Der Deutsche Bauernkrieg

Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. Im frühen 16. Jahrhundert fanden dieselben einen Kulminationspunkt im Deutschen Bauernkrieg – der ersten bürgerlichen Revolution. Die Armen und Unterdrückten in Stadt und Land begehrten gegen die verrottete Klassenherrschaft der feudalen Mächte auf und nahmen unter ihrem revolutionärsten Anführer und Ideologen Thomas Müntzer bereits kommunistische Ideen vorweg. Von Philipp Pöllinger.
Im Juni 1524 soll den Bauern in der Landgrafschaft Stühlingen im Schwarzwald mitten in der Erntezeit befohlen worden sein, Schneckenhäuser zu sammeln, da die Gräfin jene als Garnrollen verwenden wollte. Diese willkürliche Herrschaftsausübung ließ den längst vorhandenen Klassenhass explodieren und leitete so den Bauernkrieg in Deutschland, Österreich und der Schweiz ein.
Die Gründe für den Bauernkrieg liegen jedoch tiefer. Das 15. und 16. Jahrhundert war eine Zeit des Umbruchs. Das deutsche Gewerbe befand sich in einem Aufschwung, was die Gegensätze in der Gesellschaft verschärfte. Vor allem der florierende Bergbau trug zum Aufstieg der Warenwirtschaft bei, wodurch größere Märkte entstehen mussten. Die Städte profitierten von dieser Entwicklung und verwandelten sich in bedeutende Handels- und Gewerbezentren. Sie trugen die aufkommende bürgerliche Gesellschaft in ihrem Schoß. So brachten sie das Bürgertum als neue Klasse hervor, das im Widerspruch zum Adel und zum katholischen Klerus stand, gleichzeitig aber mit einer Opposition der Kleinbürger, Handwerksgesellen, Tagelöhner und dem Lumpenproletariat konfrontiert war.
Die alte feudale Ordnung stand im Widerspruch zum aufkommenden Kapitalismus. Deutschland war im 16. Jahrhundert noch ein territorialer Fleckenteppich. Das Heilige Römische Reich verfügte anders als Frankreich oder England über keine starke Zentralisation, sondern bestand aus über 300 Kleinstaaten, an deren Spitze mächtige Fürsten standen. Der Handel mit Waren drängte jedoch auf eine Überwindung dieser Kleinstaaterei hin. Er bedurfte eines großen, einheitlichen Wirtschaftsraums statt Zöllen und Währungsunterschieden an jeder Ecke.
Auch die Kirche, die ideologische Stütze der ständischen Gesellschaft, stand der weiteren Entwicklung entgegen. Durch den Buchdruck und die Beamtenapparate der Fürsten verlor sie ihr Monopol auf Bildung und Verwaltung. Trotz oder gerade wegen ihrer zunehmend überflüssigen und parasitären gesellschaftlichen Rolle, breitete sie ihren Einfluss aber mit allen Mitteln weiter aus. Die hohe Geistlichkeit griff auf Urkundenfälschungen zurück, sie verfügten als Feudalherren über Ländereien mit Leibeigenen und pressten die Bevölkerung auch noch mittels Zehent und Ablasshandel weiter aus. Daher wurde die Kirche auch nicht nur von den Armen und Unterdrückten, sondern genauso von Adel und Bürgertum gehasst.
Wer unter den feudalen Verhältnissen am stärksten litt, waren die Bauern – die Mehrzahl der damaligen Gesellschaft. Alle Stände lebten von ihrer Aussaugung. Sie mussten auf dem Boden ihrer Grundherren Frondienste leisten, Steuern zahlen und Abgaben an Fürsten und Kirche entrichten. Ihre Ausbeutung wurde immer schärfer. Im Volksmund hieß es schließlich: „Wer im 1523. Jahr nicht stirbt, 1524 nicht im Wasser verdirbt und 1525 nicht wird erschlagen, der mag wohl von Wundern sagen.“ Doch die lokale Zersplitterung der Bauern und ihr damit einhergehender begrenzter Horizont, vor allem aber der Mangel an Verbündeten erschwerten ein erfolgreiches Aufbegehren über Grenzen hinweg ungemein.
