Das folgende Dokument wurde im Herbst 2019 verfasst und im Jänner 2020 bei einem internationalen Redaktionstreffen der IMT bestätigt.
Obwohl dieser Weltperspektiv-Entwurf lange vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie und den aktuellen Ereignissen verfasst wurde beschreibt es die unterliegenden Widersprüche, die in der gegenwärtigen Krise zutage treten. Wir empfehlen all unseren LeserInnen, dieses Dokument zu studieren, um die aktuelle Lage tiefgehender zu verstehen.
Inhalt des Dokuments:
Das Manifest der kommunistischen Partei beginnt mit dem geflügelten Satz: “Ein Gespenst geht um in Europa.” Dieser Satz wurde im Jahr 1848 verfasst, ein Jahr der revolutionären Aufstände in Europa. Doch mittlerweile geht das Gespenst nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt um: Das Gespenst der Revolution. Die Weltrevolution ist nicht nur eine hohle Phrase, sondern eine akkurate Beschreibung der Periode, in die wir jetzt eintreten.
Rekapitulieren wir die Ereignisse der letzten zwölf Monate. Revolutionäre Aufstände sind in Frankreich, Katalonien, Iran, Sudan, Algerien, Tunesien, Hong Kong, Ecuador, Chile, Haiti, Irak und im Libanon ausgebrochen, wo die Massen auf die Straßen gegangen sind und Generalstreiks die Länder zum Stehen gebracht haben. In Venezuela wurde ein konterrevolutionärer Putsch besiegt, den der US- Imperialismus gestützt hatte.
In Frankreich hat die Gelbwestenbewegung die bürgerlichen Kommentatoren überrascht. Vor diesem Massenaufstand schien alles nach dem Plan der „politischen Mitte“, verkörpert von Emmanuel Macron, zu laufen. Seine Reformen (die in Wirklichkeit Konterreformen sind) sind glatt durchgegangen. Die Gewerkschaftsführer übernahmen Verantwortung (d.h. sie kapitulierten). Dies wurde jäh unterbrochen, als die Massen in der besten revolutionären Tradition Frankreichs auf die Straßen gingen und die Regierung bis aufs Mark erschütterten. Diese Millionenbewegung schien aus dem Nichts entstanden zu sein, wie ein plötzlich aufziehendes Gewitter am blauen Himmel.
Das Gleiche traf auch für Hong Kong zu. Jeder, der bezweifelt, dass heutzutage ein revolutionäres Potenzial vorhanden ist, sollte diese Ereignisse genau studieren. Zuvor schienen die Männer in Peking und deren lokale Agenten die volle Kontrolle zu haben. Doch es entstand eine mächtige Massenbewegung von Millionen von Leuten, die diese ungeheure Diktatur auf den Straßen herausforderte. Und wie in Frankreich schien sie aus dem Nichts zu kommen. Dasselbe gilt für die restlichen Massenbewegungen, die in einem Land nach dem anderen ausbrachen.
Trotzki sagte einmal, dass Theorie die Überlegenheit der Voraussicht gegenüber dem Erstaunen ist. Der plötzliche gewaltsame Ausdruck der Unzufriedenheit der Massen überrascht die Bourgeoisie und ihre gekauften „Experten“ jedes Mal. Der Grund dafür ist, dass die bürgerlichen „Experten“ keine Theorie besitzen (außer der Theorie, dass jede Theorie unbrauchbar ist) und daher unentwegt überrascht sind, wenn die Ereignisse eskalieren. Die hohlen Empiriker der Bourgeoisie betrachten nur die Oberfläche der Ereignisse (die „Fakten“). Sie machen sich nicht die Mühe, unter die Oberfläche zu schauen und die tieferen Prozesse zu aufzudecken, die überall am Werk sind.
Wenn es sich nur um ein oder zwei Länder handeln würde, könnte man diese als zufällige Phänomene abtun – Übergangsepisoden, aus denen man keine Lehren ziehen könnte. Wenn jedoch ein Prozess in einem Land nach den anderen auftritt, haben wir nicht länger das Recht, diesen als Zufall abzutun. Vielmehr realisiert sich in solchen Phänomenen derselbe allgemeine Prozess, der bestimmten Regeln und Tendenzen unterliegt.
In der Zukunft wird die Periode, die wir nun zu durchlaufen beginnen, als Moment des fundamentalen Umbruchs in die Geschichte eingehen. Sie wird sich als zentraler Wendepunkt der Gesamtsituation herausstellen. Noch vor Kurzem schien diese Annahme durch Fakten widerlegt zu sein. Die Weltwirtschaft schien weiterzulaufen, aber nun überhäufen sich die Ereignisse mit atemberaubender Geschwindigkeit. Nur die dialektische Methode des Marxismus vermag eine rationelle Erklärung für die Prozesse zu geben, für die die hoffnungslosen bürgerlichen Empiriker blind sind.
Wie erklärt man solche Phänomene? Und was bedeuten sie? Oberflächliche Betrachter und Empiriker stehen fassungslos Situationen gegenüber, die sie nicht erwartet hatten und für die sie keine Erklärung haben. Die Dialektik lehrt, dass die Dinge früher oder später in ihr Gegenteil umschlagen. Ein ausgezeichnetes Beispiel dafür ist Großbritannien. Vor sechs Jahren wurde Großbritannien als das stabilste Land Europas, vielleicht sogar der Welt angesehen – nun steht es auf dem Kopf und ist vermutlich das instabilste Land Europas. Die „Mutter der Parlamente“ war einst für ihre ruhige Gelassenheit bekannt und wurde plötzlich von Krisen, Spaltungen und absolutem Chaos erschüttert.
