Das EZLN und seine Bündnispartner
Was 1994 die Angriffe des mexikanischen Militärs auf die zapatistische Zivilbevölkerung und die Milizen aufhielt – und dabei sowohl die Guerrilla als auch die Regierung überraschte – war die Massendemonstration vom 12. Jänner. Die Menschen strömten zu hunderten und tausenden auf den Zócalo, um das Ende des Krieges zu fordern.
Viele waren unorganisiert und spontan, aufgrund der Berichterstattung der Medien, auf die Strasse gegangen, andere wiederum stammten aus den unabhängigen, linken Organisationen, die im Zuge der 80er und 90er Jahre begonnen hatten, die Hegemonie der PRI (Partido Revolucionario Institucional, Revolutionäre Institutionalisierte Partei) über die unterprivilegierten Klassen in Frage zu stellen. Seit diesem Zeitpunkt hat die Beziehung zwischen EZ und der Zivilgesellschaft – dieses lose Bündnis aus linken Basisorganisationen, unabhängigen SympathisantInnen der Zapatisten, demokratischen Bauern- und Gewerkschaftsorganisationen – unterschiedlichste Phasen durchlaufen, die von Momenten der Annäherung und des Enthusiasmus, aber auch der teilweisen Distanzierung und gegenseitigen Entzauberung geprägt waren.
„Volksfront“ gegen die PRI
„Divide et impera, war über Jahrzehnte hinweg ein bewährtes Rezept für die PRI, um ihren Einfluss zu sichern und Oppositionsbewegungen unter Kontrolle zu halten. Durch die Kombination unterschiedlichster Herrschaftsmechanismen – ausgehandelter Interessensausgleich, Integration einzelner sozialer Forderungen in Regierungsprogramme, Koptierung potentieller Oppositionskräfte ins System und selektive Repression – konnte die Herausbildung eine breiten oppositionellen Kraft zur Staatspartei vermieden werden. Die mexikanischen Widerstandsbewegungen, die nach der mexikanischen Revolution trotz Repression immer wieder auftauchten -die StudentInnenbewegung von 1968 oder die Guerrillabewegungen in den Bundesstaaten Guerrero und Oaxaca in den 70er Jahren sind nur zwei Beispiele dafür – zeugen, zum einen, vom Überleben kämpferischer Traditionen der unterdrückten Klassen, zum anderen jedoch auch von einer ungeheuren Fragmentierung. Fast nie erlangen die einzelnen Gruppen über den eigenen Sektor oder Bundesstaat hinaus einen relevanten politischen Einfluss.
Die zapatistische Rebellion und der Aufruf des Subcomandante Marcos nach einer breiten Oppositionsfront gegen das „System der Staatspartei“, bot, ähnlich wie schon sechs Jahre zuvor die soziale Bewegung rund um den oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Cuauhtemoc Cárdenas, einen Anlass für unzählige Organisationen sich zu einer Oppositionsfront unter dem Banner der Zivilgesellschaft zusammenzufinden. Die ZapatistInnen erschienen als politischer Anknüpfungspunkt und Beispiel für das eigene politische Handeln. Für die ZapatistInnen wiederum wurde die nationale und internationale Solidarität zu einem wichtigen Druckmittel, um das Vordringen des Militärs aufzuhalten und die Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen.
In diesem Zusammenhang starteten die ZapatistInnen eine Reihe von Initiativen zur Gründung breiter sozialer Allianzen gegen die Regierung der PRI. Allerdings waren weder der Convención Nacional Democrática (Demokratischer Nationalkonvent, CND), gegründet im August 1994, noch dem Movimiento de Liberación Nacional (Nationale Befreigungsbewegung) aus dem Jahr 1995, ein langes Leben beschieden. Zu unterschiedlich und heterogen, in bezug auf soziale Zusammensetzung, Perspektiven und politische Ziele, waren die Organisationen, die sich in diesen Allianzen zusammenfanden. Kurze Zeit darauf, im Jänner 1996, als neuerliche Organisationsalternative für die „Zivilgesellschaft, gab das EZ die Gründung der Frente Zapatista de la Liberación Nacional (FZLN, Zapatistische Front der Nationalen Befreiung) bekannt. Diese Organisation verstand sich als zivile, nicht parteigebundene Organisation, deren politischer Bezugspunkt die Programmatik der chiapanekischen Guerrilla war. Bei diesem bisher letzten Versuch eine direkt vom EZ beeinflusste Organisation aufzubauen, dürfte auch der Gedanke mitgespielt haben, nach einem eventuellen Friedensschluss über zivile politische Strukturen auf nationaler Ebene zu verfügen.
