Beschäftigte aller Branchen stehen seit Monaten enorm unter Druck. Jetzt wandelt sich Frust in Zorn. In den Betrieben kriselts und schepperts. Die Gewerkschaften haben es in der Hand, eine Trendumkehr an den Arbeitsplätzen einzuleiten – indem sie die einzelnen Kämpfe vereinen. Von der Funke-Redaktion.
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Weltweit sehen wir eine Zunahme von Klassenkämpfen und Streiks: In den USA begingen 100.000 ArbeiterInnen einen regelrechten „Streiktober“, vom Gesundheitsbereich, über Bau, Bergbau bis zur Entertainmentindustrie und der Lebensmittelverarbeitung.
In der Türkei markiert eine Streikwelle eine Trendwende im Klassenkampf, an dem sich Bauarbeiter, Textil-, Gesundheits-, Fluglinien- und ArbeiterInnen aus weiteren Branchen beteiligen. In Südkorea folgten am 20. Oktober 80.000 GewerkschafterInnen einem Streikaufruf der Korean Confederation of Trade Unions (KCTU).
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Österreich ist von der generellen Dynamik nicht ausgenommen, auch hier spitzt es sich zu.
Die vergangen 20 Pandemiemonate stecken noch allen in den Knochen und nirgends ist eine Besserung in Sicht. Die Arbeit unter Pandemiebedingungen ist erschwert und gesundheitsgefährdend. Trotzdem wurde sie extrem verdichtet, egal ob in der Industrie, am Krankenbett, im Homeoffice oder im Büro, es wird rund um die Uhr gearbeitet. Überall herrscht permanenter Personalmangel und Unterbesetzung. Supportstrukturen für Kinderbetreuung und familiäre Pflege sind völlig unzureichend. Die finanzielle Entschädigung für die permanente Mehrleistung (Stichwort Covid-Bonus) blieb aus. Die Kurzarbeit, Wegfall von Überstunden und Trinkgeldern haben zu milliardenschweren finanziellen Einbußen für die ArbeiterInnen geführt.
ArbeiterInnen wissen, dass ihre Unternehmen gleichzeitig unbeschadet durch die Krise gekommen sind. Die üppigen Zahlungen der staatlichen COVID-Förderungen haben im letzten Jahr trotz Konjunktureinbruchs zu einer Steigerung der Unternehmenseinkommen geführt! Um 5,1 Mrd. € sind die Unternehmensgewinne gestiegen, wie die AK Wien berechnet hat. Betriebe wie KTM haben im Krisenjahr 2020 Rekordausschüttungen an die Aktionäre geleistet.
Im Frühjahr ist die Konjunktur mit der Aufhebung der Lockdowns massiv angesprungen, überall wird produziert, dass die Maschinen glühen – sofern genügend Vorprodukte eingekauft werden können. Die Preise steigen massiv an, ohne dass ein Ende der Preisspirale absehbar wäre. Vor allem die Energiekosten, Lebensmittel und Mieten, also alles das wofür ArbeiterInnen fast ihr gesamtes Lohneinkommen ausgeben, verteuern sich stark.
Gleichzeitig wurde uns mit einem Schlag deutlich vor Augen geführt, dass die hohe Politik eine Schlangengrube von Egoisten, umgeben von Profiteuren in Wirtschaft, Wissenschaft und Medien ist. Diese Leute kennen kein Gesamtwohl einer Gesellschaft, sie interessieren sich nur für ihr eigenes Fortkommen und formen jede „öffentliche Meinung“ zugunsten des Profits der herrschenden Klasse.
Alles zusammen ergibt eine explosive Stimmung. Die Fronten der Klassen – Kapitalisten vs. Arbeiter – verhärten sich.
Kollektivverträge (KVs): Aggressive Unternehmer
Die Metaller-Kollektivvertrags-Verhandlungen wurden am 21.10. nach drei Runden unterbrochen. Das „Angebot“ der Unternehmen ist eine Provokation: ein Lohnplus von 2,3% bei aktueller Inflation von über 3% – Tendenz steigend. Die Ausweitung der 60-Stundenwoche und der Sonntagsarbeit stehen auch auf dem Menüplan der Unternehmer, die in der Mobilisierung der Gewerkschaften rein „politische Motive“ vermuten.
