Exil-TunesierInnen in Wien diskutieren Ergebnisse und Perspektiven der Revolution in Tunesien. Ein Bericht.
40-50 Exil-TunesierInnen und Linke aus verschiedenen politischen Zusammenhängen kamen am 23.1. ins ÖAKZ und führten eine sehr lebendige Diskussion über die revolutionären Ereignisse in Tunesien. Am Podium saßen Universitätsassistent Dr. Jamel. Ben Abdeljelil, der seit 18 Jahren in Österreich im Exil lebt, Lotfi Majdoub, vom Verein der tunesischen Immigranten in Wien, und Imed Garbaya, linker Uniaktivist.
Die Berichte von Ben Abdeljelli und Garbaya zeigten eindrücklich, dass es sich in Tunesien um eine echte Revolution handelt. Nicht nur, dass die wochenlangen Massenproteste schlussendlich zum Sturz des Diktators Ben Ali und seines Clans geführt haben, trotz dieses wichtigen Etappenerfolgs geht die Bewegung weiter. Der Versuch der alten Elite das Regime ohne Ben Ali aufrechtzuerhalten, hat bei vielen Menschen, die in den letzten Wochen auf die Straße gegangen sind und angesichts der massiven Polizeirepression ihr Leben riskierten, das Gefühl entstehen lassen, dass ihnen die Revolution unter dem Titel „nationale Einheit“ gestohlen wird.
Diese Bewegung wurde, wie eine Kollegin, die vor kurzem in Tunesien auf Urlaub war, vor allem von den Armen, den arbeits- und perspektivlosen JungakademikerInnen, der Jugend und nicht zuletzt der ArbeiterInnenklasse getragen. Sie forderten eine Lösung der sozialen Frage und demokratische Rechte und Freiheiten. In den Regionalstrukturen der Gewerkschaften haben sie einen organisatorischen Träger für ihren Protest gefunden. All das wurde durch die Berichte vom Podium aber auch von DiskussionsteilnehmerInnen, die über Facebook und andere soziale Medien regelmäßig in Kontakt mit Verwandten und FreundInnen in Tunesien stehen, eindrucksvoll bestätigt. Wir sollten froh sein, dass in dieser Region die organisierte ArbeiterInnenbewegung das organisatorische Rückgrat dieser Aufstandsbewegung darstellte.
Wann immer in Österreich über die arabische Welt gesprochen wird, dann klingt unweigerlich die Meinung mit, dass Opposition nur von islamistischen Kräften kommt. In der Revolution, die wir derzeit in Tunesien sehen, spielten und spielen bislang die Islamisten jedoch keinerlei Rolle. Umso bedenklicher ist, dass die Organisatoren dieser Diskussionsveranstaltung, die AIK, einem Islamisten in der Person von Herrn Majdoub überhaupt eine Bühne boten und im Laufe des Abends mehrfach den Ball an ihn spielten, mit dem Hintergedanken, dass die Islamisten eine Rolle bei der Errichtung einer neuen „gegen den Westen gerichteten“ Regierung spielen sollten. Herr Majdoub hat sich an diesem Abend zwar von seiner netten Seite gezeigt, eindrucksvoll von seiner eigenen Geschichte als politisch Verfolgter gesprochen und Frauenrechte nicht in Abrede gestellt. Angesichts der Rolle, die islamistische Kräfte in der arabischen Welt oder in Afghanistan und Pakistan spielen, wäre es aber politisch äußerst fatal solche Gruppierungen salonfähig zu machen. Dafür werden mit Sicherheit jene sorgen, die verhindern wollen, dass die Revolution einen Weg einschlägt, der die Existenz des Kapitalismus und die Vormachtstellung des Imperialismus in dieser Region gefährden würde. Die islamistische Nahda-Bewegung wird mit Sicherheit zum Einsatz kommen, um einer künftigen Regierung den Anstrich zu geben, etwas Neues darzustellen.
