Der Aufschwung der Arbeiterbewegung in den Jahren von 1867 bis 1870 legte die Basis für den Aufbau einer einheitlichen sozialdemokratischen Partei, in welcher sich die unzähligen Arbeitervereine zusammenschließen sollten. Diese Bestrebungen wurden von den Behörden der Habsburgermonarchie natürlich mit allen Mitteln bekämpft. Das größte Hindernis auf dem Weg zur Schaffung einer eigenen Partei der jungen Arbeiterklasse war jedoch die fehlende theoretische Klarheit in der Arbeiterbewegung selbst. Die folgenden zwei Jahrzehnte sollten deshalb auch durch einen beinharten Fraktionskampf in der österreichischen Arbeiterbewegung gekennzeichnet sein.
Das Problem bestand in erster Linie in der Frage, ob sich die Arbeiterbewegung zu einer eigenständigen politischen Kraft organisieren oder ob sie sich als Teil der liberalen Bewegung sehen soll. Arbeiterpartei oder Unterordnung unter die Interessen von Teilen der Bourgeoisie, vor dieser Entscheidung stand die Sozialdemokratie in diesen Jahren. Vor allem in den Industriezentren in der Provinz, wo die ArbeiterInnen bereits in größeren Fabriken konzentriert waren und wo die Klassengegensätze viel offener ausgetragen wurden, dominierten diejenigen, welche auf eine revolutionäre Änderung der Gesellschaft setzten. In Wien kamen die meisten Funktionäre aus dem Kleingewerbe, außerdem stand man stärker unter dem Einfluß liberaler Intellektueller, wie z.B. der Großdeutsche Heinrich Oberwinder.
Diese Spaltung wurde von den Behörden als sehr positiv gesehen, weil sie die Bewegung stark schwächte. Oberwinder, dem auch nachgesagt wurde, daß er nicht nur zu namhaften Bürgerlichen sondern auch zur Polizei gute Kontakte pflegte, veranlaßte dann auch den Ausschluß der linken Opposition in Wien, die mit 300 Aktivisten den Verein „Brüderlichkeit“ gründeten. Oberwinder unterstützte auch die mickrige Wahlrechtsreform der Regierung, das der Arbeiterklasse das Wahlrecht versagte. In einem Brief an Unternehmer schreibt er: „…“
Die Mehrheit der Arbeitervereine teilt jedoch die Ideen der sogenannten Radikalen, deren wichtigster Vertreter Andreas Scheu ist. Die Radikalen standen für eine klare Abgrenzung von der Bourgeoisie, die es entschieden zu bekämpfen gilt.
Die Krise von 1873
Die österreichische Wirtschaft war in diesen Jahren geprägt von einem völlig irrationalen Spekulationsboom, Überproduktion und Kreditexpansion. Der Börsenkrach im Mai 1873 brachte diese Blase zum platzen. Die Abhängigkeit der Industrie und der Eisenbahngesellschaften vom Bankkapital war ein wesentlicher Grund für die Ausdehnung der Finanzkrise auf die Realwirtschaft. Der Crash an der Börse ruinierte unzählige kleinbürgerliche Existenzen. Die ökonomische Depression sollte dann zumindest bis Ende der 1880er Jahre andauern.
Die Folgen der Wirtschaftskrise waren für die Arbeiterklasse und ihre Organisationen verheerend. Auf die fehlende Nachfrage antworteten die Unternehmen mit Entlassungen und Betriebsstillegungen. Die Durchschnittslöhne sanken um 30-50%! Das wachsende Elend zeigte sich auch in einer unbeschreiblichen Wohnungsnot oder einer sehr hohen (Kinder)Sterblichkeit in den Arbeiterbezirken. Der reaktionäre Charakter der Habsburger zeigt sich auch an der Tatsache, daß in dieser Situation die Ausgaben für das Unterrichtswesen gekürzt und dafür jene für die Armee deutlich erhöht wurden.
Die Krise bedeutete auch das Ende des Liberalismus in Österreich und läutete eine Rückkher zu staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft ein. Durch eine protektionistische Politik wurden die kleinbetrieblichen Strukturen verfestigt. Das Eisenbahnwesen wurde verstaatlicht, nachdem offen zu Tage trat, daß das Privateigentum in diesem Bereich unfähig war, die Bedürfnisse der Bevölkerung und der allgemeinen ökonomischen Entwicklung zu befriedige.
Vor allem die riesige Arbeitlosigkeit erschütterte die organisatorische Stärke der Arbeiterbewgeung. 1873 gab es noch 237 Arbeitervereine und Gewerkschaften mit mit mehr als 80.000 Mitgliedern. 1877 zählte etwa der Wiener Arbeiterbildungsverein nur noch 170 Mitglieder. Die Krise leitete aber einen deutlichen Linksruck ein. Der Einfluß der Ideen von Marx und Engels, die schon vor dem Crash immer wieder auf die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus hinwiesen, wurde nun auch in der österreichischen Arbeiterbewegung immer größer. Dies drückte sich nicht nur in der Arbeiterpresse aus, sondern fand seinen Widerhall auch am Einigungskongreß in Neudörfl von 1874, wo die Grundlage für den Aufbau einer selbständigen Arbeiterpartei gelegt wurde.
Gemäßigte und Radikale
Der Fraktionskampf zwischen den Gemäßigten, „welche die Verfassung anerkennen“ und die „Anbahnung besserer Zustände auf dem Weg der Reform“ wollen, sowie den Radikalen, „welche dem Programm der internationalen Revolution huldigen“, ging aber weiter. Ab 1878 wurde in Deutschland unter Bismarck das Sozialistengesetz verabschiedet. Dies nahm sich die Habsburgermonarchie zum Vorbild und ging ebenfalls mit noch größerer Härte gegen die Arbeiterbewegung vor. Eine zentralistische Partei war unter diesen Bedingungen auf die Spitze getriebener staatlicher Repression nicht mehr zu halten.
Die Gemäßigten, welche im Sozialismus nur eine Utopie sahen und nur auf dem Boden der Verfassung agieren wollten, verloren nun deutlich an Unterstützung. Ihre Forderung nach sozialen Reformen wurde inzwischen von der Regierung Taaffe aufgenommen. In der Bourgeoisie hatten sich die Konservativen durchgesetzt. Das 1879 begonnene Programm einer Sozialgesetzgebung entsprang natürlich nicht den selbstlosen Idealen dieser Herren. Das Elend der Arbeiterklasse war mittlerweile zu einem Hindernis für die Expansion der Industrie geworden. Ein Maximalarbeitstag von 11 Stunden, Arbeiterschutzgesetze, eine Unfall- und Krankenversicherung sollten „der Industrie in Zukunft die Möglichkeit bieten, über eine wünschenswerte Arbeiterschaft zu verfügen“.
