Ein Gespenst geht um in Europa – der Trotzkismus. Bei den Wahlen in Frankreich erreichen die KandidatInnen trotzkistischer Organisationen rund 10 Prozent, in Spanien mobilisiert die von TrotzkistInnen geführte Schülergewerkschaft 100.000e SchülerInnen gegen Bildungsabbau. Bei SJ-Konferenzen wird vor den „Trotzkisten, gewarnt“…
Mehr als 60 Jahre nach dem Tod Leo Trotzkis kämpft eine kleine, aber umso aktivere Strömung in der Arbeiterbewegung für eine Verteidigung des Marxismus. Was zeichnet also den Trotzkismus jenseits von Witzen über Eispickel und einem Hang, sich zu spalten, aus?
Trotzki selbst beantwortete 1937 die Frage nach den historischen und theoretischen Wurzeln der von ihm mitbegründeten Vierten Internationale mit folgenden Sätzen: „Reaktionäre Epochen wie die unsere zersetzen und schwächen nicht nur die Arbeiterklasse und isolieren ihre Avantgarde, sondern drücken auch das allgemeine ideologische Niveau der Bewegung herab und werfen das politische Denken auf bereits längst durchlaufene Etappen zurück. Die Aufgabe der Avantgarde besteht unter diesen Umständen vor allem darin, sich nicht von dem allgemeinen rückwärts flutenden Strom davontragen zu lassen – es heißt gegen den Strom schwimmen. Wenn ein ungünstiges Kräfteverhältnis es nicht erlaubt, die früher eroberten politischen Positionen zu wahren, gilt es, sich wenigstens auf den ideologischen Positionen zu halten, denn sie sind der Ausdruck einer teuer bezahlten vergangenen Erfahrung. Dummköpfen erscheint eine solche Politik als ‚Sektierertum‘. In Wirklichkeit bereitet sie nur einen gigantischen Sprung vorwärts vor, zusammen mit der Welle des kommenden historischen Aufschwunges.“
In Verteidigung des Marxismus
Die Herausbildung dessen, was später als „Trotzkismus, bezeichnet werden sollte, ist eng verbunden mit dem Kampf von Trotzki und seinen in der Linken Opposition zusammengeschlossenen AnhängerInnen gegen die bürokratische Entartung der Sowjetunion. Trotzki selbst war aufgrund seiner Rolle im Jahr 1917 und während des Bürgerkriegs zu einer der Leitfiguren der internationalen kommunistischen Bewegung geworden. Mit seinen Analysen zum Charakter der Sowjetunion unter Stalin und seiner Clique wurde er zum Sprachrohr all jener, welche die Errungenschaften der Revolution, allen voran die Prinzipien einer Arbeiterdemokratie, sowie eine klar internationalistische Perspektive zu verteidigen bereit waren. Mit der Theorie der permanenten Revolution postulierte er einen der Grundsätze, die gerade in Zeiten einer kapitalistischen Globalisierung, zum Standardrepertoir eines jeden Linken geworden ist. „Der Sozialismus wird international sein, oder er wird gar nicht sein.“
Auf dieser theoretischen Grundlage entwickelte sich in der bereits von den Stalinisten dominierten und zu einer außenpolitischen Agentur der Sowjetunion degradierten Kommunistischen Internationale eine linke Opposition, die sich um die Person Trotzki scharte. Diese internationale Linksopposition sah sich selbst als legitimer Erbe der besten Traditionen des revolutionären Marxismus und im speziellen der Oktoberrevolution. Mit ihren Dokumenten und vor allem den Schriften von Trotzki selbst in den bewegten 20er und 30er Jahren hinterließ sie einen wertvollen Beitrag zur Weiterentwicklung der marxistischen Theorie. Trotzki & Co. analysierten den Kapitalismus in seiner imperialistischen Epoche als ein Gesellschaftssystem, das sich im Niedergang befindet und immer wieder von schweren Krisen erschüttert wird, die sich letztlich in Kriegen und Revolutionen ausdrücken. Von zentraler Bedeutung sind außerdem seine Analysen der bürgerlichen Demokratie, des Faschismus und Bonapartismus in der Epoche des „faulenden Kapitalismus“, des Verhältnisses zwischen Generalstreik und Aufstand, der Rolle der revolutionären Partei, der Sowjets und der Gewerkschaften in einer sozialistischen Revolution, seine Theorie des Sowjetstaates, der Übergangswirtschaft nach einer Revolution sowie der Bedingungen für die Entartung der bolschewistischen Partei und der Sowjetunion selbst.
In der Isolation
Die Entstehungsbedingungen der trotzkistischen Bewegung waren alles andere als günstig. In der Sowjetunion wurden sie von den Stalinisten beinhart verfolgt, was letztlich sogar in ihrer blutigen Vernichtung gipfelte. Mit den Moskauer Schauprozessen 1936 wurde eine blutige Trennlinie zwischen Stalinismus und den Verteidigern des Bolschewismus gezogen. Trotzki selbst musste ins Exil, weit weg vom Weltgeschehen sah er seine Hauptaufgabe seine zahlenmäßig schwache Anhängerschaft zusammenzuhalten. „Gegen den Strom, wurde zu seiner Hauptdevise. Die Arbeiterbewegung war nach der Niederlage der revolutionären Bewegungen in den Jahren 1918 bis 1923 in ganz Europa in der Defensive, was die kleinen trotzkistischen Propagandagruppen völlig in Isolation hielt.
