In Österreich stehen durch die Wirtschaftskrise immer mehr Gemeinden vor dem finanziellen Desaster. Eine ähnliche Situation gibt es in Deutschland. Hans-Gerd Öfinger, von unserer deutschen Schwesterzeitung, erläutert die Hintergründe und zeigt linke Alternativen auf.
KOMMUNEN AM ABGRUND
Immer mehr deutsche Städte und Landkreise stehen am finanziellen Abgrund, einigen von ihnen droht der baldige Bankrott. „Sparprogramme“ und „Haushaltskonsolidierungskonzepte“ verschärfen die Not und sind kontraproduktiv.
Im Februar schlug der Deutsche Städtetag Alarm und wies darauf hin, dass die bundesdeutschen Kommunen 2010 ein Rekorddefizit von 12 Milliarden Euro befürchten. Auch 2011 bis 2013 werden zweistellige Milliardendefizite erwartet.
Die kurzfristigen Kassenkredite (so etwas wie „Überziehungskredite“) der Kommunen betragen inzwischen bundesweit 33,8 Milliarden Euro. Sie sind damit allein in den ersten drei Quartalen des Jahres 2009 um mehr als 4 Milliarden Euro gestiegen.
Massive Steuerverluste
Bund, Länder und Kommunen hatten 2009 erhebliche Steuerverluste. Den stärksten Einbruch erlitten hierbei die Kommunen mit einem Minus von 7,1 Milliarden Euro. Besonders stark schrumpften 2009 die Gewerbesteuereinnahmen, nämlich um 17,4 Prozent. In vielen Städten liegen die Verluste bei der Gewerbesteuer über 40 Prozent. Die Gewerbesteuer ist die Haupteinnahmequelle der Kommunen.
Allein durch die Steuergesetzgebung der CDU/CSU/SPD-Bundesregierung von 2005 bis 2009 entgehen den Kommunen bis 2013 Einnahmen von knapp 20 Milliarden Euro. Das „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ von Schwarz-Gelb entzieht den Kommunen bis 2014 weitere fünf Milliarden Euro.
2009 stiegen die Sozialausgaben der Kommunen stiegen 2009 erstmals auf rund 40 Milliarden Euro – beinahe doppelt so viel wie kurz nach der „Wiedervereinigung“ 1990. 2010 wird ein weiterer Anstieg um fast 2 Milliarden Euro oder 4,6 Prozent erwartet. Mit vielen Sozialausgaben lässt der Bund die Kommunen allein.
Für die betroffenen Menschen in Stadt und Land, die auf eine gut funktionierende kommunale Infrastruktur angewiesen sind, können solche Zahlen eine Katastrophe bedeuten. Sie bringen den Abbau von Arbeits- und Ausbildungsplätzen und gefährden die Existenz von Schwimmbädern, Stadtteilbibliotheken, Jugend-, Sport- und Kultureinrichtungen und Beratungsstellen für hilfesuchende Menschen. In diesen Monaten beraten viele Kommunalparlamente über besondere „Sparprogramme“ und „Haushaltskonsolidierungskonzepte“, die harte Einschnitte bei den Ausgaben und auch die Erhöhung von Gebühren für Kindertagesstätten, Schwimmbäder und andere Einrichtungen mit sich bringen. Solche Ausgaben sind allesamt „freiwillige“ Ausgaben der Kommunen im Gegensatz zu gesetzlichen „Pflichtausgaben“ wie etwa Hartz IV-Leistungen und die Kosten der Unterkunft von Hartz IV-Empfängern. Doch viele dieser „freiwilligen“ Ausgaben sind für eine gut funktionierende soziale und kulturelle Infrastruktur unverzichtbar. Ohne kommunale Stadtteil-Hallenbäder beispielsweise gibt es tendenziell weniger Schwimmunterricht an den Schulen, mehr Nichtschwimmer und über kurz oder lang mehr Vandalismus frustierter Jugendlicher. Ohne gut ausgestattete Stadtteil- und Schulbibliotheken sinkt das Bildungsniveau. „Viele Kürzungen bei der Prävention sind konktraproduktiv, weil die Folgekosten die Kommunen langfristig belasten“, kritisiert die Wuppertalerin Barbara Hüppe vom Paritätischen Wohlfahrtsverband den drohenden finanziellen Kahlschlag bei offener Kinder- und Jugendarbeit, Ferienprogrammen und Beratungsstellen für Opfer sexueller Gewalt.
