Die Ausgangslage für die vorgezogenen Nationalratswahlen waren aus der Sicht der Arbeiterklasse von vorneherein nicht gut.
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Im Jänner oktroyierte SPÖ-Vorsitzender Kern sein bürgerliches Modernisierungsprogramm auf, den Plan A, und die Partei schluckte es begierig. Die Grundlage dafür waren die relativ hohen Umfragewerte. Die Hoffnung war, dass Christian Kern die Sozialdemokratie zwar inhaltlich entleert, aber immerhin als Instrument zum Zugang zum Staatsapparat zusammenhalten können würde.
Doch sein Gegenspieler Sebastian Kurz entfachte mit seiner Machtübernahme in der ÖVP eine weitaus stärkere Dynamik. Diese beruht im Wesentlich darauf, dass Kurz völlig im Einklang mit den sozialen und gesellschaftspolitischen Interessen des Kapitals und seiner gesellschaftlichen Massenbasis, insbesondere dem ländlichen Kleinbürgertum steht: Österreich muss umgebaut werden und christlich bleiben, Leistung muss wieder lohnen!
Kern dagegen ist ein rhetorisch eleganter Manager, der unterschiedliche Zielgruppen bedienen muss: Einmal werden Start-Up-UnternehmerInnen versammelt, dann traditionsbewusste SozialdemokratInnen symbolisch bedient, am Morgen redet er zu 1000 Metallerbetriebsräten in St. Pölten, am Abend schwärmt er als Key Note Speaker in der Industriellenvereinigung am Wiener Schwedenplatz von der Modernisierung Österreichs. Da kann man rhetorisch noch so geschliffen sein, in einer Periode der gesellschaftlichen Zuspitzung wird es immer unmöglicher, zwei Herren zu dienen. Dabei lässt er vor Österreichs Industriellen keinen Zweifel, welchem Teil der Gesellschaft er selbst angehört, und welche Idee er verfolgt: „Es ist unsere Aufgabe als Elite in diesem Land, dafür zu sorgen, dass hier niemand unter die Räder kommt.“
Die Lücken dieses fragmentierten Polit-Wesens hätten in der zugespitzten Zeit des Wahlkampfes von einem Söldnerheer von PR-Profis gefüllt werden sollen. Dass diese Taktik, Tony Blair grüßt aus seinem politischen Grab, zum Mühlstein am Hals der Wahlkampagne wird, ist nur der berühmte symptomatische Zufall, der eine sich aufdrängende Notwendigkeit zum Ausdruck bringt: Es gibt keine „Zwischenposition“ zwischen der Verteidigung der Interessen des Kapitals und jener der Arbeiterklasse.
Zu glauben, dass Kurz mit weniger schmutzigen Mitteln arbeitet, wäre naiv. Im Gegenteil, er ist ein Meister der politischen Illusion und rassistischer Demagogie. Aber sein Vorteil ist, dass er eine stringente Botschaft hat und im Einklang mit dem Kapital handelt.
Dies wird im interessantesten Leaks dieses Wahlkampfes deutlich, dem vielseitigen minutiösen Plan seiner Machtübernahme in der ÖVP, Umgruppierungen in der Parteienlandschaft (die NEOS sollen heim ins ÖVP-Reich), in der Regierung und des darauf folgendem Umbaus der Republik. Die Medienöffentlichkeit diskutierte nur die uninteressantesten Aspekte dieses Planes: haben etwa Kabinettsmitglieder daran mitgearbeitet? Natürlich haben sie und nicht nur Ministerialbeamte, sondern mit Garantie auch Banker, Polit-Profis, Interessensgruppen der Reichen etc.