Gleichzeitig unternahm die herrschende Klasse alles, um die Arbeiterbewegung zu spalten. Diese Aufgabe übernahmen vor allem katholische Arbeitervereine, die sich oft durch antisemitische Propaganda auszeichneten. Die Sozialdemokratie antwortete auf diese reaktionäre Politik mit einer klaren Sprache. So mobilisierte man z.B. 1882 massiv gegen den Antisemitismus der Deutschnationalen. Für die Arbeiterführer jener Tage gehörte es zum ABC, daß eine Beteiligung an der nationalistischen Hetze die Arbeiterbewegung wieder in die Abhängigkeit vom bürgerlichen Lager treibt. In einer Ausgabe der Zeitung „Sozialdemokrat“ aus dem Jahre 1885 legte man die eigene Position fest: „Nicht dadurch, daß man dem eigenen Volk Recht, dem anderen Unrecht gibt, sondern indem man den Machthabern, deren Wahlspruch das ‘Teile und Herrsche’ ist, derb an den Leib rückt und sie als die eigentlichen Ursachen des Völkerhaders bezeichnet“ kann der Nationalismus bekämpft werden.
Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen kommt es auch immer wieder zu Streiks. Kautsky schrieb dazu 1882 in einem Brief an Engels: „Die österreichische Arbeiterbewegung nimmt eben jetzt einen frischen Aufschwung; aller Orten sind Streiks, und die Gewerkschaften sind ungemein stark, wie noch nie. Das wirkt auch auf die politische Bewegung, die bei uns sich stets auf die Gewerkschaften stützte, da eine politische Organisation unmöglich war.“ Diese Verbindung von Sozialdemokratie und Gewerkschaften war immer schon eine Grundvoraussetzung für eine starke, von den Bürgerlichen unabhängige Arbeiterbewegung.
Propaganda der Tat
Die staatliche Repression und die Willkür der Unternehmer führte bei vielen ArbeiterInnen, besonders den Jüngeren, zu einer Radikalisierung. Unter den Radikalen gewannen anarchistische Ideen immer größeren Einfluß. Federführend war dabei Johann Most, Herausgeber, der „Freiheit“, die von London nach Österreich geschmuggelt wurde. Die Notwendigkeit des Kampfes für soziale Reformen oder das Wahlrecht beim Aufbau der Arbeiterbewegung und zur Vorbereitung auf eine Revolution haben die Anarchisten nicht verstanden. Mit Josef Peukert hatten sie Anfang der 1880er auch eine Persönlichkeit mit großen agitatorischen Fähigkeiten. Mittels der „Propaganda der Tat“, wozu auch individueller Terror gehörte, sollten die Massen wachgerüttelt werden. „Jede Reformbestrebung in der bestehenden Gesellschaftsorganisation“ war für Peukert „nur eine Verlängerung der materiellen und geistigen Knechtschaft des arbeitenden Volkes“. Indem die Anarchisten den Parteiaufbau auf kleine Geheimorganisationen reduzierten, lähmten sie die Arbeiterbewegung de facto. Mangels einer politischen Führung endeten nahezu alle Streikbewegungen dieser Jahre mit Niederlagen, was die Krise der Bewegung weiter verschärfte. Mit Attentaten auf Unternehmer und Polizisten gab man dem Staat außerdem noch einen Vorwand zur völligen Unterdrückung der Arbeiterbewegung. Diese mußte nun mehr oder weniger in der Illegalität neu aufgebaut werden. Unter den durch die Krise erschwerten Kampfbedingungen wirkte sich die theoretische Schwäche der österreichischen Arbeiterbewegung besonders katastrophal aus.
Erst als ab 1886 mit Victor Adler und anderen eine neue Generation in den Reihen der Arbeiterbewegung aktiv wurde, die unter dem Einfluß marxistischer Ideen standen, sollte eine Einigung der Sozialdemokratie möglich werden.
Die österreichische Arbeiterbewegung von der Gründung der SPÖ bis zum ersten Weltkrieg (Teil 2)
Am Gründungsparteitag der SDAP in Hainfeld 1884 gelang es, die zersplitterte österreichische Arbeiterbewegung, sich zu einigen. Gleichzeitig nahm die organisierte Arbeiterschaft den Marxismus als theoretische Anleitung ihres Kampfes an. Mit Hilfe der neuen revolutionären Massenpartei und einer bis 1913 anhaltenden Hochkonjunktur erkämpften die Arbeiter viele soziale und demokratische Reformen. Als 1914 der erste Weltkrieg ausbrach lag der Traum von einer grundsätzlichen Verbesserbarkeit der kapitalistischen Gesellschaft in Scherben.
