Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft ist ein kompakter Text, der die Bedeutung und Entwicklung des Marxismus erklärt. Dieser Leseleitfaden hilft dir dabei, die wichtigsten Ideen dieses Klassikers von Friedrich Engels zu verstehen.
Dieses Schriftstück, das erstmals 1880 in französischer Sprache erschien, ist in Wirklichkeit eine Zusammenstellung von drei Kapiteln aus Engels‘ Anti-Dühring. Es wurde nicht nur zur Bekämpfung der „neuen“ sozialistischen Theorien Eugen Dührings verfasst, sondern liefert „eine enzyklopädische Übersicht über unsere Auffassung der philosophischen, naturwissenschaftlichen und historischen Probleme“ in Engels‘ eigenen Worten.
Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft fasst einige der wichtigsten Ideen aus Engels‘ Buch in einem prägnanten und sehr zugänglichen Dokument zusammen. Es ist bis heute eine der besten und populärsten Zusammenfassung marxistischer Ideen, die je produziert wurde. In drei zügigen Kapiteln behandelt Engels zunächst die Entwicklung des vormarxistischen sozialistischen Denkens. Darauf folgt die dialektische Philosophie, welche für die marxistische Methode von zentraler Bedeutung ist.
Abschließend wird der historische Materialismus besprochen. Er ist die Anwendung des marxistischen Denkens auf die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft: Die Quelle der revolutionären Schlussfolgerungen von Marx und Engels.
Wie die sehr kurze Zusammenfassung oben andeutet, ist diese Broschüre extrem reich an Ideen und verdient durchaus mehrere Lesungen. Darüber hinaus ist Engels‘ Einleitung zur englischen Ausgabe (1892) sehr bereichernd. Sie ist einerseits eine wertvolle Erklärung und Verteidigung der materialistischen Philosophie (die selbst ein revolutionäres Unterfangen ist, wenn man den enormen Einfluss idealistischen und agnostischen Denkens in der „respektablen“ Philosophie bedenkt). Und andererseits auch eine Lehrstunde im historischen Materialismus. Die Entwicklung der Philosophie und der Ideen wird in den Kontext der zugrunde liegenden Revolution in der Entwicklung der Produktivkräfte und des Klassenkampfes gestellt.
I. Kapitel: Der utopische Sozialismus
Das erste Kapitel von Engels‘ Broschüre ist den großen „utopischen“ Sozialisten des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts gewidmet: den Vorvätern des wissenschaftlichen Sozialismus von Marx und Engels.
In einer kurzen Geschichte des sozialistischen Denkens von der frühen Neuzeit an zeichnet Engels die rationalistischen, demokratischen und kommunistischen Bewegungen dieser Zeit nicht einfach als Kampf der Ideen nach, sondern als theoretische Ausdrucksformen des Aufstiegs und des Konflikts der neu entstehenden Klassen in der Gesellschaft. Mit der gleichen Methode wendet sich Engels dann den ersten ideologischen Trieben der neugeborenen Arbeiterklasse in Großbritannien und Frankreich zu: den „drei großen Utopisten“ von Saint-Simon, Jean-Baptiste Fourier und Robert Owen.
Engels analysiert jede ihrer Theorien kurz analysiert und zeigt die fatalen Fehler und Grenzen ihrer idealen „Gesellschaftssysteme“ auf. Er stellt sie jedoch auch in den historischen Kontext eines Klassenkampfes (zwischen Bourgeoisie und Proletariat). Dieser war aber gerade erst im Entstehen begriffen und daher noch „unreif“ in seiner Form und seinem Ausdruck. Dies zeigt sich darin, dass die Utopisten die Arbeiterklasse zugunsten der „Arbeiterinnen und Arbeiter“ oder des „Volkes“ im Allgemeinen ausklammerten.
Doch Engels lehnt die großen intellektuellen und politischen Beiträge dieser Individuen keineswegs ab. Engels behält sich seine schärfsten Zeilen für jene „Philister“ [Die Philister waren ursprünglich ein Volk, welches ab dem 12. Jahrhundert die Küste des historischen Palästinas bewohnte. Der Begriff Philister wird als Abwertung für ein kleinbürgerliches bzw. engstirniges Weltbild mit vereinfachten Moralvorstellungen verwendet.] vor, die „die Überlegenheit ihrer eignen nüchternen Denkungsart“ gegenüber den „genialen Gedankenkeime und Gedanken“ der Utopisten geltend machen wollten. Für Engels gab es viel Richtiges in ihren fehlerhaften Theorien und vieles, was später von Marx und ihm selbst geerbt wurde.
