Die folgenden Perspektiven wurden am 1. Dezember 2018 bei einer Konferenz der Funke-UnterstützerInnen diskutiert und abgestimmt.
Die bestimmenden Elemente der aktuell gegebenen objektiven Situation in Österreich sind der Bürgerblock und der Beginn eines neuen Klassenkampfzyklus mit dem 30. Juni 2018. Dieser Start geht einher mit einer tiefen Krise und völligen Perspektivlosigkeit der Arbeiterorganisationen und der Linken im Allgemeinen. Wir halten weiter fest: Die scheinbare Stabilität der Regierung basiert auf gesellschaftlich nicht herausgeforderten Lügen und rassistischer Sozialdemagogie und nicht auf einem tiefen Rechtsruck oder Konservativismus in der österreichischen Bevölkerung.
Die Hochkonjunktur hat ihren Zenit überschritten, die Unsicherheit an den Märkten nimmt wieder deutlich zu. Der politische Spielraum der Regierung Kurz ist, neben den wirtschaftlichen Faktoren, der Krise der Opposition und der nur punktuellen sozialen Mobilisierung geschuldet.
Die MarxistInnen sind objektiv nur ein kleiner Faktor am Rand der politischen Landschaft. Weiter ins Zentrum der politischen Meinungsbildung in der Arbeiterklasse und Jugend vorzudringen, ist das einzig für uns subjektiv beeinflussbare. Dabei steht das nummerische Wachstum der marxistischen Strömung im Mittelpunkt unserer Anstrengung. Aufgabe dieser Perspektivdiskussion ist es, die gesellschaftlichen Konfliktlinien und ihre Entwicklungsmöglichen aufzuzeigen, um in ihnen politisch zu intervenieren.
Der Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers vor 10 Jahren hat die größte Krise des Kapitalismus seit der Zwischenkriegszeit ausgelöst. Ökonomische Faktoren zeigen an, dass einige unmittelbare negative Effekte in Österreich überwunden sind, doch ein oberflächlicher, empirischer Befund würde zu falschen Schlussfolgerungen führen.
Zentral ist ein tiefes Verständnis der Natur der Epoche, in die wir mit der Krise 2008 eingetreten sind: allgemeine Instabilität in der Wirtschaft, in den Beziehungen zwischen den Klassen und den Nationen – eine Periode von Kriegen, Krisen, Revolutionen und Konterrevolutionen. Der Kapitalismus steht heute auf extrem schwachen und wackeligen Füßen, angefangen bei der wirtschaftlichen Perspektive, wo ein erneuter akuter Ausbruch einer tiefen Krise nur eine Frage der (nahen) Zeit ist. Diese Aussicht dominiert auch die Perspektive des Kapitals, das weltweit keinerlei Zugeständnisse an die Arbeiterklasse macht, sondern sich vielmehr hektisch unter sich verschlechternden gesellschaftlichen und politischen Bedingungen auf neue Krisen vorbereitet.
Krise in der EU
Vom ökonomischen Standpunkt ist der Kapitalismus ein globales System, das auf weltweiter Arbeitsteilung basiert. Die Ausweitung des Welthandels war in der gesamten Periode nach dem Zweiten Weltkrieg der zentrale Motor der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Machtausübung der herrschenden Klasse blieb jedoch im Nationalstaat organisiert. Dieser Widerspruch konnte in Zeiten der expandierenden Ökonomie übertüncht werden, ist nun aber ein zentraler Widerspruch der Weltentwicklung.
Heute ist keine Rede mehr von einer friedlichen, kooperativen Weltordnung, stattdessen verfestigen sich geopolitische Konfliktzonen (China-USA, Russland-USA, Russland-EU, USA- Europa), verbunden mit offenen militärischen und politischen und versteckt diplomatischen Kämpfen um die Umverteilung von Einflusszonen in Asien (Chinas Expansion in Pakistan), dem Nahen und Mittleren Osten (Syrien, Iran), Osteuropa (Ukraine, Kaukasus), den östlichen Balkanstaaten und ein Ringen um Einfluss und Märkte auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.
Politische Krisenerscheinungen sind nicht nur der Effekt der Wirtschaftskrise, sondern können selbst wiederum zum Katalysator von Wirtschaftskrisen werden, z.B. der Brexit. Und es gibt unzählige potentielle solche Anlässe, und stetig werden neue entstehen. Egal, ob es sich um die demagogische Austragung über Flüchtlinge in der EU handelt, die sich zu einer Krise der EU entfalten kann oder Kleinigkeiten, die an den Börsen Panik auslösen: Die aktuelle Situation ist durch extreme Unsicherheit gekennzeichnet, die jederzeit in eine politische oder ökonomische Krise umschlagen kann.
Der Zustand der Europäischen Union ist nur aus dem Widerspruch zwischen der kapitalistischen Produktionsweise und seiner nationalstaatlichen Organisationsform erklärbar. Die ökonomischen Ungleichgewichte in der EURO-Zone haben sich dabei im letzten Jahrzehnt vertieft (am deutlichsten zeigt sich dies an der gegensätzlichen Entwicklung zweier EU-Schwergewichte Deutschland und Italien), und drängen zu einem Auseinanderbrechen der Währungsunion. Doch genau dies will keine Kapitalistenklasse in Europa. Es gibt zwar Stimmen im Kapital, die den Beitritt des eigenen Landes zur EU als geschichtlichen Fehler sehen, aber keine Kapitalistenklasse in Europa strebt, wegen der katastrophalen Konsequenzen eines solchen Schrittes, den Austritt aus der EU an.
Gleichzeitig ist jede Bourgeoisie gezwungen ihre spezifischen nationalen wirtschaftlichen Interessen innerhalb der Staatengemeinschaft stärker zu akzentuieren. Hinzu kommt, dass die „traditionelle“ Politik mit berechenbaren und getesteten Massenparteien am ganzen Kontinent in einer tiefen Krise steckt und neue politische Formationen („Populismus“) an gesellschaftlichem Einfluss gewinnen und sogar Regierungsmacht erobern. Die EU basierte auf politischem Konsens zwischen den nationalen Bourgeoisien und der Duldung dieser Politik durch die jeweilige Arbeiterklasse. Diese Faktoren sind nicht mehr gegeben und dies macht das Kapital sehr angespannt, da trotz aller geschaffenen „Mechanismen“ die EU heute handlungsunfähiger als jemals zuvor ist.
Diese Konflikte werden sich wird im kommenden Jahr wieder stark zuspitzen und politische Positionierungen erzwingen. Einerseits gibt es ein Datum für den Brexit, andererseits stehen Wahlen zum EU-Parlament und Neubesetzungen führender Positionen in den EU- Institutionen (Kommissionspräsident, EZB-Generaldirektor, …) an.
Dass sich diese Krise selbst in Deutschland artikuliert, zeigt die tiefe der Erschütterung des Kapitalismus an: Deutschland hat das dritte Jahr in Folge den größten Außenhandelsüberschuss weltweit, die Wirtschaft wächst, die öffentlichen Haushalte machen Überschüsse, die Arbeitslosigkeit sinkt und die Staatsschulden wurden auf historisches Tief gedrückt. Trotzdem sind alle traditionellen Parteien gespalten und/oder gesellschaftlich zunehmend isoliert. Der Aufstieg der nationalistischen AFD, deren Anti-EU Ausrichtung den Interessen des deutschen Kapitals fundamental zuwiderlauft, bestimmt zunehmend die Agenda von politischen Akteuren in CDU, CSU und Der Linken:
Angela Merkel steht geradezu paradigmatisch für die in der Öffentlichkeit zurückhaltend- diplomatische Machtausübung durch die EU-Zentralinstanzen und den gemeinsamen Markt. Sie hat jedoch die Mehrheit in ihrem Parlamentsclub verloren. Aber auch ihr Gegenspieler Seehofer, der eine demagogische Anti-Schengen-Politik (also Grenzkontrollen) artikuliert, ist politisch völlig verbraucht und hat das Gegenteil seines Zieles erreicht: anstatt die CSU in Bayern zu stabilisieren, ist sie am bisher tiefsten Stand der gesellschaftliche Unterstützung seit ihrem Bestehen angelangt. Zusammen würde eine „große Koalition“ heute bei Wahlen keine Mehrheit im Parlament mehr erreichen.