Um ein wahres Verständnis dieser unterirdischen Vorgänge zu erlangen, ist die dialektische Analyse von absoluter Notwendigkeit. Die Bürgerlichen haben naturgemäß kein Verständnis der Dialektik; die Reformisten sogar noch weniger, wenn das überhaupt möglich ist. Man braucht in dieser Hinsicht auch die Sekten nicht zu erwähnen, denn sie verstehen überhaupt nichts. Das komplette Fehlen von Perspektiven ist der Hauptgrund dafür, dass sie alle in Krisen stecken.
Trotzki prägte einen wirklich bemerkenswerten Ausdruck: „Der Molekularprozess der Revolution“. Es lohnt sich, genauer darüber nachzudenken. Trotzki bezog sich auf die Dialektik, und ohne ein Verständnis der Dialektik kann man gar nichts verstehen. Der Prozess des Wandels des Massenbewusstseins verläuft normalerweise graduell. Das Bewusstsein wächst langsam, unmerklich, aber auch unaufhaltsam, bis es einen Punkt erreicht, an dem die Quantität in Qualität umschlägt und die Dinge sich in ihr Gegenteil verwandeln.
Dieser Wandel äußert sich als langsame Ansammlung von Unzufriedenheit, Wut, Zorn und vor allem Frustration unter der Oberfläche. Hier und dort gibt es Symptome, kleine Zeichen, die nur ein geschultes Auge sehen und deren Bedeutung verstehen kann. Diese sind jedoch ein Buch mit sieben Siegeln für den stumpfen Empiriker, der, obwohl er immer auf „die Fakten“ besteht, den tieferen grundlegenden Vorgängen gegenüber blind ist.
Der Philosoph Heraklit machte seiner Verachtung für Empiriker Luft, als er sarkastisch schrieb: „Augen und Ohren sind den Menschen schlechte Zeugen, wenn die Seele deren Sprache nicht spricht.“ Egal, wie viele Fakten und Statistiken sie anhäufen, sie verstehen das Wesentliche nie.
Seit der Krise von 2008-09 gibt es eine langsam fortschreitende Entwicklung, eine allmähliche Anhäufung der Unzufriedenheit. Diese Krise repräsentierte einen fundamentalen Bruch in der gesamten Weltlage. Und sie war im wahrsten Sinne des Wortes ein „break“ (also ein „Bruch“ mit der Vergangenheit ebenso wie eine „Unterbrechung“ der Allmählichkeit, Anm. d. Ü.) Nun können wir den Molekularprozess sehen, von dem Trotzki sprach. Es ist ein stiller, unsichtbarer Prozess. Er ist etwas Ungreifbares, das man nicht zu fassen bekommt, weil es unter der Oberfläche stattfindet. Doch es ist immer da und buddelt wie ein Maulwurf vor sich hin.
Seit Oktober 2018 und dem Beginn der Gelbwestenbewegung in Frankreich können wir klar sehen, dass revolutionäre Möglichkeiten offenstehen. Sogar der Brexit beweist uns dies, obschon auf wunderliche Art und Weise. In Italien gibt es dieselbe Stimmung, eine tiefgehende Ablehnung des Establishments. Aber wir haben auch gesehen, wie die sogenannte Linke komplett versagte, dieser revolutionären Stimmung einen organisierten Ausdruck zu bieten.
Plötzliche und scharfe Umschwünge sind in dieser Situation angelegt. Solche Explosionen sind Symptome der zugrundeliegenden Strömungen von angesammelter Wut und Unzufriedenheit von Millionen Menschen, die in Wirklichkeit gegen das System gerichtet sind. Sie sind ein eindeutiges Symptom dafür, dass das kapitalistische System in eine tiefe, globale Krise geraten ist. Es sind die Vorbeben, die das kommende Erdbeben ankündigen.
Lenin sagte, dass Politik konzentrierte Ökonomik sei. In letzter Instanz ist die Wirtschaft der entscheidende Faktor – wenn es die Perspektive eines langanhaltenden Booms gäbe, hätten die Bürgerlichen Handlungsspielraum, um der Arbeiterklasse Zugeständnisse zu machen. Doch das ist nicht die Perspektive.
Die ökonomische Frage wurde ausgiebig in vorhergehenden Dokumenten behandelt, also beschränken wir uns hier auf eine kurzes Update. Die Diskussion über die Wirtschaft ist natürlich sehr wichtig, aber sie ist nicht der einzige Faktor.
Für Marxisten besteht die Bedeutung der Ökonomie in ihren Auswirkungen auf das Bewusstsein. Doch das Bewusstsein ist sehr elastisch. Grundsätzlich ist es sehr konservativ und wird nicht nur von gegenwärtigen Bedingungen, sondern auch sehr stark von der Vergangenheit geprägt. Am Bewusstsein der Arbeiter in den fortschrittlichen kapitalistischen Ländern, wie in Europa oder Nordamerika, sieht man, dass es von Jahrzehnten des wirtschaftlichen Aufschwungs geformt wurde.
Natürlich gab es auch damals schon Wirtschaftsbooms und -einbrüche. Doch die Einbrüche (oder „Rezessionen“, wie sie genannt wurden), waren oberflächlich und nicht anhaltend, und auf sie folgte eine wirkliche Erholung. Diese materiellen Bedingungen – Vollbeschäftigung, wachsende Lebensstandards und bedeutende Reformen im Pensions-, Gesundheits- und Bildungswesen, erhöhten die Illusionen in den Kapitalismus enorm. Das war die grundlegende Ursache für die Verzögerung der sozialistischen Revolution in den fortschrittlichen kapitalistischen Ländern und der Isolation der marxistischen revolutionären Vorhut über eine ganze historische Periode.