Die Linke hat aber die Aufgabe die Rolle der Gewerkschaften, der organisierten ArbeiterInnenbewegung in der Revolution zu betonen und alle Elemente von Strukturen der Doppelmacht zu unterstützen (siehe die Berichte auf www.marxist.com). Nur sie können dafür sorgen, dass die Revolution vollendet werden kann. Diese Doppelmachtstrukturen in Form der Selbstverteidigungskomitees, die angesichts der Destabilisierungsversuche durch die Schergen der alten Diktatur zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Lebensmittelversorgung auf Initiative der Gewerkschaften gegründet wurden und unzählige Städte und Dörfer kontrollieren, gilt es weiterzuentwickeln und überregional zu vernetzen. Sie haben es nicht nur geschafft die öffentliche Sicherheit besser als jeder Polizeiapparat zu garantieren, das wirtschaftliche Leben wieder in Ganz zu setzen sondern sie dürften auch eine große Wirkung auf den alten staatlichen Repressionsapparat selbst haben. Das sahen wir anhand der Demo von Polizisten am vergangenen Wochenende, die höhere Löhne und das Recht sich gewerkschaftlich zu organisieren forderten und sich somit mit der Revolution solidarisierten.
Und das zeigt sich anhand der Beispiele, wo die Armee versucht hat die alte Ordnung wieder zu restaurieren aber unter dem Druck der Straße und der Volkskomitees wieder abgezogen ist. Das ist der Weg vorwärts für die tunesische Revolution.
Dafür werden die revolutionären Kräfte aber nicht ewig Zeit haben. Es ist eine Irrglaube zu meinen, dass jetzt viel Zeit bleiben würde, um die Weichen in eine wirklich demokratische Zukunft des Landes stellen. Das alte Regime wird mit Hilfe des Imperialismus versuchen möglichst schnell wieder ihre Ordnung herzustellen. Die Massen wurden durch diese Bewegung zwar zu politischem Leben erweckt, unzählige TunesierInnen (auch im Exil) verbringen Tag und Nacht damit sich über den Prozess in Tunesien zu informieren, mit anderen zu diskutieren, Nachrichten zu verbreiten, Aktivitäten zu organisieren. Daran allein sehen wir, was eine Revolution ausmacht. Die Erfahrung aller Bewegungen zeigen aber, dass dieses Niveau nicht ewig zu halten, Ermüdungserscheinungen werden auftreten (v.a. wenn es keine klare politische Perspektive gibt), der Druck zur Normalität des Alltags überzugehen wird stärker und stärker. In der gestrigen Diskussion wurde betont, dass diese Revolution bislang „führerlos“ ist, in dem Sinne, dass es keine Partei oder charismatische Führungspersönlichkeit gibt, die an der Spitze der Bewegung steht. Doch auf die Dauer wird die Revolution eine Führung hervorbringen müssen, die imstande ist gegen einen so mächtigen Feind (Staatsapparat, Imperialismus, alte Politelite) die Revolution zu vollenden. Es braucht eine revolutionäre Partei, die unter dem Druck der Ereignisse jetzt aufgebaut werden muss. Diese Partei muss ein marxistisches Programm haben, wie wir es in früheren Artikeln bereits skizziert haben, und in der ArbeiterInnenklasse und der Jugend verankert ist. Die GenossInnen von marxy.com diskutieren in diesen Tagen mit RevolutionärInnen in Tunis und in anderen Städten über die nächsten Schritte beim Aufbau eines ersten Kerns einer solchen Partei.
Die gestrige Diskussion hat gezeigt, dass die Analysen der IMT und des „Funke“ zur Revolution in Tunesien durch die gestrigen Berichte voll bestätigt und von vielen linken Exil-TunesierInnen geteilt werden. Daran gilt es nun anzuknüpfen.
Wir rufen alle AktivistInnen der Jasmin-Revolution, auch jene die in Österreich leben, mit uns eine starke Solidaritätsbewegung aufzubauen, und die Grundlagen einer solchen revolutionären Partei zu diskutieren. Unsere LeserInnen rufen wir dazu auf die Arbeit von marxy.com mit einer Geldspende finanziell zu unterstützen.