Auch Die Linke ist in der Mitte entlang zweier reformistischer Perspektiven tief gespalten. Während die Parteivorsitzende Kiepling für eine „Koalition der progressiven Kräfte“ gegen die AfD argumentiert, haben Wagenknecht und Lafontaine zu einer liquiditionistisch- politischen Allianz aufgerufen, „die die Sorgen der Menschen“ ernst nimmt (und unausgesprochen damit an AfD-Positionen andocken möchte). Die fest pro-europäisch und pro-kapitalistisch ausgerichtete Sozialdemokratie verglüht derweil aschefrei und ohne dabei Aufmerksamkeit für sich erhaschen zu können. Die politische Destabilisierung Deutschlands ist nur ein von unzähligen Beispielen der zurückfluten gesellschaftlicher Akzeptanz des Kapitalismus und seiner Repräsentanten weltweit.
In Österreich wird sich die Sozialdemokratie und die Mehrheit der Linken verstärkt für eine „soziale Union“ positionieren. Wir stellen uns gegen dieses Programm, weil es utopisch ist und den Charakter der EU verschleiert. Schon Lenin erkannte, dass unter kapitalistischen Bedingungen eine europäische Einigung bestenfalls ein Übereinkommen über die Aufteilung der Kolonien, der Herrschafts- und der Einflussgebiete und über die gemeinsame Unterdrückung der Arbeiterklasse sein könne (vgl. Lenin, Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, 1915). Wir haben daher auch keine prinzipielle Präferenz zu „mehr oder weniger“ Europa oder mehr oder weniger nationaler Souveränität. Wir stehen programmatisch für die Vereinigten Sozialistischen Staaten Europas, die einen Bruch mit der EU und den Sturz der eigenen Bourgeoisie bedeuten.
Die zersetzende Kraft, die am politischen System weltweit nagt, ist die soziale Situation der Massen, die keine greifbare Perspektive auf eine Verbesserung ihres Lebens hat. Die Stagnation und ständige Bedrohung des eigenen Lebensstandards auf der einen Seite, der Egoismus der herrschenden Elite gegenüber allem und jedem auf der anderen Seite, prägt das Bewusstsein sowohl der Arbeiterklasse, als auch des Kleinbürgertums. Gesellschaftlicher Aufstieg ist heute viel schwieriger als zu Zeiten der Elterngeneration und die eigenen Kinder werden es noch schwerer haben.
Diese fundamentale Wahrheit ist die Grundlage der Polarisierungen, die wir in allen Ländern beobachten können. In Wahlen werden verschiedene politische Formationen abgetestet. Zentral für die demokratische Krisenbewältigung, also das Abladen der Krisenlasten auf die Arbeiterklasse unter Aufrechterhaltung der Demokratie, war in Europa die Einbindung der reformistischen Massenparteien in die Regierungsgeschäfte. Diese Parteien bezahlen dies nicht nur mit einem organisatorischen Niedergang, sondern einer tiefen politischen Krise. Viele dieser Formationen sind weitgehend politisch aufgebraucht und können in absehbarer Zeit nicht noch einmal erfolgreich für die Drecksarbeit der Krisenbewältigung eingesetzt werden. Nur in Großbritannien und Südafrika erleben wir zurzeit starke Organisierungsprozesse innerhalb traditioneller Arbeiterparteien oder in deren Abspaltung.
Wirtschaftliche Entwicklung und soziale Lage der Arbeiterklasse
Der Kapitalismus entwickelt sich zyklisch (solange es den Kapitalismus gibt wird es abwechselnde Phasen des Aufschwunges und der Krise geben). Die Prognosen der internationalen Institute gehen aktuell von einem Abflachen der Wachstumsraten im kommenden Jahr aus, immer lauter werden aber auch die Stimmen, die vor einem neuen katastrophalen Einbruch der Wirtschaft warnen.
Auf ökonomischem Gebiet verteidigen die Regierungen weltweit den Reichtum der eigenen Bourgeoisie. Ein wichtiges Instrument zur Erreichung dieses alles beherrschenden gesellschaftspolitischen Zieles ist die expansive Geldpolitik der Zentralbanken: die Zinssätze wurden nach der Krise schrittweise auf unter null gedrückt und zusätzlich greifen die Zentralbanken aktiv in den Anleihenmarkt ein. Ende 2018 wird die EZB ca. 2.600 Mrd. € Finanzpapiere (Staats- und Firmenanleihen) aufgekauft haben. Besonders in der Eurozone steht ein Ausstieg aus diesem geldpolitischen Katastrophenmodus noch aus. Das Anleihenkaufprogramm der EZB steht bei momentan 15 Mrd. € pro Monat (am Höhepunkt waren es 80 Mrd.), eine Trendumkehr von Null-Zins-Politik wurde aber bisher in der EURO- Zone noch nicht gewagt. In den USA wird derweil ein offener Konflikt zwischen Notenbank und Weißem Haus ausgetragen, da Trump aus Angst um die Konjunktur sich gegen ein in seinen Augen zu schnelles Anheben der Zinsen wehrt. Gleichzeitig gehen Prognosen von einem Anstieg der US-Staatsschulden von 106% (2018) auf 117% bis 2023 aus – auf Basis eines stabilen Wachstums. Vor der Krise lagen die US-Staatsschulden bei 65% des BIP.
Der weltweite Schuldenstand (öffentlich, privat, Firmen) ist heute 60% höher als noch vor der Krise und beträgt 182.000 Mrd. USD (das weltweite BIP betrug 2017 80.000 Mrd. USD). Allein im Jahr 2017 stiegen die Schulden der Privathaushalte weltweit um 6%, so stark wie seit 2007 nicht mehr, auf ca. 40.000 Mrd. USD. In den USA hat die private Verschuldung 2017 ein neues Rekordniveau erreicht (12.900 Mrd.), und auch Westeuropa erlebte im letzten Jahr mit 3% die höchste Zuwachsrate an Schulden seit 2008. Der Allianz Global Wealth Report resümiert: „Weltwirtschaft und Schulden wachsen 2017 im Gleichschritt“. Auch der IWF-Bericht vom Oktober 2018 betont die folgenden wirtschaftlichen Gefahren: „finanzielle Schwachstellen, die in den letzten Jahren begünstigender finanzieller Bedingungen aufgebaut wurden, inkludieren hohe und steigende öffentliche und Unternehmensschulden, und überbewertete Assets in einigen wichtigen Märkten.“ Was passiert, wenn die „überbewerteten Assets“, also die Spekulationsblasen, platzen? Der deutsche Finanzminister Olaf Scholz bringt auf den Punkt, was die Schuldenlast dann bedeutet: „Kommt es zu größeren Turbulenzen, kann dann womöglich nicht mehr so gegengesteuert werden wie zum Beispiel nach der globalen Finanzkrise 2008/2009.“ Und diese Turbulenzen sind immanent, wie die Krisen in der Türkei und Argentinien anzeigen.
Nach 2008 tönten alle Politiker und Analysten jeder Couleur, „dass man aus der Krise lernen müsse“, doch dies ist leeres Geschwätz, denn der Kapitalismus ist ein anarchisches, blindes System, das auf ständige Expansion und Akkumulation von Reichtum angelegt ist, und so notwendigerweise aus seiner Produktionsweise heraus Krisen produziert. Der Widerspruch zwischen dem gesellschaftlichen Charakter der Produktion und der privaten Aneignung des Profits ist (neben dem Nationalstaat) der zweite große Hemmschuh der Entwicklung der Menschheit. Die Profitakkumulation funktioniert losgelöst vom menschlichen Bewusstsein und dem daraus abgeleiteten politischen Willen. So wurde zwar der Bankensektor stärker reguliert, und trotzdem wurden neue Spekulationsblasen aufgeblasen, ein Schattenbanksektor entstand etc., und schlussendlich werden nun neue politische Anläufe zu einer Deregulierung des Finanzsektors unternommen. Die Manifestation der Krise im Finanzsektor ist eben nicht die Ursache der Krise, sondern umgekehrt ihr konzentrierter Ausdruck.
Die Ursache der kapitalistischen Krise ist die Überproduktion. Oder anders ausgedrückt: die Unmöglichkeit, die Masse an produzierten Waren profitträchtig auf überschwemmten Märkten unterzubringen.
