Seit der Zwischenkriegszeit wurde in Österreich keine Maikundgebung seitens der Staatsgewalt mehr angriffen. An diesem 1. Mai 2009 war es in Linz wieder so weit. Ein Bericht der SJ Römerberg.
Bei der traditionellen Maikundgebung der KPÖ, an der sich einige andere linke Gruppierungen beteiligten, spielten sich am Vormittag des 1. Mai Szenen ab, die man sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Etwa 100 Polizisten kesselten ca. 50 „Autonome“ ein und hinderten sie am Losmarschieren. Die Polizei forderte die sofortige Identifizierung samt Fotoaufnahme aller DemonstrantInnen. Als sich diese weigerten bzw. keiner Schuld bewusst waren (und weil sich die wenigsten vermummt hatten) kam es plötzlich seitens der Polizei zu völlig überraschenden Prügelattacken. Der Einsatz von Schlagstöcken und Pfefferspray kam dabei nicht zu knapp. Die Polizei zog in diesem Tumult immer wieder einzelne Personen aus der Menge und führte sie ab. Unter den Verhafteten auch Rainer Zendron, Vizedirektor der Kunstuni Linz. Er wollte als Zuseher nur vermitteln als die Polizei ziemlich brutal gegen eine Jugendliche vorging. Weder Gewalt oder Widerstand gegen die Staatsgewalt hatte er sich zu Schulden kommen lassen. Mit einer Anzeige müssen alle verhafteten Personen mit ziemlicher Sicherheit dennoch rechnen. Die Übergriffe sind alle dokumentiert und dürften die Linzer Polizei wohl ziemlich in Bedrängnis bringen.
Jahre lang galt auch in der Linzer Polizei bei Demonstrationen das Prinzip der „Verhältnismäßigkeit“ der Amtshandlungen. Das will heißen PolizistInnen prügeln nicht gleich nur weil wer eine Sonnenbrille und eine Kapuze trägt. Dieses Prinzip gehört ab nun der Vergangenheit an. Wir sprechen uns an dieser Stelle massiv gegen solche Übergriffe seitens der Polizei aus. Wer immer noch nicht glauben will, was sich da an diesem 1. Mai in Linz abgespielt hat, der/die möge sich die folgenden Videos zu Gemüte führen und selber urteilen:
http://www.youtube.com/watch?v=F-PgqKd4gp4
http://www.youtube.com/watch?v=LIdvsHKoZb0
http://www.youtube.com/watch?v=N3X3KL2etiY
BERICHT VOM VIZEREKTOR RAINER ZENDRON
liebe kollegInnen, liebe studierende, liebe freundInnen,
viele von euch werden im laufe des wochenendes über bekannte, die
presse oder das fernsehen mitbekommen haben, dass ich im zuge der
maidemonstrationen in linz von der polizei inhaftiert wurde und mich
ein prozess wegen widerstand gegen die staatsgewalt erwartet.
deshalb eine kurze darstellung aus meiner sicht:
ich beobachte jetzt seit etwa 45 jahren die maidemonstrationen in
linz, weil ich den forderungen der arbeiterInnenbewegung um
erweiterung demokratischer wie ökonomischer rechte und für
internationale solidarität grosses interesse und sympathie entgegen
bringe. persönlich habe ich nie an einem maiaufmarsch der SPÖ? oder KPÖ?
teilgenommen, da ich mich – zu meinem bedauern – mit keinem deren
programme vollinhaltlich identifizieren konnte.
ich beobachtete auch heuer mit einer gruppe von freundInnen die
maidemonstrationen am hauptplatz. nachdem um 11:30 der KPÖ?-zug den
hauptplatz noch immer nicht erreicht hatte und wir geplant hatten, den
nachmittag in der solarcity beim 09 projekt zu verbringen ging ich die
landstrasse entlang, um zu schauen, wo deren demonstrationszug
geblieben sei.
als ich an der goethekreuzung angekommen war, fuhr mir ein schreck
durch die glieder, da ich auf der blumau ein riesiges polizeiaufgebot
sah; ich befürchtete, dass neofaschisten, die kleine gruppe der KPÖ?
demonstratInnen überfallen hätten. (im internet wie ihr vielleicht
wisst – hatten die rechtsradikale aufgerufen, anlässlich des
kulturhauptstadtjahres einen gesamtdeutschen aufmarsch in linz
durchzuführen).
als ich jedoch bei der blumau eintraf, musste ich erkennen, dass die
polizei den abmarsch der demonstration verhinderte. etwa 30 friedlich
sitzende jugendliche wurden von etwa 50 stehenden polizisten umringt,
die älteren demonstrationsteilnehmerInnen standen empört und aufgeregt
herum. um mich über die lage zu informieren, fragte ich einen
polizisten, warum die demonstration nicht stattfinden würde. er
antwortete mir, weil die demonstrantInnen vermummt seien. da ich
jedoch keineN einzigeN vermummteN demonstrantIn wahrnehmen konnte,
fragte ich nach. darauf bekam ich keine weiter antwort, da ja
tatsächlich keine zu sehen waren. daraufhin fragte ich eine, der
nicht-eingekesselten demonstrantInnen. sie sagte mir, dass die polizei
von allen jugendlicheren demonstratInnen verlangen würde, dass diese,
um am maiumzug teilnehmen zu dürfen, sich zuerst fotografieren lassen
und ihren personaldaten abgeben müssten.