In den letzten Tagen fanden Betriebsrätekonferenzen der Metaller in den Bundesländern statt, die sehr gut besucht waren. Nach der Vereinzelung der vergangenen Jahre gibt es ein starkes Bedürfnis, gemeinsam das Abbröckeln der Arbeitsbedingungen zu stoppen und womöglich umzukehren.
Betriebsräte-Konferenz in Vorarlberg: gut besucht.
In den Tagen von 27.10-29.10 werden in hunderten Betrieben Betriebsversammlungen abgehalten, in einigen Betrieben auch als öffentliche Kundgebungen. Für 3. November sind Warnstreiks angekündigt, falls die Unternehmen in der (wahrscheinlich) am 2. November stattfindenden 4. Verhandlungsrunde nicht einlenken.
Die Anzahl der Betriebsversammlungen und ihr Charakter werden von beiden Verhandlungsteams genau analysiert werden. Die Unternehmer wollen die größtmögliche Schwächung der Gewerkschaftsbewegung und werden jede Schwäche ausnützen, um ihre Betriebsdiktaturen zu stärken.
Während die Unternehmer sich in diesem Ansatz einig sind, zeigten sich auf den Betriebsrätekonferenzen Auffassungsunterschiede über den Charakter und Ausgang der Verhandlungen.
GPA-Chefverhandler Dürtscher verglich die 4,5% Forderung mit dem Verkauf eines Gebrauchtwagens, wo man auch den Preis höher ansetzt, als das eigentliche Ziel. Einige Betriebsräte sehen das ganz anders, für sie ist es eine Mindestforderung, und viele halten die Forderungen für deutlich zu niedrig angesetzt. Je näher man an die Hallen kommt, desto klarer wird dies zum Ausdruck gebracht: 4,5% ist gar nicht viel, sondern das Mindeste.
Die Aufzug-Monteure, der bestorganisierte und kämpferischste Sektor der Wiener Metaller, warnte die Verhandler, die Monteure diesmal nicht zu übersehen: „Die Aufzügler sind die Speerspitze, aber wenn man die weiter hintenanstellt, wird diese Klinge bald stumpf.“ Allzu oft standen diese KollegInnen in den vergangen 10 Jahren bereit, einen militanten Arbeitskampf durchzusetzen, aber noch nie kam das grüne Licht dafür, sondern ein fauler Kompromiss in der letzten Verhandlungsrunde.
Ein Kollege von den Aufzügen erhebt das Wort bei der Wien/NÖ-BR-Konferenz. Foto: PRO-GE (flickr)
Daher werben wir weiter dafür, dass nach jedem Abschluss eine Urabstimmung in den Betrieben (oder unter den Gewerkschaftsmitgliedern) abgehalten werden muss. Nur das garantiert, dass man das Maximum aus den Verhandlungen rausgeholt hat. Dass man dafür nicht auf einen Beschluss der Gewerkschaftsseite warten muss, machten 10 Betriebsräte im Wiener Sozialbereich vor, die eine selbstorganisierte Urabstimmung zum KV-Abschluss 2019 durchgeführt haben.
Dasselbe gilt für jede Ebene des Betriebes und der Gewerkschaft: Man muss nicht darauf warten, dass der/die Vorsitzende was macht, sondern es gilt selbst Stimmung zu machen und die Stimme zu erheben: Die eigenen Forderungen auf Schildern und Transparenten sichtbar machen, Anträge in Betriebsversammlungen stellen, sich mit KollegInnen absprechen …
Die Metaller-Verhandlungen sind die wichtigste KV-Auseinandersetzung, aber auch bei den Brauereien, den Eisenbahnen (dritter Termin 11.11.21) und im Handel (erster Termin 21.10.) stocken die Verhandlungen.
Die Zusammenführung dieser Auseinandersetzungen zur gemeinsamen Stärkung liegt auf der Hand.
Heldinnen der Pandemie, jetzt auch auf der Straße
Monatelang haben das Gesundheits- und Kindergartenpersonal ihre Gesundheit und Nerven dem Dienst der Allgemeinheit geopfert, jetzt gehen sie auf die Straßen. Aufgerufen von der KPÖ Steiermark, unterstützt vom FSG, versammelten sich am 19. Oktober 400 PflegerInnen vor dem steirischen Landtag.
In Innsbruck organisierte die GPA eine (kleine) Kundgebung. Am 21.10. gingen Beschäftigte der Privatspitäler in Oberösterreich vor die Tore, um darauf aufmerksam zu machen, dass „sie am Burn-out“ stehen. Sie riefen dabei die Bevölkerung zur COVID-Impfung auf, als Mittel gegen den Zusammenbruch des Gesundheitssystems.