Zusammenfassend müssen wir folgenden Schluss ziehen: Die wirtschaftlichen, sozialen und politischen Reserven des bürgerlichen Systems sind in den vergangen 10 Jahren massiv angegriffen worden. Dies macht das System erratisch, angreifbar und schockanfällig – insbesondere auch in der europäischen Union. Die Definition von Instabilität ist gerade, dass Ereignisse im Gegensatz zu ihrer Bedeutung im Einzelnen disproportionale Effekte erzeugen können. Das kapitalistische Weltsystem ist in jeder Hinsicht bedeutend schutzloser, als dies in der Krise von 2008/09 der Fall war. Eine Krise wäre daher für die Bürgerlichen viel weniger kontrollierbar.
Dieser internationale Rahmen ist wesentlich zur Einordnung der aktuellen positiven Entwicklung der Wirtschaft in Österreich. Die zentralen gesellschaftlichen Akteure der Bourgeoisie, Sebastian Kurz und die Industriellenvereinigung, pfeifen auf die rosaroten mittelfrist-Prognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute und arbeiten ihre Agenda auf Basis der Instabilität des Weltkapitalismus ab. Sie begreifen die aktuelle Hochkonjunktur als das was sie ist: ein zeitlich begrenzter Rückenwind, um ihre wirtschaftspolitische Agenda zur Verbesserung der Profitbedingungen der österreichischen Kapitalisten möglichst politisch schadlos durchzusetzen.
Im Zuge der Weltwirtschaftskrise 2008 kam es im Winter 2008/2009 zu einem starken Einbruch der Produktion in Österreich. 2010-2012 normalisierte sich die Lage, 2012-2015 haben wir es mit einem schwachen Wachstum bei stetig steigender Arbeitslosigkeit zu tun (+0,7% BIP-Wachstum p. a.). Seit Sommer 2016 zeigen die ökonomischen Indikatoren in Österreich stark nach oben und liegen dabei über den Durchschnittwerten der EU. Für die Jahre 2017 und 2018 prognostiziert das WIFO einen BIP-Zuwachs von 2,9% bzw. 3,2%. Der Umsatz im produzierenden Bereich (Sachgüterindustrie und Bau) stieg im Vergleich zur Vorjahresperiode um 5,7% (Die Presse 2.10.2018). Der Höhepunkt des aktuellen Zyklus dürfte im ersten Halbjahr 2018 erreicht worden sein. Wie wir letztes Jahr erklärt haben, war die Bildung der Bürgerblockregierung gerade dieser Konjunktur mit geschuldet: Die Sozialdemokratie hatte ihren Dienst in der Krisenbewältigung getan, nun galt es für die Bürgerlichen, die Konjunktur zu nützen, um die Profitbedingungen des Kapitals nachhaltig zu verbessern (anstatt eine Debatte über Umverteilung von gesellschaftlichem Reichtum führen zu müssen).
Hauptmotor der Expansion ist der Export. Dieser läuft so gut, dass die österreichische Industrie in den letzten zwei bis drei Jahren auch wieder in neue Maschinen, Produktionsstätten investiert hat und die Forschungsausgaben (2017: 3,14 % des BIP) steigert.
Der Außenhandel der österreichischen Volkswirtschaft ist der Hauptmotor der aktuell positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Die Wachstumsraten in 10 Hauptmärkte gestalten sich im Halbjahresvergleich Januar bis Juni 2017-2018 von plus 7 % nach Deutschland bis plus 31,5 % nach Frankreich, eine negative Dynamik gibt es in die Schweiz (- 2,3%) und Großbritannien (-4,8%). Insgesamt werden sowohl ein Außenhandels- (also Waren) als auch ein Zahlungsbilanz-Überschuss (inklusive Dienstleistungen) erwirtschaftet. Im Hauptzielland der österreichischen Exporte (30%) Deutschland profitiert die österreichische Industrie als Zulieferer für die dortige Exportindustrie. Wenn man die Zulieferung österreichischer Firmen zu deutschen Konzernniederlassungen in Tschechien, der Slowakei und Ungarn hinzuzieht, ist die Abhängigkeit von der deutschen Export-Konjunktur noch deutlicher. Zweitwichtigster Absatzmarkt Österreichs Industrie ist die USA, drittwichtigster Markt Italien. Wohl und Weh der österreichischen Wirtschaftsentwicklung sind stark von der internationalen Entwicklung abhängig.
Die Stundenproduktivität der Industriearbeit ist seit 2010 um 20 % gestiegen, die Lohnstückkosten nur um 5 %. Diese Indikatoren bedeuten, dass die Profite extrem gestiegen sein müssen. Die Überprüfung einzelner Konzerne bestätigt diese Annahme. Die voestalpine weist ein EBITA (entspricht ca. der marxistischen Profitrate) von 15,2 % aus, 2011 waren es noch 10,8 %.
Für ArbeiterInnen in Produktionsbetrieben (780.000 Menschen) bedeutet dies eine enorme Verdichtung, Verlängerung und Entgrenzung der Arbeitszeit. Ein Arbeiter muss mehr Maschinen betreuen, eine Arbeiterin mehr Teile zusammenbauen, eine Büroangestellte oder ein Wartungsarbeiter ständig abrufbereit zur Verfügung stehen. In den meisten Betrieben wird aktuell in Schicht gearbeitet, die Maschinen laufen voll. Die Arbeitsbelastung steigt in allen Brachen und Berufen, im öffentlichen Bereich werden etwa viele Dienstposten aus Spargründen nicht besetzt. Diesem Verlust an Lebensqualität steht kein adäquater Ausgleich in Form von Aufstiegschancen gegenüber, man braucht das Geld der Überstunden und aus der Akkordarbeit schlicht, um den Lebensstandard zu halten, um die Preissteigerungen bei Lebensmitteln und v.a. am Wohnungsmarkt abzufangen.
Seit fast 30 Jahren stagnieren in Österreich die Reallöhne, das gesamtverfügbare Einkommen ist auch 2017 real um 0,4 % gesunken. Während 1995 ein durchschnittlicher Arbeiter 15 % seines Einkommens sparen konnte, sank dieser Wert in den Vorkrisenjahren auf ca. 10% und sinkt seither weiter auf (2017) 6,4%.
Trotz der aktuellen Hochkonjunktur ist die Armutsgefährdung gleichbleibend hoch, vor sozialen Transferzahlungen sind 43,4 % der Bevölkerung arm oder armutsgefährdet, mit sozialen Leistungen wird diese Rate auf 14,4 % gesenkt. Überproportional gefährdet sind Frauen und Kinder. Diese Zahlen zeigen die Bedeutung der Sozialleistungen, die derzeit unter Angriff der Bürgerlichen stehen.
Die Arbeitslosigkeit stieg seit Herbst 2008 bis einschließlich 2016 (die Trendwende erfolgte in der zweiten Jahreshälfte), als ein Nachkriegsrekordwert von 9,1 % erreicht wurde, und sinkt seither in allen Branchen, Qualifikationen und Altersgruppen. Im September 2018 ist die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum September 2017 um 8 % auf 344.921 gemeldete Arbeitslose gefallen. Besonders stark ist die Arbeitslosigkeit am Bau (-13,5%), in der Gastronomie (-10,7 %) und der Produktion (-10,5%) gefallen, aber selbst in Handels- und Gesundheitsberufen fiel die Arbeitslosigkeit (-8,7% bzw. – 8,6%). Dieser Abwärtstrend soll auch im kommenden Jahr anhalten, sich ab 2020 aber wieder umdrehen.
Im Vergleich dazu: Im Jahr 2008 waren noch 212.000 arbeitslos gemeldet, was unsere Annahme bestätigt: die Sockelarbeitslosigkeit wird nicht mehr auf das Vorkrisenniveau sinken, eine neue Realität von Massenarbeitslosigkeit und Lohneinkommensarmut verfestigt sich. Gleichzeitig schreien die Kapitalvertreter wegen des „Fachkräftemangels“. Für einige spezifische Berufe wie etwa Lokführer oder FacharbeiterInnen stimmt dies. In diesen Sektoren ist dies das Resultat von mangelnden Ausbildungsplätzen (v.a. Lehrstellen) durch die Industrie selbst. Generell sind die Anforderungen an neue ArbeiterInnen hoch, die Unternehmen haben sehr dünne Personalreserven, die Ausbeutung eines jeden und jeder Einzelnen ist extrem hoch. Sie erwarten sich von neuen Arbeitskräften sofort, ohne Anlern- und Einübzeit, voll produktiv zu sein.