Vergeblichkeitsfalle
In Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) ist die Finanzkrise, aber auch der Widerstand weit fortgeschritten. Hier haben sich Parteien, Gewerkschaften, betroffene Organisationen und engagierte Menschen im Aktionsbündnis „Wuppertal wehrt sich“ zusammengeschlossen und machen Druck gegen das „Haushaltssicherungskonzept“, das derzeit im Rathaus der CDU/SPD-regierten 350.000 Einwohner-Stadt beraten wird. Hinter diesem Konzept verbirgt sich ein Kahlschlagsprogramm, mit dem die Stadtregierung in diesem Jahr 80 Millionen Euro Ausgaben kürzen will. „Selbst die brutalste Streichliste kann den Haushalt der Stadt nicht retten. Das strukturelle Problem bleibt“, warnt jedoch das Aktionsbündnis. Die Stadt hat bald zwei Milliarden Euro Gesamtschulden angehäuft und wird auch mit 80 Milliarden Kürzungen das jährliche Schuldenloch von 230 Millionen nicht stopfen können. 2009 musste die Stadt für ihre Schulden schon 42,2 Millionen Euro an Zinsen zahlen. Die Schulden wachsen weiter. Alle Sparanstrenungen sind somit von vornherein vergeblich. Wuppertal steckt – wie viele andere Metropolen an Rhein und Ruhr – in einer „Vergeblichkeitsfalle“ (diesen Begriff prägten die Verwaltungsspitzen von 19 betroffenen Großstädten mitten in NRW, die jüngst in einem gemeinsamen Appell auf ihre katastrophale Lage hinwiesen).
Wuppertal machte in den letzten Wochen Schlagzeilen, weil das dortige Schauspielhaus durch die geplanten Kürzungen von der faktischen Schließung bedroht ist und zum Symbol des Widerstands wurde. Hier können bisher auch viele Schulklassen Aufführungen ansehen und weniger begüterte Menschen Eintrittskarten erwerben, die nicht viel teurer sind als ein Kinobesuch. Somit geht es hier auch um Zugang zur Kultur für alle – und nicht nur für Begüterte und Bildungsbürger.
Marode Infrastruktur
Was zudem in keinem lokalen Haushaltsplan auftaucht und vielen Betroffenen zu schaffen macht, ist ein riesiger „Investitionsstau“ in den Kommunen in Höhe von bundesweit 75 Milliarden Euro. So viel Geld hätten die Kommunen in den letzten Jahren ausgeben müssen, um die Infrastruktur – etwa Straßen, Wege, Brücken, Treppen, Gebäude, Abwasserkanäle – in Schuss zu halten. Bundesweit künden Schlaglöcher und marode Schulhäuser mit undichten Fenstern, kaputten Dächern und sanierungsbedürftigen Toiletten von diesem „Stau“. In Wuppertal sind öffentliche Treppen, in Eisenach (siehe Foto) öffentliche Fußgängerbrücken baufällig und für die Öffentlichkeit gesperrt. Bis 2020 sind gut 700 Milliarden Euro für Reparaturen und Sanierungen nötig.
