Vom 4. bis zum 5. Dezember fand in St. Pölten der 33. Verbandstag der Sozialistischen Jugend Österreich statt. 250 Mitglieder fanden sich in der Fachhochschule ein, um über mehr als 70 Anträge zu diskutieren und einen neuen Verbandsvorstand zu wählen. Manuel Reichetseder von der SJ Alsergrund hält Rückschau.
Ein vollständiger Bericht des gesamten Ablaufs der Konferenz würde den Rahmen sprengen, weshalb wir uns auf einige der zentralen Debatten und politischen Auseinandersetzungen konzentrieren.
Der Verbandstag stand unter dem Motto „10 Jahre linke SJ“. Vor zehn Jahren gelang es einem linken Bündnis eine Mehrheit in der zuvor von rechtssozialdemokratischen KarrieristInnen geführten SJÖ zu erlangen. Die SJ hat sich seither auf einen langen und wechselhaften Weg begeben, das Ziel eine Massenorganisation auf Grundlage eines marxistischen Grundsatzprogramms mit Verankerung in Schulen, Betrieben und Unis aufzubauen jedoch nicht aus den Augen gelassen. Dies drückt sich in vielen Bundesländern (Niederösterreich, Steiermark, Burgenland, Oberösterreich und Vorarlberg) in wachsenden Strukturen und Mitgliederzahlen aus. Entscheidend für die weitere Entwicklung wird sein, inwiefern es uns zunehmend gelingt die SJ in zukünftigen politischen Auseinandersetzungen von einer Kommentatorin zu einer Akteurin in Klassenauseindersetzungen zu machen. Um dies zu erreichen ist es notwendig, den bereits hinter uns liegenden Weg – auch selbstkritisch – zu reflektieren und im ständigen solidarischen Wettstreit der Ideen die Analyse der Möglichkeiten für den Aufbau der SJ zu verfeinern und eine politische Perspektive zu entwickeln..
Kapitalismuskritik
Begonnen hat die Antragsdiskussion mit dem Leitantrag des Verbandsvorstandes „Reiche müssen zahlen – kein Ausverkauf an ÖVP & FPÖ“. Von den GenossInnen der SJ Vorarlberg wurden hier mehrere Abänderungsanträge eingebracht. Bezüglich den zwei einleitenden Absätzen der Resolution fanden wir es wichtig eine Alternative zu präsentieren, da wir hier offensichtlich zu einer anderen Einschätzung als der ehemalige Verbandsvorstand in Bezug auf die derzeitige Phase des Kapitalismus kommen. Die Resolution des Verbandsvorstandes lautet wie folgt:
Die Tatsache, dass der Großteil der Werktätigen nicht am Wohlstandsgewinn partizipiert, stellt eine fundamentale Bedrohung für den sozialen Frieden und für die Demokratie dar. Zu einer funktionierenden Demokratie gehört staatliche Verantwortung und die Sicherung der öffentlichen Daseinsvorsorge, die ein menschenwürdiges Leben aller Mitglieder unserer Gesellschaft ermöglicht. Das ist mit einem entfesselten Markt aber nicht gegeben, weshalb der Staat regulierend eingreifen muss. Der Regulierungsinstrumente hat sich die Politik seit Beginn des neoliberalen Backlashs Anfang der 1990er-Jahre aber sukzessive beraubt. Eine stärkere Demokratisierung des Wirtschaftslebens jenseits von scheinbarer Alternativlosigkeit zur Privatisierung ist unumgänglich, um den Sozialstaat nachhaltig abzusichern.“
Die zitierten Absätze klingen wie ein Hilferuf an den guten, alten Kreisky, er möge doch aus dem Grabe auferstehen und uns in einem Feldzug gegen den Neoliberalismus in die 1970er Jahre zurückführen. Uns muss aber bewusst sein, dass der lange Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg (1947 – 1974), der in industriell entwickelten Ländern (bürgerliche) Demokratie und soziale Mindeststandards garantierte, historisch die Ausnahme und nicht die Regel darstellt. Die Krise hat die Grundlage dafür weiter erodieren lassen. Heute müssen wir uns auf eine auf Jahre wenn nicht Jahrzehnte dauernde veränderte Realität einstellen, weswegen wir für die Streichung der ersten beiden Absätze plädierten und folgende Abänderung formulierten:
Die letzten Jahre waren gekennzeichnet durch die tiefste Wirtschaftskrise seit den 1930er Jahren. Die Politik riesiger Bankenrettungs- und Konjunkturbelebungspakete konnten zwar einen völligen Kollaps der Weltwirtschaft verhindern, gleichzeitig wurde damit die Grundlage dafür gelegt, dass die Krise noch lange andauern wird. Die Staatsschuldenkrise bedeutet, dass mehrere Länder (Griechenland, Irland usw.) wirtschaftlich am Abgrund stehen. Das könnte sogar zum Ende des europäischen Integrationsprozesses führen. Die nächste Krise der Weltwirtschaft ist bereits in Vorbereitung.