dies widerspricht meiner auffassung nach gröblichst sowohl den
menschenrechten als auch der österreichischen verfassung.
während ich noch versuchte mir einen überblick über die lage zu
verschaffen, sah ich, dass die größere gruppe von polizistInnen mit
massiver staatsgewalt begann ein mädchen aus der reihe der sitzenden,
eingekesselten jugendlichen herauszuzerren. ich lief ein paar schritte
hin, um zwischen demonstratInnen und polizei zu vermitteln und
unnötige polizeigewalt zu verhindern. doch bevor ich dort
angekommen war, wurde ich von polizistInnen zu boden gestossen und von
weiteren, herbeistürmenden polizisten umringt. ich war geschockt und
rollte mich am boden liegend zusammen, um kopf und körper möglichst
vor schlägen mit den polizeiknüppeln zu schützen.
die polizistInnen legten mir am rücken handschellen an und trugen
mich zum arrestantInnenwagen. ich wurde ins polizeihauptquartier
verbracht. bis zu meiner freilassung – um etwa 20:00 uhr – saß ich in
einer einzelzelle. mir wurden fingerabdrücke, abdrücke der handballen
und DNA-proben abgefordert, ausserdem wurden drogentests durchgeführt
und polizeifotos angefertigt.
ich kann keine gesamteinschätzung der vorgänge abgeben, da ich etwa 5
minuten, nachdem ich auf der blumau eingetroffen war, bereits
verhaftet wurde. ausser mir wurden vermutlich 6 weiter personen
festgenommen.
ich hatte vor meiner verhaftung keinen polizisten beschimpft. kein
polizist hatte mich vor meiner verhaftung zu irgend etwas aufgefordert
oder an mich auch nur ein wort gerichtet. ich hatte keinen polizisten
angegriffen. durch die grosse aufregung hatte ich auch keinerlei
schläge seitens der polizei wahrgenommen. erst nachdem ich am
nächsten tag auf videos meiner verhaftung gesehen hatte, dass ich
offensichtlich mit gummiknüppeln geschlagen worden war, betrachtete
ich meinen körper im spiegel und konnte einige blaue flecken
sehen.
ich bin über den polizeieinsatz gegen den traditionellen, vorerst
friedlichen maiaufmarsch sehr empört. zugleich bin ich – bei gegebener
lage – jedoch froh, dass ich unter den verhafteten war, da so der
polizeieinsatz eine große öffentlichkeit bekommen hat; hätte es nur
ein paar arbeitslose jugendliche getroffen, gäbe es leider vermutlich
keine öffentliche debatte darüber.
mein grossvater, ein arbeiter der ÖBB, wurde 1934 auch beim versuch
verhaftet, eine maidemonstration in linz durchzuführen. die zeit bis
1945 bezeichnen wir heute als faschismus. nach 1945 wurde meines
wissens kein maiaufmarsch der arbeiterInnenbewegung in linz von der
polizei angegriffen oder verhindert. heute leben wir sicherlich in
keinem faschistischen land; zum glück möge es so bleiben. doch
offensichtlich müssen demonstrationsfreiheit und andere menschenrechte
auch aktuell verteidigt werden.
zu meiner lage musste ich mir übers wochenende auch so einiges
überlegen:
ich bin zufrieden, es geht mir sehr gut und ich fühle mich völlig
unschuldig, denn zivilcourage wird allerorts und von allen parteien
beständig gefordert.
trotzdem bin ich mir sicher, dass das große medienecho (über welches
ich glücklich bin) bei stetiger nennung meiner funktion in der
kunstuniversität linz in anbetracht der aktuell bedrohlichen
finanziellen lage, für die kommenden finanzierungsverhandlungen
unserer universität schädlich ist; nicht zuletzt deshalb, weil sich
bereits heute führungspersönlichkeiten der ÖVP sehr deutlich hinter
den polizeieinsatz gestellt haben. mein kommendes gerichtsverfahren,
wird aller voraussicht nach, im herbst parallel zu den
leistungsverhandlungen mit minister hahn laufen.
deshalb steht meine entscheidung, die ich allein und ohne absprache
oder gar druck von irgend einer seite beschlossen habe, fest: ich
werde mein amt als vizerektor mit beginn des WS zurücklegen und mich
karrenzieren lassen.
es freut mich sehr, dass ich bereits im laufe des wochenendes von
mehr als hundert kollegInnen solidaritätsanrufe, sms`s und mails
bekommen habe, weil es persönlich einfach gut tut, zu wissen, dass
sehr viele von euch hinter mir und meinen aktivitäten stehen.
liebe grüsse und vielen dank für eure hilfe ;-)))
rainer