Vorauseilender Gehorsam gegenüber Kommissaren
Wo die Kommunen ohne ausreichende Gelder für die Bewältigung ihrer Aufgaben bleiben, wird das im Grundgesetz-Artikel 28 verankerte Selbstbestimmungsrecht der Gemeinden, die kommunale Selbstverwaltung, zur Makulatur. Wo die Stadt- und Kreiskämmerer keinen ausgeglichenen Haushalt mehr vorlegen, also eine Deckung der Ausgaben vorweisen können, schreiten jetzt zunehmend die Aufsichtsbehörden der Länder ein und legen die Kommunen an die Leine. Unter diesem Druck werden derzeit – wie in Wuppertal – bundesweit Kürzungspakete mit weitreichenden Folgen und sozialen Grausamkeiten geschnürt. Viele Kämmerer legen „vorauseilenden Gehorsam“ an den Tag und wollen somit eine faktische Entmündigung und Entmachtung durch die Aufsichtsbehörde verhindern.
Mehreren Großstädten in NRW hat die Bezirksregierung jetzt verboten, ab Sommer weiter Ausbildungsplätze für einen neuen Jahrgang anzubieten, weil dies eine „freiwillige“ Aufgabe sei und Geld koste! Was Griechenland im Großen droht, blüht jetzt im Kleinen auch vielen deutschen Großstädten.
Die finanzielle Katastrophe vieler Kommunen ist nicht gottgewollt. Sie ist eine Folge der Wirtschafts- und Finanzkrise und übergeordneter politischer Entscheidungen. Seit 1998 haben – angefangen mit „Rot-Grün“ – Steuergeschenke aller bisherigen Bundesregierungen an Unternehmen und Wohlhabende eine gigantische Vermögensumverteilung von unten nach oben in Gang gesetzt und der Öffentlichen Hand Einnahmeverluste beschert.
Während die meisten Stadtverwaltungen und Akteure aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP die „Sachzwänge“ schlucken und vor den Aufsichtsbehörden kapitulieren, widersetzen sich die allermeisten Kommunalpolitiker der LINKEN diesem Druck. In Wuppertal hat das strikte Nein der vierköpfigen Linksfraktion im Rathaus in Verbindung mit dem Druck des Aktionsbündnisses immerhin dazu geführt, dass nun auch die Grünen die 80-Millionen Streichliste ablehnen und die SPD sich mittlerweile von einzelnen Punkten der Liste distanziert hat.
In Duisburg, wo DIE LINKE (vormals PDS) seit 1999 im Stadtrat sitzt und von drei auf sechs Mandate angewachsen ist, hat jetzt eine Mehrheit von SPD, Grünen und Linksfraktion die vom Kämmerer und der Kommunalaufsicht vorgeschlagenen tiefen Einschnitte bei Kultur, Bildung, Soziales, Jugend und Sport ebenso abgelehnt wie weitere Privatisierungen etwa des Klinikums oder der Niederrheinischen Musikschule. Auch wenn es im Rathaus keine feste „rot-rot-grüne“ Koalition gibt, stimmten die drei Fraktionen ebenso gemeinsam für eine Erhöhung der Gewerbesteuer und eine „Kurtaxe“ als Ausgleich für die vom Bundestag beschlossene Mehrwertsteuersenkung für Hotelübernachtungen.
Das beweist: nicht „rot-rot-grüne“ Formelkompromisse und „alternative Sparkonzepte“, sondern konsequenter Standpunkt und Mobilisierung der Betroffenen können Wirkung zeigen.