Doch interessant ist die politische Einschätzung die dem kurzschen Kreuzzug zugrunde liegt, und es lohnt sich ausführlich die kurzsche Analyse zu zitieren:
„Stimmung in der Wählerschaft ist derzeit geprägt von: Unsicherheit. Angst Standards nicht halten zu können (Arbeit, Bildung, Wohlstand,…), (Neid-)Gefühl, die eine Hälfte der Bevölkerung lebt auf Kosten der anderen Hälfte (…) System-Verdrossenheit – ‚so geht´s nicht weiter, das System ist am Ende‘; Hass auf die ‚alten Parteien‘ – kein Vertrauen in Eliten; Schlechte Meinung vom ‚System‘ → kein Vertrauen, dass ‚das System‘ die Probleme langfristig lösen kann/wird. Stimmung=Wechselstimmung (…) Derzeit herrscht in Europa Instabilität trotz konsolidierter Wirtschaftsdaten“
Auf dieser Basis wurde der in die Wolle gefärbte ÖVP-Apparatschik Sebastian Kurz als Anti-Systemkandidat (!) aufgebaut, sein Rassismus anti-islamischer Prägung dient dabei der Umlenkung des Hasses und der Angst in sichere Bahnen und als Spaltungsmechanismus der Arbeiterklasse.
Dass sich diese Strategie in eine Stabilisierung der ÖVP ummünzen lässt ist einzig und allein dem politischen Versagen der sozialdemokratischen Führungen zuzuschreiben. Seit einem Jahrzehnt verwaltet sie die Krise mit, schiebt das Geld in Bankenrettungen, ja deckte politisch sogar die Korruptionsskandale der verhassten schwarz-blauen Zeit: die Privatisierungen mit ihren Schmiergeldzahlungen, die Hypo-Affäre, die Eurofighter.
Die Führungen der Gewerkschaften tragen ihren Anteil zu dieser Malaise bei. Die Aufrechterhaltung der Sozialpartnerschaft ist zu einem bürokratischen Selbstzweck der Verwaltung der Arbeiterbewegung verkommen. Ein Jahrzehnt, in dem auf jede ernsthafte Mobilisierung der Klasse verzichtet wurde, wiegt schwer. Innerhalb der Klasse wurde der Entsolidarisierung breiter Raum geschaffen, ja selbst zwischen den Betriebsratsköperschaften der einzelnen Branchen herrscht Rivalität vor, da sie des gemeinsamen Kampfes entwöhnt ihr Heil in guten Beziehungen zur jeweiligen Geschäftsführung suchen. Auf Seiten der Unternehmer gewannen jene Kräfte an Dynamik, die den Umgang mit kraftlosen Gewerkschaftern nur noch als Zeitverschwendung sehen, in der Sozialpartnerschaft ein sinnentleertes Schattenritual der Vergangenheit.
Die österreichische Linke konnte von diesem Niedergangsprozess bisher nicht profitieren. Sie ergötzte sich der ideologischen Verwirrungen des idealistischen Postmodernismus und bezog sich auf die Arbeiterklasse meistens nur insofern, als dass sie zum tausendeinsten mal ihr Ende, ihre „Transformation“ oder „Integration ins bürgerliche System“ proklamierte. Als sie in den vergangen Jahren versuchte endlich „handlungsfähig“ zu werden, versuchte sie dies unter Abkürzung jeder ernsthafter politischer und methodischer Diskussion zu erreichen – und scheiterte nicht ohne dabei noch tiefer in Selbstzweifel zu stürzen.
Uns revolutionären MarxistInnen ist dieser Pessimismus fremd. Wir verstehen die Ursachen der heutigen Situation und die Bedingungen der Umkehrung der gesellschaftlichen Entwicklung: Diese kann nur durch die solidarische Aktion der Arbeiterklasse im Klassenkampf und die Kraft der Jugendbewegung kommen. Unter den kommenden Schlägen der neuen Regierung wird die innere Unruhe sich in eine massenhafte Unruhe der Straßen, Schulen, Universitäten und Betriebe verwandeln.
So eine Massenbewegung tobt, während wir diese Zeilen schreiben, gerade in Katalonien, wo Hunderttausende sich in einer Massenbewegung der Polizei entgegenstellen, streiken, demonstrieren. Das ist die Grundlage für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft. Wir wollen der dominierenden Österreichtümelei ganz bewusst entgegentreten und sagen deshalb: Entledigen wir uns dem unnützen österreichischen Ballast der letzten Jahre, lernen wir katalanisch!