Trotzki versuchte durch ein flexibles Herangehen an Fragen der Taktik, diese Isolation zu durchbrechen. Das Werkzeug dazu sollte die Methode des Übergangsprogramms sein. Das Programm hat, so ein häufig verwendetes Bild, die Funktion einer Art Brücke zwischen dem tatsächlichen Bewusstseinsstand, den gegenwärtigen Kämpfen der Arbeiterklasse um soziale Reformen, demokratische Rechte usw. mit dem Ziel eines revolutionären Sturzes der kapitalistischen Ordnung. Das Programm soll kein „Katalog der Gemeinplätze, sondern eine Anleitung zur Tat, sein.
Vor dem Hintergrund einer akuten Wirtschaftskrise, dem drohenden Krieg, dem Aufstieg des Faschismus und der völligen Unfähigkeit der Sozialdemokratie und des Stalinismus, eine Lösung für die Probleme der Menschheit zu formulieren, schrieb Trotzki 1938 das sogenannte Übergangsprogramm mit dem Titel „Der Todeskampf des Kapitalismus und die Aufgaben der Vierten Internationale“. Jede einzelne Forderung war auf die unmittelbaren Bedürfnisse der Arbeiterklasse (z.B. Kampf gegen Arbeitslosigkeit) bezogen und wurde mit dem Kampf für Arbeiterkontrolle, die Bildung von Fabrikkomitees, Massenaktionen, Fabriksbesetzungen usw. verbunden. Mit Forderungen nach einer gleitenden Lohn- und Arbeitszeitskala, nach einer Öffnung der Geschäftsbücher usw. hatten das Ziel, die Anarchie der kapitalistischen Produktionsweise bloßzulegen und die Notwendigkeit einer geplanten Ökonomie und eines Arbeiterstaates zu erklären.
„Die strategische Aufgabe der Vierten Internationale besteht nicht darin, den Kapitalismus zu reformieren, sondern darin, ihn zu stürzen. Ihr politisches Ziel ist die Eroberung der Macht durch das Proletariat, um die Enteignung der Bourgeoisie durchzuführen. (…) Was die Besonderheit der gegenwärtigen Epoche ausmacht, ist nicht, dass die revolutionäre Partei von der prosaischen Arbeit des Alltags befreit, sondern dass sie erlaubt, diesen alltäglichen Kampf in unauflösbarer Verbindung mit den Aufgaben der Revolution zu führen.“
Übergangsforderungen sind somit ein Mittel, um reale Zugeständnisse zu erhalten als auch zur Mobilisierung der Massen auf der Basis ihrer eigenen Bedürfnisse – mit dem Ziel, dass sich dieser Kampf um konkrete Reformen in einen Kampf um die Macht weiterentwickelt.
Trotzki verstand, dass politische Prinzipien und korrekte Analysen und Theorien von zentraler Bedeutung beim Aufbau einer revolutionären Partei sind. Wolle man als Marxist aber nicht im eigenen Schrebergarten dahinvegetieren, muss ein Weg gefunden werden, die eigenen Ideen mit der realen Arbeiterbewegung zu verbinden. Nur so können diese Ideen zu einer treibenden Kraft in der Geschichte werden. Ein flexibles Herangehen an Fragen der Taktik bei einer klaren Orientierung auf die Massenorganisationen der Arbeiterbewegung sollten die TrotzkistInnen aus der Isolation führen.
Spaltpilz
Die Ermordung Trotzkis 1940 sollte für die gesamte trotzkistische Bewegung zu einem Wendepunkt werden. Anstatt sein theoretisches Erbe und seine Perspektiven für die weitere Entwicklung des Kapitalismus und der Arbeiterbewegung als Arbeitshypothese, die ständig an der Realität zu überprüfen sind, zu sehen, wurden sie von den meisten seiner Nachfolger vielmehr als unumstößliche Dogmen gehandelt. Die Führer der Vierten Internationale waren unfähig, die völlig geänderte Weltlage nach dem Zweiten Weltkrieg (Wirtschaftsaufschwung und stabile bürgerliche Demokratien in Europa und den USA, Stärkung des Reformismus und des Stalinismus) zu analysieren. Diese theoretische Schwäche löste einen kaum nachzuzeichnenden Spaltungsprozess der trotzkistischen Bewegung aus. Die britischen TrotzkistInnen rund um die RCP waren die einzigen, die nach 1945 den Herausforderungen der neuen Zeit gerecht wurden. In ihrer politischen Tradition sehen sich auch die UnterstützerInnen des „Funke“.
Der Marxismus ist eine Theorie der Bewegung, nicht des Stillstands, die durch die Erfahrungen mit zentralen historischen Ereignissen (Revolutionen, Konterrevolutionen, Krieg..) bereichert werden muss. Mit diesem von Trotzki definierten Grundverständnis geben wir diese Zeitung heraus und arbeiten wir am Aufbau einer starken marxistischen Strömung in der Arbeiterbewegung und der Jugend.
Lenin und Trotzki-wofür sie wirklich kämpften
Verlag AdV
320 Seiten ISBN: 978-3-902988-09-6
Erschienen: März 2017
Preis 17,90 € (inkl. Versand)
Zu bestellen unter: redakion@derfunke.at