Hinter der Fassade politischer Inszenierung verlangt das Kapital die größten Verschlechterungen seit Schüssels Pensionsreform. Es gilt die geleerten Pizzaschachteln wegzuwerfen und sich der Realität zu stellen.
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Unter dem Druck der Regierung tagen die Sozialpartner seit Monaten hinter verschlossenen Türen und suchen eine Einigung in der Frage der Ausdehnung der Arbeitszeit. Auch die Entrümpelung der Arbeitsschutzgesetzgebung steht auf der Tagesordnung. Im Gegensatz zur Pensionsreform von 2003 werden dabei die negativen Effekte für die Beschäftigten nicht erst in Jahrzehnten, sondern unmittelbar zu spüren sein. Daher stehen die Gewerkschaften in dieser Frage besonders unter Druck, einen „tragbaren Kompromiss“ zu erreichen. Die unmittelbare Ausdehnung der Arbeitszeit, beziehungsweise Wegfall der Überstundenzuschläge wird zu einer Welle der Empörung führen.
Doch die Unternehmer machen keine Anstalten irgendwelche Zugeständnisse im Ausgleich für die Entgrenzung der Arbeitszeit herzugeben. Die Ausdehnung der täglichen Höchstarbeitszeit von 10 auf 12 Stunden ist ihr Minimalprogramm. Zudem fordern sie noch weitere Flexibilisierungsschritte bei Normalarbeitszeit (derzeit 8 Stunden), längere Durchrechnungszeiträume, sowie Festlegung von Ruhezeiten anstatt der Arbeitszeit. Genannt wird eine Ruhezeit von elf Stunden pro Tag und ein Freizeitblock von 36 Stunden in der Woche. „Das heißt auch: Man kann 13 Stunden arbeiten. Nicht von den Höchstarbeitszeiten, sondern von den Ruhezeiten auszugehen, wäre ein neuer Ansatz“, so der Präsident der Industriellenvereinigung Georg Kapsch.
Die Verhandlungen finden auf Ebene der Präsidenten und in Expertenrunden statt. Es scheint ein Katz-und-Maus-Spiel zu sein, die Unternehmer wollen die Gewerkschafter unter Ausschluss der Öffentlichkeit mürbe machen. Rainer Wimmer, Chef der mächtigen Gewerkschaft PROGE sagte gegenüber den OÖN: „Den Arbeitgebern geht es nicht um Flexibilisierung, sondern um zwei Milliarden, die sie nicht mehr zahlen wollen.“ Das sei ein ‚Umverteilungskampf mit anderen Vokabeln‘ und er fügt hinzu: „Sie sollen sagen, was sie wollen, damit wir ordentlich streiten können“. Die Haltung der Gewerkschaftsspitzen charakterisierte er Anfang April als „zurückhaltend“.
Von Seiten der Arbeiterbewegung und ihrer Institutionen und Organisationen wurden viele gewichtige Argumente vorgebracht, die gegen die Verlängerung der Arbeitszeit sprechen. Es geht um die nachgewiesenen negativen Effekte auf die Gesundheit der Arbeitenden, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und Freizeit und nicht zuletzt um die durch diese „Reformen“ steigende Arbeitslosigkeit. Das zentrale Argument ist aber der drohende Einkommensverlust durch das Wegsparen von Überstundenzuschlägen. Tatsächlich leiden Lohnabhängige in Österreich seit Jahren unter stagnierenden und fallenden Realeinkommen. Es sind die Zusatzschicht am Wochenende und die Überstunde nach Feierabend, die die Butter aufs Brot bringen – aber auch nur, wenn man das Glück hat noch einen Arbeitsvertrag ergattert zu haben, in denen diese Mehrleistungen noch abgegolten werden. Insbesondere Arbeitsverträge, die nach 2008 abgeschlossen wurden, sind oft „all inclusive“, also ohne eine Abrechnung von geleisteter Mehrarbeit. Und selbst wo die Überstunden festgehalten werden, schieben Lohnabhängige oft hunderte Stunden Mehrarbeit vor sich her, ohne diese je finanziell oder durch Freizeit abgegolten zu bekommen.
Die sogenannte Flexibilisierung der Arbeitszeit würde also eine schlagartige Entwertung von bereits geleisteter und aktueller Lohnarbeit bedeuten. Gerade in einer Zeit, die durch magere Lohnabschlüsse und dem Fehlen einer kollektiven Strategie zum Erhalt und Verbesserung der Lebensbedingungen gekennzeichnet ist, öffnet dies ein soziales Pulverfass. Das Ende von bezahlten Überstunden verschließt den unselbständig Arbeitenden die bisher gängigste Möglichkeit, den Lebensstandard durch erhöhte individuelle Selbstausbeutung stabil zu halten.