Die Einigung:
Der Wirtschaftseinbruch von 1873 und das Sozialisten Gesetz 1879 stürzten die österreichischen Arbeitervereine in eine tiefe Krise. Ein besonderes Kennzeichen dieser Phase der Stagnation der österreichischen Arbeiterbewegung waren das Fehlen von theoretischer Klarheit und damit verbundenen Illusionen in den individuellen Terror. Die einzelnen Klubs waren untereinander gespalten. In Radikale und Gemäßigte. Die Radikalen lehnten den tagtäglichen Kampf für Verbesserungen ab. Sie wollten durch Terror Anschläge den sofortigen Umsturz der Gesellschaft herbeiführen. Die Gemäßigten sprachen den Arbeitern die Fähigkeit ab politisch eigenständig zu denken. Aufgabe der Arbeiterbewegung sei es, kleine Verbesserungen herbeizuführen und die „große Politik“ den liberalen Unternehmern zu überlassen. Gemeinsam war den Beiden, daß die Arbeiterschaft keine politische Veränderung herbeiführen könne. Die einen delegierten die Politik an einzelne Terroristen, die anderen an liberale Parlamentarier. 1886 begann Viktor Adler, inspiriert von Friedrich Engels mit der Herausgabe der Zeitung „Gleichheit“, er setzte es sich zum Ziel die beiden Flügel auf Basis des Marxismus zu einigen. Nach langwierigen Verhandlungen gelang ihm die Einigung in Hainfeld 1885. Im Gründungsprogramm der österreichischen Sozialdemokratie heißt es: „Der Einzelbesitz an Produktionsmittel ist die Ursache der steigenden Massenarmut und der wachsenden Verelendung immer breiterer Volksschichten.“ Wenn die Arbeiter kleine Verbesserungen erreichen wollen müssen sie direkt die Besitzverhältnisse antasten. Der Klassenkampf beginnt als Kampf für kleine Reformen und Entwickelt sich zum Kampf um das Eigentum an Maschinen, um die politische Macht. Wenn man von der Fähigkeit der Arbeiterschaft zur Veränderung der Gesellschaft ausgeht, sind Reform und Revolution kein Widerspruch sondern eng miteinander verbunden. Die Hainfelder Prinzipien Erklärung erteilte dem individuellen Terror eine Absage und forderte den Kampf für Arbeiterschutz und Arbeitszeitverkürzung was den Gemäßigten entgegen kam. Sie wies aber auch auf den begrenzten Nutzen der Reformen hin, und wollte den Übergang der Arbeitsmittel in den gemeinschaftlichen Besitz der Gesamtheit des arbeitenden Volkes, worüber sich die Radikalen freuten. Die stärke des Programms lag in der Einigung der Flügel. Aber in der Kompromisshaftigkeit lag auch seine Schwäche. Hainfeld ging bei der Zusammenstellung der Prinzipen wie ein Koch vor. (Man nehme ein bisschen von Reform und ein bisschen Revolution und vermischte es). man vermied es zu erklären wie der Kampf um kleine Verbesserungen in den Kampf und die Gesellschaftsordnung hineinwächst. An diese Schwäche sollte die Sozialdemokratie später scheitern
Der Weg zur Massenpartei:
Gestärkt durch die gemeinsame Partei und marxistische Programm begann sofort die Agitation für den Achtstundentag. Die Österreicher gingen mit der blutig unterdrückten Maidemonstration von 1890 als internationales Beispiel voran. 1895 setzte ein Wirtschaftsaufschwung ein der die Industrieproduktion bis 1904 um 70% ansteigen ließ. Durch die große Machtfrage nach Arbeitskräften stieg das Selbstbewusstsein der Arbeiter. Gleichzeitig erzielte das Alpenländische Kapital durch die Hochkonjunktur und die Imperialistischen Ausbeutung der Slawischen Kronländer die nötigen Extraprofite um Zuggeständnisse machen zu können. Der 1893 gegründete Gewerkschaftsblock erkämpfte Lohnerhöhungen von 24% zwischen 1900 und 1910. 1905 gab es nur 94 Kollektivverträge. Im Gegensatz zu 822 1912. Durch das enorme Wachstum von Gewerkschaft und Partei (1900 540.000 bzw. 150.000 Mitglieder) wuchs eine Schicht von Funktionären heran die in Parlament und Betrieb die Reformen durch Verhandlungen zu Stande brachten. Gerade unter ihnen entstanden Illusionen die Verbesserung des Bestehenden durch Verhandlungen ohne die Elementare Bewegung der Lohnabhängigen. Arbeiterparteien entstehen als Werkzeug der Lohnabhängigen im Klassenkampf. Im Wirtschaftsaufschwung wo sich der Klassenkampf beruhigt und viele Arbeiter sich aus der Tagespolitik zurückziehen kann die Führung der Arbeiterpartei sich der Kontrolle entziehen. Viele Funktionäre lebten nicht mehr für sondern von der Arbeiterschaft.
Illusion ins Parlament:
1904 wurde Österreich von einer schweren Wirtschaftskrise heimgesucht. Inspiriert durch die russische Revolution kam es zu mächtigen Massenstreik Bewegungen. In Russland stellte die Arbeiterschaft nach Streikwellen für konkrete Verbesserungen immer entschiedener die Frage der politischen macht. Die Bolschewiki nutzte das Parlament als Tribüne um diesen Übergang vom Kampf Reformen zu beschleunigen und anzuführen. In Österreich setzen sich die Sozialdemokratie nach einigem Zögern an die Spitze der Bewegung, nicht um den Sturz der Monarchie voranzutreiben, sondern um die eigene Position im Parlament zu stärken. Die SDAP wurde 1907 durch eine Wahlrechtsreform zur zweitstärksten Partei. Die Sozialdemokraten meinten, im Parlament den Habsburgerstaat reformieren zu können. Doch durch die Streiterein der in Stände und Nationen geteilten Kapitalisten war das Parlament die meiste Zeit nicht einmal arbeitsfähig. Nicht einmal so grundsätzliche Probleme wie der Hunger konnten gelöst werden. 1908/9 brachen in Wien Hungerkrawalle aus. Die Arbeiterschaft begann wieder Rasch die Machtfrage zu stellen und wollte sogar das Parlament stürmen. Doch die Sozialdemokraten instrumentalisierten die Bewegung nur, um durch Parlamentsordnungsreformen das Parlament vor der Selbstauflösung zu retten.
Austromarxismus:
Jetzt kam die ganze Schwäche des Hainfelder Programms ans Tageslicht. Man verstand den Zusammenhang zwischen dem Kampf für Verbesserungen und dem Umsturz der Ordnung nicht. Die theoretische Trennung zwischen Reform und Revolution führte zu folgendem: Jetzt Reform, Irgendwann Revolution. Radikal von der Zukunft reden, und gemäßigt in der Gegenwart reden.
Das Nationalitätenproblem:
Österreich-Ungarn war ein Vielvölkerstaat. Die Nationen waren nicht gleichberechtigt weil das deutsche Kapital von der Unterentwicklung der anderen Nationen profitierte. Die Preise waren in den nicht Deutschen Kronländern höher die Löhne aber halb so hoch wie in den Alpenländern durch billige exportierte Waren und Kapitalexport verhinderte das deutsche Unternehmertum die Entwicklung von den Nationen. Dies musste aber passieren und so war der Nationalitätenhader eines der Grundprobleme der Monarchie, auf das eine erfolgreiche Partei eine Nachricht wissen musste. Das Nationalitätenproblem kann nur durch die Abschaffung des Kapitalismus gelöst werden die einen freiwilligen Zusammenschluss der Nationen erst möglich macht gelöst werden, auch das Recht auf Selbstbestimmung und Abspaltung der Unterdrückten Nationen muss durchgesetzt werden. Die SPÖ ließ sich aber auch in dieser Frage vom Gedanken vom Gedanken der Verbesserung der Daonaumonarchie leiten. Am Parteitag von Brünn forderte man die Errichtung einer Vielvölkerdemokratie. Man hatte die Illusion daß in dem kapitalistischen Kunststaat Österreich-Ungarn ein friedliches Nebeneinander der Nationen möglich sei. Gerade der Kampf gegen das Recht auf Selbstbestimmung diskreditierte die Sozialdemokratie bei den unterdrückten Völkern vollends. Dessen Arbeiterparteien spalteten sich ab und rückten dem eigenen nationalen Bürgertum immer näher. Auch die Österreicher rückten in der Nationalitätenpolitik dem deutschen Kapital zur Seite. Beim Ausbruch des ersten Weltkrieges stimmten die Arbeiterführer ein in den Chor der Nationalistischen Kriegshetzer.
