Lend/Salzburg. Im Jahr 2012 starben zwei Arbeiter im Aluminiumwerk. Vier Jahre danach wurde nun der Prozess gegen 17 Beschuldigte und das Unternehmen eröffnet. Martin Gutlederer berichtet über die mutmaßlich fahrlässige Tötung.
Am 8. März 2012 sind bei Wartungsarbeiten in einer Vorwärmekammer eines Aluminiumschmelzofens der „Salzburger Aluminium Gruppe“ zwei Arbeiter verbrannt, da der Ofen in Betrieb genommen wurde, obwohl sich zwei Menschen in ihm befanden. Laut der Staatsanwaltschaft herrscht an diesem Standort des Konzerns ein „Sammelsurium von Sorgfaltsverletzungen“, es fehle sogar eine Betriebsanlagengenehmigung für das betroffene Werk 3, was von Unternehmensseite jedoch bestritten wird. Die Staatsanwaltschaft stützt sich auf ein Gutachten in dem es heißt: „Das Schließen (ohne Selbsthaltung) der Tore mittels Funkfernbedienung ist in der derzeitigen Ausführung unzulässig (…). Zurzeit ist es möglich, dass Personen unabsichtlich in den Kammern eingeschlossen werden können bzw. Personen im Schließbereich der Tore gefährdet werden.“ Der Gerichtssachverständige stellte weiter fest, dass wenn fünf bis zehn Sekunden bevor das Tor der Vorwärmekammer schließt eine Anlaufhupe ertönen würde, dies das auch die beiden Arbeiter gehört hätten, selbst wenn sie einen Gehörschutz getragen hätten. „Eine Warnhupe wird auch von der Norm her gefordert.“
Das Unternehmen beharrt auf seinem Standpunkt, dass „menschliches Versagen“ und mangelnde Sorgfaltspflichterfüllung der zwei zu Tode gekommenen Arbeiter allein für ihren Tod verantwortlich sei und weist damit jede Verantwortung von sich. Hätten die Opfer die vorgeschriebenen Sicherheitsvorschriften eingehalten, wären sie nicht tot. Das falsche Verhalten der zwei Opfer wird weder von der Staatsanwaltschaft, noch von den Hinterbliebenen bestritten, doch die vorgelegten Gerichtsgutachten belegen eindeutig, dass keine Rede von einem schicksalhaften Individualversagen sein kann. Die Verteidigung der Unternehmungsführung beantragte daher das Gutachten ob „geäußerter emotionaler Befangenheit des Gutachters während seiner Untersuchung“ nicht zuzulassen. Diese durchsichtige Strategie soll davon ablenken, dass des Profits zuliebe an allen Ecken und Enden der Sicherheit gespart wird und das Unternehmen damit solche Unfälle scheinbar billigend in Kauf genommen hat.
Es drängt sich die Frage auf, wie ein 56-jähriger Facharbeiter, der seit 42 (!) Jahren in der gleichen Firma schuftet, eines Tages mit seinem Kollegen (einem Leiharbeiter) plötzlich in den Schmelzofen steigt und ausgerechnet an diesem Tag auf jegliche Sicherheitsmaßnahmen verzichtet. Man darf zumindest diese Vermutung äußeren: Wie in so vielen österreichischen Betrieben dürften in der Salzburger Aluminium Gruppe (SAG) Sicherheitsmaßnahmen als unnötig zeitraubend und übertrieben angesehenen sein. Man hat das permanente Klagelied der Industriellenvereinigung (IV) und der Wirtschaftskammer, in dem über unerträgliche, bürokratische und praxisferne Sicherheitsvorschriften gejammert wird, im Ohr.
Als wäre der Zynismus der Unternehmensführung bereits nicht drückend genug, lohnt es sich genauer hinzusehen, was die SAG ist, und für was sie steht. Es handelt sich um einen weltweit agierenden Konzern mit 17 Standorten. Die Aktionäre gehören allesamt der Familie Wöhrer an, die 96 % der Aktienanteile in einer Privatstiftung, die sie zu ihrer eigenen Versorgung eingerichtet haben, geparkt haben. Die Vorstandsvorsitzende aller drei Dachfirmen der SAG AG ist Karin Exner-Wöhrer. Im Jahr 2009 verhandelte die SAG einen außergerichtlichen Zahlungsausgleich mit Banken, die dabei auf 60 % ihrer ausstehenden Forderungen verzichteten. In Forbes Austria vom Juli 2015 wird die junge Erbin, die Chefin des Standortes Lend, als „Schwergewicht der heimischen Industrieszene“ bewertet. Neben der SAG ist sie auch an der Breitenfeld AG und der RIH beteiligt. Die Start-Up-Unternehmerin des Jahres 2015 – so wurde sie von der der Tageszeitung „Die Presse“ prämiert – ist in den Steuerhinterziehungsskandal rund um die sogenannten „Swiss Leaks“ verwickelt. Exner-Wöhrer ist dabei auf einer Liste aufgetaucht, wo sie de facto in Besitz eines unversteuerbaren Nummernkontos ist. Sie selbst „könne mit dieser Kontobezeichnung nichts anfangen“ und habe alles versteuert. Wir haben es also mit einer lupenreinen Unternehmerin und – wie könnte es auch anders sein – einer ausgewiesenen Sozialpartnerin zu tun. Sie war nämlich auch im Spitzenverhandlerteam des Arbeitgeberfachverbandes für die Maschinen- & Metallwaren-Industrie (FMMI) tätig. Dabei ist sie nach Aussagen der gewerkschaftlichen VerhandlerInnen durch besondere Aggressivität und Unwillen überhaupt mit den Gewerkschaftern in Dialog zu treten aufgefallen. Exner-Wöhrer ist auch Mitglied des Bundesvorstandes der Industriellenvereinigung. Abseits ihres Engagements im Interessensverband des Kapitals bestreitet sie ein breit aufgefächertes gesellschaftliches Leben: Neben dem Rotari Club Wien Stephanplatz gehört sie auch mehreren Aufsichtsräten an, darunter der LPC Capital Partners, die Investoren jährliche Renditen zwischen 10 % und 20 % (!) verspricht. Im Mai 2015 wurde sich auch in den Aufsichtsrat der Telekom Austria berufen. In ihrem Hobby Golf hat sie Handicap 4 und darf sich damit österreichische Meisterin nennen, zudem ist sie Rettungs-Taucherin. Vorträge auf „wissenschaftlichem Niveau“ (WU Wien) oder im informellen Rahmen bei Kamingesprächen der Industriellenvereinigung runden ihren harten Alltag ab.
Die Familien der verstorbenen Arbeiter hatten nie die Chance ein derart schillerndes Leben zu führen, sondern müssen um lächerlich geringe Schadenersatzsummen streiten und Anwälte bemühen und mit einem menschlichen Verlust fertig werden, der sich nicht in Worte fassen lässt.
Die Zeit ist mehr als nur reif solche individuellen Tragödien wirkungsvoll und nachhaltig zu bekämpfen und ein Wirtschaftssystem zu beenden, das solche immer wieder erzeugt.
Ein Urteil im Prozess gegen die SAG wird für Juli dieses Jahres erwartet.