Andererseits sprechen die Kapitalvertreter auch von Facharbeitermangel in Brachen wie „Küchenhilfen“. Dies zeigt, dass ein Gutteil der Debatte darin besteht, dass es Unternehmern schwerfällt, zu den von ihnen angebotenen Bedingungen Arbeitskräfte zu rekrutieren. Industriellenboss Kapsch fordert, dass die Asylfrage von der Migrationsfrage getrennt werden muss und drängt auf leichteren Zuzug von Arbeitsmigranten auch von außerhalb der EU. Während die Industrie die rassistische Demagogie der Regierung als politische Waffe gegen die Arbeiterklasse billigt, pocht sie gleichzeitig auf den Import von rechtlosen Billigstarbeitskräften mit Sonderstatuts („rot-weiß-rot-Karte“), die die sozialen und rechtlichen Standards der hier lebenden Arbeiterklasse weiter untergraben.
Aus Sicht von nicht spezifisch qualifizierten FacharbeiterInnen ist die Lage am Arbeitsmarkt weiter schwer. Für die Position einer Regaleinräumerin im Supermarkt bewerben sich Wien durchschnittlich 60 Arbeitswillige. Die „Fachkräftemangel“-Debatte und die spezifische Öffnung des Arbeitsmarkts für „Mangelberufe“ ist in jedem Aspekt Ausdruck des Drucks des Kapitals auf die Arbeitsbedingungen.
Für kommendes Jahr wird ein Sinken der Staatsschuldenquote prognostiziert. Ohne Einbruch der Konjunktur soll die aktuelle Staatsverschuldung bis 2022 sogar um 20 Prozentpunkte auf rund 63% zurückgehen. Einnahmenseitig ist dies das Resultat stetig steigender Steuereinnahmen (besonders Lohnsteuern), für diesen schnellen Schuldenabbau ist aber ursächlich verantwortlich, dass die Bankenrettungspakete abgewickelt werden.
Die Situation der österreichischen Banken hat sich stabilisiert, ihre Bilanzen von 2017 weisen neue historische Rekordgewinne auf. Diese Gewinne sind in erster Linie ein Effekt der (staatlich subventionierten) Sanierung der letzten Jahre. Die Höhe der faulen Kredite in den Bilanzen wurde deutlich reduziert, womit die Banken nun wieder Gewinne ausweisen können. Gleichzeitig schrumpfen jedoch die Erträge aus dem aktuellen Geschäft wegen den niedrigen Zinsen. Die Hauptmasse des Profits erwirtschaften die Banken dabei weiter in Osteuropa, also in einer geopolitischen Krisenregion mit hohem politischen Risiko. Allein am russischen Markt erwirtschaftet die Raiffeisengruppe etwa 50% des Profits der Bankengruppe. Dies ist einer der Hauptfaktoren für die besonders herzlichen Beziehungen der österreichischen Bundesregierung zu Vladimir Putin.
Zusammenfassend lässt sich die Situation der Banken so zusammenfassen: Die Profitmargen liegen deutlich unter dem Vorkrisenniveau, die Verlustabschreibungen schrumpfen aber schneller, dies ermöglicht die Bilanzierung von Rekordgewinnen. Der Heimmarkt Österreich gilt dabei weiter als „overbanked“, Wachstum soll weiter vor allem in Mittel- und Osteuropa generiert werden.
Die Konjunktur hat keinen mechanischen Effekt auf den Klassenkampf. Einerseits gibt sie der Regierung Spielraum die Sparpolitik zu dosieren, beziehungsweise überhaupt in ausgewählten Bereichen vorerst hintanzustellen (etwa im Kindergartenbereich, weibliche Arbeitskräfte sollen nun mobilisiert werden). Andererseits stärkt ist die volle Auslastung der Maschinen und eine steigende Nachfrage nach Arbeitskräften auch das Selbstbewusstsein der Arbeiterklasse sich gegen die massiv steigernde Ausbeutung zu wehren. Wichtig ist die anhaltende und extreme Ausbeutung der Arbeitskraft unabhängig von konjunkturellen Schwankungen.
Die momentane Stabilität des Bürgerblocks
Unter „Bürgerblock“ verstehen wir die Bildung einer Angriffsfront des österreichischen Kapitals, das über verschiedene gesellschaftliche Hebel einen koordinierten Großangriff auf die österreichische Arbeiterklasse fährt, auf parlamentarischer Ebene ist dies die Zusammenarbeit der beiden großen bürgerlichen Parteien, die zudem wirtschaftspolitisch im Parlament von den NEOS unterstützt werden. Das Programm dieser Regierung ist von den Interessensgruppen des Kapitals bestimmt. Die großen Medienkonzerne agieren als Propagandisten dieses Blockes, und die gesellschaftspolitische Ausrichtung der Regierung Kurz ist auch mit der Bischofskonferenz abgestimmt. Die stille Duldung und das diplomatische Schweigen zu skandalösen Aussagen und Vorgängen in der politischen Machtausführung von schwarz-blau machen den Grünen Bundespräsidenten Van der Bellen zum perfekten Feigenblatt für diese Regierung. Das unterstreicht die Richtigkeit unserer prinzipiellen Wahlposition, unter keinen Umständen für Bürgerliche politische Unterstützung zu mobilisieren.
Bisher schaffte es die Regierung, jene gesellschaftlichen Elemente, die ihr den Wahlsieg 2017 ermöglichten stabil zu halten. Wir analysierten: „Die wichtigste Dynamik, die bei dieser Nationalratswahl zum Durchbruch gelangte, ist die Sehnsucht der Bevölkerung nach einer Schubumkehr in der gesellschaftlichen Entwicklung. Kurz basierte seine Machtübernahme in der ÖVP und im Bundeskanzleramt gezielt auf diese Stimmung, und stilisierte sich selbst zum Hoffnungsträger dieser Wechselstimmung.
Um die Verantwortung seiner Partei und seiner eigenen Person für die herrschenden Zustände zu kaschieren, entfaltete er eine massive Sündenbock-Kampagne. Nach dieser Demagogie sind es nicht die 20 Mrd. € Steuergelder an die Banken, sondern Zuwanderung und die Kosten für die Mindestsicherung (jährlich gerade einmal 1 Mrd. €), die den Lebensstandard der österreichischen Bevölkerung bedrohen würden.
Dass solche Lügen sich zu einer gesellschaftlichen Stimmung verdichten können, ist einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass keine laute Stimme die Rechnung gerade macht und einen solidarischen Ausweg aus der Krise der Lebensperspektiven großer Teile der ÖsterreicherInnen anbietet.
Die Wahlmotivforschung und die Wählerstromanalysen unterstreichen diesen Umstand. Wer unzufrieden ist, sich bedroht sieht und sich Sorgen um die weitere Entwicklung des Landes macht, wählte die FPÖ, oder als „leichtere Option“ die ÖVP. Wer optimistisch ist und glaubt, dass sich das Land gut entwickelt hat, der wählte mehrheitlich die SPÖ.“ (Der Funke, 18.10.2017)
Es gibt in der ÖVP Widerstände aus zwei Bereichen: Einerseits im Arbeitnehmerflügel ÖAAB, vor allem in den westlichen Bundesländern Tirol und Vorarlberg. Dies ist Ausdruck der organisierten gesellschaftlichen Unterstützung der VP auch in der Arbeiterklasse. Das betont regierungskritische Auftreten von Tirols AK-Präsident Zangerl ist aber in erster Linie den kommenden AK-Wahlen geschuldet. Generell aber ist der ÖAAB gut in das Machtwerk von Kurz eingebaut, und „Posten“ sind bekanntlich ein gutes Argument. Der ÖVP gelang es so, das Stimmverhalten der Betriebsräte in der AUVA entlang der Fraktionsgrenzen zu spalten, und erreichte mit VP Stimmen aus dem Arbeiternehmer und Arbeitgeberbereich eine Zustimmung der AUVA zu ihren Einsparungen. Dass Posten bei Wahlen aber letztlich von Wählerstimmen abhängen, erklärt die laute oppositionelle Haltung von schwarzen AK- Spitzenfunktionären im Westen. Dass sozialdemokratische Gewerkschafter ihre politische Orientierung und Hoffnung auf diese Kräfte setzen („rot-schwarz“ gegen „türkis blau“) ist aber vergebene Liebensmüh und dient nur der Verwässerung und dem Verstecken der eigenen Positionen. Dies ist allein der sozialpartnerschaftlichen Orientierung, und nicht dem realen Gewicht dieser marginalen internen VP-Opposition geschuldet.