„Hoch die Lumpen!“ Die Geschichte des 1. Mai (Teil 3)
In den letzten Jahren verstärkten sich die Angriffe auf den 1. Mai. In Wien müssen seit letztem Jahr die Straßenbahnen auch am Vormittag wieder fahren, nachdem in den letzten 50 Jahren die gesamten Wiener Linien stillgestanden sind. Nun ist es an der Zeit, sich die Frage zu stellen, was an diesem Tag so besonders ist, wie er entstanden ist und warum es sich lohnt, ihn zu verteidigen.
In Australien und den USA bildete sich Mitte des 19. Jhs. eine Massenbewegung für die Einführung des Achtstundentages. 1884 beschloß die „Federation of organized Trade and Labour Unions“ auf ihrem Kongreß in Chicago, den Achtstundentag zwei Jahre später, am 1. Mai 1886, in den neuen Arbeitsverträgen durch Kampfmaßnahmen durchzusetzen. Der 1. Mai war in den USA ein traditioneller „moving-day“, an dem Arbeitsverträge erneuert und Arbeitsplätze gewechselt wurden. Am 1. Mai 1886 streikten dann 340.000 ArbeiterInnen in 12.000 Fabriken, Zentrum der Kämpfe war Chicago, wo 40.000 ArbeiterInnen im Ausstand waren. Am 3. und 4. Mai kam es dort zu Zusammenstößen mit der Polizei, wo 10 Arbeiter getötet wurden; 4 wurden dafür zur Verantwortung gezogen und gehängt. Es folgte weitere Repression durch den Staat, die die Bewegung zerbrechen ließ.
Der Kampf um den Achtstundentag…
1888 wurde die Achtstundenbewegung wiederbelebt, die „American Federation of Labor“ beschloß auf ihrem Kongreß in St. Louis, die ArbeiterInnen für die Verwirklichung des Achtstundentages wieder am 1. Mai 1890 zu mobilisieren. Dieses Vorhaben wurde von den französischen Gewerkschaften aufgenommen, die auf dem Internationalen Arbeiterkongreß in Paris im Juli 1889, dem Grüdungskongreß der 2. Internationalen, eine internationale Kundgebung am 1. Mai 1890 beantragten. Dieser Tag wurde beschlossen, wobei er nur als einmaliges Ereignis vorgesehen war. Schon im Herbst 1889 bereitete sich die österreichische Sozialdemokratie auf den 1. Mai vor und begann die Agitation in den sozialdemokratischen Zeitungen. Auf Versammlungen wurden Resolutionen beschlossen und lokale Organistationskomitees gebildet. Die Bewegungsfreiheit der Arbeiterbewegung war durch die Behörden stark eingeschränkt – Versammlungen und Feste konnten grundlos verboten und Straßendemonstrationen vom Militär aufgelöst werden.
Die SozialdemokratInnen entschieden sich für eine allgemeine Arbeitsruhe am 1. Mai, um die Unentbehrlichkeit des Proletariats zu demonstrieren. Victor Adler: „Einen besseren Beweis, daß das ganze Wirtschaftsgetriebe nur von Arbeitern abhängt, gibt es nicht.“ Wert wird aber darauf gelegt festzustellen, daß kein Streik geplant sei. Bürgertum und Staatsapparat waren beunruhigt – erstmalig sollte es eine international koordinierte Kampagne der Arbeiterbewegung geben!
Regierungsvertreter der europäischen Staaten kamen zusammen, in Österreich trafen die Behörden Sicherheitsvorkehrungen, das Militär wurde bereitgestellt um einzugreifen und Bürgerwehren wurden gebildet. Viele Unternehmer gaben den Tag für die ArbeiterInnen frei, nachdem nicht genügend Polizei und Militär zur Verfügung stand, um alle Fabriken zu „schützen“. Nachdem es im April zu „Arbeiter-Excessen“ (= Arbeitskämpfen) gekommen war, erwägt die Regierung sogar die Einführung des Standrechts. Victor Adler über die Stimmung vor dem 1. Mai 1890: „Der Schrecken war dem Bürgertum in die Glieder gefahren… Der Wiener Wissenschaftliche Klub beschloß, seine gewohnte Frühjahrsreise abzusagen, weil man doch am 1. Mai nicht Weib und Kind im Stich lassen konnte. Andere wieder entschlossen sich, vor dem gefürchteten Tage mit ihren Familien aus Wien zu flüchten.“
…der Schrecken für die Bourgeoisie
Trotz Repression von Staat und Unternehmern wurde der 1. Mai 1890 in Österreich ein überwältigender Erfolg: In Wien gab es 60 Versammlungen, wo über den Achtstundentag diskutiert wurde, 100.000 ArbeiterInnen trafen sich am Nachmittag im Prater; in Steyr beteiligten sich 9.500 ArbeiterInnen, weiters gab es Kundgebungen im steirischen Murtal, in Leoben, im Süden Niederösterreichs, in Nord- und Westböhmen, in Mähren, in Tirol… Friedrich Engels schrieb anerkennend: „Freund und Feind sind einig darüber, daß auf dem ganzen Festland Österreich, und in Österreich Wien, der Festtag des Proletariats am glänzendsten und würdigsten begangen wurde.“ Der 1. Mai war Ausdruck dessen, daß die ArbeiterInnen zu dieser Zeit schon in Bewegung waren, mit den zentralen Bedürfnissen nach Lohnerhöhung und der Verkürzung der Arbeitszeit. Nachdem die Arbeiterschaft um 1890 nur in geringem Ausmaß politisch und gewerkschaftlich organisiert war, bot der 1. Mai der Sozialdemokratie nun die Gelegenheit zu zeigen, daß sie sehr wohl eine Massenbasis besaß. Durch die gewaltige Demonstration wuchs das Ansehen der Partei unter den ArbeiterInnen und das Selbstbewußtsein der ArbeiterInnen wurde gesteigert, vor allem durch das Bewußtsein um den internationalen Kampf und die internationale Solidarität. Rosa Luxemburg schreibt: „Die Maidemonstration ist das vorzüglichste Mittel, die Massen zu sammeln, sie aufzurütteln, sie aufzuklären, sie mit Kampfesmut zu erfüllen, das vorzüglichste Mittel, die Macht der klassenbewussten Arbeiterschaft sichtbar zu entfalten und den Gegnern vor Augen zu führen.“ Vor allem die Organisationen der Arbeiterbewegung konnten gestärkt werden. Im Jahresbericht der Polizei für 1890 wurde vermerkt: „Es wurden im verflossenen Jahre in den Ländern der österreichischen Monarchie gegen einhundert Arbeitervereine, davon dreißig in Wien allein gegründet… Die Vereinsgründungen fanden zumeist nach dem 1. Mai statt.“
Der erkämpfte Feiertag
Nach dem großen Erfolg der internationalen Kundgebung wurde beim Brüssler Kongreß der 2. Internationale 1891 beschlossen, am 1. Mai jedes Jahr zu feiern – damit wurde der Kampftag in Österreich etabliert. Der 1. Mai mußte aber immer wieder erkämpft werden, die ArbeiterInnen waren deswegen von Lohneinbußen, Entlassungen und Aussperrungen betroffen. Zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam es öfters, wenn ArbeiterInnen vor die Betrieben zogen, wo ihre KollegInnen arbeiten mußten, um sie zur Arbeitsniederlegung zu bringen. Bezeichnend für die Haltung des Bürgertums ist der Kommentar Karl Luegers, christlich-sozialer Bürgermeister von Wien: „Betrachten sie gefälligst die Leute, die am 1. Mai in den Prater hinunter wandeln; das, meine Herren, sind lauter Lumpen.“ Am nächsten Maiaufmarsch wurde daraufhin immer wieder „Hoch die Lumpen!“ gerufen.
