Prof. Helmut Dahmer stellt sein Buch „Pseudonatur und Kritik“ vor.
Helmut Dahmer PSEUDONATUR UND KRITIK ( Rezension)
Die bürgerliche Gesellschaft steckt voller Rätsel. Teil des Befreiungskampfes ist es, diese Rätsel zu knacken. Helmut Dahmer gelingt dies mit seinem Buch in eindrucksvoller Weise.
Er begint mit der „Kritik“: „Kritik gilt gesellschaftlicher Herrschaft, die als „Natur“ erscheint“ (S.9). Die Psychoanalyse Freuds erhellt das, was in der Psyche und im gesellschaftlichen Leben als „fremd“ erscheint. „Daß wir selbst die Rätsel-Sphinx sind, die uns den Geschichtsweg versperrt, und daß das Unheil, das uns trifft, der Bewußtlosigkeit unserer Praxis entspringt, ist die Lehre des Ödipus“(S. 36).
Obwohl sich der bürgerliche Theoretiker Freud nicht -aller- Implikationen seines Schaffens bewußt war- gelegentlich miß/verstand er die Psychoanalyse als „Naturwissenschaft“- eignet sich diese auch als kritische Gesellschaftstheorie. Freuds „Massenpsychologie und Ich-Analyse“ ist immens wichtig für das Verständnis faschistischer Massenbewegungen. In “ Die Zukunft einer Illusion“ geht er hart mit der die Religion ins Gericht. An manchen Stellen liest sich das Buch fast wie eine Revolutionstheorie: „Es braucht nicht gesagt zu werden, daß eine Kultur, welche eine so große Zahl von Teilnehmern unbefriedigt läßt und zur Auflehnung treibt, weder Aussicht hat, sich dauernd zu erhalten, noch es verdient“ (S. 65).
Spannend auch die ideengeschichtlichen Reflexionen Dahmers, wo er zeigt, wieviel „Vorrabeit“ für die Psychoanalyse bereits von Schelling und Nietzsche geleistet wurde (S. 10ff).
Marx dechiffrierte in seiner KRITIK der Politischen Ökonomie die Verdinglichung, die Naturalisierung ökonomischer Verhältnisse und die sie behandelnden ökomischen Kategorien. Am prägnantesten in dem berühmten Kapitel des 1. Bands des „Kapital“ über den „Fetischismus der Ware und sein Geheimnis“.
Besonders wichtig ist, daß in das vorliegende Buch der Artikel „Kapitalakkumulation und Krise“ (S. 327ff) aufgenommen wurde. Bis zum heutigen Tag herrscht totale Verwirrung über die wirklichen Krisenursachen des Kapitalismus. Bis tief in die Linke hinein, werden gänzlich oberflächliche Phänomene als Erklärungsmuster hergenommen- bei Linken zumeist keynesianische Deutungsschemata. Umso erfrischender ist es bei Dahmer u.a. zu lesen: “ Die kapitalistische Krise ist Verwertungskrise; ihre letzte Ursache ist defizitäre Mehrwertproduktion. Sie ist in eins Manifestation und Korrektiv des tendenziellen Falls der Profitrate „(S. 335).
Der Stalinismus hat in der Sowjetunion der Revolution den Garaus gemacht und die internationale ArbeiterInnengewegung an das „Moskauer Zentrum“ gefesselt und so eine lange Serie von Niederlagen mitverursacht: Deutschland 1933, Spanien 1936-1939, Griechenland am Ende des 2.Weltkriegs etc.
Trotzki und die Linksopposition nahmen die -herkulische- Herausforderung an, „gegen den Strom zu schwimmen “ . Bei aller revolutionärer Zuversicht wagte Trotzki 1939 auch eine pessimistische Prognose. „Wenn das Weltproletariat wirklich unfähig ist, die Mission zu erfüllen, die ihm der Gang der Geschichte auferlegt hat, dann wäre offenbar ein neues „minimales“ Programm notwendig – zum Schutz der Interessen der Sklaven einer totalitären bürokratischen Gesellschaft“ (S 385).
Damit diese tragische Denkvariante nicht Wirklichkeit wird, gilt es praktisch einzugreifen- durchaus theoretisch fundiert. Das Buch Dahmers liefert dazu einen wichtigen Beitrag.
Eine -solidarisch- kritische Anmerkung sei mir gestattet. Dahmers Diktum über den „Anti-Psychologen Marx“ (S. 338) erscheint mir doch zu apodiktisch. Sicher hat sich Marx nie als „Psychologe“ betätigt. Aber in Werken wie “ Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte“ findet sich einiges an „politischer Psychologie“; ebenso in seinen Artikeln zu den neapolitanischen lazzoroni, Lumpenproletariern, die bereit waren jedem Populisten hinterherzulaufen.
von Hermann Dworczak
Helmut Dahmer Pseudonatur und Kritik. Freud, Marx und die Gegenwart.
Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster 2013. 415 Seiten