zu halten. Er weiß, dass er damit keine Wahl gewinnen könnte. Im Sommer 2017 vollzieht sich ein Lehrbeispiel der gesellschaftlichen Funktion des Rassismus: die Spaltung der Arbeiterklasse entlang nationaler Linien, um sie schwach zu halten und von den wahren Problem abzulenken.
Hinter der kurzschen Rassismus-Fassade knirscht es hörbar im Gebälk der politischen Verfasstheit der österreichischen Kapitalherrschaft. In einem letzten Aufbäumen vereinbarten die Top-Spitzen von ÖGB und Wirtschaftskammer eine schwammige Vereinbarung für einen Mindestlohn von 1.200€ netto bis zum Jahr 2020. Die gleichzeitige Nicht-Vereinbarung des 12-Stunden Tages (ÖBG Präsident Foglar hätte hier zugestimmt, er scheiterte jedoch in den gewerkschaftlichen Gremien) führte zu einem Aufschrei im Lager der Industriellen. Christian Knill, Obmann des wichtigsten Metallindustrieverbandes, schwört Rache. Bei der Herbstlohnrunde werde man das Versagen von Wirtschaftskammerpräsident Leitl ausbessern. Knill stellt sowohl Lohnverhandlungen, als auch flächendeckende Kollektivverträge an sich in Frage. Leitl muss diesem Druck nun nachgeben, indem er eine gesetzliche Lösung des „Problems“ fordert, also einen Eingriff einer kommenden Bürgerblockregierung in die bisher kollektivvertraglich geregelten Arbeitsbeziehungen.
Die Gewerkschaftsspitzen von PROGE und GPA-djp bezeichnen diese Dynamik richtigerweise als „Klassenkampf von oben“ und sind weiter nicht dazu bereit, dagegen zu mobilisieren, um den solidarischen Widerstand von unten zu organisieren. Sie hoffen wohl, dass einmal mehr nicht so heiß gegessen wie gekocht würde.
Doch diese Hoffnung ist in Wirklichkeit ein verzweifeltes Klammern an unrealistische politische Szenarien. Der Rücktritt von Mitterlehner und der Wechsel zu Kurz ist nicht nur eine personelle, sondern auch eine politische Weichenstellung weg von der als „Sozialpartnerschaft“ dargestellten Klassenzusammenarbeit, hin zu einer Politik der sozialen Angriffe auf die ArbeiterInnen. Und diese Politik scheint zurzeit in Form einer ÖVP-FPÖ Mehrheit im Parlament abgesichert zu sein. Dass das Bürgertum nicht offensiver für diese Konstellation die Medienmaschinerie anwirft, liegt ausschließlich daran, dass dies die Chancen auf eine Mehrheit der beiden Parteien nur schmälern würde.
Selbst eine politische Konstellation fern von ÖVP oder FPÖ wäre auf die parlamentarische Unterstützung durch Pilz, ex-Neos und Grüne angewiesen, allesamt Formationen, die in einer mehr oder weniger radikalen Form für das Ende der Sozialpartnerschaft stehen.
Bleibt noch die SPÖ selbst, die sich mit dem Plan A von Christian Kern ein durch und durch bürgerliches Programm in Verteidigung des Wirtschaftsstandortes aufoktroyieren ließ. Verschämt präsentiert die SPÖ-Spitze ihre „Alternative“ zum Generalangriff auf die ArbeiterInnen durch das Bürgertum: Sparpolitik mit „menschlichem Antlitz“. Die „Sozialpartnerschaft“ hat allseits abgewirtschaftet.
Der 15. Oktober wird so zu einem Wendepunkt in der politischen Verfasstheit der Republik werden. Die Arbeiterklasse wird dabei nach heutigem Ermessen kein Instrument vorfinden, um ihre Interessen umfassend an der Wahlurne verteidigen zu können. Das wahre Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit wird bei den Wahlen so nicht gemessen werden, sondern sich erst in der konkreten gesellschaftlichen Auseinandersetzung in deren Folge erweisen. Die rassistische Hysterie hat nur eine beschränkte Halbwertszeit. Sobald sie sich verbraucht hat und verallgemeinerte soziale Angriffe vorgetragen werden, wird die Arbeiterbewegung bei Strafe ihres Unterganges ihre Kräfte im Klassenkampf mobilisieren müssen. Dann wird sich schnell zeigen, wie nackt der Möchtegernkaiser Kurz in Wirklichkeit dasteht.