Kuba. Am 11. Juli gab es in mehreren Dutzend Städten Kubas Proteste. Was sind die Gründe dafür? Was ist ihr Charakter? Wie reagieren Revolutionäre darauf? Emanuel Tomaselli gibt die Antworten.
Die Proteste begannen in der Stadt San Antonio, 26 km südwestlich von Havanna. Der unmittelbare Anlass für die Proteste waren die anhaltenden landesweiten Stromabschaltungen. Weiters herrscht seit Beginn der Pandemie: Knappheit an Produkten des Grundbedarfs, Medikamenten, medizinischem Sauerstoff; eine sinkende Kaufkraft der Löhne und die Infrastruktur (Strom, Wasser, Verkehr, Industrieanlagen) bricht regelmäßig zusammen. Die Deltavariante brachte die über ein Jahr hervorragend funktionierende Eindämmung des Virus‘ im Juni zum Einsturz. Die Insel hat heute gleichzeitig die weltweit mit Abstand schnellste Durchimpfungsgeschwindigkeit (überwiegend mit hocheffizienten selbstentwickelten Impfstoffen) und eine der höchsten COVID-Inzidenzen. Der Protestzug in San Antonio erwuchs also aus realen Problemen.
Der anfängliche Slogan lautete: Gebt uns Impfstoffe! Doch schnell nahmen die Proteste einen konterrevolutionären Charakter an. Denn in den Protesten manifestieren sich die konterrevolutionären Slogans, die Teil einer intensiven „Regime Change“-Offensive der US-Administration sind.
USA-Kuba
Kuba war das letzte Land, das 1898 seine Unabhängigkeit von Spanien erkämpft hat und fiel dann sofort unter die Kontrolle der USA. Der Sieg der Revolution unter der Führung von Fidel Castro am 1.1.1959 leitete ein Jahrzehnt von massiven Klassenkämpfen ein, die zur Enteignung der Bourgeoisie und des imperialistischen Eigentums führten. Das Ziel der Politik der USA und der dorthin geflohenen einheimischen Bourgeoisie war daher seit jeher der Sturz der revolutionären nicht-kapitalistischen Ordnung. Dafür wurde 1961 eine Handelsblockade verhängt und eine konstante Kampagne der Sabotage (etwa die Verbreitung von Seuchen), Terroranschläge, etc. aufrechterhalten. Nach einer kurzen Tauwetterphase in der letzten Phase der Obama-Präsidentschaft (2015), setzt die US-Außenpolitik seit Trump wieder auf eine aggressive Politik, die den gewaltsamen Sturz der Regierung in Hungerrevolten anstrebt. Joe Biden verstärkt diesen Kurs. Dies bedeutete die Intensivierung des Wirtschaftskriegs durch die aggressive Anwendung des US-Handelsembargos auf Drittstaaten (inklusive Handelsschiffe, Banken, Investoren) und kubanische Migranten (die kein Geld mehr an ihre Familien überweisen können), gezielte Sabotage auf den Medizin-Sektor der Insel, der das wichtigste außenpolitische Instrument und Handelsgut der Insel ist (bis zu 50.000 kubanische ÄrztInnen arbeiteten im Ausland).
In den letzten Jahren gelang es dem Imperialismus einen Sektor von KünstlerInnen und Intellektuellen (hauptsächlich „Blogger“) wirtschaftlich und ideologisch an sich zu binden und so erstmals eine stabile Form von organisierter Konterrevolution aufzubauen. Allein die Firma „Creative Associates“ hat dafür ein jährliches Budget von 100 Mio. $, um eine pro-imperialistische Zivilgesellschaft aufzubauen. Dies reflektierte sich in den Slogans der Proteste: SOSCuba, „Patria y Vida“ („Heimat und Leben“, im Gegensatz zu der Losung der Revolution „Heimat oder Tod – wir werden siegen“) oder einfach: Nieder mit der Diktatur, Nieder mit dem Kommunismus!
„Humanitäre Intervention“
Die Konterrevolution ist trotz des massiven Back-Ups des Imperialismus gesellschaftlich zu schwach, um das revolutionäre Regime aus eigener Kraft zu stürzen. Die politische Orientierung der Hauptakteure ist es, die wirtschaftliche Krise der Insel zu verschärfen und den gesellschaftlichen Unmut zu nützen, um die Bedingungen für eine „humanitäre Intervention“ auf der Insel herzustellen. Während rechte Exponenten der amerikanischen Bourgeoisie (wie Miamis Bürgermeister Suarez) in den Julitagen tatsächlich für einen US-Luftwaffenangriff auf Havanna plädierten, kündigte Biden neue Wirtschaftssanktionen an, noch stärkere Finanzierung der Konterrevolution, die Errichtung eines von der USA-kontrollierten Internets auf der Insel und bot humanitären Hilfe an, wenn diese von einer „internationalen Mission“ verteilt würden.