Die Bürgerlichen antworten auf diese Krise einerseits mit einer Politik der Budgetkonsolidierung, die selbst in vielen europäischen Ländern eine halbwegs zivilisierte Existenz für breite Bevölkerungsschichten unmöglich macht. Der Sozialstaat, das Pensionssystem, die öffentlichen Bildungssysteme werden in Zuge dessen kaputt gespart. Gleichzeitig nutzen die Unternehmen die Krise zu einem beispiellosen Angriff auf die Arbeitsbedingungen der Lohnabhängigen. Das Kapital verfolgt das Ziel die angeschlagene ArbeiterInnenklasse zu zwingen Bedingungen zu akzeptieren, wie sie in einer längst überwunden geglaubten Vergangenheit Alltag waren: Das bedeutet eine weitgehende Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse, modernes Tagelöhnertum (Leiharbeit), Löhnkürzungen und Abbau von sozialen Rechten. Gewerkschaften, die sich dem entgegenstellen, droht die Zerschlagung. Das ist die neue, alte Realität des Kapitalismus im 21. Jahrhundert im Zuge dieser Krise. Daher ist es mehr denn je unser aller Aufgabe die Unzulänglichkeiten des Kapitalismus, und die daraus resultierende Unterdrückung der Mehrheit durch eine kleine Minderheit aufzuzeigen, und dem auch eine sozialistische Alternative entgegen zu stellen.
Unsere unmittelbare Aufgabe besteht darin, die sozialen Errungenschaften der Vergangenheit mit den Methoden des Klassenkampfes zu verteidigen. Die zentrale Frage, vor der wir stehen, lautet: Wer zahlt die Kosten der Krise?“
Als Hauptdebattenrednerin gegen unseren Antrag trat Genossin Sandra Breitender aus Wien auf. Sie argumentierte, dass wir hier nur Wortklauberei betreiben würden, da die gegenübergestellten Absätze inhaltlich ident seien. Bei der später stattfindenden Abstimmung wurde die Streichung der beiden Absätze in der Originalresolution abgelehnt, jedoch unsere Absätze unten hinzugefügt. Dies kommt einer Nicht-Entscheidung des Verbandstages gleich, weshalb wir hier nachhaken wollen. Aus unserer Sicht liegen hier ganz klar zwei unterschiedliche Einschätzungen der Krise vor und davon abgeleitet zwei unterschiedliche Konzepte bezüglich der Strategien unserer Organisation: Regulierung des Finanzkapitalismus oder Klassenkampf mit sozialistischer Perspektive.
Das derzeitige Stadium des weltweiten Kapitalismus ist keine normale Phase eines zyklischen Auf- und Abschwungs, sondern, ein elementarer Wendepunkt in der Entwicklung. Nach krachenden Banken stehen nun ganze Volkswirtschaften am Rande des Abgrunds. Nach Griechenland im Frühling steht nun Irland und bald Portugal unter dem EU-Rettungsschirm, der in der derzeitigen Form zu zerreißen droht, da die Krisendynamik munter weiter geht.
Zwar spricht man in Ländern wie Deutschland oder Österreich wieder von einem Aufschwung – und tatsächlich gibt es einige wirtschaftliche Indikatoren, die nach oben zeigen – jedoch handelt es sich hierbei um ein sehr zartes Pflänzchen und der „Aufschwung“ kann jederzeit verflachen und sogar sich in sein Gegenteil verkehren.
Ist die Krise wirklich das Ergebnis von zwanzig Jahren Neoliberalismus und einer falschen Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums? So stellte es der wiedergewählte Verbandsvorsitzende Genosse Moitzi in seinem Referat zur Vorstellung des Vorsitzenden dar. Wir sind überzeugt, dass diese Analyse falsch ist. Der Neoliberalismus war die Antwort der Bürgerlichen auf die Wirtschaftskrisen in den 1970er Jahren und den daraus resultierenden Staatsschulden und Währungsinstabilitäten. Während im Nachkriegsaufschwung öffentliches Eigentum notwendig war, um den Privatsektor mit billigen Rohstoffen und Infrastruktur zu versorgen, verlangte das Kapital ab den 1980er Jahren nach neuen Anlagenmöglichkeiten, ein Bedürfnis das u.a. durch Privatisierungen und Deregulierungen gestillt wurde.
