Revolution in Indonesien

Die Ereignisse in Südostasien überschlagen sich. In Wochen, in denen Jahrzehnte passieren, bleiben Neuigkeiten nicht lange aktuell. In der letzten Augustwoche entfachte sich das Feuer der Revolution in Indonesien. Von Mio Purgathofer
Millionen gingen auf die Straßen und drängten furchtlos Polizei und Militär zurück. Der Slogan „Bubarkan DPR!“ („Löst das Parlament auf!“) tauchte spontan aus den Reihen der Bewegung auf, in der die Jugend den Ton angab. Und sofort begannen die Massen ihre Forderung selbst durchzusetzen – Polizeistationen und Regierungsgebäude wurden in Brand gesetzt, Luxusvillen verhasster Spitzenpolitiker geplündert und zerstört.
Der Reichtum der herrschenden Klasse in Indonesien ist obszön. Die Spitzen der Gesellschaft leben in riesigen Villen und bereichern sich auf dem Rücken der Ärmsten. Ein großer Aufreger war jüngst die Nachricht, dass jeder Abgeordnete (zusätzlich zum Gehalt!) eine Wohnbeihilfe von 3000 USD monatlich (ca. 10x der Mindestlohn in Jakarta!) bezieht.
Vor wenigen Wochen noch erschien die Regierung Indonesiens stabil. Dabei handelt es sich um eine Koalition fast aller Parteien, die seit etwa einem Jahr an der Macht ist. Präsident Prabowo gewann damals die Wahl mit Unterstützung seines Vorgängers, dessen Politik er fortzusetzen versprach.
Indonesien hat in den letzten 10 Jahren ein stabiles Wirtschaftswachstum verzeichnet, basierend auf billigen Krediten und einem Boom im Nickel-Export. Vor allem chinesische E-Autofirmen importieren Nickel. Durch Angriffe auf die Arbeiterklasse wurde das Land für ausländische Investitionen, die zu einem Drittel aus China stammen, attraktiv gemacht.
Doch die Zeit der niedrigen Zinsraten ist vorbei, und steigende Zölle belasten die Exportwirtschaft. Der Nickelexport hat seinen Höhepunkt erreicht und es gibt bereits eine Überproduktion. Chinas Absatzmärkte für E-Autos sind zunehmend von Zöllen eingeschränkt, weshalb die Nachfrage nach Nickel aus Indonesien unter Druck steht. Die Nickelpreise sind in den letzten drei Jahren fast um die Hälfte gefallen.
Dieser Druck auf die Industrie macht es für Prabowo unmöglich, das Wirtschaftswachstum ohne harte Angriffe auf die Arbeiterklasse aufrechtzuerhalten. Ausländische Investoren verlangen von der indonesischen Regierung eine harte Sparpolitik. Schon im Frühjahr sahen wir eine Bewegung der Jugend gegen Einsparungen und daraus resultierende Massenentlassungen. Jetzt wiederholt sich das Ganze auf einer höheren Ebene.
Der Auslöser der jüngsten Protestwelle war der Tod eines 21-jährigen Lieferboten, der von der Polizei erschossen wurde. Nach diesem Ereignis explodierte die angestaute Wut der Massen.
Die Massen, die ihre Angst überwunden hatten, ließen die Regierung spüren, wie brüchig ihre Basis bereits war. Aus Angst vor einem kompletten Kontrollverlust musste sie ernsthafte Zugeständnisse machen. Das Gehalt der Abgeordneten wurde auf ein Viertel gekürzt, die Finanzministerin (deren Luxusvilla bereits geplündert worden war) entlassen. Die moderaten Forderungen des liberal-demokratischen Flügels der Bewegung (indonesiademands.com) konnten von der Regierung akzeptiert werden, um sich Zeit zu erkaufen, bis die Bewegung abflaut. Doch die Massen werden genau prüfen, wie ernsthaft diese Zugeständnisse sind. Sie werden sehen, dass diese „Reformen“ nichts verändern, keine Arbeitsplätze schaffen oder höhere Löhne bringen.
Zum ersten Mal seit dem Sturz der Diktatur Suhartos 1998 traten die Massen so entschieden in den Kampf. Sie haben gezeigt, welche Macht sie auf der Straße entfalten können. Aber sie haben in dieser gewaltigen Protestbewegung noch keine bewusste Aktion als Arbeiterklasse ergriffen. Die ultimative Waffe der Revolution, ein Massenstreik, kam noch nicht zum Einsatz. Die Gewerkschaften sind für die Aufgabe, einen solchen revolutionären Generalstreik zu organisieren, nicht gewappnet. Sie stehen mal mehr, mal weniger offen auf der Seite der Regierung.
Das Fehlen einer Koordination und Führung, die den Kampf organisieren und ihm eine revolutionäre Perspektive geben kann, hat es moderaten Elementen ermöglicht, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Diese Gruppierungen lassen sich vom Druck der Bürgerlichen einschüchtern. Aus Angst vor Repression beginnen sie, Demonstrationen abzusagen. Das schürt Unsicherheit in der Bewegung, was von der Polizei und dem Militär als Zeichen von Schwäche gelesen wird. Doch es ist noch nicht aller Tage Abend.
Eine liberal-bürgerliche Zeitung schreibt offen, wovor die herrschende Klasse Angst hat: „Die Ereignisse in Bangladesch dürfen sich nicht in Indonesien wiederholen.“ Vor einem Jahr stürzten die Massen Bangladeschs innerhalb von Wochen die Premierministerin Hasina, die das Land verlassen musste. Die Macht lag damals auf der Straße. Gerade noch so gelang es der herrschenden Klasse mithilfe der Liberalen, die Revolution in sichere Bahnen zu lenken und die unerfahrenen Revolutionäre Bangladeschs unter Kontrolle zu bringen. Vor einer Wiederholung solcher Ereignisse im eigenen Land zittert die herrschende Klasse Indonesiens.
In Bangladesch hat das Fehlen einer bewussten revolutionären Führung dazu geführt, dass sich die Kapitalisten an der Macht halten konnten. Die indonesischen Revolutionäre werden alles dafür tun, dass die Massen aus den Erfahrungen der Revolution in Bangladesch lernen werden. Nur eine konsequente revolutionäre Führung mit Verankerung in der Arbeiterklasse kann die Bewegung zum Sieg führen.
Lang lebe die indonesische Revolution!