Dies war besonders in den Vereinigten Staaten der Fall, als der Kapitalismus liefern konnte. Deswegen betrachteten die Arbeiter die Situation und sagten: „Na ja, so schlimm ist es nicht“, und als sie die bürokratischen und totalitären Regime in Russland, Osteuropa und China anschauten, wurden sie von dem, was sie sahen, abgeschreckt. Die Kapitalisten konnten sagen: „Schaut! So sieht der Sozialismus aus – dort möchtet ihr hingehen?“ Und die Arbeiter würden ihre Köpfe schütteln und sagen: „Lieber beim bekannten Übel bleiben…“
Die Zugeständnisse, die damals gemacht wurden, erklären auch die enorme Stärke des Reformismus in Westeuropa. Die Reformisten setzten wichtige Reformen durch, wie den National Health Service in Großbritannien. Aber nun hat sich auf dialektische Art und Weise alles in sein Gegenteil verwandelt. Die Krise des Kapitalismus ist auch die Krise des Reformismus.
Eine blutleere „Erholung“
Die Finanzmagazine teilen uns mit, dass wir es jetzt mit der längsten Erholungsphase der Geschichte zu tun haben. Aber sie versäumen es, hinzuzufügen, dass es auch die schwächste der Geschichte ist. Die Weltwirtschaft ist laut IWF in einer Lage, wo vor zwei Jahren 75% der Weltwirtschaft sich in einem Zustand synchronen Wachstums befanden, sich jetzt aber 90% synchron verlangsamen. Es ist die schwächste Wachstumsrate seit einem Jahrzehnt.
Obwohl es mit der Wirtschaft scheinbar vorwärts ging und alles in Ordnung zu sein schien, hatten die Artikel der seriösen bürgerlichen und politischen Ökonomen einen ernsten, sorgenvollen Ton, der sich schnell in Alarmbereitschaft umkehrte. Die Erholung war jedenfalls sehr schwach und zerbrechlich, jede Erschütterung konnte die Wirtschaft über den Rand stoßen. Beinahe alles kann eine Panik auslösen: eine Erhöhung der Zinsen in den USA, Brexit, ein Zusammenstoß mit Russland, die Drohung des Handelskrieges zwischen den USA und China, ein Krieg im Nahen Osten, der zu steigenden Ölpreisen führt, und sogar ein besonders dummer Tweet aus dem Weißen Haus (und von denen gibt es eine Menge).
Deutschland ist die Haupttriebkraft der europäischen Wirtschaft. Doch im Juni 2019 verzeichnete die deutsche Industrie ihren größten jährlichen Rückgang seit fast zehn Jahren, ein eindeutiges Indiz der Schwere des Produktionseinbruchs in Europas stärkster Volkswirtschaft. Auch in China und den Vereinigten Staaten gibt es eine Verlangsamung. Darin wiederum spiegelt sich die Schwäche der Weltwirtschaft: Der Welthandel, dessen Wachstum die WHO 2019 mit nur 1,2 Prozent prognostizierte, die Hälfte des ursprünglich angenommenen Wertes.
Jetzt stimmen alle seriösen Ökonomen einen anderen Ton an. Das Wort „Rezession“ steht auf jeder Seite. „Die Weltwirtschaft taumelt am Abgrund“, schreibt die Financial Times. Die extreme Willkür des Aktienmarktes ist ein Anzeichen für die Nervosität der Kapitalisten. Natürlich ist es unmöglich, das Datum des nächsten Abschwungs genau vorherzusagen. Aber wir können uns einer Sache sicher sein – ein neuer Abschwung ist gewiss und er wird vermutlich viel schlimmer sein als der letzte.
Es stimmt, dass die herrschende Klasse bestimmte Mittel besitzt, um die Auswirkungen des wirtschaftlichen Abschwungs abzumildern, wenn er einmal eingetreten ist. Was sind diese Mechanismen? Grundsätzlich gibt es zwei: Die Finanzierungskosten zu senken, um Investitionen und die Nachfrage anzuregen und das „Vertrauen“ zu steigern. Die andere Waffe ist die Erhöhung der Staatsausgaben.
Das Problem ist nur, dass all diese Mittel schon verbraucht wurden, um die schwache Wirtschaft aufrecht zu erhalten. Während des Abschwungs im Jahr 2008 kürzten sie in einem verzweifelten Versuch, die Wirtschaft anzukurbeln, die Zinsraten in allen Ländern drastisch, was fehlschlug. Bis 2014 warf allein die US-Notenbank durch die Quantitative Lockerung 3,6 Billionen Dollar billigen Kredits in die Wirtschaft – also durch Gelddrucken. Die Großkonzerne in Amerika und anderen Ländern wurden mit einen ständigen Zufluss billiger Kredite versorgt. Doch im Allgemeinen wurden die erhaltenen Geldmittel nicht für Vermögensanlagen verwendet (entweder stagniert oder sinkt die Produktivität). Stattdessen nutzen sie diese für Zusammenschlüsse, Aktienrückkäufe, Spekulation, usw.
Schulden
Diese Erholung steht auf einem Schuldenberg. Früher oder später gibt es auf Bergen Lawinenabgänge. Die bürgerlichen Ökonomen haben Angst vor der kommenden Krise, weil sie sie nicht mehr aufhalten können, wenn sie einmal beginnt. Die hohe Verschuldung bedeutet, dass das zweite Werkzeug, um aus dem Abschwung zu gelangen (Staatsausgaben), keine gangbare Lösung mehr ist.
Die zaghaften Versuche, die Quantitative Lockerung in den USA einzuschränken, führte dazu, dass die Zinsen sowie der Wert des Dollars erhöht wurden, was enormen Druck auf Dollar lautende Schulden ausübte. In Ländern wie der Türkei und Argentinien führte dies schon zu ernsthaften Wirtschaftskrisen, doch eine ähnliche Krise braut sich in der ganzen Welt an, besonders in Entwicklungsländern.