Der Ruf nach dem Staat, in den „entfesselten Markt regulierend“ einzugreifen, ohne sich dabei der wirtschaftlichen Grundlagen im Klaren zu sein, degradiert uns zu utopistischen SozialistInnen, deren Ziel es ist einen Kapitalismus ohne Kapitalakkumulation, dafür jedoch mit menschlichem Antlitz zu erkämpfen und mitzuverwalten.
Die fundamentale Ursache der derzeitigen Krise, und aller ihr vorangegangen Krisen, ist nicht das Resultat fehlender (oder übermäßiger) Regulierung, sondern der dem Kapitalismus innenwohenden Überproduktion. In Wirklichkeit war das vergangene Jahrzehnt wirtschaftlichen Aufschwungs eine Mischung aus Neoliberalismus und Keynesianismus gleichzeitig. Denn ohne die massive staatliche, private und Unternehmensverschuldung, wäre diese Krise bereits viel früher ausgebrochen. Darin liegt auch die Schwierigkeit der Krisenbewältigung: alle Maßnahmen der Krisenbekämpfung (etwa die Ausweitung der Schulden) wurden bereits jahrelang angewandt um die Konjunktur am Laufen zu halten. Dies wiegt heute umso schwerer und verdüstert die konjunkturellen und damit sozialen Aussichten.
Heute keimen protektionistische Tendenzen und man befürchtet einen Währungskrieg und gegenseitige Abwertungen. Dies waren genau die Zutaten, die den Brösencrash 1929 in die Große Depression verwandelten, die erst mit dem 2. Weltkrieg überwunden wurde. Schön langsam dämmert es auch den Bürgerlichen, dass so schnell kein nachhaltiger erneuter Aufschwung vor der Tür steht.
Vor dieser Analyse meinen wir, dass wir uns auf Jahre wenn nicht Jahrzehnte veränderter Realität einstellen müssen, in denen den alten Rezepten um aus der Krise zu kommen jegliche Zutaten beraubt werden. Der Reformismus der derzeitigen Phase zeichnet sich dadurch aus, dass ihm jegliche Reformen fehlen – und sich gezwungen sieht eine Konterreform nach der anderen umzusetzen. Es genügt hier darauf hinzuweisen, dass keine Regierung der Welt, egal aus welchen Parteien sie zusammengesetzt ist, sich in ihren Anti-Krisenmaßnahmen unterscheidet. Regierungen in allen Ländern versuchen nun mit Sparpaketen die Staatshaushalte wieder in den Griff zu bekommen. Wir sehen in einem Land nach dem anderen beispiellose Kürzungen und Einschnitte in die Lebensgrundlagen der ArbeiterInnenklasse und der Jugend, Angriffe auf das Bildungssystem etc. Es kommt zu enormen Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen auf betrieblicher Ebene und zu einer Aufweichung der Kollektivverträge – kurzum, zu einer Attacke auf zentrale Errungenschaften der ArbeiterInnenbewegung.
Alle Versuche, auf diese Art und Weise das wirtschaftliche Gleichgewicht wiederherzustellen, werden das politische und soziale Gleichgewicht zerstören. In einem Land nach dem anderen werden ArbeiterInnen und die Jugend gezwungen sein ihren Lebensstandard zu verteidigen. In Ländern wie Frankreich, Portugal, Irland, Spanien, Italien, Großbritannien und anderen nahm dies schon mit Streiks, Generalstreiks und Großdemonstrationen seinen Anfang. Andere Länder, auch Österreich, werden sich dem nicht entziehen können. Deswegen ist die Diskussion der Perspektiven wirtschaftlicher und politischer Entwicklung für unsere Strategie von zentraler Bedeutung.
Sozialdemokratie
Im Kapitel „Die Sozialdemokratie zurückerobern“ des Leitantrages forderten wir die Einfügung des folgenden Satzes: „Die Krise des Kapitalismus drückt sich international aber auch in Österreich als eine Krise der Sozialdemokratie aus.“ Dies mag manchen vielleicht als Pedanterie erscheinen. Auch hier war es Genossin Breiteneder die uns Paroli bot: es habe ja bereits in den 1990ern eine Krise der Sozialdemokratie gegeben; eine „ideologische Krise“. Unserer Meinung nach manifestierte sich die ideologische Krise, ja vielmehr ihre Degeneration zu einer wichtigen systemerhaltenden Kraft bereits mit der Zustimmung der Sozialdemokratien zum Ersten Weltkrieg. Was Genossin Breiteneder offensichtlich meint ist, dass der ideologische Sündenfall mit dem Wechsel vom Keynesiamismus zum Neoliberalismus passiert sei.