Kapitalismus bedeutet Kolonialisierung
Der Fall der kubanischen Planwirtschaft würde die Herrschaft pro-imperialistischer Marionetten-Regierungen und die Privatisierung des verstaatlichten Eigentums an Land, Firmen und Wohnungen bedeuten. Die sozialen Rechte und Leistungen (mehr als 50% des Budgets fließen in Bildung und Gesundheit) würden massiv gekürzt, die gesellschaftliche Position der Frauen (Kuba ist etwa eines der wenigen Länder Lateinamerikas, die kostenlose, angstfreie Abtreibung und umfassenden Mutterschutz anbieten), der Schwarzen und sexuellen Minderheiten, würde massiv untergraben. Weil die kommunistische Bewegung und die revolutionäre Tradition tiefe Wurzeln haben, ist eine solche Konterrevolution nicht ohne politischen Terror und Verfolgung vorstellbar. Die wirtschaftliche Neuausrichtung würde bedeuten, dass die Erfolge der Planwirtschaft (v.a. im Bereich der Medizin und Arzneimittelforschung) von Konzernen ausgeplündert werden würden, wie auch die natürlichen Ressourcen der Insel (Bodenschätze und v.a. unberührte Natur). Gut ausgebildete Arbeitskräfte würden abgezogen werden. Die bestehenden Probleme würden nicht gelöst werden, da solche Investitionen für eine Ökonomie, die als Kolonie in den Weltmarkt reintegriert wird, nicht rentabel sind. Die Wiedereinführung des Kapitalismus würde das erkämpfe Lebensniveau der Arbeiterklasse und der unterdrückten Sektoren der Gesellschaft untergraben. Daher verteidigen wir revolutionären MarxistInnen die Planwirtschaft und das revolutionäre Regime.
Mehr Revolution …
Eine bürokratische Planwirtschaft, was (noch) die dominante Struktur der Ökonomie beschreibt, führt zu Fehlplanung, und Korruption und trägt daher in sich den Keim der Wiederherstellung des „Marktes“ und damit der Anhäufung von privatem Reichtum. Zuerst illegal (Schwarzmarkt), dann als bewusste Politik der „Reformen“. Neben allen externen Faktoren liegt hier das zentrale innenpolitische Problem des nicht-kapitalistischen Gesellschaftsentwurfes der Insel. Die Wirtschaft der Insel stagnierte seit 2015, als die Wirtschaft des wichtigsten Verbündeten und Handelspartners Venezuela in die Krise schlitterte. Im vergangenen Jahr fiel das BIP um über 11% und diese negative Tendenz hält an. Gleichzeitig hielt die politische Führung daran fest, hauptsächlich in die Tourismusindustrie zu investieren. Mehr als 50% aller Investition flossen auch 2020 in diesen Sektor. Gleichzeitig wurden die Anbauflächen in der Landwirtschaft wegen fehlender Vorfinanzierung für einfache Dinge (Diesel, Reifen, Saatgut, Dünger, …) massiv gekürzt.
Den staatlichen Reisanbauern fehlten 20 Mio. $ für die Vorfinanzierung der Ernte, das Resultat war ein Einbruch der Reisernte, der aufgrund der allgemeinen Krise nicht durch Importe kompensiert werden kann. In der E-Wirtschaft wurden seit 2016 die Wartungsarbeiten so gestreckt, dass jetzt wöchentlich Kraftwerke ausfallen und andere mit dem gleichen Erdöleinsatz nur noch ein Drittel des Stroms produzieren können. Die wenigen Neuinvestitionen leiden oft unter schwerwiegenden Projektierungsfehlern, die ihre Inbetriebnahme verhindern (Biomassekraftwerk Ciro Redondo, Düngemittelfabrik Cienfuegos, …).
Diese bürokratischen Fehlkalkulationen und Verschwendereien werden dann wiederrum als politisches Argument für marktwirtschaftliche Reformen herangezogen. Seit 1. Jänner wird eine Reihe von wirtschafts- und währungspolitischen Reformen unternommen, die darauf abzielen, Marktbeziehungen in der Ökonomie herzustellen. Teil dieser Reformen ist die Preisbildung durch Marktkräfte. Inmitten einer Angebotskrise ist dies ein Freibrief für eine Preisexplosion, die die Arbeiterklasse an die Wand drückt.
