Am 31. März fuhr der türkische Präsident Erdoğan bei den Kommunalwahlen die tiefste Niederlage seiner 22-jährigen Präsidentschaft ein. Die Niederlage von Erdoğans AKP zeigt die Stimmung der Bevölkerung, wo sich ein Sturm an Wut und Klassenkämpfen zusammenbraut. Von Çagla Günes und Joe Attard.
Die CHP gewann die Wahlen mit 37,77%, während die AKP mit 35,49% zum ersten Mal auf dem zweiten Platz landete. Die Wahl galt auch als Stimmungstest für den Präsidenten, den er offensichtlich nicht bestand. Und das, obwohl er wie üblich die Wahl manipulierte, indem z.B. in kurdischen Gebieten extra Soldaten und Polizisten zum Wählen registriert wurden, die dort für die AKP stimmten. Schon 2019 verlor Erdoğan in Istanbul die Mehrheit und setzte sich diesmal persönlich für seinen dortigen Kandidaten ein, auch ohne Erfolg.
In der kurdischen Provinz Van wurde der Wahlsieg der links-kurdischen DEM durch ein Gericht als nichtig und der AKP-Kandidat zum Sieger erklärt. Die darauffolgenden Proteste wurden untersagt und mit Tränengas bekämpft, doch nicht einmal Repression kann die AKP retten: Die Proteste weiteten sich auf die gesamte kurdische Region und auf west-türkische Städte aus, weshalb Erdoğan letztendlich klein beigeben musste.
Die Wirtschaftskrise in der Türkei ist seit Jahren katastrophal und trotzdem konnte sich Erdoğan bei jeder Wahl durchschummeln. Was hat sich also geändert? Seit der letzten Wahl hat sich die Krise weiter vertieft, die offizielle Inflation liegt bei 68,8% (real sollen es 124,63% sein). Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2023 gewann er mit Ach und Krach noch, indem er vor der Wahl eine Reihe von sozialen Erleichterungen verkündete. Diese wurden jedoch wegen der katastrophalen wirtschaftlichen Situation gleich nach seinem Sieg zurückgenommen und neue Sparpakete geschnürt. Durch diese Maßnahmen der „Inflationsbekämpfung“ wurde ein Großteil der Bevölkerung in die Armut gestürzt. Die AKP verlor vor allem auch in den Regionen, die am schlimmsten vom Erdbeben letztes Jahr betroffen waren. Der versprochene Wiederaufbau wurde nie durchgeführt und es müssen immer noch 800.000 Menschen in Zelten wohnen.
Erdoğan verlor die Wahl im März dabei nicht wegen, sondern trotz der Opposition. Die bürgerliche CHP hat die Wirtschaftskrise im Wahlkampf weitgehend ignoriert, weil sie dasselbe Programm hat wie Erdogan – Verarmung für die Massen. Stattdessen fuhr sie eine „Anti-Erdoğan“-Kampagne.
Auch die Linke, allen voran DEM (die frühere HDP), aber auch die TİP (Arbeiterpartei der Türkei) konnte keinen Enthusiasmus auslösen. Sie vertraten kein sozialistisches Arbeiterklasseprogramm und haben in einer Reihe von Regionen sogar (inoffiziell) zugunsten der CHP auf einen eigenen Kandidaten verzichtet. Die TİP ließ in Hatay sogar einen ultra-rechten pensionierten Fußballer für sich antreten, dessen Kandidatur dann wegen Bestechung wieder zurückgenommen wurde.
In diesem Vakuum konnte auch die rechtsextreme YRP, die ein Frauen- und LGBT-feindliches Programm vertritt, wegen ihrer Position gegen die Hungerlöhne und die NATO einen kleinen Zuwachs erreichen.
Die Wahlen fanden inmitten einer Streik- und Organisierungswelle statt, die größte seit den 70ern, die alle Schichten in den Klassenkampf zieht. Viele Streiks müssen dabei mit bürokratischen Gewerkschaftsführungen fertig werden, die keinen Kampf organisieren. Die Bosse antworten oft mit Repression: In einer streikenden Textilfabrik in Urfa wurden 500 von 700 Arbeiter gefeuert. Der Kampf zwischen Kapitalisten (und ihrer Regierung, wer auch immer sie leitet) und Arbeiterklasse wird zunehmen.
Erdoğans Regime ist am bröckeln. Weil es keine sichtbare, bessere Alternative gibt, haben viele Arbeiter diesmal für die bürgerliche Opposition gestimmt. Der Klassenkampf ist allerdings außerhalb des Parlaments auf dem Vormarsch. Daher: Nieder mit Erdoğan! Nieder mit allen reaktionären bürgerlichen Parteien! Für eine revolutionäre Lösung! Tritt der Revolutionären Kommunistischen Internationale, der RKI bei!