Bis zur Wahlrechtsreform 1907 wurde am 1. Mai die Einführung des allgemeinen, gleichen und direkten Wahlrechts – für Männer – gefordert und sozialpolitische Forderungen erhoben. Darüberhinaus gab es Solidaritätsbekundungen für ArbeiterInnen anderer Länder, die sich im Kampf befanden, zum Beispiel 1905 für russische Revolution. In den Jahren vor dem ersten Weltkrieg wurden die Aufmärsche am 1. Mai unter dem Slogan „Krieg dem Kriege!“ Kundgebungen gegen Militarismus und Kriegshetze und für internationale Solidarität – was aber für die Führung der österreichischen Sozialdemokratie nur ein Lippenbekenntnis bleiben sollte, mit ihrer Burgfriedenspolitik und der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914. Mit dem Zusammenbruch der 2. Internationalen und dem Beginn des 1. Weltkriegs wurde die Maifeier der „Notwendigkeit der Anpassung an den Zwang des Tages“ untergeordnet und auf die Kundgebung verzichtet. Not, Hunger, Kriegsmüdigkeit und revolutionäre Stimmung wuchsen im Lauf des Krieges an. Die Februarrevolution in Rußland mit dem Aufruf der Arbeiterräte den 1. Mai zu feiern, bestärkte zahlreiche ArbeiterInnen, auf eigene Faust den 1. Mai 1917 für arbeitsfrei erklären. Unter dem Druck beschließt aber die Parteiführung schließlich in den letzten Apriltagen, den 1. Mai zu feiern. In diesem Jahr werden die Versammlungen zu einer riesigen landesweiten Massenaktion vor allem von Frauen gegen den 1. Weltkrieg und für sofortigen Frieden. Spontane Umzüge werden von der Polizei mit Gewalt verhindert. Auch am 1. Mai 1918 – nach dem Jännerstreik – wird Frieden und der Achtstundentag gefordert, zum ersten Mal wieder mit dem Versuch, dem Tag einen internationalen Charakter zu geben. Aber nur in Rußland, Österreich-Ungarn und den neutralen europäischen Ländern konnte eine allgemeine Arbeitsruhe durchgesetzt werden.
1919 beschloß der Nationalrat, den 1. Mai zum Staatsfeiertag in Österreich zu erklären, damit war die Maibewegung legal. „Ein für allemal dem Bürgertum abgetrotzt, braucht er nicht alljährlich neu erobert zu werden…“ Auch unter den Bedingungen der austrofaschistischen Dikatur ließen es sich die ArbeiterInnen nicht nehmen, den 1. Mai zu feiern. Trotz des Verbots gingen 1933 auf den Hauptstraßen Wiens und den österreichischen Industriestädten tausende ArbeiterInnen auf „Mai-Spaziergänge“, vorbei an Stacheldrahtsperren und Maschinengewehren. Zufällig hatten viele Spaziergänger rote Taschentücher mit.
Der Austrofaschismus versuchte in darauffolgenden Jahr, den 1. Mai zur „Tag der Verfassung“ und der Huldigung der Stände umzumodeln. Der Großteil der Bevölkerung ging nicht zu diesen Aufmärschen, hingegen kam es zu Blitzdemonstrationen in den Arbeiterbezirken, im Wienerwald wurden Versammlungen abgehalten, auf Schornsteinen und Lichtmasten wurden rote Fahnen aufgezogen. Der Nationalsozialismus änderte den Charakter des Tages zum „Tag der deutschen Arbeit“.
Auch heute noch ist der 1. Mai der wichtigste Kampftag der ArbeiterInnen. Gerade jetzt, in Zeiten verstärkten Sozialabbaus und Angriffen auf hart erkämpfte Rechte. Wichtig ist es aber, nicht nur große Töne zu spucken, sondern wie in den ersten Jahren der Maikundgebung offensive und konkrete Forderungen zu stellen und bereit sein, für diese wirklich zu kämpfen.
Von Hainfeld ins Parlament (Teil 4)
Zum Jahreswechsel 1888/9 war es dann endlich so weit. Am Parteitag in Hainfeld wurde die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) unter der Führung von Victor Adler vereint. Der Aufstieg zur Massenpartei war somit gelegt. Doch schon in den Anfangsjahren entwickelten sich Tendenzen in der österreichischen Arbeiterbewegung, die geradewegs zur Kapitulation der Sozialdemokratie bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges führten.
Eine zentrale Rolle bei diesem Einigungsprozess, der im Hainfelder Parteitag gipfelte, nahm Victor Adler ein. 1886 begann er, nach Diskussionen mit Friedrich Engels, mit der Herausgabe der Zeitung „Gleichheit“, er setzte es sich zum Ziel, die Gemäßigten und die Radikalen auf Basis des Marxismus zu vereinigen, die eine Vermittlerposition zwischen den Gemäßigten und den Radikalen einzunehmen versuchte. Adler sah die Notwendigkeit einer starken politischen Arbeiterpartei auf der Grundlage eines marxistischen Programms. Sein ganzes Tun und Handeln war auf die Vereinigung der beiden Flügel in der Arbeiterbewegung gerichtet.