Die globale Verschuldung ist so hoch wie noch nie, die Hälfte davon tragen Japan, die USA und China. Nun steht die Bourgeoisie einem unlösbaren Widerspruch gegenüber. Auf der einen Seite ringen sie darum, die Schuldenlast zu verringern. Aber auf der anderen Seite beginnen sie, sich über die ernsten sozialen und politischen Konsequenzen eines Jahrzehnts der Kürzungen und Verringerung der Lebensstandards klar zu werden. Die Geduld der Massen geht zuende und der soziale Zusammenhalt wird untergraben, sodass die soziale Stabilität in Gefahr gerät.
Ein Teil der herrschenden Klasse, der einen Anstieg des Klassenkampfs befürchtet, befürwortet die Auflockerung der Austerität, auch um den Preis einer erhöhten Staatsverschuldung. Und wenn sie mit einem Aufschwung des Klassenkampfs konfrontiert werden, beginnen sie mit hoher Wahrscheinlichkeit, Zugeständnisse zu machen. Doch das wird die Widersprüche nur erhöhen und auf Dauer zu zukünftigen Krisen und einer scharfen Reduktion der Staatsausgaben und einem Versiegen der Kredite führen. Deswegen führen alle Wege zu einer neuen Rezession, egal, welche wirtschaftlichen Strategien versucht werden.
Seit dem Crash von 2008 versuchten die Zentralbanken, das Wachstum durch ein historisch niedriges Zinsniveau zu fördern. Das bedeutete oft ein Niveau von Null Prozent oder weniger. Dadurch sollte die Kredittätigkeit angekurbelt und Investitionen gesteigert werden. Doch die erwarteten Resultate blieben aus. Billige Kredite sind wie Suchtgifte – je öfter man sie verwendet, umso weniger effektiv sind sie.
1960 wurde festgestellt, dass die weltweiten Gesamtschulden etwa 90 Prozent des Welt- BIPs betrugen. In den USA waren sie etwas höher- – dort betrugen sie etwa 140 Prozent. Heutzutage haben die globalen Gesamtschulden jedoch einen Gipfel von 253 Billionen Dollar, das entspricht 322 Prozent des Welt- BIPs und 355 Prozent in den USA (Grafiken von 2019), erreicht. Durch Schulden konnten die Kapitalisten die Krisen der 1970er und 1980er Jahre beenden, aber damit haben sie den Grundstein für eine noch größere Krise gelegt. Je länger sie den Konjunktureinbruch mit der Ausschüttung von Krediten (und daher Schulden) herauszögern, desto schlimmer wird er sein. Der Tag der Abrechnung wird kommen.
Die Gefahr des Handelskrieges
Einige Zeitbomben sind simultan am Ticken. Handelskriege, die Schuldenkrise, Chinas vermindertes Wirtschaftswachstum, der Brexit und die Eurokrise, internationale Spannungen und die Kriegsgefahr im Nahen Osten. Wie wir bereits gesehen haben, kann all dies den Funken zünden, der eine Explosion auslöst. Die Bourgeoisie wird dann schutzlos dastehen. Einige Dinge ergeben sich zwangsläufig aus diesen Fakten.
Das starke Wirtschaftswachstum Chinas stimulierte die Weltwirtschaft in den Jahrzehnten vor 2008. Es war sowohl Markt für westliche Produkte, als auch ein profitables Anlagegebiet. Aber nun- in dialektischer Manier- verkehrt sich alles ins Gegenteil. Im Jahr 2018 betrug das Wachstum Chinas 6,6 Prozent, obwohl manche Ökonomen sogar geringeres Wachstum vermuten. 2019 war mit 6,1 Prozent das Jahr mit dem geringsten Wachstum der chinesischen Wirtschaft seit 1992.
Chinas Wachstumsrate scheint, verglichen mit den miserablen Wachstumsraten in Europa und sogar den USA, noch immer hoch zu sein, aber sie ist weit niedriger als alle, die zuvor erreicht wurden. Gemeinhin nimmt man an, dass China eine jährliche Durchschnittswachstumsrate von 8 Prozent erzielen sollte — um damit 15-20 Millionen neue Jobs jedes Jahr schaffen – nur um mit der Migration vom ländlichen Gebiet in die Städte mithalten zu können. Bis vor Kurzem haben die Chinesen und Amerikaner weiterhin konsumiert, vielleicht wurden sie durch die Verheißung eines Aufschwungs angetrieben. Aber dieser Trend neigt sich dem Ende zu. Das Autoverkaufs-Rekordtief in China war ein Frühwarnzeichen. Für China ist der wirtschaftliche Rückgang also die Vorbereitung sozialer Spannungen.
Mit der Einführung der Marktwirtschaft hat China sich alle Widersprüche des Kapitalismus importiert. Chinas Erfolge bei der Produktion großer Warenmengen haben die Basis für eine Krise der Überproduktion gelegt, da diese Waren einen Markt finden müssen, und der chinesische Binnenmarkt nicht alle absorbieren kann.
China leidet an der Überproduktion – mit riesigen Fabriken um Stahl, Autos und eine Reihe anderer Produkte zu erzeugen. Der einzige Weg, ihr zu entkommen, sind Exporte.
China hat raue Mengen überschüssigen Stahls nach Europa exportiert, das die hiesige Stahlindustrie schädigt. Billiger chinesischer Stahl war einer der Hauptfaktoren der Zerstörung der britischen Stahlindustrie. Gigantische Fabriken, die früher Arbeit für ganze Gemeinden lieferten – wie Port Talbot in Südwales, das als Stahlstadt bekannt war- stehen vor der Schließung. Das ist hinter den wachsenden Spannungen, die zum Handelskrieg zwischen Amerika und China führten, versteckt. Dies einzig Donald Trump zuzuschreiben, wäre übrigens nicht richtig. Obwohl er sich am Lautesten über dieses Problem geäußert hat, herrscht auch unter den Demokraten im Kongress ein allgemeines Misstrauen gegenüber China.
