Am 11. Jänner fand eine Betriebsversammlung der Fahrradkuriere im Lieferando-Hub in Graz mit 40 KollegInnen statt. Markus Glanzer berichtet.
Immer mehr prekäre Branchen zeichnen sich durch eine neu erwachte Kampfbereitschaft aus. In Österreich sorgen seit geraumer Zeit vor allem die Fahrradkuriere für Aufmerksamkeit. Das ist kein Zufall. Denn die Angriffe der Kapitalisten auf den ohnehin schon mageren Lebensstandard dieser ArbeiterInnen werden immer aggressiver. So fordern nun bei den KV-Verhandlungen WKO und Lieferando, dessen Mutterkonzern Just Eat Takeaway im Zuge der Corona-Pandemie fette Gewinne erzielen konnte, einen massiven Reallohnverlust. Sie bieten bei weiterhin sehr hoher Inflation eine Lohnerhöhung von gerade einmal 2,5%. Gleichzeitig verbinden sie das mit der Forderung nach einer Reduktion des Kilometergeldes sowie der Streichung der Wochenend- bzw. Feiertagszulage. Die Gewerkschaft will sich aber mit einer Lohnerhöhung von unter 8,7% nicht zufrieden geben.
Dass die Lieferando-Geschäftsführung dem Betriebsrat auch noch die Daten der KollegInnen verweigert hat, um so die Organisierung einer Betriebsversammlung zu sabotieren, brachte das Fass zum Überlaufen. Das wollten die Rider nicht hinnehmen. Zur Organisierung der Belegschaft schufen sie den Newsletter „Out Of The Kitchen“ und mobilisierten selbst für die Versammlung.
Bei der Eröffnung der Betriebsversammlung zeigte sich der Betriebsrat kampfbereit:
„Die erste Verhandlungsrunde war am 29. November. Die Betriebsversammlungen haben da den Betrieb in der ganzen Stadt für eine Stunde lahmgelegt. Jetzt gerade halten wir diese Versammlung abseits der Hauptgeschäftszeiten ab, aber wenn die Wirtschaftskammer nicht einlenkt, werden wir diese Versammlungen während der Stoßzeiten halten und deren Dauer ausweiten, bis wir in einem echten Streik landen.“
Dieser Plan wurde von den KollegInnen mit Begeisterung und einstimmig angenommen. Sie wollen sich nicht mehr mit Hungerlöhnen und unsicheren bzw. gefährlichen Arbeitsbedingungen abspeisen lassen. So befinden sich im Forderungskatalog auch Schlechtwetterzulagen, Definition von Standards zur Betriebssicherheit der Fahrräder etc. Die kämpferische Stimmung unter den KollegInnen lässt sich auch daran ablesen, dass wir bei der Versammlung neun „Der Funke“ verkauft haben.
Von der Dynamik der Fahrradkuriere war Vida-Steiermark-Landessekretär Hans-Peter Weikl sichtlich überrascht: „Bei den Ridern ist es normalerweise extrem schwer, überhaupt zehn Leute in einen Raum zu bekommen.“ Tatsächlich stellen hohe Fluktuation der Belegschaft und Sprachbarrieren ein Hindernis bei der Vernetzung und der Organisation dieser migrantisch geprägten Berufsgruppe dar. Doch die AktivistInnen setzen Initiativen, diese Hürden selbst zu durchbrechen. So wurde eine Flüsterübersetzung der Betriebsversammlung ins Englische organisiert und mittels Newsletter-Registrierung die Sammlung von Kontaktdaten der KollegInnen durchgeführt.
Diese Möglichkeiten haben die Rider von Foodora, einer Lieferplattform des Konzerns Delivery Hero, der neben Just Eat Takeaway ebenfalls eine marktführende Stellung in Österreich einnimmt, nicht. Sie sind äußerst prekarisierte Scheinselbstständige. In Innsbruck wurden vier Rider, die sich an einer Protestversammlung beteiligten, darauf gekündigt. Die Gewerkschaft muss sich für die Einbindung dieser KollegInnen in den Kollektivvertrag einsetzen und die aktuellen Verhandlungen damit verknüpfen. Denn die Mobilisierung der gesamten Branche würde die Kampfkraft – dadurch auch die Aussicht auf den Sieg – deutlich erhöhen. Oder wie es der Lieferando-Betriebsrat ausdrückte: „Wir brauchen jede mögliche Unterstützung für diesen Kampf.“
(Funke Nr. 220/26.1.2024)