15 Menschen wurden getötet, als im November ein Betondach am neu eröffneten Bahnhof in Novi Sad einstürzte. Seitdem rollt eine riesige Protestwelle durch das Land. „Gegen die kriminelle Fahrlässigkeit der Regierung!“, lautet das Motto der Hunderttausenden die auf die Straße gehen. Der Slogan des Generalstreiks wird erhoben und Studierende besetzten ihre Fakultäten.
von Zvonko Dan (Revolucionarni
komunistički savez, Ex-Yu)
Kundgebungen von Studierenden wurden von regierungstreuen Schlägern attackiert. Doch statt die Jugend zu verängstigen, provozierte die Regierung so eine Sintflut der Wut. Als Reaktion auf die Angriffe besetzten Studenten eine Fakultät nach der nächsten. Angefangen bei der Akademie der darstellenden Künste (FDU) und Protesten in den Gymnasien in Sremski Karlovci und Novi Sad, weitete sich die Bewegung aus. Nach nur wenigen Tagen waren über 50 Bildungseinrichtungen besetzt, in den drei größten Städten sogar alle.
An einem Gymnasium stimmte der Elternrat mit nur drei Gegenstimmen für die Besetzung der Schule. Als der Direktor ins Schulgebäude wollte, wurde ihm der Zutritt verwehrt. Der verzweifelte Mann wusste nicht weiter, als sich vor der Schule hinzuknien und zu beten, nur himmlische Kräfte konnten ihn noch retten.
Die Forderungen der FDU-Studierenden lauten: die Verantwortlichen für das eingestürzte Betondach müssen strafrechtlich verfolgt und alle Unterlagen über das Bauprojekt veröffentlicht werden, es muss Konsequenzen für die Verantwortlichen der Polizeigewalt gegen Demonstranten geben. Das Manifest wurde zum Programm der Bewegung. Die Studierenden organisierten auch ein Plenum, um den weiteren Verlauf des Kampfes demokratisch festzulegen.
Die Eskalation der Massenbewegung durch das entschiedene Handeln der Studierenden, hat die schon lange angestaute Wut in der Bevölkerung freigesetzt. Viele Professoren und sogar Dekane unterstützen die Blockaden. Ljubica Oparnica von der Fakultät für Pädagogik meint in einem Interview: „Wenn Unrecht zum Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht. Wir Professoren stehen an der Seite unserer Studenten und werden das weiterhin tun, bis alle ihre Forderungen erfüllt sind.“
Lehrer, die bereits im Streik für eine Gehaltserhöhung waren, haben begonnen ihren Lohnkampf mit den Forderungen der Jugendlichen zu verbinden.
Bauern brachten Verpflegung für die Besetzer. Das war die solidarische Antwort auf den Versuch der Regierung, den Abbau von Lithium durch den Konzern Rio Tinto durchzudrücken (siehe „Serbien: Aufstand gegen imperialistischen Bergbau“, Funke Nr. 227).
Es gab Massendemonstrationen in Belgrad, Novi Sad und weiteren großen Städten, die von der anhaltenden Repression nur noch weiter angefacht wurden. Der Kampf fand sein Echo auch im Rest des ehemaligen Jugoslawiens und darüber hinaus. Studierende in Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Slowenien, Mazedonien und sogar Polen zeigten ihre Solidarität mit ihren Kommilitonen in Serbien.
Die Regierung bebt vor Angst
Die Bewegung hat die Regierung in Angst versetzt. Präsident Vučić sagt, er hört der Jugend zu und versteht sie. Im nächsten Moment bedroht er sie mit Spezialeinheiten und unterstellt ihnen, Teil einer ausländischen Verschwörung zu sein. Während einer seiner Ansprachen versammelten sich die Demonstranten vor Ort zu einem lautstarken Protest. In der TV-Übertragung der Ansprache konnten die Pfiffe und Parolen nicht übertönt werden. Der Präsident bat die Studenten um einen Dialog, ihre Antwort: „Wer hat dich gefragt?“
Die herrschende Regierungspartei spricht von einer neuen „Farbrevolution“, also einer demokratischen Konterrevolution gegen anti-westliche Diktaturen. Laut ihnen sollen diesmal nicht die USA und EU (und auch nicht Russland oder China) die Bewegung managen, sondern Kroatien! Dieser Lächerlichkeit zeigt, wie tief ihre Verzweiflung ist. Doch mit dem Schüren von nationalem Hass kommen sie hier nicht durch. Präsident Vučić ist sichtlich niedergeschlagen, in einem Interview zu Neujahr kommentierte er, dass es in den Plenarsitzungen der Studierenden Bolschewiki und Menschewiki gäbe, also eine offene Debatte um soziale Reform oder soziale Revolution.