In Oberhausen, wo vier von sieben Schwimmbädern bereits geschlossen sind und schon seit Jahren Nothaushalte zur Tagesordnung gehören, werden bei einer Gesamtverschuldung von 1,9 Milliarden Euro und einer Haushaltslücke in zweistelliger Millionenhöhe wenige Millionen Euro Einsparungen den Haushalt nicht retten. „Warum beugt sich die Mehrheit dem Diktat einer Behörde und des Innenministeriums, anstatt die Proteste der Bürger aufzugreifen“, fragt Dirk Paasch von der Oberhausener Rathausfraktion DIE LINKE.Liste: „Warum ruft der Rat nicht auch zu Demonstrationen für eine ausreichende Finanzausstattung der Kommunen auf?“
Das Geld da holen wo es ist
Die Mär vom „Es ist kein Geld da“ läßt Dirk Paasch nicht gelten: „Es ist eine Frage der Verteilung. Wer die Kommunen entlasten will, muss es sich von den Großkonzernen, Banken, Finanzgesellschaften, Millionären und Milliardären holen.“
Statt Totalausverkauf und Ausbluten der Stadt fordert er ein sofortiges Zinsmoratorium. Eine solche Befreiung von den Zinslasten könnte Oberhausen „den Weg zurück in die kommunale Selbstverwaltung öffnen“, sagt Dirk Paasch: „Die aufgenommenen Kreditsummen sind mit den Zinsen längst bezahlt.“
Weiter argumentiert er: „Innere Staatsverschuldung ist Verschuldung der Gesellschaft gegen sich selbst. Jedem Schuldtitel des Staates steht ein gleich großes Guthaben von Gesellschaftsmitgliedern gegenüber. Unsere Kinder und Enkelkinder erben also nicht nur die Schulden, sondern auch die Guthaben. Zudem erben sie die mit den Kreditmitteln erstellte Infrastruktur. Sparpolitik der öffentlichen Hand bedeutet bei der gegenwärtigen Entwicklung Erhöhung der Massenarbeitslosigkeit und Armut. Problematisch ist bei der Handhabung der Staatsverschuldung lediglich der damit verbundene Umverteilungseffekt. Staatschuldentitel werden von den Großbanken gezeichnet und zum größten Teil gehalten, in geringem Umfang an vermögende Kunden weiter gereicht. Die ihnen damit zufließenden Zinsen müssen von der Masse der Steuerzahler aufgebracht werden. Dieser negative Effekt der Staatsverschuldung ließe sich vermeiden, wenn Haushaltsdefizite durch zinslose Kredite der Zentralbank finanziert würden.
Wobei wir daraus folgernd wieder bei unserer seit Jahren immer wieder formulierten Forderung nach einem sofortigen Zinsmoratorium wären.
Womit wir aber das grundlegende Problem noch nicht gelöst hätten. Man muss sich das Geld da holen wo es ist, bevor es nach Liechtenstein oder den Cayman-Inseln verschwindet, bei den Konzernen, den großen Finanzgesellschaften, den Millionären und Milliardären, und vor allem bei den Banken.“
Vorbild Liverpool
Dass Kommunalpolitik in der Krise keine Kapitulation vor „Sachzwängen“ mit sich bringen muss, zeigt das lange zurück liegende Beispiel Liverpool.
In der nordenglischen Industriestadt widersetzte sich die Mehrheit im Stadtparlament Mitte der 80er Jahre dem Druck der konservativen Thatcher-Regierung, die den Kommunen Gelder entzog und sie damit zu Kürzungen und Privatisierungen zwingen wollte. „Lieber das Gesetz brechen als die Armen“, war das Motto jener mutigen Labour-Stadtverordneten, die für ihr „illegales“ Handeln auch drohende Amtsenthebungen und Strafen in Kauf nahmen und statt der von London vorgegebenen Kürzungen Aufträge für den Bau von Sozialwohnungen vergaben und neue Arbeitskräfte einstellten.
Die Verstaatlichung der Banken unter demokratischer Kontrolle ist mittlerweile Programmatik der LINKEN. Wann wenn nicht jetzt sollten wir dafür öffentlich Druck aufbauen? Und zwar in Verbindung mit dem Widerstand gegen sozialen Kahlschlag in den Kommunen und mit der Forderung nach einem Zinsmoratorium. Lasst uns dafür den Schulterschluss mit Gewerkschaften, Sozialverbänden und anderen Betroffenen aufbauen!