Trump hat eine einfache Antwort auf alles: die Behauptung der amerikanischen Macht. Der US-Imperialismus lässt seine Muskeln spielen und droht, seine Rivalen und als Ersten davon China zu zerstören. Europa verliert er dennoch nicht aus den Augen. Sein Schlachtfeld ist der Protektionismus, seine Waffe sind die Zölle. Aber dieser schlüpfrige Pfad hat zu einem eskalierenden Handelskrieg geführt, der eine verheerende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft haben könnte.
Besorgte Ökonomen haben bereits mit der Ausarbeitung von „Kriegsspiel“ –Szenarien, wie eine Rezession ablaufen könnte, begonnen. Ihre Ängste richten sich hauptsächlich auf die Bedrohung der Weltwirtschaft durch erhöhte Zölle. Es stimmt, dass kurzfristig die direkten Kosten der Zölle gering wären, aber die Unsicherheit, die durch eine weitere Eskalation des Handelskrieges entstünde, würde sich nachteilig auf Investitionen, Anstellungen und letztendlich auf den Konsum auswirken und so die Nachfrage verengen. Ursache wird Wirkung und Wirkung wird Ursache und dadurch wird eine Abwärtsspirale auf globaler Ebene erzeugt. Der ganze Globalisierungsprozess, der ein wichtiger Faktor für das Wachstum der Weltwirtschaft der ganzen Periode war, würde sich umkehren. Das hätte katastrophale Auswirkungen.
Ökonomen bei Morgan Stanley sagen voraus, dass, falls die USA alle chinesische Produkte vier bis sechs Monate mit 25 Prozent besteuern und China zurückschlägt, vermutlich ein globaler wirtschaftlicher Rückgang in den nächsten drei Quartalen bevorsteht. Diese Wellen würden sich weit über USA und China ausbreiten und ebenfalls Asien und Europa treffen. Die ganze Weltwirtschaft würde in eine Rezession schlittern. Diese Entwicklung alarmiert die Bourgeoisie. Das dünne Band, das den Welthandel zusammenhält, droht zu zerreißen. Der Welthandel war die Haupttreibkraft hinter dem Weltwirtschaftswachstum für Jahrzehnte.
Es ist noch unklar wie die jetzige Auseinandersetzung mit China enden wird. Die chinesische und die amerikanische Wirtschaft sind über die Jahre miteinander verflochten. Ein Teil der US-Kapitalistenklasse, insbesondere die, die direkt in China produzieren, wird eine Eskalation ablehnen. Aber es ist schwierig die Handlungen eines Präsidenten vorherzusagen, der keine langfristige Strategie besitzt, sondern es scheinbar geradezu genießt, von einer Krise zur nächsten zu taumeln. Trump ist unvorhersehbar, deshalb mag die Bourgeoisie ihn nicht. Er ändert seinen Kurs je nach Stimmung, was die allgemeine Instabilität der Weltpolitik verschärft.
In der einen Sekunde denunziert Trump den „Little Rocket Man“ und droht, Nordkorea dem Erdboden gleich zu machen. In der Nächsten umarmt er Kim Jong Un und lobt ihn als einen Mann des Friedens und einen großen Freund. Das Gleiche mit China: einmal versucht er Deals einzufädeln, dann verkündet er Strafzölle auf chinesische Güter zu verhängen. Das Problem mit Handelskriegen ist, dass sie einfach zu starten, aber nicht so einfach zu beenden sind. Sie neigen sich aufzuschaukeln, wie wir an Chinas Gegenmaßnahmen sehen.
Wenn die Globalisierung durch die Ausbreitung von wirtschaftlichem Nationalismus und Handelskriegen gestoppt wird, kann der Aufwärtstrend schnell in eine scharfe Abwärtsspirale umschlagen, was katastrophale Auswirkungen auf die ganze Welt hätte. Wir haben darauf hingewiesen, dass die Welle von protektionistischen Tendenzen, ähnlich dem aggressiven Ansatz von Donald Trump heutzutage, und sich überbietenden Abwertungen daran schuld waren, dass sich der Börsenkrach an der Wall Street von 1929 in die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre verwandelt hat. Es ist nicht unmöglich, dass ein ähnliches Szenario heutzutage auftritt.
Die amerikanische Wirtschaft war die letzte Säule, auf die sich die Weltwirtschaft gestützt hat. An der Oberfläche schien die amerikanische Wirtschaft gut zu laufen. Der Dow Jones ist auf Rekordhöhen. Der S & P 500 stieg um 334 Prozent auf und der NASDAQ um fast 500 Prozent. Aber der Schein trügt. In Wirklichkeit war die amerikanische Wirtschaft schwach aufgestellt. Seit 2008 war nichts gelöst worden und die Kapitalisten bereiteten den Nährboden für eine noch verheerendere Krise.
Sie beginnt jetzt zu schlingern. Im Dezember 2007, dem Höhepunkt vor dem Absturz 2008, lag die industrielle Kapazitätsauslastung bei 81 Prozent. Bis Juni 2009, dem Tiefpunkt des letzten Zyklus (von Hochkonjunktur und Rezession), wurden nur 66 Prozent genutzt. Heute, zehn Jahre später, liegt sie bei 78 Prozent. In anderen Worten: die industrielle Kapazitätsauslastung hat sich nach der „längsten Erholung“ der Geschichte nicht einmal auf das Level von vor der Krisenzeit eingependelt. Währenddessen ist die Stimmung der Konsumenten auf den niedrigsten Stand seit acht Jahren gefallen. Die amerikanische Manufaktur hat rote Zahlen geschrieben. Exportaufträge sind auf dem niedrigsten Stand seit April 2009. Selbst wenn die US-Notenbank die Zinsen um 50 Basispunkte senken würde, wäre es zu spät um eine Rezession zu vermeiden.
