Am 5. Oktober kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen in der bolivianischen Bergbaustadt Huanuni. Dabei gab es 16 Todesopfer und zahlreiche Verletzte. Der Zusammenstoß erfolgte als 4.000 „cooperativistas“ versuchten, die Hauptmine in Huanuni zu übernehmen. Dabei stießen sie auf den Widerstand von 1.100 Bergarbeiter, die in der starken bolivianischen Gewerkschaftsföderation der Bergarbeiter (FSTMB) organisiert sind.
Die Ursachen dieses Konfliktes gehen bis in die 80er Jahre des 19. Jahrhunderts zurück, in denen die Bergarbeiter nach heroischen Arbeitskämpfen mehrere Niederlagen einstecken mußten. Die Bergarbeiter gehörten stets zu revolutionärsten und militantesten Teilen der bolivianischen ArbeiterInnenklasse. Ihre extremen Arbeitsbedingungen sind von äußerster Ausbeutung gekennzeichnet; gleichzeitig waren die Bergarbeiter stets hochgradig organisiert. Die FSTMB war dabei eine der ersten ArbeiterInnenorganisationen in Bolivien. Im Jahr 1948 verabschiedete sie die bedeutenden Thesen von Pulacayo, die zu den fortschrittlichsten Programme zählen, die je von ArbeiterInnen in Lateinamerika erstellt wurden und die den Kampf für den Sozialismus in ihr Zentrum stellten.
Mitte der 1980er sah sich Bolivien mit einer neoliberalen Politik der Regierung Pas Estenssoro konfrontiert, die – ähnlich wie die Thatcher-Regierung in Großbritannien – zunächst versuchte, die Macht der Bergarbeiter zu brechen, um eine neoliberale Politik umsetzen zu können. 1986 wurde eine grosse Streikbewegung der Bergarbeiter niedergeschlagen, was dazu führte, dass über 20.000 Bergarbeiter ihre Arbeit verloren: Die Arbeitsplätze in den staatlichen Minen – die ein Resultat der Revolution von 1952 waren – wurden von 30.000 Stellen auf 7.000 gekürzt. Tausende von Bergarbeitern und ihre Familien mußten daraufhin die Bergbaustädte verlassen. Viele von ihnen gingen nach Chapare, um dort Kokabauern zu werden. Allerdings behielten sie ihre militanten Traditionen bei und gründeten Bauerngewerkschaften, welche später zum Rückgrat von Evo Morales „Bewegung zum Sozialismus“ (MAS) werden sollten. Andere zogen nach El Alto, das später zu einem Zentrum des revolutionären Kampfes werden sollte.
Schließlich taten sich einige Bergarbeiter zusammen, übernahmen verlassene Minen und setzen sie wieder in Betrieb. Mit der Zeit entwickelte sich in diesen Kooperativen allerdings eine Managerschicht, die sich auf Kosten der Arbeiter bereicherte. Der Großteil der Bergarbeiter wurde zu einfachen Lohnabhängigen, die unter viel schlechteren Bedingungen arbeiteten als ihre KollegInnen bei den Überbleibseln der staatlichen Bergbaugesellschaft Comibol – und vollkommen ohne Gewerkschaftsrechte.
Der Ursprung der Auseinandersetzungen in Huanuni geht auf das Jahr 2002 zurück, als die bolivianische Regierung dem privaten britischen transnationalen Konzern RGB, der die Mine betrieb, die Lizenz entzog. Seit damals wurde die Mine von den Bergarbeitern unter einer Art Arbeiterkontrolle geführt. Durch den steigenden Weltmarktpreis von Zinn entwickelte sich die Mine zu einem profitablen Unternehmen, das dem bolivianischen Staat als wesentliche Einkommensquelle dient. Die 1.100 Bergarbeiter in Huanuni produzieren zwischen 300 und 350 Tonnen raffiniertes Zinn im Monat, was einem jährlichen Gewinn von 12 Millionen Dollar entspricht.