Vom „bewaffneten Reformismus, zur Indígenalobby?
Zu diesem Friedensschluss kam es aber nicht. Verschiedenste Ereignisse, wie die Verhärtung der Regierungposition in bezug auf die Forderungen des EZ, die steigende Präsenz von Paramilitärs in den zapatistischen Zonen, mit dem tragischen Höhepunt des Massakers von Acteal im Dezember 1997, und die Weigerung des Präsidenten Ernesto Zedillo, den Gesetzesvorschlag der COCOPA über die Rechte der Indígenas anzunehmen, brachten die ZapatistInnen dazu die Verhandlungen mit der mexikanischen Regierung abzubrechen und auf eigene Faust die Autonomie in den von ihnen kontrollierten Zonen durchzusetzen. Andere gesamtgesellschaftliche Forderungen, wie Land, Arbeit, Erziehung, Gesundheit und Wohnungen für alle MexikanerInnen, die in der ersten Deklaration der Selva Lacandona noch gleichzeitig mit der Durchsetzung der Rechte der indigenen Bevölkerung genannt worden waren, begannen im zapatistischen Diskurs allmählich zu verblassen.
In all diesen Jahren waren es aber immer wieder die Massendemonstrationen, sowie die nationalen und internationale Protestaktionen, die die Regierung zum Rückzug zwangen und den ZapatistInnen eine Atempause verschafften. Aus diesen positiven Erfahrungen mit den spontanen Demos, auf der einen Seite, und dem Scheitern der Bündnisse und Netzwerke á la CND, MLN oder FZLN, auf der anderen Seite, dürften die ZapatistInnen den Schluss gezogen haben, sämtliche Bestrebungen ein breites Bündnis der Linken auf nationaler Ebene aufzubauen, ihrem Schicksal zu überlassen. Stattdessen wurde nun die auf der nationalen und internationalen Ebene gewonnene politische Autorität zu Gunsten der Autonomiebestrebungen der mexikanischen Indígenas eingesetzt – daher auch die Annäherungen an den Congreso Nacional Indígena (Nationaler Indígena Kongress, CNI) – und, in erster Linie, zum Schutz der eigenen sozialen Basis in Chiapas.
Druck auf die beiden Kammern des mexikanischen Kongresses auszuüben, um doch noch die Annahme des Gesetzesvorschlags der COCOPA durchzusetzen, war daher auch das erklärte Ziel der zapatistischen Comandantes bei ihrem Marsch von Chiapas nach Mexico City im Februar 2001. Eingekreist vom Militär und bedroht vom Vergessen, setzte die zapatistische Leitung alles auf eine Karte: ein Marsch in die Hauptstadt, um die Militär- und Informationsblockade zu durchbrechen und damit die politischen Voraussetzungen für ein Friedensabkommen zu schaffen. Unzählige Menschen, vor allem. Jugendliche, kamen auf die Versammlungen der ZapatistInnen, um sich ihre Vorschläge in bezug auf Selbstverwaltung, Rechte der Indígenas und Autonomie anzuhören. Aber das EZ sah seine Funktion nicht darin all diesen Leuten eine politische Alternative anzubieten: „Wir sind nicht das was ihr sucht, wir sind selber auf der Suche., sagte der Subcomandante Marcos am 11. März in seiner Rede vor 200.000 Menschen auf dem Zócalo. Diese Einstellung wurde zwar von vielen Intelektuellen und VertreterInnen der Zivilgesellschaft hochgelobt, bedeutete aber, wiedereinmal eine Chance zu vergeben, um die Zersplitterung der Linken in Mexico zu überwinden.