Das amerikanische BIP-Wachstum, getrieben von Defizitfinanzierung, betrug 2018 nur 2,9 Prozent. Im Jahr zuvor waren es nur 2,2 Prozent, angetrieben durch Trumps Steuerkürzungen für Reiche. Die nationale Verschuldung beträgt nun 22 Billionen US Dollar, das ist mehr als das Doppelte verglichen mit 2008. Aufgerechnet sind das 68.000 Dollar pro amerikanischen Staatsbürger oder 182.000 Dollar pro Steuerzahler. Das ist fast viermal mehr als der Medianlohn und die Zahl steigt um 1 Billion pro Jahr.
Die Steuersenkungen und die historisch niedrigen Zinssätze, festgelegt durch die Notenbank, wurden in einem Versuch angewendet, die Wirtschaft anzukurbeln und den nächsten Einbruch abzuwehren. Aber durch die künstliche Verlängerung des Booms sind diese Werkzeuge für den nächsten Einbruch nicht mehr verfügbar, und wir können sicher sein, dass die Leute keine Lust mehr auf Rettungspakete für Unternehmen haben werden.
Jetzt weisen alle ökonomischen Indikatoren auf einen neuen Konjunktureinbruch hin, der unvermeidbar ist. Es ist natürlich nicht möglich vorherzusehen, wenn er eintreten wird – die Ökonomie ist keine exakte Wissenschaft. Aber Fakt ist, dass der neue Einbruch nicht einmal notwendig sein wird, um den Klassenkampf anzuheizen. Aus unserer Sicht wäre es besser, wenn die jetzige Situation anhält. Sie reden von einer Erholung, aber es fühlt sich nicht danach an und keiner glaubt mehr daran.
Wie viele amerikanische Arbeiter sind mit der jetzigen Lage zufrieden? Es stimmt, dass die Löhne leicht steigen, aber mit ihnen genauso die Arbeitsstunden, die notwendig sind um die Rechnungen bezahlen zu können. Und die derzeitigen Erhöhungen machen eine Periode der Lohndrückung nicht wett. Die meisten Amerikaner konnten sich und ihre Familien nicht mit einem Job erhalten. Sie müssen viele Stunden arbeiten und sie brauchen zwei, drei oder mehr Jobs, um zu überleben. Die Bitterkeit und der Wut der Arbeiter steigt zunehmend.
Viele amerikanische Arbeiter spüren die Vorteile des „Aufschwungs“ nicht. Was sie sehen, ist eklatante Ungleichheit. Der große Abgrund, der die kleine Gruppe der Superreichen von der Mehrheit trennt, die sich bemüht, finanziell über Wasser zu bleiben. Seit der letzten drei Jahrzehnte stieg das Vermögen der Top Ein-Prozent um 21 Billionen US Dollar, während die ärmsten 50 Prozent ihr Nettovermögen um 900 Billionen fallen sahen (laut den Daten der US Notenbank).
78 Prozent der Amerikaner leben von Zahltag zu Zahltag. Der derzeitige staatliche Mindestlohn beträgt 7,25 US Dollar pro Stunde. Eine Alleinerzieherin mit zwei Kindern, die den Mindestlohn bekommt, müsste 24 Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche, arbeiten (oder 144 Stunden in der Woche), um das Existenzminimum zu erreichen. Das ist Wahnsinn und total untragbar – und das ist die Situation in „den guten Zeiten.“
Das Trump-Phänomen
Es gibt das alte Sprichwort, dass die Leute die Regierung bekommen, die sie verdienen. Trotzki hat in seinem brillanten Artikel Klasse, Partei und Führung betont, dass diese Aussage ein Fehlschluss ist. Ein und dieselben Leute können oft sehr unterschiedliche Arten von Regierung erleben, was nichts anderes als unterschiedliche Stadien in der Entwicklung des Bewusstseins widerspiegelt. Man könnte jedoch mit absoluter Berechtigung sagen, dass die Bourgeoisie zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Führer hat, die sie verdient.
Wenn die amerikanische Bourgeoisie in den Spiegel blickt, erblickt sie Donald Trump und wendet sich mit Ekel ab. Obwohl sie nicht mag, was sie sieht, ist es eine angemessene Widerspiegelung ihrer eigenen und des Systems Degeneration. Die Bürgerlichen haben heutzutage keine großen Ideen und keine längerfristige Perspektive. Sie können nicht weiter als bis zur letzten Bilanz denken, die ihnen ihre Profitmargen mitteilt.
Dieses abstoßende Bild steht nicht nur für Donald Trump, sondern auch für die Klasse, der er angehört und deren Interessen er repräsentiert. Das Einzige, was ihn selbst von ihnen unterscheidet, ist, dass er die Vorurteile seiner Klasse offen, dreist und ohne rot zu werden ausdrückt, während andere, die genau dieselben Ansichten und Klasseninteressen teilen, umsichtiger und diplomatischer – um nicht zu sagen, feiger, heuchlerischer und betrügerischer sind als er.
Die Wahl Trumps in den Vereinigten Staaten war selbstverständlich ein reaktionäres Phänomen, dies festzustellen, erklärt für sich jedoch wenig. Die Medaille hat zwei Seiten: Trump war nicht der Kandidat der herrschenden Klasse. Sie vertrauten ihm nicht – trotzdem wurde er gewählt, gegen den bitteren Widerstand der Bourgeoisie.
In der Vergangenheit kontrollierte die Bourgeoise das politische Spiel. Doch dies ist nicht mehr der Fall. Was wir jetzt sehen, ist eine beispiellose Situation, in der die Bourgeoisie effektiv die Kontrolle über ihr eigenes System verloren hat. Wann hat esin der gesamten Geschichte der USA je eine Situation gegeben, in der Teile der CIA und des FBI offen in Opposition zum gewählten Präsidenten standen und ohne Unterlass versuchten, ihn um seinen Posten zu bringen?