Mittlerweile ist das Warenangebot auf der Insel so gering, dass selbst das Warenangebot der Dollarläden von Schwarzhändlern kontrolliert wird. Meist in Kooperation mit den Managern des staatlichen Shops landen diese Produkte unmittelbar zu einem x-fachen Preis auf dem Schwarzmarkt.
Ohne der zentralen Rolle der ArbeiterInnen und Ingenieure an den Arbeitsplätzen würde auf der Insel schon heute gar nichts mehr gehen. Sie schaffen es durch ihren täglichen Einsatz eine weitgehend veraltete Wirtschaft noch irgendwie am Laufen zu halten. Doch es braucht mehr: Arbeiterkontrolle über die Produktion und das Management, um die wenigen vorhandenen Ressourcen effizient einzusetzen und die private Bereicherung am Staatseigentum zu unterbinden.
Die Revolution konnte den Kapitalismus überwinden und überleben. Wichtige soziale Reformen wurden umgesetzt und das kulturelle Niveau massiv gesteigert, sodass wahre Spitzenleistungen in der Wissenschaft geleistet werden. Aber in der Isolation ist es unmöglich, den Sozialismus aufzubauen und die Gefahr einer kapitalistischen Restauration kann nur hintangehalten, aber nicht gebannt werden. Als Teil einer lateinamerikanischen Föderation sozialistischer Staaten werden die Errungenschaften der kubanischen Planwirtschaft eine bedeutende Rolle spielen. Diese internationale Perspektive ist ein weiterer Konfliktpunkt mit der Spitze der Regierungspartei, die linke Bewegungen und Regierungen (zuletzt Venezuela) – entgegen der eigenen historischen Erfahrung – stehts darauf orientiert hat, die Bourgeoisie nicht zu enteignen.
Kommunismus: Viva!
Der 8. Parteitag der KP im April 2021 vollzog sich ohne breite Debatte. Es wurde nicht nur ein historischer Generationenwechsel an der Spitze vollzogen, sondern die „Reformer“ konnten sich politisch durchsetzen. Ihre Vision ist jene, vor der Fidel Castro bis zu seinem letzten Atemzug warnte: der „chinesische Weg zum Sozialismus“. Doch dies ist nicht das Ende der Revolution, wie sich auch am 12. Juli zeigte. Unter dem Eindruck der konterrevolutionären Proteste gingen weit mehr Menschen auf die Straße, um die Revolution zu verteidigen und in einigen Fällen (Manzanilla, Santa Clara, Havanna, …) sogar den Mob direkt zu konfrontierten. Im Gegensatz zu aller Propaganda der westlichen Medien können wir nüchtern feststellen, dass der Repressionsapparat des Staates nicht fähig war, die Proteste zu unterdrücken. Es war die Mobilisierung der RevolutionärInnen, die die Situation rettete.
Basierend auf dieser Erfahrung findet jetzt eine tiefe Re-Politisierung unter jungen RevolutionärInnen statt. In oppositionellen linken und kommunistischen Zusammenhängen wird offen proklamiert, dass eine kommunistische Kritik an Führung und Staatsapparat notwendig ist, um die Fehler zu korrigieren und die Revolution wieder flott zu machen. Als Inspiration dient dabei u.a. die „Batalla de Ideas“: der Aufruf Fidel Castros an die kubanische Jugend, einen ideologischen und materiellen Kampf gegen Bürokratismus, Korruption und für Sozialismus zu führen (ab 2000). Diese jungen KommunistInnen diskutieren die Erfahrungen der Sowjetunion, Chinas, der Bürokratie, der Unfähigkeit der regionalen „Kader“ der Partei etc. Der Tradition der kubanischen Revolution entsprechend gehen sie zu den Massen, in die armen Stadtviertel, die COVID-Isolationszentren, in die Landwirtschaft etc., um zu helfen und die Präsenz der Revolution zu manifestieren.
Die IMT ist Teil dieser Debatte und steht auch international unmissverständlich für die Verteidigung der Kubanischen Revolution.
Unsere Slogans lauten:
- Verteidigt die kubanische Revolution!
- Nieder mit der imperialistischen Blockade – Hände weg von Kuba!
- Nein zur kapitalistischen Restauration – für mehr Sozialismus!
- Gegen die Bürokratie – für Arbeiterdemokratie und Arbeiterkontrolle!
(Funke Nr. 196/1.9.2021)