Das westafrikanische Gambia durchlebte nach den Präsidentschaftswahlen vom
1. Dezember 2016 eine turbulente politische Entwicklung. Paul Ziermann berichtet.
Gambia löste sich Mitte der 1960er Jahre von der britischen Kolonialherrschaft. Das kleinste Land des afrikanischen Festlandes zählt jedoch weiterhin zu den ärmsten Ländern der Welt. Nicht einmal die Hälfte der Gambier und gerade einmal ein Drittel der Gambierinnen können lesen und schreiben. 1994 kam der bisherige Präsident Yahya Jammeh mithilfe eines Militärputsches an die Macht. In den folgenden Jahren baute er nicht nur schrittweise seine Macht aus, sondern schuf einen gigantischen Personenkult rund um seine Person. So behauptet er selbst von sich, AIDS durch Handauflegen heilen zu können. Die Todesstrafe wurde wieder eingeführt und Gambia zum islamischen Staat erklärt. Zu Ehren seines Militärputsches ließ Jammeh in der Hauptstadt einen 35 Meter hohen Schrein errichten.
Auch wenn sich Jammeh selbst gerne als allmächtig darstellte, die Realität war seit geraumer Zeit eine andere. Aufgrund der revolutionären Bewegungen, die Westafrika in den letzten Jahren erschütterten (Occupy Nigeria, die Massenproteste in Senegal und Burkina Faso), sah sich der diktatorisch agierende Präsident gezwungen, das Land zu öffnen und Reformen zu ermöglichen. Der tief sitzende Unmut in der Bevölkerung fand trotzdem bei den Wahlen am 1. Dezember seinen Ausdruck, und Jammeh unterlag seinem Herausforderer Adama Barrow.
Nachdem Jammeh das Wahlergebnis zuerst zu Kenntnis genommen und bekannt gegeben hatte, sich an den Willen „des Volkes und Allahs“ zu halten, änderte er seine Meinung recht schnell, als die Nachfolgeregierung erklärte, ihn wegen der Verbrechen während seiner Amtszeit anzuklagen.
Jammeh erklärte, sein Amt behalten zu wollen, was jedoch auf den massiven Widerstand der Bevölkerung traf. Direkt nach seiner Wahlniederlage gingen die Massen auf die Straße, um das Ende seiner Diktatur zu feiern. Auch die herrschende Klasse Westafrikas stellte sich gegen Jammeh, der zu einem zu starken Instabilitätsfaktor für ihre Herrschaft geworden war. Die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECOWAS) unter der Führung von Senegal und Nigeria entsandte deshalb Truppen nach Gambia, sodass sich Jammeh Ende Jänner gezwungen sah, das Land zu verlassen, natürlich nicht ohne zuvor noch mehrere Millionen aus der Staatskasse zu entwenden.
Auch wenn Jammehs diktatorische Regierung nun gestürzt ist, bedeutet das jedoch nicht, dass es für die gambische Bevölkerung irgendwelche Verbesserungen in den nächsten Jahren geben wird. Barrow ist ebenso ein Teil der herrschenden Klasse, und die Militäroperationen der vergangenen Wochen zeigen gut, wie weit die afrikanische Bourgeoisie geht, wenn sie ihre Interessen gefährdet sieht.
Die gambische Bevölkerung wird nicht durch die militärischen Interventionen der ECOWAS oder anderer Organisationen befreit, sie kann sich nur selbst befreien. Die Bevölkerung in Gambia muss den Sturz der herrschenden korrupten Cliquen selbst in die Hand nehmen, nur so können Ungleichheit und Armut wirkungsvoll bekämpft werden. Dass die Bevölkerung bereit ist, dies zu tun, hat sie bereits nach der Wahl vom 1. Dezember in Massendemonstrationen bewiesen.