Auftritte von politischen Machthabern werden mit Wut und Protest beantwortet. Die Bildungsministerin, deren Rücktritt schon von streikenden Lehrern gefordert wurde, wurde im Stadtrat von Parlamentsstürmern überrascht. Ein Video gedemütigter Sicherheitsbeamter, die verzweifelt fliehen, zeigt den Massen am Balkan die wahren Kräfteverhältnisse. Nichts und niemand stoppt ein Volk das gemeinsam und solidarisch aufsteht!
Für einen Generalstreik!
Die Frage nach dem Sturz der Regierung muss gestellt werden. Die Studierenden haben bereits zu einem Generalstreik aufgerufen und jetzt, wo das Schulsemester wieder begonnen hat, findet in zahlreichen Schulen kein Unterricht, sondern Protestaktionen statt. Auch die Anwaltskammer Serbiens und die unabhängige Gewerkschaft der Pädagogen teilten den Aufruf zum Streik. Die großen Gewerkschaften, die im ständigen Dialog mit der Regierung sind, kämpfen nur zaghaft. Dies hinderte in mehreren Städten die Lehrer nicht daran selbstständig Plena zu organisieren. Dort wurde mehrheitlich für einen Streik gestimmt.
Aktuell (während Der Funke in Druck geht) wird breit für einen Generalstreik am Freitag, den 24.01 mobilisiert. Ein Entscheidungskampf steht kurz bevor, die Bewegung hat ihren Höhepunkt noch nicht erreicht.
Ein erfolgreicher Generalstreik würde beweisen, dass die Massen in Serbien stärker sind als die herrschende Klasse und ihre Politiker. Und dass die Zeit gekommen ist, dass diese die Forderungen der Bewegung erfüllen – auch die nach dem Rücktritt von Präsident Vučić und der Regierung. Die Jugend ist oft die Inspiration für den Eintritt der Arbeiterklasse in eine Bewegung, aber nur die Arbeiter haben die Macht, die Hebel der Wirtschaft zu stoppen, was die Regierung in die Knie zwingen würde.
Einige „Zugeständnisse“ wurden bereits gemacht – Bauleiter in Novi Sad wurden verhaftet und angeklagt. Aber die Hauptverantwortlichen, z.B. der Minister für Infrastruktur, mussten noch keine Kosequenzen tragen. Natürlich können wir von der jetzigen Regierung keine Gerechtigkeit für die Verbrechen in Novi Sad erwarten. Vučić und seine Partei müssen beseitigt werden, um die korrupte Staatsmaschine zu zerstören!
Die Massen in Serbien sind dabei, ihre Kräfte auszutesten. Wie weit sie dabei gehen, ist noch offen. So oder so stellt die Bewegung einen gewaltig inspirierenden Schritt vorwärts für die internationale Arbeiterklasse dar.
- Nieder mit Vučić!
- Nieder mit der Serbischen Fortschrittspartei!
- Die Regierung muss zurücktreten!
- Gerechtigkeit für die Opfer!
- Strafen für die Verantwortlichen!
- Studenten und Arbeiter in den gemeinsamen Kampf!
- Für den Generalstreik!
- Die RKP Österreich steht in Solidarität mit dem Kampf der Massen Serbiens. Wir sagen auch: Bundesheer, EU, NATO und alle Imperialisten – Hände weg vom Balkan! Gerechtigkeit für unsere Klassengeschwister!