Nach der rot-blauen Regierung im Burgenland ist der Beschluss des sogenannten „Kriterienkataloges“ für zukünftige Koalitionen der SPÖ am 14. Juni ein weiterer Schritt der Annäherung der Partei an die FPÖ. Von Florian Keller.
Der Kriterienkatalog selbst ist ein Sammelsurium aus Allgemeinplätzen: „Menschenrechte“, „immerwährende Neutralität“, „Freiheit der Kunst“, „soziale Sicherheit“ und „Gleichstellung der Geschlechter“ sind alles große Worte, die in verschiedenen Situationen je nach aktueller Notwendigkeit mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden können. Wichtig ist dem SPÖ-Parteivorstand natürlich „Österreich als Teil der Europäischen Union“. Und selbst das Bekenntnis zum „Antifaschistischen Grundkonsens“ ist so formuliert, dass man förmlich spürt, wie koste es was es wolle der Eindruck vermittelt wird, dass die FPÖ nicht „ausgeschlossen“ werden soll. Als Beispiel dafür, wie butterweich dieses „Bollwerk der Parteipinzipien“ ist, zitieren wir in Folge ausführlich:
„Sollte eine Koalitionspartei oder ein/e Vertreter/in einer Koalitionspartei derartiges Gedankengut vertreten (bspw. Zweifel daran äußern, dass der 8. Mai 1945 einen Befreiungstag für Österreich darstellt; die Beschäftigungspolitik des NS-Regimes loben usw.), dann wird seitens der SPÖ eine unverzügliche und unmissverständliche Reaktion der Parteispitze des Koalitionspartners gefordert. Sollte das nicht passieren, sind ebenso wie für andere, einem Koalitionsbruch entsprechende Initiativen sofort der eigens zu ernennende Koalitionsrat einzuberufen und Konsequenzen sowie die weitere Vorgehensweise festzulegen.“
Nachdem Sebastian Kurz die SPÖ nach seiner Kür zum Parteiobmann der ÖVP von der Bettkante gestoßen hat, steigen Druck und Verzweiflung in der Parteibürokratie. Dabei zeigt sich deutlich die Existenz zweier Flügel: Auf der einen Seite argumentierte etwa Wiens Bürgermeister Häupl gegen eine Öffnung zur FPÖ, versucht aber gleichzeitig die Türen zur ÖVP offen zu halten. Ein anderer Sektor legt hinter vorgehaltener Hand Wert darauf, dass „Kurz ja schon fast rechter als Strache“ sei und sieht in der FPÖ das bessere (vor allem: realistischere) kleinere Übel für die Zukunft.
Der Beschluss des Kriterienkataloges ist dabei ein Kompromiss der beiden Seiten: Der Pro-FPÖ-Flügel kann sich sicher sein, dass eine Koalition mit der Partei nicht ausgeschlossen wird – der Pro-ÖVP-Flügel bekommt die Aussicht, in Verhandlungen mit der Partei „mehr Druckmittel“ zu haben. Hinter all dem steht der verzweifelte Versuch der Parteibürokratie, sich mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Begründet wird die Öffnung dabei mit „strategischen Überlegungen“ – Kern sprach in der Pressekonferenz nach dem Parteivorstand bezeichnenderweise davon, dass es jetzt an der FPÖ liege, ob sie „zurück aufs Spielfeld“ kommen wolle. Doch in Wirklichkeit eröffnen sich damit gerade nicht für die SPÖ, sondern vor allem für FPÖ und ÖVP „strategische Möglichkeiten“. Kurz und Strache müssen sich ins Fäustchen lachen. Für die ÖVP gilt jetzt, dass jede Zusammenarbeit ihrerseits mit der FPÖ ihren Schrecken einbüßt, wenn sogar die SPÖ schon „grundsätzlich“ bereit ist, mit ihr in eine Koalition zu treten. Und die FPÖ muss nicht einmal mehr selbst mit sozialen Forderungen demagogisch hausieren gehen, das erledigen jetzt schon die Medien und „ExpertInnen“ für sie: Der O-Ton nach der Entscheidung war dabei einhellig, dass es bei „sozialen Themen“ Überschneidungen zwischen SPÖ und FPÖ gäbe, bei „gesellschaftspolitischen Themen“ dagegen weniger.
Die FPÖ nimmt den Ball natürlich gerne auf und präsentiert sich in den Medien betont offen für alle Optionen. Der Grund ist nicht, dass die Parteifunktionäre der FPÖ eine Koalition mit der SPÖ suchen würden – ganz im Gegenteil. Vielmehr treten Strache, Hofer und Co. in den Medien offen in diese Richtung auf, um die WählerInnen der FPÖ in der Arbeiterklasse an sich zu binden. Norbert Hofer kann sich im Standard-Interview so auch entspannt zurücklehnen, zu den Koalitionsbedingungen sagen: „Es ist in Wirklichkeit nichts unüberwindbar“ und dann hinzufügen, dass er nur mit der Erbschaftssteuer ein Problem hätte. Doch das seien alles „Dinge, die man besprechen muss.“ So wird an der lachhaften Illusion der FPO als „sozialer Heimatpartei“ weiter fleißig gemauert, den Beton dafür mischt die SPÖ selbst an.