Genau dieser steigende Preis von Zinn weckte den Heißhunger der FENCOMIN (der Föderation der „Cooperativistas“, die insgesamt 60.000 Menschen beschäftigt). In den letzten Jahren übernahm die FENCOMIN bereits Minen in Caracoles und in Teilen von Colquiri und Vinto, die im Zuge der Uebernahmen privatisiert wurden. Die FENCOMIN entwickelte sich zu einer mächtigen ökonomischen Interessengruppe im Bergbau, die mit mehreren Regierungen Abkommen über ihren Status und weitere Privatisierungen schloss. Um ein Gegengewicht zur starken linken FSTMB, die den bolivianischen Gewerkschaftsbund COB dominiert, zu erreichen, gingen die Führer der MAS eine Allianz mit der FENCOMIN ein. Als Evo Morales im Dezember 2005 die Wahlen gewann, wurde der FENCOMIN das Ministerium der Minen zugeteilt. Walter Villaroel, einer der Führer der FENCOMIN, wurde Minister und agierte im Sinne der privaten Kooperativen, die er vertritt.
Im September 2006 reisten VertreterInnen der FENCOMIN zu Verhandlungen mit der Buchhaltungsfirma Grand Thornton nach London, die für RGB als Insolvenzverwalterin arbeitet. Dort wurde ihnen der Verkauf der RGB-Schürfrechte an der Huanuni-Mine versprochen (die die RGB de facto längst verloren hatte).
Daher wollten die „Cooperativistas“ der FENCOMIN die Mine in Huanuni am 5. Oktober übernehmen, woraufhin die Bergarbeitergewerkschaft den verstaatlichten Charakter der Mine verteitigte. Die Bergarbeitergewerkschaft macht die bolivianische Regierung für die Auseinandersetzung verantwortlich, da sie die Regierung vor dem absehbaren Konflikt bereits gewarnt hatte. Die Bergarbeiter von Huanuni hatten auch eine Vereinbarungen mit den Bauernorganisation getroffen, die Minen zu verteidigen und die Tätigkeiten der Mine auszuweiten, um 1.500 neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Das ist der Kern der Auseinandersetzung: Die FSTMB kämpft für die Verstaatlichung des gesamten Bergbausektors und die Reorganisation des staatlichen Bergbauunternehmens Comibol nach dem Prinzip der Arbeiterkontrolle.
Als Folge der Auseinandersetzungen legte der Bergbauminister sein Amt zurück. Die bolivianische Regierung ernannte einen neuen Minister, der in Kontakt mit den gewerkschaftlich organisierten Bergarbeitern steht. Als Reaktion darauf kündigte die FENCOMIN ihre Zusammenarbeit mit der MAS auf.
Diese Auseinandersetzung ist ein Ergebnis der schwankenden Politik der MAS. Jeder Schritt im Interesse der ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen ruft vehementen Widerstand der Oligarchie und der transnationalen Konzerne hervor. Konfrontiert mit diesem Widerstand hat die MAS und vor allem der Kreis um Vizepräsident García Linera einige Zugeständnisse gemacht – vor allem im Bereich der Verstaatlichung von Erdgas, der Landreform, der verfassungsgebenden Versammlung und was den Umgang mit der reaktionären Forderung nach Autonomie der östlichen Regionen betrifft.
Diese Politik führte zu einem Erstarken der rechten Kräfte, die eine Kampagne gegen die Regierung starteten. Diese Kampagne besteht aus diplomatischen Angriffen, Stimmungsmache in den Massenmedien, einer reaktionären Mobilisierung der Busunternehmer in La Paz und durch das Streuen von Gerüchten über einen möglichen Militärputsch.
Es besteht die reale Gefahr, dass die UnterstützerInnen der Morales-Regierung demoralisiert werden. Der einzige Weg aus der Sackgasse besteht in der Verstaatlichung der natürlichen Ressourcen des Landes (Gasindustrie, Bergbau und Ländereien) und deren Verwaltung durch die ArbeiterInnen sowie die Bauern und Bäuerinnen. Wenn die Regierung von Morales politisch überleben will, muss sie sich von ihren rechten reformistischen Elementen trennen und sich entschlossen auf die Organisationen der ArbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen stützen, um ein sozialistisches Programm zu verwirklichen. Alles andere würde nur dazu führen, die Oligarchie und den Imperialismus zu stärken, die ArbeiterInnen und BäuerInnen zu demoralisieren und ein Blutbad vorzubereiten.