Letztlich stellt Engels mit seiner Behandlung der frühen und utopischen Sozialisten den Marxismus in seinen eigenen Kontext. Er ist Ergebnis sowohl der theoretischen Produkte früherer Sozialisten als auch des modernen Proletariats in seiner vollen materiellen Entwicklung.
Diskussionsfragen:
- In welchem Sinne wurde die Welt für die Philosophen des 18. Jahrhunderts „auf den Kopf gestellt“?
- Was meint Engels, wenn er schreibt: „So wenig wie alle ihre Vorgänger konnten die großen Denker des 18. Jahrhunderts hinaus über die Schranken, die ihnen ihre eigne Epoche gesetzt hatte.“?
- Warum waren die durch den „Sieg der Vernunft“ geschaffenen Institutionen solch „bitter enttäuschende Zerrbilder“?
- Was eint die „drei großen Utopisten“?
- Wie macht „die große Industrie“ eine Revolution notwendig?
- Warum waren die neuen Gesellschaftssysteme der Begründer des Sozialismus „von vornherein zur Utopie verdammt“?
- In welchem Sinne ist die Politik „die Wissenschaft der Produktion“?
- In welchem Sinne war Fouriers Geschichtsauffassung dialektisch?
- Welche Ähnlichkeiten können wir zwischen Owens Philosophie und der von Marx erkennen?
- Was waren die Grenzen von Owens Kommunismus?
II. Kapitel: Die Dialektik
Das zweite Kapitel von Engels‘ Broschüre konzentriert sich darauf, wie die Geschichte der Philosophie ihren Höhepunkt mit Hegel erreichte. Es berichtet von den antiken griechischen Philosophen und ihrer weniger entwickelten Dialektik über die Metaphysik bis hin zu einer Hegelschen Form der Dialektik.
Engels erörtert die Fehler der Metaphysiker. Er stellt ein drängendes Problem fest, nämlich die Unfähigkeit, den Widerspruch zu verstehen. Engels erklärt, dass „die beiden Pole eines Gegensatzes, wie positiv und negativ, ebenso untrennbar voneinander wie entgegengesetzt sind.“ Dies ist ein zentraler dialektischer Punkt, der in diesem Kapitel herausgearbeitet wird. Er konkretisiert dies, indem er erklärt, dass die Natur ein Beweis für dieses Phänomen ist.
Engels spricht in höchsten Tönen von Hegel und seiner Brillanz bei der Befreiung der Geschichte von der Metaphysik. Allerdings stellt Engels auch die Fehler Hegels fest, die auf seinen Idealismus, sein begrenztes Wissen und seinen Platz in der Geschichte zurückzuführen sind. Engels kommentiert, dass Hegel ein Idealist war und daher die Geschichte auf den Kopf gestellt sah.
Engels endet mit einer Betrachtung des Marx’schen Materialismus, der die Dialektik in die richtige Richtung dreht. Er erklärt kurz die kapitalistische Ausbeutung. Danach erläutert er, dass das, was Marx für den Sozialismus getan hat, ihn in eine Wissenschaft verwandelt hat: „Diese beiden großen Entdeckungen: die materialistische Geschichtsauffassung und die Enthüllung des Geheimnisses der kapitalistischen Produktion vermittelst des Mehrwerts verdanken wir Marx.
Mit ihnen wurde der Sozialismus eine Wissenschaft, die es sich nun zunächst darum handelt, in allen ihren Einzelnheiten und Zusammenhängen weiter auszuarbeiten.“
Diskussionsfragen:
- Was ist Dialektik?
- Was ist der Unterschied zwischen der Dialektik der Antike und der Dialektik von Hegel?
- Was ist das Problem mit der Dialektik von Hegel?
- Was meinte Engels, als er sagte, dass der moderne Materialismus „keine über den andern Wissenschaften stehende Philosophie mehr [braucht]“?
- Warum ist die Philosophie Hegels wichtig für den Sozialismus?
III. Kapitel: Der historische Materialismus
Engels beginnt dieses Kapitel mit der Erklärung, dass das Verständnis der materiellen Realität der Schlüssel zum Verständnis der Gesellschaft ist. Die ökonomische Realität ist der wichtigste Faktor bei der Bestimmung der Gesellschaft, nicht die Ideen. Dies ist im Wesentlichen das Grundgerüst des historischen Materialismus.