Dies ist nicht nur eine politische Krise. Es ist eine Krise des Regimes selbst. Sie legt einen Riss offen, der durch die herrschende Klasse geht. Genau dies ist für Lenin die erste Bedingung der Revolution. Die Unzufriedenheit der Massen kann sich auf seltsame und widersprüchliche Weise ausdrücken. Sogar die Wahl Trumps selbst war auf eine eigenartige, verzerrte Art, ein Ausdruck massiver Unzufriedenheit auf Seiten eines bedeutsamen Teils der ärmsten und besitzlosesten Schichten der „white working class“. Den arbeitslosen Stahl- und Bergarbeitern gefiel wie Trump demagogisch die privilegierte Elite in Washington attackierte und Wandel versprach. Diese Botschaft sendete ein gewaltiges Echo. Doch Trumps Popularität steht auf tönernen Füßen.
Der Sozialismus in den USA
Ob Trump wiedergewählt wird, ist noch unklar. Obwohl er noch immer über eine bedeutende Unterstützerbasis verfügt, hat er auch viele Menschen mit seiner unverhohlen rassistischen, frauen- und fremdenfeindlichen Rhetorik abgestoßen. Die „send them back“-Statements sorgten landesweit für Aufruhr und auch seine Reaktionen auf die Massaker in El Paso und Dayton Ohio schadeten Trump.
Eine Wahlstudie der „Democracy Fund Voter Study Group“ befand, dass sogar Wähler, unter denen anti-Einwanderungsansichten vorherrschen, nicht notwendigerweise für Donald Trump stimmen. Sie sind gespalten zwischen jenen, die weniger Einmischung der Regierung in die Wirtschaft fordern und jenen, die eher linksgerichtete interventionistische ökonomische Ansichten haben. Laut der Umfrage haben sich diese Gräben seit der Wahl Trumps vertieft. Die Ökonomie bleibt der Hauptstreitpunkt. Trump rechnet den Erfolg seiner Wirtschaftspolitik allein sich selbst an. Und tatsächlich ist sein Umgang mit wirtschaftlichen Fragen das einzige Gebiet, auf dem er mehr als 50 Prozent (55%) Zustimmung genießt. Dies bedeutet jedoch umgekehrt, dass auch er selbst zur Verantwortung gezogen werden wird, wenn die Dinge beginnen, schief zu laufen.
Die kurzfristigen Effekte seiner Steuererleichterungen für die Reichen beginnen sich schon allmählich abzunutzen. Die Bevölkerung erlebt momentan, wie sich das Wirtschaftswachstum verlangsamt und wie die Zeichen zunehmen, dass der Handelskrieg mit China nicht zu dem historischen „Deal“, den Trump 2016 während seiner Wahlkampagne angekündigt hatte führen wird. Eine wirtschaftliche Rezession würde diese Blase wohl letztendlich zum Platzen bringen, doch wann dies passieren wird, ist unklar. Letztendlich können die Demokraten keine effektive Alternative zu Trump bieten.
Über die letzten drei Jahrzehnte hinweg gab es in den USA einen bedeutenden Rückgang der jährlichen Anzahl von Streiks, begleitet von einer stetigen Abnahme der Mitgliedschaften in Gewerkschaftsorganisationen. Dieser Prozess erreicht nun seine Grenzen. Es gab eine Handvoll politischer Streiks und Walkouts, Proteste gegen sexuelle Belästigung, den „gender pay gap“, die Abschiebebehörde der Regierung, und gegen die Privatisierung von Bildung. Und dies ist nur der Anfang, auch wenn es kein linearer Prozess sein wird.
Gegen Ende von 2018 war die Anzahl der US Arbeitnehmer, die in größere Arbeitsniederlegungen, wie Streiks und Lockouts, involviert waren, die höchste seit 1986. Es gab mehr als zwanzig Arbeitsstopps an denen mehr als 1000 oder mehr Arbeiter beteiligt waren, verglichen mit sieben im Jahr 2017. Mehr als 90 Prozent der ungefähr 500 000 involvierten Arbeiter waren in Bildung, oder im Sektor Gesundheit und Soziales beschäftigt. Tausende mehr nahmen an kleineren Streiks und Arbeitskämpfen teil, die nicht in diese Zahlen miteingeflossen sind. Es gab eine ganze Reihe von Lehrerstreiks die sich von West Virginia bis Oklahoma, über Arizona und Kalifornien und darüber hinaus erstreckten, inspiriert von den Kämpfen und Siegen ähnlicher Aktionen im ganzen Land. Dem folgte später ein größerer Streik in der Automobilindustrie.
Auf der politischen Ebene sahen wir den Aufstieg von Bernie Sanders und die gestiegene Popularität des Sozialismus in einer wachsenden Schicht von Menschen in den USA, besonders bei der Jugend. Sanders hat, trotz seines Verbleibens in der Demokratischen Partei und seiner Kapitulation gegenüber Clinton, nachdem er daran gehindert wurde in den Wahlen von 2016 anzutreten, noch immer die gewaltige Unterstützung Vieler mit seinen Attacken auf die „Milliardärs-Klasse“. Sanders Rallys ziehen noch immer Zehntausende an. Aber er und andere, wie Alexandria Ocasio-Cortez unterliegen der Illusion, man könne die Sache des Sozialismus durch die Demokratische Partei voranbringen, bestenfalls sind sie also Reformisten. Ihre Popularität aber reflektiert auf eine verzerrte Weise die Suche nach einer Alternative zum System auf der Linken.