Die Unterstützung und Solidarität, die die Comandantes auf ihrer Reise durch Mexico empfangen haben, zu einem Zeitpunkt als die zapatistische Bewegung schon fast als vergessen galt, zeigt auf, dass die ZapatistInnen mit ihrem Diskurs, der die Ausbeutung und Entfremdung kritisiert und ein würdiges Leben einfordert, den Finger auf eine wunde Stelle legen und immer wieder viele Menschen ansprechen können. Ohne Organisierung ist die Gefahr jedoch gross, dass diese Unterstützung wieder verfliegt. Aus diesem Grund ist es wichtig für die ZapatistInnen den Kontakt zur nationalen und internationalen Öffentlichkeit nicht zu verlieren. Statt sich mit den organisierten Teilen der radikalen sozialen Bewegungen Mexicos und Lateinamerikas, mit deren Widerstandstraditionen und politischer Geschichte, auseinanderzusetzen, geht es immer mehr darum, nationale und internationale „opinion leaders, (JournalistInnen, Intelektuelle, KüstlerInnen, etc.) zu beeinflussen, die wiederum politisch unorganisierte, aber prinzpiell interessierte Menschen, für den Zapatismus ansprechen können. In diesem Zusammenhang machte schon 1999 Teresa del Conde, mexikanische Kunstkritikerin und Teil der intelektuellen Elite, auf einen Widerspruch im zapatistischen Diskurs aufmerksam, dass nämlich die ZapatistInnen zwar immer wieder mit der nationalen und internationalen Solidarität rechnen, um ihre soziale Basis in Chiapas zu sichern, selbst aber nur höchst allgemein und vage für andere Bewegungen (in Lateinamerika oder sonstwo) eintreten. Die bisher einzige Ausnahme war der Vermittlungsversuch des Subcomandante Marcos im Konflikt zwischen ETA und der spanischen Regierung. Der Schachzug ging allerdings nicht auf und ETA lehnte das Angebot scharf ab
Die Politik der Autonomie
Aber wozu auch nationale und internationale Bündnisse auf einer programmatischen Basis schmieden, scheinen die ZapatistInnen zu denken, wenn im Zeitalter des Imperiums und des transnationalen Kapitalismus die staatliche Macht sowieso nutzlos ist. Stattdessen geht es darum die lokale Selbstverwaltung -die Caracoles- aufzubauen und damit all denen, die sich dafür interessieren, ein Beispiel zu geben, wie Autonomie in einem örtlich begrenzten Zusammenhang funktionieren kann. Diese Strategien können aber gefährlich werden, denn ohne Anreize kann es schnell einmal passieren, dass die „Señora Zivilgesellschaft, sich doch anderen Angelegenheiten zuwendet.
Mit Recht kann man wohl sagen, dass das „¡Ya Basta!, der zapatistischen Rebellion von 1994 zu einem der ersten Rufe gehört, die die Ruhe und Zufriedenheit der neoliberalen ModernisiererInnen, nicht nur in Mexico, störten. Inzwischen hat sich aber einiges geändert. Durch die Niederlage der PRI bei den letzten Präsidentschaftswahlen wurden die korporativen Kontrollmechanismen noch weiters geschwächt. Die Krise der Landwirtschaft, verschärft durch die Freihandelspolitik der NAFTA, und die drohenden Privatisierungen haben zu neuen Bündnissen geführt, die von Bauern- und Gewerkschaftsorganisationen getragen werden. Das zeigte sich zuletzt auf der grossen Demo gegen die Privatisierung der Elektrizitätsindustrie, die von den Gewerkschaften organisiert wurde und zwischen 100.000 und 140.000 Menschen auf die Strasse brachte. In diesen neuen Bewegungen, die das Ende des politischen Grundkonsenses über die neoliberalen Reformen in Mexico zumindest andeuten, ist der Zapatismus praktisch nicht präsent. Die Kampagne „EZLN-10/20“, um die Gründung des EZ und den Aufstand von 1994 zu feiern, hat bisher mehr Aufmerksamkeit auf den Universitäten und bei den intelektuellen, linken Mittelschichten (UniversitätsprofessorInnen, KünstlerInnen, JournalistInnen) geweckt, als bei den unabhängigen Basisorganisationen.
Auch wenn das EZLN nicht mehr über die starke politische Anziehungskraft verfügt, wie noch vor ein paar Jahren, hat es ohne Zweifel seine Spuren hinterlassen. Die Idee der Autonomie – ob diese nun als Selbstverwaltung, Kontrolle über die eigenen Ressourcen oder Hindernis für das Schalten und Walten des internationalen Kapitals verstanden wird – ist Bestandteil der Erklärungsmuster geworden, mit denen Widerstand und Protest gerechtfertigt wird. Und obwohl die Indígenabewegung von Mexico nicht dieselbe Stärke und Präsenz aufweist wie z.B. in Bolivien und Ecuador, ist sie doch in diesen zehn Jahren, nicht zuletzt dank des Einflusses des EZLN, zu einem politischen Akteur geworden. Ohne Zweifel ist sowohl die zapatistische Guerrilla, als bewaffneter Arm der Indígenagemeinden in den Altos Chiapas, als auch der zivile Zapatismus ausserhalb von Chiapas zu einem nicht mehr wegzudenkenden Element der mexikanischen Widerstandsbewegungen gegen die neoliberale Politik geworden. Die Dynamik dieser Bewegungen -wie zuletzt im Rahmen der Proteste gegen die drohende Privatisierung des Elektrizitätsunternehmen- wird allerdings nicht mehr, wie noch vor ein paar Jahren, von den Initiativen und Vorschlägen der Zapatisten mitbestimmt.