Vermummte, Straßenschlachten des „schwarzen Blocks“ mit der Polizei, Chaos. Wenn die bürgerlichen Medien über „autonome Gruppierungen“ berichten, dann geben sie sich ganze Mühe, genau diese Klischeebilder unter die Menschen zu bringen. Durch ihre Rolle bei den Protesten gegen IWF, WTO oder WEF stehen die Autonomen wieder im Blickfeld. Wir wollen es aber nicht bei dieser Schwarzweißmalerei belassen und dem Phänomen „Autonome“ etwas auf den Grund gehen.
Die Autonomen sind ein spätes Kind der 68er-Jugendrevolte, wenn man so will ein letzter radikaler Ausbruch einer abebbenden Bewegung. Sie sind die konsequentesten Erben der antiautoritären Ideologie der Studentenbewegung, welche 1968 die ganze Welt erschütterte. Ihre Feindbilder sind klar: die Konsumgesellschaft, der Staat, Parteien. Man lehnt Organisationen ab, setzt auf Spontaneität, direkte Aktionen und will ein selbstverwaltetes Leben, in dem man seinem Hedonismus frei von allen Zwängen frönen kann. Es geht gegen die Trennung von Privatem und Politischem und um Ansätze zur Veränderung des Alltagslebens.
Unter dem Pflaster…
Ende der 70er entpuppte sich der Traum von einer Revolution, der von Hunderttausenden geträumt wurde und im Pariser Mai ’68 oder im Heißen Herbst ’69 in Italien auch Realität werden hätte können, langsam, aber sicher als Illusion. Die Gewerkschaften und die traditionellen Arbeiterparteien (egal ob die Sozialdemokratie in Deutschland oder die KP in Italien und Frankreich) hatten wieder die Kontrolle über die Arbeiterklasse erlangt und bastelten mit dem Kapital an Sparpaketen und einem Ausweg aus der wirtschaftlichen Stagnation der 70er. Die großen Streikbewegungen waren wieder Vergangenheit, und in den großen Fabriken beruhigte sich, abgesehen von einigen Defensivkämpfen gegen Betriebsschließungen und Massenentlassungen, die Lage wieder.
Für einen nicht unbeträchtlichen Teil der Jugend war aber angesichts der düsteren sozialen Lage eine „Rückkehr zur Normalität“ ausgeschlossen. Von den reformistischen Arbeiterorganisationen erwarteten sich diese oft marginalisierten Jugendlichen rein gar nichts. Zu sehr stellten diese ihre Rolle als staatstragende Organisationen zur Schau, zu offensichtlich die Privilegien dieser „Arbeiterführer“. Die „Neue Linke“, die sich nach ’68 herausgebildet hatte, war mit ihren hierarchischen Strukturen und dogmatischen Lehrsätzen ebenfalls nicht sonderlich attraktiv.
Anders als ihre rebellierenden Vorgänger versuchte diese neue Jugendbewegung nun erst gar nicht, in die Gesellschaft hineinzuwirken, sondern sie negiert sie meistens ganz einfach und versucht in „Freiräumen“ ein alternatives Leben zu führen. Politik wird abgelehnt, politische Aktionsformen haben hauptsächlich das Ziel, sich Freiräume zu schaffen, in denen hier und jetzt individuelles Glück in der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten gefunden werden soll.
Der Teil der Bewegung, der sich nicht in die eigene kleine, heile Welt zu flüchten versucht, der strebt die bedingungslose Zerstörung des Systems an. Vor allem die politischeren Köpfe unter den Autonomen sehen sich dabei in einer anarcho-syndikalistischen Tradition. Ausgangspunkt ihrer Überlegungen ist die Losung nach völliger Unabhängigkeit der Arbeiterklasse von den Gewerkschaften und Arbeiterparteien. Diese sind aus ihrer Sicht nicht viel mehr als Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus. Wahre Revolutionäre müßten sich aber gegen die Lohnarbeit als solches wenden. Im Großen und Ganzen sieht man in der Arbeiterklasse aber nicht mehr das zentrale revolutionäre Subjekt, dieses ortet man vielmehr bei den an den Rand der Gesellschaft gedrängten Gruppen (prekär und atypisch Beschäftigte, Arbeitslose, ImmigrantInnen,…). Den Thesen von Toni Negri folgend sieht man die Fabriksarbeiter (meist männlich und Inländer) als ins System integriert und durch die Medien- und Konsumgesellschaft völlig manipuliert, womit sie als Träger sozialer Bewegungen wegfallen. Richtete sich 1968 die Kritik in erster Linie an der Politik der Führung der Arbeiterbewegung, womit man die Basis für eine revolutionäre Politik zu gewinnen versuchte, sahen die Autonomen nun jedoch die gesamte Arbeiterbewegung, Führung wie auch Basis, als Teil des zu bekämpfenden Problems.
