Anstatt den anarcho-kapitalistischen Traum eines von Staaten und Banken unabhängigen Geldes zu verwirklichen, erwiesen sich Kryptowährungen wie Bitcoin als äußerst instabile Spekulationsblase. Eine Analyse von Mario Wassilikos.
Erreichte die digitale Währung am 17. Dezember noch einen neuen Rekordpreis von 20.089 US-Dollar – eine Versechsfachung binnen drei Monaten –, folgte ein Sturz unter 13.000 US-Dollar. Dann ging es wieder aufwärts, bevor sie Mitte Jänner auf unter 10.000 US-Dollar sank – ein Wertverlust von mehr als 50 Prozent in nicht einmal einem Monat! Es folgte eine leichte Erholung. Momentan liegt der Kurs bei 10.706 US-Dollar (Stand: 1. März 2018). Finanzexperten warnen eindringlich vor der Kryptowährung. Mark Tinker, Investment-Manager im AXA-Konzern, betont, dass Bitcoin alle Eigenschaften einer klassischen Spekulationsblase hat. Raiffeisen-Analyst Valentin Hofstätter warnt allgemein vor Kryptowährungen: „Ein Großteil von dem, was hier herumschwirrt, wird in ein paar Jahren nichts mehr wert sein.“
Was ist Bitcoin?
Um zu verstehen, wie sich Bitcoin so entwickeln konnte, muss man wissen, was das überhaupt ist. Bitcoin (englisch sinngemäß für „digitale Münze“) ist eine digitale Währung, gleichzeitig auch der Name des weltweit verwendbaren dezentralen Buchungssystems sowie die vereinfachende Bezeichnung einer kryptografisch legitimierten Zuordnung von Arbeits- oder Rechenaufwand. Überweisungen werden von einem Zusammenschluss von Rechnern über das Internet mithilfe einer speziellen Peer-to-Peer-Anwendung – einer Anwendung, in der alle Computer gleichberechtigt sind und sowohl Dienste in Anspruch nehmen als auch zur Verfügung stellen können – abgewickelt, sodass anders als im herkömmlichen Bankverkehr keine zentrale Abwicklungsstelle benötigt wird. Eigentumsnachweise an Bitcoin können in einer persönlichen digitalen Brieftasche gespeichert werden. Der Umrechnungskurs von Bitcoin in andere Zahlungsmittel bestimmt sich durch Angebot und Nachfrage.
Das Bitcoin-Zahlungssystem wurde erstmals 2008 in einem unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto veröffentlichten Dokument beschrieben, vermutlich motiviert vom Ausbruch der schwersten Krise des Kapitalismus seit 1929. Im Jahr darauf wurde eine Open-Source-Referenzsoftware – eine Software, deren Quelltext öffentlich und von Dritten eingesehen, geändert und genutzt werden kann – dazu veröffentlicht. Das Bitcoin-Netzwerk basiert auf einer von den TeilnehmerInnen gemeinsam mithilfe einer Bitcoin-Software verwalteten dezentralen Datenbank (der Blockchain), in der alle Transaktionen verzeichnet sind. Für die Verwaltung des Netzwerks erhält man Bitcoins – ein Prozess, der als „Mining“ bezeichnet wird. Die einzige Teilnahmebedingung ist der Betrieb eines Bitcoin-Clients. Alternativ kann auch einer der Online-Dienste genutzt werden (z. B. für mobile Geräte). Dadurch unterliegt das Bitcoin-System keiner geographischen Beschränkung – ein Internetzugang genügt und schon kann es losgehen.
Als Geld brauchbar?
Die Bitcoin-Schöpfer beanspruchten von Anfang an, nichtstaatliches Geld geschaffen zu haben. Doch was ist Geld? Geld ist historisch gewachsen, aus der Entwicklung der Produktion und des Austauschs von Waren heraus entstanden und hat bestimmte wirtschaftliche Funktionen:
- Wertmaß und Maßstab der Preise. Der Wert einer jeden Ware – eines Produkts, das auf dem Markt ausgetauscht wird – entspricht der jeweils gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, die zu ihrer Produktion nötig ist. Der in Geld ausgedrückte Wert einer Ware ist ihr Preis.