Genosse Wolfgang Moitzi drückte es so aus: „Die Menschen fühlen sich von der Sozialdemokratie nicht mehr vertreten.“ Und sein Verbesserungsvorschlag: „Die SPÖ muss wieder Hoffnung vermitteln.“ Hoffnung ist tatsächlich essentiell, allerdings verankern SozialistInnen ihre Hoffnungen in der materiellen Welt und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten der ArbeiterInnenklasse und Jugend. Sonst unterscheidet sich die Partei nicht mehr von der Katholischen Kirche. Die Krise der SPÖ manifestiert sich in der Unmöglichkeit Reformen im Sinne der ArbeiterInnenklasse und Jugend durchzusetzen, oder auch nur anzudenken. Der Kapitalismus steckt in einer Sackgasse, und wer ihn nicht grundsätzlich in Frage stellt, steckt in derselben fest. Wer versucht sich an die Spielregeln zu halten, ist gerade jetzt einem Sparzwang unterworfen und muss diesen mit umsetzen. Das ist der Reformismus mit Konterreformen. Und genau deswegen fühlen sich die Menschen nicht mehr von der Sozialdemokratie vertreten.
Der Leitantrag sieht die Notwendigkeit einer „inhaltlichen und organisatorischen Neuorientierung der SPÖ.“ Aber abseits dem Bekenntnis „eine grundsätzliche Herangehensweise an die Arbeit in und mit der SPÖ zu finden“ und sozialen Protest zu unterstützen und zu organisieren, lässt der Antrag offen wie dieses Ziel erreicht werden soll. Diese Frage der Methode ist zentral, wollen wir uns nicht mit Lippenbekenntnissen zufrieden geben.
Zuerst einmal müssen wir uns klar werden darüber, was die Sozialdemokratie bzw. deren Führung derzeit darstellt. Seit mehreren Jahrzehnten ist die Sozialdemokratie in den Staatsapparat und die Wirtschaft integriert. Es entstand eine Bürokratie, die sich über die Parteibasis erhob und ihre eigenen Interessen entwickelte, die es auch zu verteidigen gilt. Zunehmend veränderte sich auch der Klassencharakter dieser Führung. Menschen aus Vorstandsetagen von Konzernen wechseln nahtlos an die Parteispitze und von dort wieder zurück.
Wie soll unter diesen Umständen eine Neuorientierung aussehen? Neben innerparteilicher Struktur- und Gremienarbeit, braucht es eine inhaltliche, organisatorische und personelle Alternative zur derzeitigen Führung. Der Aufbau von linken Strukturen und die inhaltliche Arbeit in Ortsgruppen – soll diese nicht im Einzelkampf verpuffen – muss ergänzt werden durch regelmäßige Treffen, bei denen diese Arbeit koordiniert wird. Es braucht einen organisierten linken Flügel, der inhaltlich und organisatorisch daran arbeitet, die Partei wieder zu einem Kampfinstrument der ArbeiterInnen und der Jugend zu machen.
Die SJÖ hat eine wichtige Rolle dabei gespielt den nötigen Druck in der Partei zu erzeugen, damit letztendlich am letzten Bundesparteitag die Forderung nach einer Vermögenssteuer einstimmig beschlossen wurde. Sie hat von Anfang an die Proteste gegen das Sparpaket unterstützt und mitorganisiert. Es gibt in Österreich keine andere Struktur, die den außenparlamentarischen Protest vorantreiben kann und gleichzeitig über eine innerparteiliche Verankerung verfügt, und somit die besten Voraussetzungen hat die Aufgabe zum Aufbau eines solchen Flügels zu übernehmen.
Der Klassenkampf tritt in Österreich derzeit nicht offen zu Tage wie zum Beispiel in anderen europäischen Ländern, in Form von Großdemonstrationen oder Streiks. Jedoch gibt es tatsächlich innerhalb der Partei diverse Formen von Protest und Anknüpfungspunkte für linke Politik.