Verstärkt wird diese Haltung noch durch die Vorstellung, daß der Hauptfeind eigentlich der bürgerliche Staat ist. Die Kampffelder sind dementsprechend weniger die Fabrik oder die Schule/Uni, sondern die Straße, auf der man durch direkte Aktionen die Konfrontation mit den Repräsentanten dieses staatlichen Repressionsapparates, der Polizei, sucht. Die Arbeiterorganisationen sind natürlich als Stützen der herrschenden Ordnung mitverantwortlich für diese Repression und werden so auch zur Zielscheibe der Autonomen.
Arbeitskämpfe um höhere Löhne oder bessere Arbeitsbedingungen lehnt man als herrschaftsstabilisierend ab. Das System könnte aber dann in Gefahr gebracht werden, wenn es bei solchen Streiks oder Demos zu einer Eskalation kommt, und die Basis spontan und mit illegalen Kampfformen (wilde Streiks, Sabotage,…) ihre Führung einfach überrennt. Hauptsache, alles läuft autonom von den Gewerkschaften. Wo die ArbeiterInnen ihre Führer (noch) nicht überrennen wollen, versucht man halt auch schon mal nachzuhelfen – Straßenschlachten mit der Polizei nicht ausgeschlossen. Nicht selten setzt die Polizei dabei aber auch gezielt Provokateure ein, um einen Vorwand für ein gewaltsames Vorgehen gegen die Bewegung zu bekommen.
Das Private ist politisch
Die Arbeit wird von Autonomen nicht als der Ort gesehen, wo sich Widerstand gegen das System herausbildet. Subversion und Befreiung könnten sich nur in den unproduktiven Zeiten, also in der Freizeit oder in der Arbeitslosigkeit (oder im Gefängnis), entwickeln. Das Alltagsleben müsse revolutioniert werden, und dabei wolle man aber „nicht das vom System geforderte Lösegeld bezahlen: die Arbeit“. Man verweigert sich also, man ist bereit, mit der Legalität zu brechen. Die Ablehnung der Konsumgesellschaft drückt sich da schon einmal auch in der „wilden Aneignung“ von Konsumgütern oder in der Zerstörung von Symbolen des Luxuskonsums aus. Kriminalität könne sogar das System erschüttern, weil sie die für die kapitalistische Maschinerie die Gefahr der Subversion mit sich bringe.
Während eine kleine Minderheit der Autonomen mit der Zeit auch zu offen terroristischen Organisationen (Brigade Rosse, RAF, Action Directe) wechselt, setzt der Großteil der Autonomen ausgehend von diesen Konzepten auf Aktionsformen à la Hausbesetzungen oder alternative Stadtteilarbeit. Der Rückzug ins Privatleben war da für viele schon vorgezeichnet, vor allem nach dem Abflauen der „neuen sozialen Bewegungen“ (Öko- und Friedensbewegung). Auch wenn die Autonomen von der allgemeinen Krise der Linken nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nicht verschont blieben, so spielen sie derzeit in der Anti-Globalisierungs-Bewegung doch eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Der Kampf um Freiräume und „direct action“ ist wieder in Mode gekommen. Hinter der Vermummung herrscht aber eine noch gähnendere theoretische Leere als früher.
Das Problem der Autonomen besteht im völligen Mangel an politischen Alternativen. Mit ein wenig Aktionismus und alternativen Konzerttouren werden wir die kapitalistische Herrschaft aber nicht erschüttern können. Gerade angesichts der antikapitalistischen Mobilisierungen kommen die Autonomen wieder unter Beschuß aller „Recht-und-Ordnung“-Fanatiker, mit dem Ziel, die gesamte Bewegung zu kriminalisieren. Das blödsinnige „direct action“-Konzept der Autonomen kommt ihnen dabei gerade recht.
Dieses Problem löst man aber nicht, indem man sich „von den gewaltbereiten Demonstranten“ distanziert und die Möglichkeit von Straßenschlachten zum Vorwand nimmt, um sich von den Protesten überhaupt fernzuhalten, wie dies die Gewerkschaften oder gemäßigte Zivilgesellschaftler nur allzugerne tun. Die Autonomen genießen nur dann einen gewissen Zulauf von radikalisierten Jugendlichen, wenn sich die Arbeiterbewegung in sozialen Bewegungen nobel zurückhält und keine gesamtgesellschaftliche Perspektive anzubieten weiß. Das war der Hauptgrund für das Entstehen der Autonomen Ende der 70er, und auch heute füllen sie teilweise das politische Vakuum, daß die Arbeiterbewegung durch ihren Kuschelkurs mit dem Kapital hinterlassen hat. Sobald die Arbeiterklasse wieder die Bühne der Geschichte betritt und mit ihren Kampfformen (Streik, Massendemos,…) für eine bessere Gesellschaft kämpft, werden die Autonomen wieder in der Versenkung verschwinden.