Engels zeigt dann auf, wie der Kapitalismus entstanden ist. Er führt den Leser durch den Wandel vom Feudalismus zum Kapitalismus und damit zur Entstehung des modernen Bürgertums. Er erklärt, wie die Produktionsmittel entwickelt wurden und wie sich die Arbeitsteilung entwickelte. Hier sehen wir einen plötzlichen Sprung in der Organisation. Nämlich von der Produktion von Waren mit dem einzigen Zweck des Bedarfs, zur organisierten Fabrik, die Waren produzierte, um sie auf dem Markt zu verkaufen. Zuvor gehörten die Waren nur demjenigen, der sie herstellte, da in der Regel nur eine Person für die Produktion verantwortlich war. Diese klare Eigentumsgrundlage war nicht mehr möglich, wenn jede Ware das Produkt vieler Arbeiterinnen und Arbeiter war. So bedeutete das Privateigentum die Ausbeutung derjenigen, die arbeiteten, aber nichts besaßen.
Engels hält fest, dass es ein Ende des Kapitalismus geben muss. Er definiert die Gesellschaft nicht als einen Kreislauf, sondern als eine Spirale. Diese wird zu früheren Punkten zurückkehren, jedoch auf einem höheren Niveau. Er betrachtet die Entwicklung der Maschinerie im Kapitalismus unter Berücksichtigung der neuen und entwickelten Produktionsmittel. Er spricht von Überproduktion und erklärt, warum der Kapitalismus überproduzieren wird. Und noch wichtiger, warum dies zu einer Geißel für die Existenz der kapitalistischen Gesellschaft wird.
Davon ausgehend vermittelt die Broschüre dann ein Verständnis des Staatsapparates: wozu er da ist und wie er im Sozialismus absterben wird. Engels erklärt: „Der Staat wird nicht ‚abgeschafft‘. Er stirbt ab.“
Schließlich legt Engels die Geschichte des Staatenwesens – von der mittelalterlichen Gesellschaft bis zur zukünftigen proletarischen Revolution – konkret dar. Dadurch erklärt er die Bedeutung des echten wissenschaftlichen Sozialismus.
Diskussionsfragen:
- Welche großen Veränderungen in der Arbeitsteilung und den Produktivkräften haben in den letzten Jahrzehnten stattgefunden und welche politischen und sozialen Veränderungen waren damit verbunden?
- Engels schreibt: „Hiernach sind die letzten Ursachen aller gesellschaftlichen Veränderungen und politischen Umwälzungen zu suchen nicht in den Köpfen der Menschen, in ihrer zunehmenden Einsicht in die ewige Wahrheit und Gerechtigkeit, sondern in, Veränderungen der Produktions- und Austauschweise.“ Wie könnte man diese Beobachtung auf eine große soziale Bewegung unserer Zeit anwenden, wie etwa die politische Polarisierung im Westen?
- Engels verweist auf die Ankunft der geplanten Produktion mit dem Fabriksystem. Was genau hat er damit gemeint?
- Engels betont sehr stark die Produktion von „Waren“. Was ist eine Ware?
- Engels erwähnt eine Reihe von Beispielen für einen „fehlerhaften Kreislauf“ in der Entwicklung des Kapitalismus. Welche waren das?
- Was versteht Engels unter der „Rebellion der Produktivkräfte“ und was sind die „Produktivkräfte“?
- Engels schreibt: „Diese Lösung kann nur darin liegen, daß die gesellschaftliche Natur der modernen Produktivkräfte tatsächlich anerkannt, daß also die Produktions-, Aneignungs- und Austauschweise in Einklang gesetzt wird mit dem gesellschaftlichen Charakter der Produktionsmittel.“ Wie werden die Produktionskräfte im Kapitalismus vergesellschaftet?
- Engels schreibt: „Die gesellschaftlich wirksamen Kräfte wirken ganz wie die Naturkräfte: blindlings, gewaltsam, zerstörend, solange wir sie nicht erkennen und nicht mit ihnen rechnen.“ Was ist der fundamentale Grund dafür, dass die sozialen Kräfte von der Menschheit nicht verstanden oder kontrolliert werden? Was muss sich ändern, damit sie verstanden und kontrolliert werden können?
- Welche unterschiedlichen Beziehungen zwischen dem Staat und der Gesellschaft erwähnt Engels, die im Laufe der Jahrhunderte entstanden sind? Was könnte es bedeuten, dass der Staat „wirklich als Repräsentant der ganzen Gesellschaft auftritt“ und warum würde er dann verschwinden?