Eine zweite Quelle an Kritik aus den eigenen Reihen entzündet sich da und dort an Kurz‘ Führungsstil und der Abschiebung von Lehrlingen. Sein Vorgänger Mitterlehner positioniert sich hier gegen die Regierung. Generell sitzt Kurz aber sehr fest im Sattel. Nach der Nationalratswahl konnte die ÖVP unter seiner Führung auch drei Landtagwahlen gewinnen (eine die SPÖ in Kärnten), solange er diese gesellschaftliche Unterstützung mobilisieren kann, ist seine Führerschaft in der Partei unbestritten. Das bürgerliche Lager fühlt sich gestärkt und stellt sich daher geschlossen hinter Kurz.
ÖVP und FPÖ sind stark bemüht, möglichst „unscheinbar“ zu regieren, und in der Öffentlichkeit geeint aufzutreten. Die Frage der Zuwanderung, des Asylwesens und Integration ist der in die Öffentlichkeit transportierte Hauptinhalt ihrer Regierungsarbeit. Die hier gesetzten Initiativen sind ein schier unerschöpfliches Reservoir von Gemeinheiten bis hin ins Komische (etwa Differenzierungen zwischen einheimischen und zugewanderten Wild-und Haustieren durch die FPÖ-Niederösterreich). Sozialabbau wird schnell durchgezogen und – sofern es eine öffentliche Debatte gibt – mit offenen Lügen argumentiert („Patientenmilliarde“, „Sparen im System nicht bei Menschen“,…). Schwarz-blau hat einen sehr „schlampigen“ Umgang mit der bürgerlichen Demokratie. Begutachtungsfristen für Gesetze werden sehr knappgehalten, Konterreformen wie der 12-Stunden-Tag/60 Stunden Woche, die Reduktion der Arbeitsschutzgesetzgebung wurden sogar als „Initiativanträge“ ins Parlament gebracht. Diese Methodik mag oberflächlich nach Stärke aussehen und überrumpelt die Führung der Gewerkschaften und SPÖ, ändert jedoch nichts an der generellen Instabilität der Formation des Bürgerblocks, der nicht nur seine eigene politische Basis in den Massen selbst immer weiter untergraben wird, sondern auch durch internationale – ökonomische wie politische – Prozesse jederzeit destabilisiert werden kann. „Nulldefizit“, Verlängerung der Arbeitszeit, Reduktion des Arbeitsschutzes, eine Politik zugunsten der Reichen etc. sind nicht populär, die Regierung ist daher ständig bemüht, den sozialen Inhalt ihrer Politik zu verschleiern. Die vom Kapital geforderte neue Pensionsreform wird überhaupt nicht angetastet.
Wir bewegen uns hier aber völlig im Rahmen der bürgerlichen Demokratie, deren Prozesse und Gepflogenheiten eben völlig in den Dienst der Interessensdurchsetzung des Kapitals gestellt werden. Begriffe wie „Faschisierung“ etc. lehnen wir als unwissenschaftlich und politisch desorientierend ab. Autoritäre Methoden und Volksdemagogie ersetzen die Einbindung der Sozialdemokratie, die den Sozialabbau bisher in für die Arbeiterklasse akzeptable Portionen dosiert hat.
Die FPÖ ist eine reaktionäre bürgerliche Partei, mit einem rechten bis rechtsextremen Apparat. Aufgrund eines tief verwurzelten anti-faschistischen Bewusstseins in der Gesellschaft, das sich leicht auch auf die Straßen mobilisieren lässt, ist dieser rechte Apparat ein Problem für das Kapital. Eine zu harte Demagogie gegen die EU und Arbeitsmigration sind wiederrum klar gegen die Interessen des Kapitals gerichtet. Daher wird die Partei immer wieder auf offener Bühne vom Kapital hergerichtet, besonderes Augenmerk gilt dabei dem Innenministerium und Minister Kickl, dem Chefideologen der Partei. Bisher fügte sich die FPÖ (Distanzierung vom Kickl-Medienerlass, Suspendierung Landbauers, Einsetzung einer „Historikerkommission“ zu Burschenschaften, klares Bekenntnis zur EU,…).
Die FPÖ ist eine reaktionäre bürgerliche Partei, keine faschistische Formation. Ihr Parteiapparat ist von reaktionären Burschenschafter-Netzwerken durchsetzt, diese Leute wollen aber mehrheitlich endlich die Futtertröge ausschöpfen. An ihren Rändern und Jugendorganisationen gibt es klare Überschneidungen zu faschistischen Organisationen wie den Identitären. Dem Gesamtcharakter der Partei entsprechend hat sich die Parteiführung klar dafür entschieden, sich von den rechten Netzwerken, deren Grenzen zu faschistischen Banden schwimmend sind, abzuwenden und stattdessen organischer Teil des Staatsapparates zu werden. Im Innenministerium findet dabei eine harte Auseinandersetzung um die Kontrolle des Staatsapparates zwischen der ÖVP und der FPÖ statt. Die Vorgänge im Innenministerium und Justizapparat (Stichwort: Hausdurchsuchungen beim BVT) sind ein Staatsskandal, der sich nur deshalb nicht zur Staatskrise auswächst, weil des Kapitals diese Regierung solide unterstützt und will.
Zentrales Interesse des Kapitals an dieser Regierung ist die Zurückdrängung der institutionellen Klassenzusammenarbeit (der „Sozialpartnerschaft“), der gesetzlichen Festlegung von sozialen Rechten (inklusive Mieterschutz), ihrer Durchsetzung mittels der Justiz und ein Aushöhlen und eine Zurückdrängung der überbetrieblichen Interessensvertretung der Arbeiterklasse (Flächenkollektivvertragswesen). Diese Form des Interessensausgleiches, der Rücksicht auf die organisierten sozialen Interessen der Arbeiterklasse und der Arbeiterbürokratie nehmen muss, ist zu langsam, zu inflexibel und v.a. zu teuer.
Mit der fallenden Wahlunterstützung der Sozialdemokratie, ihrem ideologischen und politischen Verfall, und weil die Gewerkschaftsbürokratie 15 Jahre lang die Klasse nicht mobilisierte, sah das Kapital die Zeit gekommen, mit Kurz seine gesellschaftliche Position gegenüber der Arbeiterklasse massiv zu verbessern. Wir betonen hier aber: dem Kapital geht es um die Zurückdrängung der organisierten Arbeiterbewegung, nicht um ihre Zerschlagung.
Krise der Sozialdemokratie und der Linken
Die Sozialdemokratie steckt europaweit in einer tiefen ideologischen, politischen und organisatorischen Krise. Sie vertritt keinen einzigen von der Bourgeoise unabhängigen Klassenstandpunkt. Eine gewisse Ausnahme bildet die Labour Party unter Jeremy Corbyn, der gerade wegen seinem Auftreten gegen das alte Partei-Establishment Erfolg hat. Eine kritische Unterstützung Corbyns bedeutet jedoch auch, keine Illusionen in dessen linksreformistisches Programm zu schüren. Wird es an der Realität abgetestet, wird Corbyn sich ohne eine entschiedene Wendung zu einem revolutionären Programm in einem Lager mit den restlichen führenden Exponenten der Sozialdemokratie finden. Diese lobpreisen die Europäische Union, das zentrale Instrument der Bourgeoisie zur Durchsetzung von unmenschlicher Sparpolitik am Kontinent, als letztes fortschrittliches Projekt, für das es sich zu kämpfen lohnt (wir hingegen haben das Leiden unserer griechischen Klassengeschwister nicht vergessen!). Damit sind die sozialdemokratischen Führer politisch völlig in Übereinstimmung mit den großen Kapitalgruppen. Das Kondensat der einstigen „Internationalen Solidarität“ ist es nun, verlogene Illusionen in die soziale Ausgestaltung der EU zu schüren. Weiter unter in den Funktionärsschichten finden sich auch jene die vorgeblich „näher am Menschen sind“ und darunter in erster Linie verstehen, den Krieg zwischen den Arbeitenden und den Armen mittels des Giftes des Rassismus mitzuschüren, in zweiter Linie für das Trinken von Limonade lokaler Produzenten werben und für Inner-Schengen-Grenzen stehen. Sie spiegeln hier die innere Gespaltenheit der Bourgeoisie („europäisch“ vs. „souverän“) wider. Beide Orientierungen sind reaktionäre Positionen und bieten keinen Ausweg für die Arbeiterklasse.