Der Logik, den „Standort Österreich“ zu schützen und der politischen Orientierung des friedlichen Interessensausgleiches verschrieben, scheinen die Gewerkschaftsspitzen um einen Kompromiss bemüht. Dieser könnte so lauten: Flexibilisierung der Arbeitszeit gegen die Einführung eines sechswöchentlichen Urlaubsanspruches für Arbeitnehmer, die bereits seit 25 Jahren arbeiten. Doch selbst so ein Kuhhandel zuungunsten der Lohneinkommen (es bleibt ein Verlust der Lohneinkommen von 1,6 Mrd. € wenn man die Urlaubswoche dem Wegfall der Überstundenzuschläge entgegenstellt) ist für die österreichischen Kapitalisten untragbar. „Es gibt aber nichts abzutauschen“, so Industriellen-Generalsekretär Neumayer.
Das Scheitern der sozialpartnerschaftlichen Geheimverhandlungen steht somit unmittelbar bevor. Die Schärfe der Unternehmer hat einen guten Grund. Dank der Fristsetzung der Regierung bis Mitte dieses Jahres fühlen sie sich in einer doppelten Machtposition. Zudem arbeitet die SPÖ unter Führung von Bundeskanzler Kern ihr ideologisch zu: „Die SPÖ ist für jene da, die jeden Tag in der Früh aufstehen, um arbeiten zu gehen, die mit ihrer Leistung die Wirtschaft unseres Landes tragen. Das ist die Kleinunternehmerin, die sagt, sie kann keine weiteren MitarbeiterInnen anstellen, weil sie sich die hohen Lohnnebenkosten nicht leisten kann“, heißt es aktuell aus der Löwelstraße. Die Arbeiterklasse spielt hier keine Rolle mehr. Dass es gerade die „Lohnnebenkosten“ sind, die der sogenannten „Mittelschicht“ ein halbwegs zivilisiertes Leben ermöglichen, fällt nun auch in der Führung der SPÖ unter den Tisch. Eine solche Position stärkt die Unternehmer ideologisch und materiell. Ein Konflikt zwischen dieser politischen Orientierung und der Haltung der Gewerkschaften ist objektiv vorhanden. Es ist eine Frage der Zeit, dass dieser offen ausgetragen wird.
Einstweilen jedoch ordnen sich alle Flügel der Sozialdemokratie noch Kanzler Kern unter. Aber es muss klar sein, dass es in Fragen der Einkommen und des Arbeitsschutzes keinen Millimeter Spielraum nach unten gibt. Wir erwarten uns von den Präsidenten der Gewerkschaften, ihren Mitgliedern reinen Wein einzuschenken und den Abwehrkampf gegen eine weitere Verschlechterung zu organisieren.
Die Arbeiterbewegung muss sich der Logik des „Machbaren“ und der „Kompromisse“ verschließen und sich der bedingungslosen Verteidigung des Lebensstandards verschreiben. Ein Beispiel können wir uns dabei an unseren italienischen KollegInnen nehmen. In einem Betrieb nach dem anderen verweigern sich die Belegschaften der Logik des kleineren Übels, indem sie gegen Lohnkürzungen, schlechte KVs etc. stimmen. Dieser Tage verweigerten sich die 10.000 Beschäftigten der „Alitalia“ Lohnkürzungen im Austausch zur Weiterführung der Fluglinie zu akzeptieren. Demgegenüber kontert ein Vertreter der Gewerkschaft, der diesen abgelehnten Deal mitverhandelt hat: „Das ist ein wahrer Selbstmord für die ganze Airline“. Aus der Stellvertreter-Logik der vergangen Jahrzehnte ist diese Aussage richtig. Doch eine Stewardess hält entgegen: „Mit dem Nein zum Plan wollen wir unsere Würde als Arbeitnehmer verteidigen.“ Ein mutiges „Nein!“ zu den permanenten Anmaßungen der Unternehmer und ihrer Regierung steht am Beginn eines jeden „Ja!“ zu menschenwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Mach mit beim Funke, der revolutionären Strömung der Arbeiterbewegung und kämpf mit uns für die politische Wiederbewaffnung der Arbeiter- und Jugendbewegung!