Die hundertfünfzig Briefe von Ortsparteien, die das Verbandsbüro erreichten und ihre Unterstützung für die Opposition zum Sparpaket ausdrückten, zeugen wohl kaum von einer monolithischen oder apathischen Parteibasis. Bezeichnend ist auch eine auf der Bezirkskonferenz der SPÖ Freistadt (OÖ) einstimmig angenommene Resolution, die sich gegen das Sparpaket wendet und im Falle einer Nichterfüllung ihrer Forderung eine sofortige Auflösung der Koalition mit der ÖVP fordert. Eine ähnliche Resolution wurde vor kurzem in Wels und anderen oberösterreichischen Ortsparteien und Sektionen verabschiedet. Selbst der Vorsitzende der SPÖ Vorarlberg postete vor kurzem auf seiner Facebookseite, dass eine soziale Politik mit der ÖVP nicht zu machen sei und ein frühes Ende dieser Koalition besser sei als ein spätes. Solche Initiativen gälte es aufzugreifen. „Und wer, wenn nicht wir soll diesen Kurswechsel erreichen?“ so fragen wir uns in unserem Leitantrag, dann nehmen wir uns ernst und geben den kritischen Stimmen in der Partei einen organisierten Ausdruck!
Die Denkfabriken sind in der derzeitigen Form nicht viel mehr als ein Diskussionsforum, in dem nebenbei bemerkt bürgerliche Politikkonzepte durch sogenannte „ExpertInnen“ offen zur Diskussion gestellt werden konnten (siehe Bericht vom „Antragskongress“). Gerade bei den Auseinandersetzungen rund um das Sparpaket haben die „Denkfabriken“ jedoch keine Rolle gespielt. Wir müssen uns andere Konzepte überlegen, wenn wir eine schlagkräftige Linke wollen.
In einem Antrag, der auf der Wiener Landeskonferenz eine Woche vor dem Verbandstag gestellt wurde, heißt es:
Würde die SJ sich ihrer Brückenfunktion auch innerhalb der ArbeiterInnenbewegung und ihrer Organisationen bewusst werden, würde man in ein solches Projekt die gleichen Ressourcen und dieselbe Öffentlichkeitsarbeit hineinstecken, ist der Aufbau eines linken Flügels realistisch.
Rot-Grün oder Minderheitsregierung
Konsens herrscht in der SJ darüber – und die Stimmen in der Sozialdemokratie werden dahingehend auch immer lauter –, dass mit der ÖVP keine soziale Politik zu machen ist. Die SJÖ steht für ein Ende der großen Koalition ein. Der Leitantrag fordert „eine fortschrittliche Mehrheit in Österreich, wie sie zum Beispiel in Wien mittels Rot-Grün realisiert wurde“.
In einem anderen Antrag des Verbandsvorstandes mit dem Titel „Für eine Koalition der sozialen Wende unter Führung der SPÖ“ heißt es:
Um den AntragsstellerInnen nicht unrecht zu tun, eins vorneweg: der bürgerliche Charakter der Grünen ist ihnen sehr wohl bewusst. Die GenossInnen der Funke-Strömung haben aber in dieser Frage eine andere Herangehensweise. Aber zuerst möchten wir einen Kommentar von Genossen Martin Zuba in der aktuellen Ausgabe unserer Zeitung (Funke Nr. 100) wiedergeben:
Tatsächlich lässt der Koalitionspakt auf einige fortschrittliche Maßnahmen hoffen, die es mit der ÖVP nicht gegeben hätte. In der Bildungspolitik sind der flächendeckende Ausbau der Ganztagsschulen und zusätzliche Mittelschulen geplant. Mit der Anhebung des Kinderbeitrags der bedarfsorientierten Mindestsicherung wird ein Schritt in Richtung Armutsbekämpfung gesetzt.
Trotzdem sind allzu große Hoffnungen fehl am Platz. Die Erfahrungen mit Mitte-Links-Koalitionen in anderen Ländern zeigen nämlich, dass diese keine Garantie für nachhaltige linke Politik darstellen. Unter dem Druck von Budgetknappheit und Wirtschaftslobbyismus setzen diese Koalitionen in der Regel Privatisierungs- und Sozialabbauprogramme um, die denen rechter Parteien um nichts nachstehen. Wird nämlich die kapitalistische Profitlogik erst einmal als gegeben akzeptiert (und das tut die Führung der SPÖ und es entspricht dem Selbstverständnis der Grünen als bürgerlicher Partei), diktiert der Sparzwang von der Bildungs- bis hin zur Sozialpolitik alle wesentlichen Programme.