Dem Bauernkrieg von 1524-6 gingen eine ganze Reihe von lokalen Aufständen voraus. In diesen Aufständen wurden bereits zentrale Ideen und Organisationsformen des späteren Bauernkriegs entwickelt. Die Bauern organisierten sich in Geheimbünden, die teilweise schon überregional agierten. Die zwei großen Verschwörungen, die den Bauernkrieg vorbereiteten, der „Bundschuh“ und der „Arme Konrad“, scheiterten aber, da sie vor dem Aufstand verraten wurden.
Die Klassenkämpfe des frühen 16. Jahrhunderts bekamen schließlich durch die Luthersche Anklage der Kirche sowie seine Bibelübersetzung einen enormen Aufschwung. Es ist der Allmacht der Kirche im Feudalismus geschuldet, dass die Klassenkämpfe jener Zeit theologische Formen annahmen. Wer den Feudalismus angreifen wollte, musste die Kirche angreifen.
Der Klasseninhalt der Reformation lag im Kampf um die Neuauslegung der Religion im Dienste des aufstrebenden Bürgertums. Durch die Angriffe seitens der Kirche auf Luther wurde jener jedoch zum Kampfsymbol aller oppositionellen Kräfte. Angesichts des Elends der Massen und dem Interesse der Fürsten, den Einfluss der Kirche zugunsten der eigenen Bereicherung zurückzudrängen, fiel die Reformation auf fruchtbaren Boden.
Als jedoch die Bauern verstärkt begannen, ihre sozialrevolutionären Forderungen mit Bibelzitaten zu untermauern, spaltete sich die reformatorische Bewegung. Adel und Bürgertum wollten zwar die Macht der Kirche begrenzen, aber mit der Abschaffung des Privateigentums durch revolutionäre Bauernmassen konnten sie wenig anfangen. Sie fanden ihren Vertreter in Martin Luther, der zum Ausdruck einer gemäßigten Reformation im Sinne der herrschenden Ordnung wurde.
Später hetzte Luther sogar gegen den Bauernkrieg und empfahl im Umgang mit den aufbegehrenden Bauern:
„Man soll sie zerschmeißen, würgen und stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund totschlagen muß!“
Luther verleugnete nicht nur den Bauernkrieg, sondern jegliche Auflehnung gegen die Autoritäten, obwohl er sie vorher selbst gepredigt hatte. Der Reformator wandte die Bibel nun gegen die Bewegung. Mit dem Evangelium wurde das „Fürstentum von Gottes Gnaden, der passive Gehorsam, selbst die Leibeigenschaft“ sanktioniert.
Luthers Ideen hatten jedoch längst ein Eigenleben entwickelt und hatten entscheidenden Anteil, dass die Bauernaufstände ab dem Frühling 1524 einen systematischen Charakter annehmen konnten. Früher beriefen sich die Aufständischen auf das von Fürstentum zu Fürstentum verschiedene weltliche, das sogenannte Alte Recht, was meistens lediglich einen Kampf gegen den eigenen Fürsten nach sich zog, da jener das Recht setzte. Die zusätzliche Berufung auf Göttliches Recht und das Evangelium ermöglichte hingegen eine nationale Ausweitung und Vereinheitlichung des Kampfes der Bauern – richtete sich jener nun schließlich gegen die herrschende Ordnung als solche. Ausgehend von Stühlingen weiteten sich die Aufstände über alle Grenzen hinweg aus. Erheblichen Anteil daran hatten die berühmten „Zwölf Artikel“ von Memmingen, die dank dem Buchdruck im ganzen Reich verbreitet wurden. Darin wird der Aufstand nicht nur theologisch legitimiert, sondern mit der Forderung auf Abschaffung der Leibeigenschaft sogar die Idee der Menschenrechte vorweggenommen.