Hainfeld
Der Parteitag von Hainfeld führte zu einem Kompromiss zwischen Reformisten und Revolutionären sowie auch zwischen den verschiedenen nationalen Flügeln. Keinen namhaften Platz sollten die Frauen in der Bewegung finden. Obwohl es bereits weibliche Agitatorinnen in der Partei gab, waren sie in Hainfeld nicht präsent.
Im Gründungsprogramm der österreichischen Sozialdemokratie, der Hainfelder Prinzipienerklärung, heißt es: „Der Einzelbesitz an Produktionsmittel ist die Ursache der steigenden Massenarmut und der wachsenden Verelendung immer breiterer Volksschichten.“ Der bürgerliche Staat wurde als Klassenstaat definiert. Wenn sich die Arbeiterklasse befreien wolle, müsse sie direkt die Besitzverhältnisse antasten. Der Klassenkampf beginnt als Kampf für kleine Reformen und entwickelt sich zum Kampf um das Eigentum an Maschinen, um die politische Macht. Wenn man von der Fähigkeit der Arbeiterschaft zur Veränderung der Gesellschaft ausgeht, sind Reform und Revolution kein Widerspruch, sondern eng miteinander verbunden.
Die Hainfelder Prinzipienerklärung erteilte dem individuellen Terror eine Absage und forderte den Kampf für Arbeiterschutz und Arbeitszeitverkürzung, was den Gemäßigten entgegen kam. Sie wies aber auch auf den begrenzten Nutzen der Reformen hin, und wollte den Übergang der Arbeitsmittel in den gemeinschaftlichen Besitz der Gesamtheit des arbeitenden Volkes, worüber sich die Radikalen freuten. Die Aufgabe der Sozialdemokratie lag darin, „das Proletariat politisch zu organisieren, es mit dem Bewusstsein seiner Lage und seiner Aufgaben zu erfüllen, es geistig und physisch kampffähig zu machen und zu erhalten“. Dieses Programm war marxistisch inspiriert, spiegelt jedoch in einigen Stellen wider, dass es sich um einen politischen Kompromiss handelte.
Der Weg zur Massenpartei
Dass die nun geeinte Partei so schnell zu einer echten Massenpartei aufsteigen konnte, lag nicht zuletzt am Wirtschaftsaufschwung, der in den 1890ern einsetzte. Die Industrieproduktion stieg bis 1904 um 70%. Durch die große Nachfrage nach Arbeitskräften stieg das Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse. Schon kurz nach Hainfeld begann man mit der Kampagne für den 8-Stunden-Tag, deren Höhepunkt die Arbeitsniederlegungen und die große Demonstration vom I.Mai 1890 in Wien war. 1893 wurde dann der 1. Allgemeine Gewerkschaftskongress einberufen. Gleichzeitig erzielte das alpenländische Kapital durch die Hochkonjunktur und die imperialistische Ausbeutung der slawischen Kronländer die nötigen Extraprofite um Zuggeständnisse machen zu können. Die 1893 gegründete Reichsgewerkschaftskommission erkämpfte Lohnerhöhungen von 24% zwischen 1900 und 1910.1905 gab es nur 94 Kollektivverträge. Im Gegensatz zu 822 Kollektivverträgen im Jahre 1912.
Die noch junge Gewerkschaftsbewegung litt jedoch von Anfang an unter dem stärker werdenden Nationalismus. Auch gelang es nur schwerlich, die spontanen Arbeitskämpfe zu kontrollieren. Der spätere Sozialminister Hanusch schrieb dazu im Jahre 1907: „Es ist uns nicht gelungen, die Textilarbeiter schon heute mit dem Bewusstsein zu erfüllen, dass der Streik das letzte und nicht das erste Mittel ist.“ Durch das enorme Wachstum von Gewerkschaft und Partei (1900 540.000 bzw. 150.000 Mitglieder) wuchs eine Schicht von Funktionären heran, die in Parlament und Betrieb die Reformen durch Verhandlungen zustande brachten. Gerade unter ihnen entstanden Illusionen, die Verbesserung des Bestehenden durch Verhandlungen und ohne die elementare Bewegung der Lohnabhängigen erreichen zu können. Arbeiterparteien entstehen als Werkzeug der Lohnabhängigen im Klassenkampf. Im Wirtschaftsaufschwung wo sich der Klassenkampf beruhigt und viele Arbeiterinnen sich aus der Tagespolitik zurückziehen, kann die Führung der Arbeiterpartei sich der Kontrolle entziehen. Viele Funktionäre lebten nicht mehr für sondern von der Arbeiterschaft. Rückenwind bekam diese reformistische Strömung in der Arbeiterbewegung, die also im Vergleich zur Masse der Arbeiterinnen durchaus auch soziale Privilegien hatte, durch die Erringung des allgemeinen Wahlrechts (für Männer).
Illusion ins Parlament
Neben dem Kampf für einen kürzeren Arbeitstag stand im Mittelpunkt der Arbeit der Sozialdemokratie die Forderung nach einem demokratischeren Wahlrecht. Victor Adler dazu 1893: „Zwei Drittel des Volkes sind im Parlament ohne Vertretung. Der Groll, die Unzufriedenheit, ja die Verzweiflung wächst. Sie wird befördert durch eine Klassengesetzgebung m einseitigen Interesse der Besitzenden. Sie wird verbittert dadurch, dass sie nicht jenen Ausdruck finden kann, den die heutige Auffassung vom „Rechtsstaat“ jedem Staatsbürger als heiliges, unantastbares und unveräußerliches Recht zugesteht: die Teilnahme an Gesetzgebung und Verwaltung durch die Wahl von Volksvertretern.“
Die Idee des Parlamentarismus wurde um die Jahrhundertwende einzig und allein von der Sozialdemokratie aufrechterhalten. Im bürgerlichen Lager setzten sich nun der Klerikalismus, der Nationalismus und der Antisemitismus durch. Die ohnedies schwachen) liberalen Traditionen verloren völlig an Einfluss.
Obwohl die SDAP 1897, nach der Einführung einer 5. Wählerkurie die ersten (und zwar tschechischen) Abgeordneten in den Reichsrat entsandte, zeigte diese parlamentarische Orientierung keinerlei Früchte. Die geforderten Reformen, wie die nach einem 8-Stun-den-Tag, Abschaffung der Nachtarbeit, gleicher Lohn für Frauen, Erweiterung der Fabriksinspektion, Einführung einer Alters- und Invaliditätsversicherung, wurden im Parlament nicht einmal behandelt.