Dieser ideologische Eklektizismus, der vorgibt jedenfalls „vernünftige Lösungen“ zu bieten spiegelt in letzter Instanz wieder, dass dem politischen Projekt der Sozialdemokratie – der Verwaltung und der Organisierung des Zugangs zum Sozialstaat – die materielle Basis abhandenkommt – nämlich der Sozialstaat selbst. Sie ist dabei völlig unfähig und zunehmend unwillig, den Kampf um seinen Erhalt zu führen. Stattdessen versucht ein von öffentlichen Geldern abhängiger Apparat sich ständig neu zu erfinden, neue hippere „Zielgruppen“ (etwa Startup-Unternehmer!) zu erschließen.
Christian Kern konnte dank seines persönlichen Talentes die Tiefe der Krise in der Sozialdemokratie einige Zeit übertünchen. Nach dem Bürgerkrieg in der Partei, die zum Rücktritt Faymanns führte, knieten sich alle vor dem Retter nieder, und akzeptieren kommentarlos, dass ihnen ein bürgerlich-liberales Programm (Plan A) aufgedrückt wurde. Besonders tief verbeugte sich dabei die Partei-Linke vor dem smarten „Retter“. Es genügte, dass Kern einmal auf das Hainfelder Programm referenzierte, bei der Pride sprach, Jeans trug und generell eine Figur machte für die man sich nicht zu schämen brauchte, um den sozialen Inhalt seiner Politik zu übersehen.
Die Zufriedenheitsblase platze, nachdem auch Kern die Teilhabe der Sozialdemokratie am Staatsapparat nicht garantieren konnte. Die Konflikte in der Partei spitzten sich wieder zu. Wenn auch persönliche Konflikte eine Rolle spielten, so drücken diese Auseinandersetzungen doch unterschiedliche Perspektiven des Erhalts (- und der Rückgewinnung) von öffentlichen Positionen aus. Mit seinem Abgang wird die Partei nicht zu Ruhe kommen, die Krise wird in den kommenden Jahren weitergehen.
Die abgesagte Statutenreform ging von der blairistischen Idee aus, dass der bestehende Apparat links von der Gesellschaft steht und eine „Demokratisierung“ der SPÖ es erleichtern würde, den proletarischen Klassencharakter der Partei zu schwächen und, wenn möglich, komplett zu transformieren. Kerns Vorbilder waren Emmanuel Macron, der sich aus der französischen Sozialistischen Partei abspaltete, und Matteo Renzi, der als Vorsitzender der italienischen Demokratischen Partei den Verbürgerlichungsprozess der ehemals Kommunistischen Partei abschloss.
Dabei legt der geschulte und versierte Bürokrat Michael Ludwig (Vorsitzender der SPÖ Wien), indem er die Parteistatutenreform torpedierte, seinen Sinn für Machterhalt an den Tag. Man stelle sich vor, nach der nächsten Wien-Wahl müsse er den Koalitionspakt, den er mit FPÖ oder ÖVP ausverhandelt hat, einer Mitgliederabstimmung unterziehen. Eine solche Abstimmung würde zweifellos eine heftige parteiinterne Debatte aufwerfen, die sogar mit einer Parteispaltung enden könnte. Jede kleinste Erschütterung könnte Anlass dafür sein, dass dieses Kartenhaus zusammenbricht. Der in der SPÖ vorherrschende rechte Reformismus ohne Reformen, der nur für den Zugang zu Posten im Staatsapparat existiert, kann sich keine parteiinterne Demokratie leisten, die diesen Status Quo in Frage stellt.
Trotz der bürgerlich-liberalen Absichten wurde der Parteireformprozess doch auch von der SPÖ-Linken als Instrument gesehen, um die politischen Zustände in der Partei zu verbessern. Die Absage dieser Reform wird daher zu einem nächsten Galvanisierungspunkt von innerparteilicher Opposition werden.
Die Rolle, die die SJ hier spielt, ist exemplarisch. Sie hätte wegen ihrer Geschichte und linker AktivistInnen (nicht selten mit marxistischem Selbstverständnis) objektiv die Möglichkeit, solchen Unmut zu einer notwendigen Differenzierung an Klassenlinien in der Partei zu organisieren und voranzutreiben.
Sie steht tatsächlich mit den anderen roten Jugendorganisationen an der Spitze dieser Opposition, die sich aber von vorne herein nur auf die Form der Politikgestaltung („linke Netzwerke aufbauen“ „direkte Abstimmungen“, „innerparteiliche Demokratie“) beschränkt, ohne einen sozialen Inhalt zu formulieren (etwa: „Für Basisabstimmungen über jeden Koalitionspakt – Nein zu jeder Koalition der SPÖ mit bürgerlichen Parteien und daraus folgender Sparpolitik“). Die linksliberale Sektion 8 vermischt sich so mit Parteilinken in dieser Kampagne. Auf diese Weise ist die Bildung einer tatsächlichen linken Opposition von vorneherein ausgeschlossen.
Politisch steckt die SJ hier in einer Zwickmühle, die sich auch seit dem Beginn der schwarz- blauen Regierung nicht grundlegend verändert hat, nämlicher der einer immer weiter nach rechts driftenden Partei und einer nach links blickenden Basis der Organisation, der sich auch in der Praxis der Organisation ausdrückt.
Trotz alledem hat sie als größte und sichtbarste linke Jugendorganisation eine Anziehungskraft auf radikalisierte Jugendliche. Doch die Führung der SJ wird durch die Abhängigkeit von der stets weiter nach rechts taumelnden SPÖ immer wieder zu politischen Spagaten gezwungen werden – wie das etwa in der Frage der Enthaltung und dem folgendem hin- und herschwanken von der SJ-Vorsitzenden Julia Herr bei der Abstimmung zum Asylpapier der SPÖ der Fall war. Dieses Papier bedeutet de Facto eine Kapitulation gegenüber dem Rassismus.
Die Aufgabe der MarxistInnen ist es hier schlicht und einfach, in freundlichem Ton diese Widersprüche in Worten und Taten offenzulegen. Die besten und ehrlichsten AktivistInnen werden schnell selbst den Widerspruch zwischen Anspruch und Realität der Führung feststellen und für den Marxismus gewinnbar sein. Hier gilt es, mit einer prinzipiellen Position für den kompromisslosen Kampf gegen die Regierung bis zu ihrem Sturz offen aufzutreten und damit eine deutliche Alternative zum andauernden Pakt mit dem Teufel durch die Spitze darzustellen.
Wegen des Zustandes der Partei ist es den MarxistInnen sonst kaum möglich, positiv an politische Debatten in der Sozialdemokratie anzusetzen. Es gilt dennoch, sich in Abgrenzung zu aller Beschränktheit und Verrottetheit in der Sozialdemokratie programmatisch zu positionieren. Objektiv gesehen ist der generelle Klassencharakter der Sozialdemokratie als Arbeiterpartei mit bürgerlicher Führung weiterhin unverändert – auch wenn eine Generation an Vorsitzenden nach der anderen daran arbeitet, das zu ändern. Wir entwickeln unsere Politik nicht im gesellschaftlichen Vakuum aus Abstraktionen, sondern müssen den Brückenschlag zu größeren sozialen und politischen Zusammenhängen (d.h. auch der SPÖ) schlagen.
In unseren letzten Perspektiven schrieben wir: „Der Kampf gegen eine Bürgerblockregierung wird aber auch der Linken außerhalb der Sozialdemokratie eine neue Möglichkeit geben, die eigenen subjektiven Schwächen durch Aktivismus zu übertünchen und neue Kräfte zuzuführen.“ Dies ist nicht passiert. Da sie keine Marxisten sind, ist es ihnen völlig unmöglich, Perspektiven zu entwickeln und Methoden anzuwenden, die ihre Isolation durchbrechen könnten. Sie sind daher unfähig mit ihrem politischen Programm (so sie eines haben), effektiv in der Bewegung zu intervenieren.