In Wien stellt die Wirtschaftskrise die Regierung vor genau dieses Problem: Linke Politik will auch finanziert werden, und selbst Rot-Grün kann nicht sowohl die Interessen der Wirtschaft als auch der ArbeiterInnen, Jugendlichen und PensionistInnen vertreten. Dementsprechend bereiten die Grünen auch schon ihren Rückzug von ihrem Prestigeprojekt vor: Die 100-Euro Jahreskarte der Wiener Linien wird unter den momentanen Umständen nicht finanzierbar sein. Die Aufgabe sozialdemokratischer Politik, die diesen Namen verdient, wäre aber eben genau die Veränderung aller Umstände, die den Interessen der Lohnabhängigen zuwiderlaufen – also das Durchbrechen der Profitlogik und die Umsetzung eines Sozialprogrammes, das von den VerursacherInnen der Krise finanziert wird. Mit den Breitner-Steuern des Roten Wien gibt es in der SPÖ diesbezüglich die besten Traditionen.
Eine inhaltliche Erneuerung der Partei, heute notwendiger denn je, wird durch das rot-grüne Projekt nicht von alleine kommen. Die müssen die Linken in der SPÖ schon selbst erkämpfen.
Das Problem bei den Gedankenexperimenten rund um die Frage, welcher Koalitionspartner das geringere Übel sei, ist, dass sie voll und ganz in der Logik der Wahlarithmetik gefangen sind. Die Linke muss sich die Aufgabe aber unserer Meinung nach folgendermaßen stellen: Wie machen wir die Sozialdemokratie wieder zu einer schlagkräftigen und starken Organisation der Lohnabhängigen? Wir finden, dass die einzigen Koalition auf die es ankommt jene ist, sich wieder Mehrheiten auf der Straße, in den Betrieben und Schulen zu suchen. In einem unserer Anträge mit dem Titel „Die Rolle und die Aufgaben der SJ im Kampf gegen das Sparpaket“ heißt es:
Die derzeitige Führung der SPÖ würde diesen Weg jedoch von sich aus nie beschreiten. Sie hat sich mit Haut und Haaren der derzeitigen Koalition mit der ÖVP verschrieben um weiterhin an den Futtertrögen der Macht mitnaschen zu dürfen. Längst stehen sie stärker unter dem Einfluss der Bürgerlichen als der eigenen Basis. Letztere muss nicht nur gegen die ÖVP, die dieses Sparpaket fordert, sondern auch gegen die SPÖ-Führung, die dieses unwidersprochen mitträgt, ankämpfen. Die Sozialistische Jugend muss die Proteststimmen in der Partei bündeln und ihnen bundesweit einen organisierten Ausdruck geben. Es ist ein guter Anfang einzelne GenossInnen in den Sektionen und Bezirken davon zu überzeugen, dass die derzeitige Politik der Führung gegen ihre eigenen Interessen geht. Doch es geht nicht nur darum, dass unsere Stimmen in der Partei wieder vermehrt gehört werden. sondern auch, dass wir uns gemeinsam mit allen kritischen GenossInnen zusammenschließen und eine politische Alternative zur jetzigen Parteiführung aufbauen.“
Das langfristige Ziel ist nicht eine Minderheitsregierung, sondern es geht darum mit einer Politik der Propaganda der Tat Mehrheiten zu erringen. In einer Koalition mit bürgerlichen Parteien – will man den Burgfrieden nicht gefährden – müssen immer Abstriche am Programm gemacht werden. So wird auch innerparteilich die Nichtumsetzung der Bundesparteitagsbeschlüsse gerechtfertigt. Eine Sozialdemokratie, würde sie wirklich konsequent die Interessen der ArbeiterInnen und der Jugend vertreten, sollte zum Beispiel auf Grundlage des 8-Punkte-Programms des Parteitages mit eigenständigen Gesetzesinitiativen versuchen im Parlament, in den Betrieben, Schulen, Unis und auf der Straße Mehrheiten zu erkämpfen. Wenn im Nationalrat keine Mehrheiten für fortschrittliche Politik zu finden sind, muss die SPÖ nach außen gehen, die anderen Parteien entlang der sozialen Frage zu spalten versuchen. Dabei muss sie auch bei sozialen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen präsent sein und diese aktiv unterstützen – wie zum Beispiel die derzeitigen Streiks im Sozialbereich in Oberösterreich. Würde die Partei solch ein Programm wirklich konsequent zu Ende denken und führen, würden die Mehrheitsverhältnisse nach den nächsten Wahlen bestimmt ganz anders aussehen.
