Russische Investitionen sollen nach Kuba fließen. „Sie gewähren uns eine Vorzugsbehandlung, der Weg ist frei“, erklärte Boris Titow, der Leiter der russischen Delegation bei der Abschlussveranstaltung des Wirtschaftsforums Kuba-Russland. Von Jorge Martín.
Die Bedingungen, die den russischen Kapitalisten angeboten werden: 30 Jahre Landkonzessionen – länger als die bisher geltenden –, Steuerbefreiungen bei der Einfuhr von Maschinen und die Rückführung von Gewinnen.
Aber das ist noch nicht alles. Die russischen Kapitalisten – angeführt von dem Oligarchen Titow, dessen offizieller Titel in Russland Kommissar für Unternehmerrechte lautet – fordern mehr, wie aus einem Bericht der russischen Nachrichtenagentur Interfax vom 19. Mai hervorgeht. Dort stellt Titow klar:
„Aber wir würden auch gerne neue Maßnahmen sehen. Die Frage der Steuerpräferenzen, einer unabhängigen Personalpolitik russischer Arbeitgeber in Kuba, einschließlich des Rechts auf freie Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern, und des bevorzugten Zugangs russischer Unternehmen zu öffentlichen Aufträgen der Republik Kuba (für eine gesonderte Liste von Gütern) ist noch nicht geklärt. Wir hoffen, dass es in naher Zukunft Fortschritte in diesen Fragen geben wird und die gesamte Palette der Präferenzen gesetzlich verankert wird.“
Wenn er von „Steuervergünstigungen“ spricht, sollte es heißen „wenig oder keine Steuern zahlen“. Wenn er von „unabhängiger Personalpolitik“ spricht, meint er damit die Abschaffung des derzeitigen Systems, bei dem ausländische Unternehmen ihre Beschäftigten über den kubanischen Staat einstellen (der einen Teil der Einnahmen behält). Einer der schwerwiegendsten Punkte ist, dass Titow und die russischen Kapitalisten das „Recht auf freie Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern“ fordern, d.h. sie fordern die freie Einstellung und Entlassung, ohne Rechte für die Arbeiter. Und schließlich, wenn der russische Ombudsmann der Wirtschaft vom „bevorzugten Zugang zu öffentlichen Aufträgen“ spricht, meint er, dass die Aufträge des kubanischen Staates nur – oder bevorzugt – an russische Unternehmen vergeben werden sollten, um ihnen Geschäfte zu garantieren. Und all dies soll „gesetzlich verankert“ werden.
Das sind drakonische Bedingungen. Um es unverblümt zu sagen, das sind die Art von Bedingungen, die ein imperialistisches Land – was Russland definitiv ist, wenn auch in Grenzen – einem beherrschten Land auferlegen möchte.
Zugeständnisse an den Kapitalismus
Aus der Sicht der kubanischen Arbeiterklasse – und aus der Sicht von Arbeitern und Revolutionären auf der ganzen Welt – ist es unerlässlich, diese und andere Maßnahmen der kubanischen Regierung, die Zugeständnisse an den Kapitalismus und den Markt darstellen, auf nationaler und internationaler Ebene zu hinterfragen. Dienen sie dazu, die kubanische Revolution zu verteidigen? Sind diese Zugeständnisse notwendig? Sind sie der Ausweg aus der schweren Wirtschaftskrise, in der sich die Insel befindet?
Die wirtschaftliche Lage in Kuba ist sehr ernst. Daran besteht kein Zweifel. Die Ursachen für diese Situation sind vielfältig – sowohl strukturell als auch umständehalber. Sie ist zum einen das Ergebnis der imperialistischen Blockade, der Isolierung der Revolution in einem rückständigen Land, der Auswirkungen der Pandemie, der Krise in Venezuela und der Verschärfung des imperialistischen Würgegriffs unter Trump (den Biden weitgehend aufrechterhalten hat). Auf der anderen Seite gibt es auch die Bürokratie, die Korruption und die Verschwendung, die eine Folge der oben genannten Faktoren sind, die aber die Situation noch verschlimmern.
Diese Situation hat zu einer Verschärfung des Mangels, der Inflation, Verzweiflung und einer Aushöhlung und Verschlechterung der Errungenschaften der Revolution in den Bereichen Gesundheit, Wohnen und Bildung geführt. Dies hat bei vielen Perspektivlosigkeit, Massenabwanderung und andere Probleme verursacht.
Ein kubanischer Genosse sagte mir im Mai:
„Die wirtschaftliche und soziale Lage ist so verzweifelt und ernst, sie hat sich so sehr verschlechtert, dass ich sogar froh wäre, wenn wenigstens der Einzelhandel, über ausländische Investitionen durch russische und chinesische Geschäfte erweitert werden würde… Es gibt einen totalen Mangel, null, es gibt nichts. Und es gibt keine Hoffnung auf Besserung, das ist das Schlimmste an der ganzen Sache.“
Sind diese Maßnahmen angesichts einer so ernsten Situation gerechtfertigt? Haben nicht auch die Bolschewiki unter Lenin (und Trotzki) die Neue Ökonomische Politik (NEP) angewandt?
In der Tat können Zugeständnisse notwendig sein, um Investoren anzuziehen und die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Wie viele Zugeständnisse und in welchem Umfang, darüber kann man diskutieren. Aber Lenin hat die NEP nie als Allheilmittel, als die Wundermethode zur „Befreiung der Produktivkräfte“ propagiert. Die Bolschewiki erklärten deutlich, dass es sich um einen Rückschritt handelte, ein gefährliches Zugeständnis an den Kapitalismus, das große Risiken barg.