Die vorherrschende Stimmung in der Linken ist daher Zynismus, der aus ihrem puren Empirismus stützt, mit dem sie nur die unmittelbaren, gesellschaftlichen Oberflächensymptome des Rassismus, des Rechtsrucks der SPÖ, des „Verrats“ der Gewerkschaftsführung etc. sehen. Ihr Misstrauen gegenüber der Arbeiterklasse führt zu Opportunismus oder kompletter Ignoranz – es wird auf alles Mögliche orientiert (Zivilgesellschaft, „Diskurse“, Wahlen, innerlinke Bündnisse, Posten …), bloß nicht auf die Arbeiterklasse und Jugend selbst. Und wir dürfen nicht vergessen, wenn die Moral mal am Boden ist, wird dies selbst ein Faktor, der jeden Schritt nach vorne extrem mühsam macht.
Die Rolle der Gewerkschaften
Dadurch, dass die politische Ebene durch den Zustand der Sozialdemokratie momentan völlig blockiert ist, wird die Dynamik der Klassenauseinandersetzung sehr auf die betriebliche Eben übergehen. Später wird das Pendel wieder auf die politische Ebene zurückschwingen, sowohl in der Klasse als auch in den Gewerkschaftsführungen. Dabei gibt es aber mehre objektive Probleme. Die Gewerkschaftsführung braucht ein politisches Vehikel, da sie mit ihrer reformistischen Politik von der Partizipation in den Staatsapparaten (national und EU) lebt. Ein ständiger Konflikt mit dem Kapital ist für eine reformistische Gewerkschaftsführung nicht durchzustehen. Aber es ist unklar, wie sehr sie die Sozialdemokratie in Zukunft politisch einspannen kann.
In der Debatte um die neue Parteivorsitzende Rendi-Wagner ließ die Gewerkschaft Opposition zu beiden Parteiflügeln durchscheinen: einerseits wurde die Alleinherrschaft der liberalen Vorsitzenden kritisiert, andererseits der proto-protektionistisch-rassistische Flügel inhaltlich kritisiert. Dazu kommt die erodierende Wahlunterstützung der Sozialdemokratie in der Arbeiterklasse. Eine einfache Wiederholung des Abdrehens der Mobilisierungen von 2003 (Schwarz-Blau 1) ist daher kaum möglich. Nach Massendemos und mehreren Streiks (inklusive eines Generalstreiks im Juni 2003 und einem mehrtägigen Streik der ÖBB) konnte die Gewerkschaftsführung wieder eine Art von „Sozialpartnerschaft“ zurückerkämpfen, und gleichzeitig Differenzierungsprozesse in der Gewerkschaftsbewegung durch die Orientierung auf Neuwahlen abschneiden. Diese politischen Optionen sind heute bedeutend schwieriger. Die aktuelle Regierung ist heuer solider als die Schüssel-Kabinette und bietet bisher nur Fototermine, aber keine Wiedereinbindung der Gewerkschaftsspitze. Und die SPÖ ist keine vollverlässliche politische Kraft und absehbar in internen Krisen gefangen.
Die Zurückdrängung der sozialdemokratischen Gewerkschafter ist einer der zentralen Programmpunkte des Bürgerblocks. Das Ziel der Gewerkschaftsführung ist hingegen die Wiederherstellung der „sozialpartnerschaftlichen Augenhöhe“. Trotz dieses limitierten Ziels ist diese Auseinandersetzung jedoch eine tiefe. Die gesellschaftliche Position der Führungen der Gewerkschaften ist völlig davon abhängig, ob sie für die Arbeiterklasse vertreten kann oder eben nicht. Wenn die Bourgeoisie nicht mit der Bürokratie redet, und sie stattdessen aus dem Staatsgeschäften drängt, muss diese bei Strafe des eigenen Unterganges ihre soziale Basis mobilisieren, um wieder in die Position zu kommen, ihre gesellschaftliche Rolle wieder ausfüllen zu können.
Der 30. Juni 2018 markiert daher den Beginn einer Serie von offen ausgetragenen Klassenkonflikten, in denen die Arbeiterklasse ihre Führungen abtesten kann und eigene Erfahrungen macht. Dieser Prozess ist für die Herausbildung eines klassenkämpferischen Pols zentral.
Im Verhältnis der Arbeiterklasse und der Gewerkschaft gibt es unterschiedliche materielle Interessen, die sich nur teilweise überschneiden und damit zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen führen. Es gibt die Gewerkschaftsbürokratie, die in direkterer Konfrontation mit Politik und den unternehmerischen Gesamtinteressen stehen, Betriebsräte, die in Jahrzehnten der Klassenzusammenarbeit oft engen Beziehungen zu den eigenen Geschäftsführungen entwickelt haben, und die einfachen Gewerkschaftsmitglieder und ArbeiterInnen.
Es gibt die privilegierten Teile der Klasse in gut laufenden Betrieben, jene gut ausgebildeten FacharbeiterInnen, die in der aktuellen Konjunktur eigenständig ihre Situation im Betrieb verbessern können. Ebenso in vielen Branchen die älteren Schichten der Klasse – Kolleginnen und Kollegen, die noch alte, bessere Arbeitsverträge haben, die deutlich besser verdienen als ihre jungen Kollegen und heute bereits wissen, zu welchem Datum mit welchem Bezug sie in die Pension eintreten.
Demgegenüber stehen junge KollegInnen, die erst in den letzten Jahren eingestiegen sind, etwa mit all-in Klauseln und/oder niedrigerer Dienstverwendung eingestuft sind, oder überhaupt als Leiharbeiter oder „Selbstständige“ arbeiten müssen. Sie haben dadurch bedeutend schlechtere Bedingungen und verdienen weniger und haben weniger soziale Rechte – und dies perspektivisch über viele Jahre und Jahrzehnte.
Im Bereich der weniger qualifizierten ArbeiterInnen und Angestellten herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Viele, besonders in den klassischen Frauenberufen, haben Teilzeitverträge. In allen Abteilungsbüros der Produktionshallen liegen Kataloge von Leasingarbeitern. Die Betriebsratskaiser fühlen sich für diese Seelenmärkte an anonymen, austauschbaren ArbeiterInnen oft nicht mal zuständig.
Die Arbeitszeitgesetznovelle bedeutet, dass die Kollektivverträge heute in der Luft hängen, dass die Betriebsräte keine Mitsprache bei der Arbeitszeit mehr haben und auch die Arbeitsinspektorate und Gebietskrankenkassen bieten keinen Hebel mehr, die soziale Situation im Betrieb zu stabilisieren. Der Bürgerblock errichtet eine ungeschminkte Diktatur über die Arbeitsbedingungen, und will soziale Verbesserung nur als freiwillige paternalistische Leistung anbieten, aber keinen kollektiven Rechtsanspruch garantieren (dankbare Beziehungen zwischen Beschäftigten und Eigentümern wie es Metallerchefverhandler Collini ausdrückt).
Die Gewerkschaftsführer haben damit recht, wenn sie eindringlich vor dieser neuen Situation warnen: Die Hoffnung darauf, dass die Unternehmen ihre neu gewonnen Verfügungsmacht nicht zu ihren Gunsten und zu Ungunsten der Beschäftigten einsetzen werden, sind eine reine Lüge der Marketingstrategen des Kapitals. Diese Regierung entrechtet die Arbeiterklasse, und dies wird das Kapital auf jeden Fall in eine verschlechterte Lebenssituation der ArbeiterInnen ummünzen.
Die Gewerkschaftsapparate, die den Widerstand bündeln und anleiten, stützen sich traditionell in erster Linie auf die sogenannten „Betriebsratskaiser“, also privilegierte Betriebsräte, die sich in ihren Betrieben wiederum auf die bessergestellten KollegInnen stützen. Die dominante Ideologie unserer Arbeiter-Kaiser ist der Betriebspatriotismus, der nahtlos aus dem Standortdenken ausfließt. Diese Identifikation mit dem Unternehmen wird durch Bonuszahlungen und Teilhabe am Betriebserfolg genährt, wie auch dem Bewusstsein, dass die Geschäftsleitungen und ihr tägliches Schrauben und Drehen an den Rädern der Ausbeutung einem näher sind als die jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen. Und nachdem man nach Jahrzehnten des von oben durchgesetzten Klassenfriedens beinahe jeder Erfahrung eines tatsächlich gemeinsam geführten (teil-)erfolgreichen solidarischen Kampfes entbehrt, stört es nicht wenige unserer Kaiser, wenn die Gewerkschaften nun zum Kampf rufen. Sie wollen Ruhe und stabile Beziehungen zu ihren eigenen Geschäftsleitungen.