Europäische Union
Die SJ Niederösterreich reichte einen Antrag mit dem Titel „Soziale Sicherheit, Vollbeschäftigung und gerechte Vermögensverteilung auf europäischer Ebene“ ein. Zurecht beklagt der Antrag die fortschreitenden Privatisierungen, Deregulierungen und Liberalisierungen auf europäischer Ebene und die Tatsache, dass die Konservativen in mehreren Ländern bei den letzten Wahlen gestärkt hervorgegangen sind. Daraus folgert der Antrag: „Daher ist es umso wichtiger, dass sozialistische und sozialdemokratische Parteien der Mitgliedsländer und die PES ihre Vorstellung einer sozial gerechten und nachhaltigen Europäischen Union überdenken und verstärkt gegenüber der Bevölkerung artikulieren.“
In den folgenden mehr als zwanzig Forderungspunkten zu den Bereichen öffentliche Dienstleistungen, Steuer-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik fordert der Antrag unter anderem eine Stopp von Privatisierungen, eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, eine Schließung der Steueroasen, „ein klares Bekenntnis der Europäischen Union, Armut in den einzelnen Mitgliedsstaaten drastisch zu reduzieren“, usw. Weiters solle „die Finanzierung des Sozialstaates überdacht“ werden.
Im Folgenden geben wir so gut es geht die Wortmeldung eines Genossen der SJ Linz/Römerberg wieder:
Genossinnen und Genossen: Das ist dasselbe wie von einem Tiger zu verlangen, dass er Vegetarier werden soll. Die EU ist ganz klar ein Projekt des Kapitals. Sie ist kein Friedensprojekt, sondern de facto ein Staatenbündnis, um im internationalen Wettbewerb gegen die USA, Japan und anderer Staaten zu bestehen. Und das ist kein gleichberechtigtes Bündnis von den verschiedenen nationalen Kapitaleliten, sondern die wirtschaftlich stärksten – allen voran Deutschland – geben den Ton an. In der Krise tritt ganz deutlich hervor, dass die wirtschaftlich schwächsten unter die Kontrolle von de facto Deutschland gestellt werden – wie z.B. Griechenland und Irland. Das Vertrauen in die EU ist europaweit erschüttert. Die Leute spüren mehr denn je, was der eigentliche reaktionäre Charakter der EU ist.
Wenn wir nach außen gehen mit der Botschaft, die EU kann theoretisch ihren Charakter ändern, dann schüren wir Illusionen, die unbedingt enttäuscht werden müssen.
Was soll unsere Position anstatt dessen sein? Eine aktive Kampagne für einen Austritt wäre genauso falsch, weil das keinen Schritt nach vorne bedeuten würde. Die Angriffe gehen nicht von der EU per se aus, sondern vom Kapital. Es gibt hier keine einfache Antwort. Aber wir brauchen eine Perspektive – und die sieht so aus: Ab dem Zeitpunkt, wo die erste Regierung mit sozialistischem Programm an die Macht kommt, wird die Frage konkret gestellt. Diese Regierung würde in einem Aufruf die Arbeiterinnen und Arbeiter anderer Staaten auffordern sich ihr anzuschließen und auf dieser Grundlage eine echte Einheit unter dem Banner der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa aufbauen.“
Bereits oben haben wir die derzeitige Krise des Kapitalismus skizziert, die vor allem Europa schwer erschüttert. Der 750 Milliarden Euro Rettungsschirm reicht vielleicht noch aus um Griechenland, Irland und Portugal aus für eine Zeit lang finanziell unter die Arme zu greifen. Wenn aber jetzt auch noch Spanien vor der Pleite steht, ist das etwas grundlegend anderes. Spanien ist die viertgrößte Wirtschaft in Euroraum, mit einem BIP und einer Bevölkerung die größer sind als die der drei vorher genannten Länder.
Außerdem steht die Zukunft des Euros selbst in den Sternen. Die Gemeinschaftswährung von fundamental unterschiedlichen Volkswirtschaften, die es alle in eine andere Richtung zieht, hat zwar in den Aufschwungjahren funktioniert. Die Krise stellt diese Währung aber nun vor eine schwere Belastungsprobe. Einzelne Länder können ihre Währungen zum Beispiel nicht mehr einfach abwerten, um durch Inflation ihre Staatsschulden zu verringern. Zieht es ein Land nach unten, folgen andere. Die EU ist derzeit bemüht die Übertragung der „Ansteckung“ einzudämmen. Doch keiner weiß, ob ihr das gelingen wird. (Zu den Perspektiven des europäischen Kapitalismus siehe auch „Europa in der Krise“)
Die bürgerliche Demokratie ist ein sehr fragiles Gebilde. Im Perspektivdokument der Internationalen Marxistischen Strömung (Teil 1, Teil 2, Teil 3), wird erläutert, dass im Zuge der Krise Demokratien, in der Form wie wir sie kennen, in Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal kollabieren könnten. Dass man sich dies nicht ganz einfach aus der Nase zog, bestätigte vor kurzem die spanische Regierung. Diese beendete einen Streik der FluglostInnen, indem sie die Flugsicherung unter Militärkontrolle stellte. In solch einer Phase Forderungen an die EU zu richten, die diese sozialer gestalten sollen, ist in Wahrheit bei weitem utopischer, als ein grundlegend anderes Wirtschaftssystem auf sozialistischer Grundlage zu fordern.