Die reformistischen Illusionen wurden aber auch durch die Entwicklung des sogenannten „Gemeindesozialismus“ in Wien massiv gefördert. Unter dem christlich-sozialen Bürgermeister Lueger wurde eine Politik gestartet, die vorsah, Wiens Versorgung mit lebenswichtigen Bedürfnissen unabhängig von den Interessen einiger Monopole zu befreien. Gaswerk, Elektrizität und öffentlicher Verkehr gingen nun in die Hände der Gemeinde über. Lueger und die Christlich-Sozialen entsprachen somit der Stimmung im Kleinbürgertum, das immer stärker unter dem Druck des Großkapitals stand. Gepaart wurde diese Sozial- und Wirtschaftspolitik mit einem aggressiven Antisemitismus, den Adler als „Sozialismus der dummen Kerls“ bezeichnete. Durch die von oben eingeleiteten Reformen glaubten viele Sozialdemokratinnen nun aber, der Staat sei gar nicht mehr so sehr das Herrschaftsinstrument des Kapitals, sondern durchaus auch ein Instrument zur Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterklasse. Diese Einstellung zur Staatsfrage sollte in der Zwischenkriegszeit maßgeblich die Politik der SDAP beeinflussen.
Als 1905 die erste russische Revolution ausbrach, kam es auch in Österreich zu einer neuen Protestwelle mit dem Ziel der Erringung des allgemeinen, gleichen Wahlrechts. Die Sozialdemokratie stellte sich allerdings erst nach heftigen Debatten im Parteivorstand an die Spitze der revolutionären Massenbewegung. Nach Massendemos und der Androhung eines Generalstreiks, was zum Bürgerkrieg geführt hätte, musste die Regierung dem Druck der Arbeiterbewegung klein begeben. Das Frauenwahlrecht ließ man im Forderungskatalog aber unter den Tisch fallen.
Die SDAP wurde bei den ersten Wahlen nach der Wahlrechtsreform 1907 mit 23 Prozent zur zweitstärksten Partei. Die Sozialdemokraten meinten, im Parlament den Habsburgerstaat reformieren zu können. Doch durch die Streitereien, der in Stände und Nationen geteilten Kapitalisten war das Parlament die meiste Zeit nicht einmal arbeitsfähig. Nicht einmal so grundsätzliche Probleme wie der Hunger konnten gelöst werden. 1908/9 brachen in Wien dann auch Hungerkrawalle aus. Die Sozialdemokratie war um die Jahrhundertwende eine Massenpartei geworden. Bewaffnet mit einem marxistischen Programm entstand eine politische Kraft, gegen die der Habsburgerstaat nicht mehr regieren konnte. In der Arbeiterbewegung keimten jedoch schon die Widersprüche, die dafür verantwortlich sein sollten, dass die Sozialdemokratie im entscheidenden Moment keine revolutionäre Rolle spielen sollte.
Die österreichische Sozialdemokratie und die Nationale Frage (Teil 5)
Die Unterdrückung von Nationen und nationalen Minderheiten, die die Geschichte des Kapitalismus von seiner Entstehung bis heute begleitet, und mögliche sozialistische Gegenstrategien nahmen und nehmen bis heute einen zentralen Platz in den politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Arbeiterbewegung ein. Auch innerhalb der Sozialistischen Internationale entspann sich um diese Frage eine breite Diskussion.
Die österreichische Sozialdemokratie war neben der russischen und der polnischen jene Partei, die sich am intensivsten mit der „Nationalen Frage, auseinandersetze. Das zaristische Russland wie auch die Habsburgermonarchie waren nicht National- sondern Nationalitätenstaaten. Die Nationalitätenpolitik errang dadurch besondere Wichtigkeit. Aus heutiger Sicht kann man ohne Zweifel sagen, dass die Positionierung der Sozialdemokratie in dieser Frage in den beiden Ländern zu einer Schicksalsfrage für Erfolg oder Niederlage der Arbeiterbewegung wurde.
Eine erzwungene Auseinandersetzung
Die Nationale Frage des Habsburger Reiches lag anfangs außerhalb des Interesses der österreichischen Arbeiterbewegung. Das hatte im wesentlichen zwei Gründe: Einerseits entwickelte die Nationale Frage seine volle Brisanz erst mit dem Fortschreiten der Industrialisierung und der damit verbundenen Binnenwanderung bzw. dem Entstehen eines Kleinbürgertums und Bürgertums vor allem tschechischer Nationalität. Andererseits sah man sich als politische Kraft, die sich ausschließlich auf die soziale Frage konzentrieren wollte. Noch die Hainfelder Erklärung von 1888/89 beschränkte sich auf eine Verurteilung der Vorrechte der Nationen und die Bestimmung der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) als einer internationalen Partei. Im Laufe der 1890er Jahre wurde die Partei allerdings von den gesellschaftlichen Realitäten des Habsburgerstaates eingeholt. Die „Deutschen, waren innerhalb des Reichsverbandes die bevorzugte nationale Gruppierung, die anderen Nationen wurden in unterschiedlichem Ausmaß durch die habsburgische Politik unterdrückt. Diese Tatsache spiegelte sich in den Organisationen der Arbeiterbewegung wieder. Die tschechische Sozialdemokratie verlangte und erlangte eine höheres Maß an Unabhängigkeit. 1896 kommt es zu einer Spaltung der galizischen Sozialdemokratie. Seit 1897 existierte in Zisleithanien de facto keine einheitliche Sozialdemokratie mehr sondern eine Reihe nationaler Parteien, die mehr oder weniger miteinander kooperierten. Diese Situation zwang die Partei geradezu, endlich ein Nationalitätenprogramm zu formulieren.
Das Brünner Programm
Das in Brünn 1898 beschlossene Programm bildet die Basis für die Nationalitätenpolitik der Sozialdemokratie bis 1918. Neben dem Ziel, die Monarchie in einen demokratischen Nationalitätenbundesstaat umzuwandeln, ist der Kernpunkt des Programms die Forderung nach nationaler Autonomie und Selbstverwaltung. Nicht nur, dass diese Selbstverwaltung alles andere als vollständig sein sollte und dem Reichsparlament gewichtige Einflussmöglichkeiten vorbehalten waren, liegt die Bedeutung und Hauptkonsequenz dieser Positionierung vor allem darin, dass die österreichische Sozialdemokratie dadurch die Grenzen des Habsburgerstaates voll und ganz akzeptierte. Eine Veränderung dieser staatlichen Strukturen war nicht gewünscht und wurde als schädlich erachtet. Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen bis hin zur staatlichen Lostrennung, wie von Lenin und den Bolschewiki vertreten, wurde verwehrt. Damit befand sich die Partei praktisch in einer Interessenskoalition mit den dynastischen Kreisen. Die staatserhaltende Antwort der Partei kann dabei als das erste Merkmal der politischen Selbständigkeit des „Austromarxismus, gesehen werden.