- Allgemeines Äquivalent und Tauschmittel. Mit Geld kann man alle auf einem Markt verfügbaren Waren erwerben.
- Mittel zur Schatzbildung, um akkumulierten Reichtum zu bewahren und zu erhalten
- Zahlungsmittel, um Schulden zu begleichen und Steuern zu bezahlen.
Kann Bitcoin das erfüllen? Nein! Als Zahlungs- bzw. Tauschmittel wird das herkömmliche Zentralbankgeld (Euro, US-Dollar usw.) genutzt und geschätzt, weil man sich ziemlich sicher sein kann, dass man auch morgen und in einer Woche eine ähnliche Sammlung von Waren für eine gegebene Geldsumme kaufen kann wie heute – nicht zuletzt durch Interventionen der Zentralbanken wie Zinserhöhungen bzw. -senkungen und Herstellung neuen Geldes. Dieser Effekt fehlt bei Bitcoin und anderen Kryptowährungen völlig. Ihre Preise werden allein von Angebot und Nachfrage bestimmt. Das führt zu starken Kursschwankungen und macht sie daher auch als Wertaufbewahrungsmittel und Maßstab der Werte ungeeignet. Im Gegensatz zum klassischen Zentralbankgeld, hinter dem der Machtapparat des Staates steht, sind sie nichts weiter als eine unsichere Spekulationsanlage, der die meisten Menschen nicht vertrauen. Eine Aussicht, dass Bitcoin und Co. allgemein akzeptiertes Geld werden, besteht daher nicht.
Die gescheiterte Utopie
Hinter Bitcoin und den über 1500 anderen Kryptowährungen steht der anarcho-kapitalistische Irrglaube, dass Staaten und ihre Zentralbanken die Wirtschaftskrisen verursachen, da sie das Monopol haben, Geld zu schöpfen und den Zinssatz festzulegen. Dazu kommen die Ideen, mit Demokratisierung und Dezentralisierung des Geldsystems eine möglichst hohe Teilhabe aller am gesellschaftlichen Wohlstand zu ermöglichen und mit der Beschränkung der geschaffenen Bitcoin-Menge auf 21 Millionen Stück den Kurs stabil zu halten. Doch dieser Traum ist geplatzt.
So ist das Bitcoin-Netzwerk heute hoch zentralisiert. 81 Prozent des weltweiten Minings – der Bitcoin-Schöpfung – finden in China aufgrund seiner billigen Elektrizität statt. Da dieser Prozess sehr viel Strom verbraucht und daher für die meisten Menschen auf Dauer unrentabel ist, liegt der Großteil der Bitcoin-Schöpfung in den Händen weniger riesiger Investmentgesellschaften. Doch nicht nur die Erschaffung, auch die Verteilung ist stark konzentriert. 95 Prozent aller Bitcoins gehören nur 4 Prozent der Bitcoin-EigentümerInnen, die Hälfte des in Bitcoin gehaltenen Reichtums gehört nur 1 Prozent! Hinzu kommen Spekulationsblasen, Betrügereien, Finanzdienstleister, die hoch riskante Investments oder illegale Pyramidenspiele – in Österreich wird gerade gegen Optioment ermittelt – anbieten, und mit Bitcoin finanzierte kriminelle Machenschaften.
Das Bitcoin-System spiegelt also alle Krisen- und Verfallserscheinungen des Kapitalismus wider. Denn nicht die Einmischung von Zentralbanken, sondern die Anarchie des Marktes, die aus dem Privateigentum an Produktionsmitteln entsteht, ist für Armut und Instabilität verantwortlich. Utopische Experimente jeglicher Art können nicht zur Lösung dieser Probleme beitragen. Was wir brauchen, ist eine Revolution, die Klassengesellschaft, Ausbeutung und Unterdrückung überwindet, und den Aufbau eines Systems, in dem der gesellschaftliche Reichtum allen zugutekommt.