Theorie und Praxis
Wir als Sozialistische Jugend Österreich stehen nun vor einer großen Herausforderung. Nach der linken Wende 2000 gelang es uns die SJ wieder als eine schlagkräftige Organisation unter Jugendlichen zu positionieren. Nachdem die SPÖ seit 2007 wieder in der Regierung sitzt, wurde auch wieder der bürokratische Druck (der in Wirklichkeit die Interessen der österreichischen Bourgeoisie zum Ausdruck bringt) spürbar und es wurde vermehrt versucht „Realpolitik“ zu machen. Dies beinhaltete auch das bürokratische „Zurechtstutzen“ der linken Oppositionen, angefangen mit dem mehrmonatigen etappenweise umgesetzen Putsch in der SJ Floridsdorf, dem Ausschluss der SJ Römerberg aus dem Bezirk Linz, die Beendigung der finanziellen Solidarität des Verbandes mit der SJ Vorarlberg, bis zum Putsch in der SJ 17 und der aktuellen Gängelung der AKS in Wien.
Die tiefere Ursache der Anwendung dieser unakzeptablen Methoden liegt darin, dass der Widerspruch zwischen marxistischem Anspruch und reformistischer Praxis Lösungen sucht. Wir sind der Überzeugung, dass der einzig fruchtbare Umgang mit Meinungsverschiedenheiten und unterschiedlichen Ideen im freien Wettbewerb der Ideen, bei gleichzeitiger gemeinsamer politischer Aktion, besteht. Die Krise des Kapitalismus und der Sozialdemokratie wird in den kommenden Jahren viele Herausforderungen, Möglichkeiten aber auch Gefahren mit sich bringen. Wir werden die Kraft, den Einsatz und den Enthusiasmus aller GenossInnen brauchen, wenn wir die Emanzipation der Menschheit erringen wollen.
In etlichen Bundesländern wurden viele neue Ortsgruppen und Strukturen aufgebaut und neue Mitglieder gewonnen. Auch der Verbandstag hat gezeigt, dass sich viele enthusiastische und motivierte GenossInnen in unseren Reihen befinden. Mit der Lehrlingskampagne wollen wir uns auch wieder verstärkt in der ArbeiterInnenjugend verankern.
Die klare Positionierung gegen das Sparpaket und somit die Kritik an der Politik der Sozialdemokratie unterstreichen die Richtigkeit des Satzes im Antrag zu „10 Jahre linke SJ“, indem es heißt: „Das Konzept und Wunschbild mancher in der Partei von der frommen Parteijugend lehnen wir mit aller Entschiedenheit ab.“ Doch in diese Richtung gilt es jetzt konsequent zu Ende zu denken. Die SPÖ-Führung setzt nicht erst seit diesem Budgetentwurf die Politik der Bürgerlichen um und richtet sich selbst somit immer mehr zugrunde. Dass es hier nicht stehen bleiben wird, zeigt die aktuelle Debatte um die Wiedereinführungen der Studiengebühren, bei der alle Dämme gebrochen sind. Wollen wir unsere Worte nicht zu leeren Floskeln verkommen lassen, müssen wir nun mit aller Kraft die Parteilinke organisieren und in Opposition zur derzeitigen Parteiführung gehen. Die symbolische Übergabe von Boxhandschuhen an Kanzler Faymann – um sich bei den nächsten Verhandlungen gegen die ÖVP besser durchsetzen zu können – ist dabei zu wenig. Nicht ihm sollte unsere Aufmerksamkeit gewidmet sein, sondern den unzähligen GenossInnen an der Basis, den GewerkschaftsaktivistInnen, BetriebsrätInnen und auch FunktionärInnen, deren kritische Stimmen nicht gehört werden und sie vermehrt der Partei den Rücken kehren. Als SJ besitzen wir die nötige Infrastruktur und Ressourcen um die Linke auch bundesweit zu vernetzen.
Mit diesem Artikel hoffen wir einen Beitrag zu leisten in der Diskussion darüber, wie unsere Organisation sich theoretisch und methodisch in Zukunft ausrichten soll, und wir hoffen, dass diese Diskussion auch nach dem Verbandstag weiterhin lebendig in unsere Reihen geführt wird.
Siehe auch die Sonderseite zu 10 Jahre linke SJ