Der lange Weg in die Niederlage
Die Positionierung der Sozialdemokratie erfolgte nicht zufällig, sondern war nur der konsequente Ausdruck eines Nicht -Verstehens der Bedeutung der Nationalen Frage, einer falschen Charakterisierung der Nation und eines latent vorhandenen Deutschnationalsimus.
Alle führenden Theoretiker des Austromarxismus, allen voran Otto Bauer und Karl Renner, behandelten die Nationale Frage vollkommen unabhängig von der sozialen Frage. Während die Bolschewiki nicht nur erkannten, dass die Nationale Frage in letzter Konsequenz „eine Frage des Brotes, ist, sondern vor allem auch, dass die Bourgeoisie vollkommen unfähig ist, die Problematik zu lösen und dass die Aufhebung jeglicher nationaler Unterdrückung folglich nur nach der Machtübernahme der Arbeiterklasse möglich ist, gab es bei den Austromarxisten keinerlei Zusammenhang von Nationaler Frage und Sozialismus. In Wahrheit hoffte man, dass sich die herrschende Klasse einsichtig zeigen würde und die Nationalitätenkonflikte für die Sozialdemokratie lösen würde. Denn erst wenn die Nationale Frage gelöst sei, könne man für den Sozialismus kämpfen. Gleichzeitig verstand die SDAP nie, was Nation und nationale Kultur eigentlich bedeutet. Die Nation wurde, vor allem bei Otto Bauer, zu etwas Überhistorischem. Sie war für Bauer „die Gesamtheit der durch Schicksalsgemeinschaft zu einer Charaktergemeinschaft verknüpften Menschen., Ein gemeinsames Siedlungsgebiet oder Wirtschaftsraum waren für ihn keine Kriterien. Die Nation hört dadurch auf ein Produkt der kapitalistischen Entwicklung zu sein – Bauer meint, dass es auch schon bei den Germanen Nationen gegeben habe. Die Nation ist also nicht mehr etwas, das entsteht und sich verändert oder sogar verschwindet, sondern etwas ewiges. Was vielleicht wie eine rein akademische Fragestellung erscheinen mag, hatte weitreichende Konsequenzen für die praktische Politik.
Vom Internationalismus zur Deutschtümelei
Die Nation ist bei den Austromarxisten nicht etwas, das es gilt zu überwinden, sondern der Klassenkampf wird Mittel für die Nation. Bei Otto Bauer ist „der internationale Klassenkampf das Mittel, dessen wir uns bedienen müssen, um unser nationales Ideal zu verwirklichen“. Von dieser Position ist es nur mehr ein kleiner Schritt zur „Erkenntnis“, dass alle gesellschaftlichen Klassen ein Interesse an der Aufrechterhaltung der Nation und des jeweiligen National- oder Nationalitäten-staats haben – womit wir bei Karl Renner wären. Die Nation war für ihn die natürliche Form des menschlichen Zusammenlebens. Der Erhalt und die Fortentwicklung der Nationen im Donauraum konnte seiner Ansicht nach nur gesichert werden, wenn die Donaumonarchie zumindest in ihrem territorialem Rahmen erhalten bliebe. Er sah seine Hauptaufgabe darin, die Herrschenden davon zu überzeugen, dass die Arbeiterklasse ein ebenso großes Interesse an der Erhaltung bestehender staatlicher Strukturen wie sie selbst habe. Der habsburgische Staat wird zum Bündnispartner der Arbeiterbewegung! Diese Positionierung Renners ist keineswegs mit einer generellen Ablehnung des Nationalismus zu begründen. Renner ging es auch darum, die deutsch-österreichische Vormachtstellung über ein großes Wirtschaftsgebiet zu erhalten. 1902 schrieb er: „Der Deutschösterreicher war einmal der herrschende Stamm in Österreich, mit der Herrschaft hat es ein Ende, aber das führende Volk wird er immer sein., Kein Wunder, dass Renner 1938 bei der „Volksabstimmung, über den Anschluss an Deutschland ein „ja, empfahl.
Kein Gegenmittel gegen den nationalistischen Wahn
Die austromarxistische Politik ging aber nicht nur mit den Herrscherhaus Kompromisse ein sondern auch gegenüber bürgerlich-nationalistischen Strömungen. Da man durch die staatsorientierte Politik in der Nationalen Frage die zentrifugalen Kräfte in- und außerhalb der Partei nicht aufhalten konnte, sondern im Gegenteil förderte, musste man weitreichende Zugeständnisse an nationalistische Strömungen machen. Ausdruck dessen war auf innerorganisatorischer Ebene die Schaffung de facto unabhängiger nationaler Parteien in den Kronländern der Monarchie. Bei Gemeinderatswahlen in Brünn 1905 kandidierten deutsche und tschechische Sozialdemokraten gegeneinander! Tschechische sozialdemokratische ArbeiterInnen in Wien waren von ihren deutschsprachigen GenossInnen vollkommen getrennt organisiert. Gesamtgesellschaftlich vertrat man das Konzept der national-kulturellen Autonomie, das im Prinzip auf eine abgeschwächte Apartheidspolitik hinaus lief. Nationalitäten sollten in verschiedenen Lebensbereichen getrennt werden – u.a. im Schul- und Erziehungswesen.
Während sich die Nationalitätenpolitik der Bolschewiki als ein wirksames Mittel gegen den nationalistischen Wahn herausstellte, scheiterte die SDAP vollkommen. 1906 kam es zu einer Spaltung der Gewerkschaftsbewegung, im Reichsrat lieferten sich tschechische und deutschösterreichische Abgeordnete Kampfabstimmungen, ab 1911 gab es auch formal keinen internationalen Sozialdemokratischen Abgeordnetenverband mehr. Die Nationalitätenpolitik wurde zum klarsten Ausdruck des Opportunismus und Reformismus in der österreichischen Partei. Sie ist mitverantwortlich für das Erstarken von Chauvinismus und Nationalismus im Vorfeld des Ersten Weltkriegs und die Zerschlagung der internationalen Arbeiterbewegung.