Es wird nicht bei diesen Aktionen bleiben, denn überall in diesen Bereichen sind die Kolleginnen am Limit, es ist 5 nach 12 und die vierte COVID-Welle hebt ab.
Der Zorn verlangt Resultate – mit Verhandlungs- und Sozialpartnerschaftslogik brechen!
Wie zornig die Stimmung in der Arbeiterklasse gesamthaft ist, zeigt auch ein Leserbrief an uns von einer Betriebsversammlung eines Chemie-Unternehmens in Wien. Abseits von KV-Verhandlungen haben sich hier viele KollegInnen zu einer Betriebsversammlung eingefunden, um den Betriebsratsvorsitzen zu „roasten“, weil er es nicht schafft, in Verhandlungen mit dem Management die Arbeitsbedingungen zu verbessern und die Arbeitszeit zu verkürzen.
Dass der Druck der Beschäftigten auf die behäbigen gewerkschaftlichen Apparate wirkt, zeigt sich etwa im Sektor des Sozial- und privaten Pflegebereiches. Die Lage in vielen Betrieben ist hier u.a. wegen des Personalmangels extrem angespannt. Die Gewerkschaft GPA ruft daher bereits Anfang November in Wien zu einer Betriebsrätekonferenz auf, um wieder in Kontakt mit der Situation „on the ground“ zu kommen und um die SWÖ-KV-Runde 2022, die erst in vielen Monaten beginnt, vorzubereiten.
Der unrühmliche Beiseitetritt von Sebastian Kurz ist ein Faktor dafür, dass die Gewerkschaften dem Druck der KollegInnen an der Basis nun nachgeben und Aktionen organisieren. Sie sehen in der Krise der ÖVP nun die Möglichkeit, stärker in die Regierungsgeschäfte eingebunden zu werden und so die soziale Frage am „Verhandlungstisch“ zu entschärfen.
Das heißt, dass die Orientierung der Gewerkschaften in allen Bereichen ist, die „Sozialpartnerschaft“ wieder herzustellen.
Im Kindergartenbereich erheben die Gewerkschaften die Forderung, im Bildungsministerium zum Beirat für Elementarpädagogik eingeladen zu werden. Unter Druck der tausenden Kindergartenpädagoginnen in Wien wurde dies nun durchgesetzt. Bildungsminister Heinz Faßmann war „not amused“ ob der zornigen „Kindergärtnerinnen“ vor seinem Ministerium.
Auch im Gesundheitsbereich versuchen die Gewerkschaften die Offensive Gesundheit wieder zu reaktivieren. Auch hier geht es darum die Verhandlungen im Gesundheitsministerium wieder anzuschieben.
Aus dieser Logik heraus verzichten die Gewerkschaftsführungen bisher darauf die einzelnen Kämpfe zusammenzuführen. Stattdessen halten sie die einzelnen Kämpfe künstlich voneinander getrennt – teilweise sogar innerhalb eines Sektors (etwa: zwei getrennte Demos der KindergärtnerInnen)! Das hilft nur den Unternehmen und der konservativen Regierung der Reichen.
Der Funke beteiligt sich aktiv an allen Kämpfen, in den Betrieben und Branchen, in den wir präsent sind, und durch die Organisierung von Solidarität von „außen“, auch aus der Jugend. Aber es ist klar, dass die entscheidende Verantwortung bei den Gewerkschaftsspitzen liegt. Was es braucht, ist eine gemeinsame Offensive der Arbeiterbewegung.
- Kein KV-Abschluss ohne Urabstimmung!
- Für eine österreichweite Konferenz der Betriebsräte- und AktivistInnen der Arbeiterbewegung, um all diese Kämpfe zusammenzuführen!
- Auch MandatarInnen der Arbeiterparteien SPÖ und der KPÖ sollten dazu eingeladen werden, um eine gemeinsame gewerkschaftlich-politische Offensive der Lohnabhängigen einzuleiten.
Nach vier Jahren Kurz-Regierung(en), der Vereinzelung in der Pandemie und der galoppierenden Teuerung kann man jetzt eine Schubumkehr einleiten. Dies ist notwendig, und die Zeit dafür ist reif:
- Nein zur Spaltung, egal welche Branche, egal welche Gewerkschaft, egal welche Fraktion:
- Für eine gemeinsame Offensive der Arbeiterbewegung!