Dabei wird fast schon plastisch deutlich, wie absolut beliebig die politische Richtung ist, wenn der Machterhalt nur gewahrt wird (oder werden könnte). Die Avancen von Kanzler Kern an die FPÖ waren zuerst unüberhörbar. („Aus heutiger Sicht erfüllt die FPÖ die Kriterien nicht, sie muss sich ändern. Dann würden auch wir unsere Meinung ändern“) Nachdem der FPÖ-Generalsekretär (und wichtiger Stratege der Partei für einen kommenden Bürgerblock mit der ÖVP) Kickl daraufhin die Handbremse zog (man stehe für Koalitionsverhandlungen nach derzeitigem Stand „nicht zur Verfügung“), schwenkte Kern in der Argumentation wieder um – und erneuerte sein Ziel einer Koalition Rot-Grün-Neos nach den Wahlen.
Statt einen zugespitzten klassenbasierten Lagerwahlkampf zu führen, in dem die Verbesserung der sozialen Situation der Arbeiterklasse im Mittelpunkt steht, wird der Wahlkampf auf folgende Optionen reduziert: Schwarz-blau wird eine „Regierungsbeteiligung der SPÖ“ entgegengesetzt – wahlweise mit schwarz oder blau; für ganz mutige auch mit Grün und Neos. Darin enthalten ist natürlich die Zusicherung mit dem Programm eines „Sparkurses light“ (für den Standort) anzutreten – diese Perspektive lockt niemanden hinter dem Ofen hervor. Stattdessen verstärkt sie die vorherrschende politische Demoralisierung noch. Doch selbst in dem unwahrscheinlichen Fall, dass die SPÖ auf dieser Basis die Wahlen gewinnt und man an ihr bei einer Regierungsbildung nicht vorbeikommt, wäre objektiv gesehen ein weiterer Schritt nach rechts die Folge – eine Regierung Kern II wäre unter den jetzigen Bedingungen eine Regierung der massiven sozialen Kürzungen mit Hilfe sozialdemokratischer Autorität, wie das Blair, Schröder und in neuerer Zeit Hollande in Frankreich vorgemacht haben.
Die Wahrnehmung unter einigen Linken in der SPÖ, dass gar keine Öffnung stattgefunden hätte, kommt gerade in diesem Zusammenhang einer gefährlichen Realitätsverweigerung gleich. Doch selbst eine Ablehnung der Öffnung allein ist bei weitem nicht genug – eine Fixierung versperrt ab einer gewissen Stufe sogar die Sicht auf den oben skizzierten generellen Kurs der Partei und die Notwendigkeit, gegen ALLE Formen der Unterordnung unter das Kapital zu kämpfen.
In dieser Situation gibt es für die Linke in der Sozialdemokratie keinen Raum für Manöver mehr – zu viel Zeit wurde schon mit Halbheiten und symbolischen Gesten verschwendet. Vorstellungen von einem allgemeinen „linken Wahlkampf“ innerhalb der (nach rechts gehenden) SPÖ bedeuten eine bewusste Unterordnung der Linken unter die pro-bürgerliche Führung, welche sich wiederum völlig den Kapitalwünschen unterordnet. Der Gedanke, einen klassenbasierten Lagerwahlkampf für und anstatt der Partei(spitze) zu führen, ist eine reaktionäre Utopie. Die große Masse der „unpolitischen“ ArbeiterInnen glaubt „den Politikern“, spezieller den Versprechungen der SPÖ-Spitze (zu recht) kein Wort mehr.
Damit eine Kandidatur der Linken innerhalb des Rahmens der Sozialdemokratie in dieser Situation progressiv wäre, müsste nicht ein abstrakter „linker Flügel“, sondern eine klare linke Opposition dazu antreten, ins Parlament einzuziehen. Besondere Verantwortung trägt hier die Sozialistische Jugend, die in den letzten Jahren über ihre Vorsitzende Julia Herr viel Präsenz in der Öffentlichkeit hatte und als Kulminationspunkt für Unmut über den Kurs dienen könnte. Die Grundlagen für so eine Kandidatur müssten dabei dort beginnen, wo die Sozialdemokratie als ganzes aufgehört hat, die Interessen der Arbeiterklasse zu vertreten – nämlich mit der Zusicherung, auch gegen den Klubzwang keinen Sparpaketen zu Lasten der Arbeiterklasse, Bankenrettungen, Privatisierungen und sonstigen Geschenken an das Kapital zuzustimmen. Das bedeutet auch, jede Regierung mit bürgerlicher Beteiligung, egal ob ÖVP oder FPÖ, abzulehnen. Das wäre die Position, die Jeremy Corbyn über Jahrzehnte innerhalb der Labour-Partei in Großbritannien verteidigt und die erst die Basis für seinen jetzigen Erfolg gelegt hat.
Doch auch das reicht für sich genommen nicht aus. Letztendlich ist dieser Rechtsschwenk der Sozialdemokratie nur ein Ausdruck des massiven Drucks des Kapitals in der Krise des Kapitalismus. Die Bürokratie der Arbeiterbewegung, spezieller der Parteiapparat der SPÖ, sucht in einem eigenen Rechtsschwenk die Bindung zum Bürgertum, seinen Wünschen und dem Staatsapparat nicht zu verlieren, von dem sie absolut abhängig ist. Das Bürgertum selbst ist klassenbewusst, rückt zusammen nach rechts und bereitet sich auf einen massiven Angriff auf die Arbeiterklasse vor – so kann ein „linksliberaler“ Van der Bellen auch ganz ehrlich davon reden, dass er sich schwer damit tut, die FPÖ als rechte Partei zu bezeichnen. Die Alternative dazu kann nur ein Programm sein, das nicht vergeblich versucht, die Widersprüche in der Gesellschaft abzumildern, sondern sie zu lösen: Die Arbeiterbewegung muss mit einem sozialistischen, revolutionären Programm in die Offensive gehen!