Larissa Reissner wurde 1895 im polnischen Lublin geboren, damals noch unter zaristischer Herrschaft. Sie verbrachte die ersten Jahre ihres Lebens in der sibirischen Großstadt Tomsk, wo ihr Vater eine Rechtsprofessur erhalten hatte. 1903 musste die Familie vor der Unterdrückung durch das zaristische System nach Berlin fliehen. Durch die politische Tätigkeit ihres Vaters, der einige Jahre lang Mitglied der Bolschewiki war, lernte sie in dieser Zeit viele im Exil lebende russische Revolutionäre wie Lenin oder deutsche Revolutionäre wie Karl Liebknecht kennen. Nach Russland zurückgekehrt, bewegte sie sich in revolutionär-sozialistischen Kreisen, schrieb Artikel und Essays, u. a. für Maxim Gorkis Literaturzeitschrift „Letopis“ oder die sozialistische Tageszeitung „Nowaja Shisn“. Von Nicholas Hächl.
Schon bald nach der Oktoberrevolution, die sie aktiv unterstützte, trat Larissa den Bolschewiki bei. Sie wurde die erste weibliche Politkommissarin der Roten Armee. Zusammen mit dem Bolschewiken Fjodor Raskolnikow, mit dem sie fünf Jahre lang verheiratet war, war sie während des Russischen Bürgerkrieges bei der Belagerung von Kasan aktiv. Sie spezialisierte sich auf die Spionagearbeit hinter den feindlichen Linien und führte die Geheimdienstabteilung der Wolgaflotte. 1919 diente sie mehrere Monate lang als Kommissarin des Generalstabs der Roten Flotte.
Der russische Revolutionär Leo Trotzki erinnert sich in seinem autobiographischen Werk „Mein Leben“ an ihre gefährliche militärische Arbeit und literarische Tätigkeit im Dienste der Revolution: „Larissa Reißner, die Iwan Nikititsch das Gewissen von Swjaschsk nannte, nahm selbst einen bedeutenden Platz in der 5. Armee ein, wie in der Revolution überhaupt. […] Nach der Einnahme Kasans durch die Weißen [die Streitkräfte der Konterrevolutionären, Anm.] begab sie sich, wie eine Bäuerin gekleidet, in das feindliche Lager als Auskundschafterin. Aber ihr Äußeres war zu ungewöhnlich. Sie wurde verhaftet. Ein japanischer Kundschafteroffizier verhörte sie. Während einer Pause schlich sie sich aus der Tür, die schlecht bewacht war, und entkam. Seit der Zeit arbeitete sie in der Kundschafterabteilung. Später schwamm sie auf Kriegsschiffen und nahm an Kämpfen teil. […] Sie wollte alles wissen und kennenlernen, an allem teilnehmen. In wenigen Jahren wuchs sie zu einer erstklassigen Schriftstellerin empor.“
In den 1920er Jahren erschienen einige ihrer leidenschaftlichen Essays und lebendigen Artikel auf Deutsch und Russisch, u. a. „Die Front“, eine Sammlung ihrer Bürgerkriegsskizzen, „Afghanistan“, ein Bericht ihrer Erlebnisse als Mitglied der sowjetischen diplomatischen Delegation am Hof des Emirs, und „Kohle, Eisen und lebendige Menschen“, eine Reportage ihrer Reisen durch den jungen, sich gerade industrialisierenden russischen Arbeiterstaat. Eines ihrer bekanntesten Werke ist „Hamburg auf den Barrikaden“, eine Sammlung anschaulicher Skizzen aus den Tagen der gescheiterten Deutschen Revolution von 1923.
Ihr Leben war ereignisreich, aber viel zu kurz. Im Alter von nur 30 Jahren starb sie 1926 in einem Moskauer Krankenhaus an Typhus. So verschied – viel zu früh – eine leidenschaftliche, kämpferische und mutige Revolutionärin.