Die einfachen Gewerkschaftsmitglieder dienen in erster Linie der Finanzierung der Organisation und als numerische Drohkulisse gegenüber den Unternehmern. Eine aktive Rolle ist dem einfachen Mitglied in Österreich seit der Durchsetzung der Sozialpartnerschaft in Jahr 1950 nicht mehr zugedacht. Es wird in keine Debatte über Programm und Strategie der Gewerkschaften eingebunden, Urabstimmungen über die Resultate von Kollektivvertragsverhandlungen oder Direktwahlen der Führung sind hierzulande nicht vorgesehen. Diese ArbeiterInnen, genauso wie die Unorganisierten haben sind für „halbe Sachen“ normalerweise nicht zu gewinnen.
Die Krise des sozialpartnerschaftlichen Modelles der Interessenvertretung reicht also vielschichtig in die Klasse hinein und weit in der Geschichte zurück. Unter dem aktuellen Druck der Bürgerlichen ist die Gewerkschaftsführung gezwungen, ihre Methoden zu ändern. Dabei lässt sie ihr zentrales Ziel – die Verteidigung ihrer eigenen sozialen Position nie außer Augen. Diese Orientierung limitiert den gesamten Kampf. Statt offen an die sozialen Interessen der Arbeiterklasse zu appellieren ist sie in einem ständigen Spagat zwischen staatsmännischen Tun und klassenkämpferischen Auftreten. Die Einbindung der Klasse folgt hierarchisch (vertrauenswürdige BR und Hauptamtliche bekommen zuerst ‚geheime‘ Informationen z.B. zu Aktionsplänen) und „partizipativ“ (Mitmachspiele, Umfrage, …) für die Masse. Die Gewerkschaftsführungen wollen genau so viel tun, dass die Unternehmer ihre gesellschaftliche Position als Arbeiterbürokratie akzeptieren. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. Technisch bereitet sie Arbeitskämpfe vor, aber in einer Art und Weise, die letztendlich zur Niederlage führt.
In diesen Widersprüchen ergeben sich jedoch viele Möglichkeiten, dass Kämpfe die von der Gewerkschaft ausgerufen werden, den geplanten Rahmen überschreiten. Dies kann sich sowohl aus der Härte der Klassenkonfrontation ergeben, als auch durch Prozesse von unten. In den vergangenen Jahren wurden bereits in vielen Betrieben und Branchen dementsprechende Erfahrungen gemacht (Sozialbereich, DeutschtrainerInnen, Gesundheitsbereich, Metallerfabriken, …).
Die meisten gewerkschaftlichen Kämpfe enden in einer Niederlage, oder einem Kompromiss der nur kurz Verbesserungen bringt. Dies liegt in der Natur der Beschränktheit des ökonomischen Kampfes im Kapitalismus. Doch der Klassenkonflikt wird sich auch nach Niederlangen nicht abstellen, sondern zu einer späteren Zeit mit größerer Vehemenz wieder aufflammen. Das Aufbrechen des Kollektivvertragswesens, die nachlassende Kontrolle der Gewerkschaftsapparate über die Klasse, das Wegfallen von staatlichen Instrumenten der Interessensdurchsetzung etc. bedeuten nicht das Ende des Klassenkampfes, sondern nur das Ende einer spezifischen Form seiner Austragung. In Zukunft ist die solidarische Selbstaktivität der Beschäftigten der zentrale Hebel einer kollektiven Interessensvertretung. Daher nimmt diese bereits jetzt einen zentralen Stellenwert in unserer Propaganda ein. Die neue Situation schafft dabei einen viel fruchtbareren Boden für die Verankerung des revolutionären Marxismus in der Arbeiterklasse, als dies in den Jahrzehnten zuvor war.
Die Jugend und soziale Bewegungen
Die herrschende Klasse tritt der Jugend offen feindlich gegenüber. Die Hälfte der Wiener SchülerInnen hat eine nicht-deutsche Muttersprache und nimmt den grassierenden Rassismus an der eigenen Haut wahr. Ihre Muttersprache wird stigmatisiert, ihre „Kultur“ zur Gefahr erklärt.
Die Frage nach sozialen Faktoren in der Bildung ist völlig verschwunden, die Hauptverantwortung, die der Staat gegenüber SchülerInnen wahrnimmt ist die Durchsetzung vom Normen (Noten, Strafen, Sprache, Kleidung, Ausbildungspflicht…).
Jung sein ist heute eine soziale Kategorie. Die Jugend der Arbeiterklasse ist in jeder Hinsicht ökonomisch gegenüber der älteren Generation benachteiligt. Der Zugang zu Bildung jeder Art wird immer stärker limitiert, das gilt für die Wunschlehre ebenso wie für das Wunschstudium. Junge haben am Arbeitsmarkt besonders schlechte Bedingungen. Der einzige Faktor der heute besser ist, ist die Verbesserung und Verbilligung der Kommunikationsmöglichkeiten.
Dies führt zu einer stärkeren Politisierung der Jugend, die sich in Abwesenheit einer großen Bewegung derzeit erst in Impressionen erfassen lässt – auf Demos, bei Gesprächen vor Schulen und Betrieben. Die meisten entlarven den Rassismus der Regierung, die besten unter ihnen lehnen den Kapitalismus ab und haben bereits jetzt ein Auge für Entwicklungen in der Arbeiterklasse. Vor allem aber wollen sie etwas tun, solidarisch gemeinsam aktiv sein, und fanden bisher keinen Anlass und Ansatz, dies praktisch zu tun. Dies beinhaltet das Potenzial, schnell in große Bewegungen, in denen die Jugend eine vorwärtstreibende Rolle spielt umzuschlagen. Schon bei den Donnerstagsdemos in Wien wurde und wird dieses Potenzial deutlich. Sie verfolgt eine erratische „anything goes“-Philosophie, wo alle möglichen Gründe von Unmut nebeneinander und ungeordnet auf die Straße getragen werden. Es wird dabei nicht versucht, einigende politische Slogans und Forderungen zu erheben: vom Essensverbot in der U-Bahn bis zu Rassismus oder den Klassenkampf im Metallbereich werden Themen nur angeschnitten. Letzteres hätte tatsächlich einen Ansatz geboten, um die Bewegung auf der Straße mit einer in den Betrieben zu verknüpfen, hätte eine der beiden Führungen dies aktiv betrieben. Stattdessen war auch hier ein „Nebeneinander“ der Solidarität das höchste der Gefühle, wo sich in Wirklichkeit die politischen Schwächen der beiden Führungen mehr ergänzten, anstatt dass sich die Stärken der Bewegungen potenzieren würden: Die Donnerstagsdemos forderten nicht entschiedenen Klassenkampf von den Gewerkschaften ein, während die Gewerkschaftsführung kein Problem mit der politischen Unausgegorenheit der Donnerstagsdemos zeigte. So haben die Demos keine politische Perspektive und auch keine praktische – außer jeden Donnerstag zu demonstrieren. Für sich allein führt ein solches Konzept ins Nichts, denn eine soziale Bewegung braucht ein Kampfziel.
Doch trotz aller Beschränkungen werden auch völlig neue, bisher nicht politische aktive Schichten in den Kampf hineingezogen – darunter viele Jugendliche, die gegen die Regierung kämpfen wollen und ein Werkzeug dafür suchen. Dieser Sektor verleiht den Demonstrationen derzeit ihre Stärke. Auch die Widerspiegelung neuer sozialer und politischer Kämpfe (Eisenbahner, SozialarbeiterInnen, Antirassismus, Uni-Proteste, …) kann diesen Demos immer wieder neues Leben einhauchen. Hier gilt es, die Augen offenzuhalten. Wir müssen aber damit rechnen, dass der vorhandene Unmut im kommenden Jahr verschiedene Wege suchen und finden wird, an die Oberfläche und auf die Straße zu spülen – etwa bei Großdemonstrationen wie am 15.12.
Diese Situation öffnet jedoch bei einer Schicht der Jugend auch das Bewusstsein für die Perspektive, sich mit den revolutionären MarxistInnen zu organisieren. Die herrschende Klasse ist dabei, die Jugend europaweit zu verlieren. Es ist wichtig, sie für unsere Sache zu gewinnen und somit die Basis für ein weiteres Wachsen der revolutionären Kräfte zu legen.
Wien, am 1.12.2018