Infolgedessen führten die Bolschewiki eine Reihe von Maßnahmen durch, um den Auswirkungen der NEP entgegenzuwirken. Dazu gehörten die Stärkung des staatlichen Außenhandelsmonopols, die Stärkung der Arbeitermacht und des Kampfes gegen die Bürokratie sowie die Führung eines ideologischen Kampfes, um die Arbeiter und Bauern mit der Perspektive der internationalen Revolution auszustatten.
Die Lehren der Konterrevolution anwenden?!
Stattdessen scheint man in Kuba den Weg Chinas und Vietnams zu beschreiten. Dieser Weg, das sollten wir uns klarmachen, führte zur Restauration des Kapitalismus, zur brutalen Verschärfung der sozialen Ungleichheiten und zur extremen Konzentration von Reichtum und Kapital in wenigen Händen sowie zur Zerstörung vieler Errungenschaften der Revolution in beiden Ländern.
Oder, was noch schlimmer ist, den russischen Weg der kapitalistischen Restauration zu beschreiten. Bei einigen der jüngsten Treffen zwischen Russland und Kuba war die Rede davon, die Lehren der russischen Wirtschaft auf die kubanische Wirtschaft zu übertragen und anzuwenden! In einem anderen Interfax-Bericht vom Januar dieses Jahres hieß es, dass:
„Bei einem Treffen in Havanna zwischen dem kubanischen Präsidenten Miguel Díaz-Canel und Boris Titow, dem Beauftragten des russischen Präsidenten für die Rechte der Unternehmer und Leiter des russisch-kubanischen Wirtschaftsrates, wurde beschlossen, gemeinsam ein ‚Zentrum für wirtschaftliche Transformation‘ zu gründen, das den wirtschaftlichen Wandel in Kuba auf der Grundlage der Entwicklung der Privatwirtschaft vorbereiten soll.“
„Dem gemeinsamen Expertenzentrum werden auf kubanischer Seite Vertreter der wichtigsten Ministerien und der Zentralbank angehören, auf russischer Seite Experten des Stolypin-Instituts für Wachstumsökonomie, des Zentrums für strategische Forschung und des russischen Instituts für Wirtschaftsprognosen.“
„Wirtschaftliche Transformationen in Kuba auf der Grundlage der Entwicklung von Privatunternehmen“ – es lohnt sich, diese Aussage genau zu analysieren. Es wird vorgeschlagen, die kubanische Wirtschaft nach dem russischen Modell umzugestalten.
Die Restauration des Kapitalismus in der Sowjetunion war eine totale Katastrophe in jeder Hinsicht: politisch, sozial, kulturell, aber auch wirtschaftlich. Die Wirtschaft erlitt einen brutalen Niedergang, der zu einem allgemeinen Einbruch des Lebensstandards, einem beispiellosen Rückgang der Lebenserwartung usw. führte. Hinzu kam der Abbau aller Sozialleistungen, die die UdSSR trotz des stalinistischen und bürokratischen Charakters ihres Regimes garantierte.
Das Chaos der kapitalistischen Restauration in Russland, das von den Beratern des Weltkapitalismus gelenkt und gefördert wurde, ging mit der Plünderung des Staatseigentums einher, einem gewaltsamen Prozess, bei dem ehemalige KPdSU-Bürokraten Eigentümer von Produktionsmitteln wurden, die Unternehmen, Energiekonzessionen usw. kontrollieren. Durch mafiöse Methoden und die physische Beseitigung von Geschäftsgegnern fand ein Prozess der Kapitalakkumulation statt, in dem eine Handvoll Oligarchen die Kontrolle über die russische Wirtschaft übernahm.
Verteidigt die Revolution!
Die Karriere von Boris Titow ist ein gutes Beispiel dafür. Er war früher ein hoher Beamter im stalinistischen Regime (verbunden mit dem Export von Petrochemikalien) und Direktor eines sowjetisch-niederländischen Joint Ventures. Nur zwei Jahren nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion tauchte dieser Direktor dieses Staatsunternehmens auf mysteriöse Weise als Eigentümer eines marktbeherrschenden Unternehmens im Bereich Schmierstoffe und Lösungsmittel auf.
Als überzeugter Verfechter des Wirtschaftsliberalismus und prominenter konservativer Politiker gründete er das Stolypin-Institut. Das Institut ist nach dem zaristischen Ministerpräsidenten Pjotr Stolypin benannt, der während seiner Amtszeit von 1906 bis 1911 versuchte, kapitalistische Wirtschaftsreformen durchzuführen, während er gleichzeitig die Arbeiterbewegung, die gerade im Mittelpunkt der Revolution von 1905 gestanden hatte, mit brutalsten Mitteln unterdrückte.
Wenn die kubanische Arbeiterklasse und andere Werktätige irgendetwas von der kapitalistischen Restauration in Russland lernen können, dann die Tatsache, dass sie für die Arbeiterklasse ein komplettes Desaster war. Es ist kein Zufall, dass die kühnsten Äußerungen Titows in der kubanischen Presse nicht wiedergegeben wurden und in der russischen Presse gesucht werden müssen.
Wir sagen: Arbeiterdemokratie und proletarischer Internationalismus sind der einzige Weg, um die Errungenschaften der Revolution gegen die imperialistische Einkreisung und den kapitalistischen Weltmarkt zu verteidigen, und auch gegen jeden Versuch, den Kapitalismus auf chinesischem oder vietnamesischem (oder noch schlimmer, auf russischem) Weg zu restaurieren.