Zur Durchsetzung ihrer Forderungen organisierten sich die Bauern militärisch in sogenannten Haufen, die zwischen 4.000 und 18.000 Mann stark waren. Ihr Zorn auf die feudale Ordnung entlud sich in der Zerstörung von hunderten Burgen und Klöstern. Die Bauern, denen sich zeitweise auch arme Landpfarrer und Städter anschlossen, kämpften anfangs so entschlossen, dass selbst Kurfürst Friedrich von Sachsen schrieb:
„Will es Gott also haben, so wird es also hinausgehen, dass der gemeine Mann regieren soll.“
Die revolutionärsten Teile fanden ihren Führer in Thomas Müntzer, der in seinen Forderungen über die „Zwölf Artikel“ hinausging. Sein politisches Programm – vor allem die Forderung nach einer Gütergemeinschaft – antizipierte bereits das kommunistische Programm. In Mühlhausen (Thüringen) gelang es der Müntzerschen Partei sogar, die politische Gewalt von den Patriziern zu erobern. Die Regierungsgeschäfte lagen in den Händen des „Ewigen Rats“, an dessen Spitze Müntzer stand. Doch die Ideen Müntzers waren ihrer Zeit voraus. Sie ließen sich angesichts der mangelnden materiellen Voraussetzungen nicht realisieren. Engels betont in seinem Werk zum Bauernkrieg, dass Müntzer derart gezwungen war, „nicht seine Partei, seine Klasse, sondern die Klasse zu vertreten, für deren Herrschaft die Bewegung gerade reif ist“. So konnte er lediglich bürgerlich-demokratische Verhältnisse schaffen, d.h. das genaue Gegenteil von kommunistischen Verhältnissen, die ihm vorschwebten. Am 15. Mai 1525 suchte die Konterrevolution des Adels und der Obrigkeit bei Frankenhausen (Thüringen) die Entscheidungsschlacht. Die Bauernhaufen wurden vernichtend geschlagen, Müntzer wurde mit hunderten Mitstreitern hingerichtet.
Auch die anderen Haufen wurden nach und nach von den professionellen Heeren der Reaktion niedergemetzelt. Die Zersplitterung der Bauernhaufen (sie waren zwar überregional vernetzt, trugen die Kämpfe aber lokal aus) und das leichtgläubige Vertrauen in die leeren Versprechungen der Fürsten führten letztlich zur Niederlage. Die erste bürgerliche Revolution hätte nur siegen können, wenn die Bauern vom aufstrebenden Bürgertum unterstützt worden wären. Da sich jenes aber auf die Seite des protestantischen Adels gesellte, verriet es die Revolution und die feudalen Verhältnisse konnten nicht beseitigt werden. So spielte das deutsche Bürgertum schon 300 Jahre vor der 1848er Revolution dieselbe verräterische Rolle und weigerte sich aus Angst vor den Massen, den alten feudalen Schutt aufzuräumen.
Im Bauernkrieg ließen zehntausende heroische Bauern ihr Leben. Statt der Durchsetzung bürgerlicher Verhältnisse wurde die Zersplitterung des Reiches verfestigt, wovon lediglich die Fürsten profitierten. Deutschland fiel dadurch hinter die wirtschaftliche Entwicklung von England oder Frankreich zurück. Heute, 500 Jahre später, hat sich nicht nur der Kapitalismus durchgesetzt, er ist bereits genauso verfault wie die damalige feudale Ordnung. So stehen auch wir in der Tradition von Thomas Müntzer, der für ein Ende der verrotteten Klassengesellschaft kämpfte. Im Unterschied zu damals sind die materiellen Bedingungen für den Aufbau des Himmels auf Erden heute jedoch längst vorhanden.
(Funke Nr. 234/28.05.2025)