Sobald die wirtschaftliche Lage sich verschlechtert, wird es eine größere Reaktion gegen Trump geben, aber wie wird sie aussehen? Ein Teil dieser Antwort wird der Sozialismus sein. Es ist kein Zufall, dass Trump nun Sozialismus und Kommunismus angreift. Nach neuen Umfragen (Findings from the Cato Institute 2019 Welfare, Work, and Wealth National Survey) sind:
- 50% der jungen Amerikaner (unter 30 Jahre) positiv gegenüber dem Sozialismus eingestellt, würden
- 70% der Millennials (23 bis 38 Jahre) für einen sozialistischen Kandidaten stimmen, haben
- 36% der Millennials eine positive Meinung zum Kommunismus (gegenüber 28% noch 2018) und
- 35% der Millennials eine positive Meinung zum Marxismus.
Ungefähr einer von fünf Millennials denkt, es ginge der Gesellschaft besser, wenn das Privateigentum abgeschafft würde (US Attitudes Toward Socialism, Communism, and Collectivism October 2019) und ungefähr ein Fünftel (17%) der Amerikaner stimmen überein, dass es manchmal gerechtfertigt sei, wenn „Bürger gewaltsam gegen die Reichen vorgehen“ – diese Aussage wird von 35% der unter 30-jährigen unterstützt. Diese Statistiken sind nur die Spitze des Eisbergs. Sie zeigen sehr deutlich, wie sehr es in der amerikanischen Gesellschaft brodelt.
Falls Trump wiedergewählt wird -was nicht auszuschließen ist- würde das eine neue und sogar noch turbulentere Periode für die USA eröffnen. Wir zweifeln nicht daran, dass dies von den dümmlichen Sektierern, die immerzu vor der vermeintlichen Gefahr des „Faschismus“ warnen, mit Bestürzung entgegengenommen würde. Aber die intelligenteren Kapitalisten haben ein sehr viel besseres Verständnis der Situation. Sie sind sich unterschwellig bewusst, das ihr System unhaltbar ist, aber sie können nichts dagegen tun, weil sie nicht akzeptieren, dass nur das Ende das Kapitalismus dessen Widersprüche auflösen kann.
Schon bevor die nächste Krise beginnt, sind die Reichsten der Welt tief besorgt über das Potential sozialer Unruhen. So wurde zum Beispiel berichtet, wie Ray Dalio, der 79. reichste Mensch der Welt, sagte: „Ich bin ein Kapitalist und sogar ich denke, dass der Kapitalismus hinüber ist.“ Er fügte hinzu: „Im Grund genommen funktioniert der Kapitalismus für die Mehrheit der Menschen gar nicht… Wir sind an einem Scheideweg angekommen. Wir können ihn gemeinsam reformieren oder wir werden das im Konflikt tun, der ein Konflikt zwischen den Reichen und den Armen sein wird.“ Diese Worte fassen die Situation gut zusammen.
Es gab einen signifikanten Wandel in der Geisteshaltung der Amerikaner. Die Menschen identifizieren sich heutzutage als „arbeitende Klasse“, wogegen sie noch vor einigen Jahrzehnten von sich selbst nur als „Mittelschicht“ gesprochen haben. Dies ist ein Teil dessen, was Trotzki ausdrücken wollte, als er über Revolution als molekularen Prozess sprach.
1997 verfassten wir ein Dokument über die Zukunftsperspektiven der Europäischen Union, worin wir vorhersagten, dass sich der Euro wohl eine Weile halten könne, aber im Falle eines tieferen Einbruchs alle nationalen Widersprüche wieder hervortreten würden. Genau das erleben wir heute.
Trotz jahrelanger Sparpolitik wurde im letzten Jahrzehnt in Europa nichts gelöst. Die Eurozone ist allgemein ins Stocken geraten und steht nun scharfen wirtschaftlichen Verwerfungen gegenüber, welche sehr ernsthafte soziale und politische Konsequenzen haben werden, denen sie aber nichts entgegenzusetzen hat. Ihre Zentralbanken haben keine Mittel mehr, dagegen anzukämpfen. Dies bedeutet, dass die kommende Weltrezession keine gewöhnliche Angelegenheit sein wird, sondern ein sehr viel schlimmerer Abschwung als derjenige in Folge des Wirtschaftscrashs von 2008/2009.
Neben dem Schock des Brexit treffen die Industrie der EU noch viele andere Probleme. Die Verwerfungen des Weltmarktes treffen Europa härter als viele andere – wegen seiner Abhängigkeit von der globalen Nachfrage um sich über Wasser zu halten. Dies trifft insbesondere auf Deutschland zu, welches 2018 gerade noch so verhindern konnte, in die Rezession zu rutschen.
Europa wurde von Donald Trumps Handelskrieg hart getroffen. Chinesische Waren, auf die nun hohe Zölle am US-Markt entrichtet werden müssen, werden nun in Europa abgeladen. Die Situation wird noch verschlimmert durch Pekings Abwertung des Yuan, welche chinesische Exporte nach Europa sogar noch billiger macht, was die europäische Industrie untergräbt. Eine Invasion, der Europa nichts entgegensetzen kann. Die Europäische Zentralbank ist machtlos, auf das verlangsamte Wachstum in China und die fallende Nachfrage für europäische Produkte zu reagieren.
Wir sahen, wie Macron von der Revolte der gilets jaunes gezwungen wurde, Zugeständnisse zu machen – doch wer soll sie bezahlen? Frankreich hat ein großes Haushaltsdefizit. Macron hat einen Plan für Europa, den er euphemistisch „geplantes Budget“ nennt. Dieser Plan ist sehr einfach: Deutschland wird allen anderen ihre Schulden bezahlen – selbstverständlich auch jene Frankreichs. Unglücklicherweise hat die Bundesbank anderes im Sinn. Und sie ist nicht allein: Die Krise um den Brexit hat wie ein Katalysator gewirkt der die Zentrifugalkräfte, welche die EU auseinanderreißen, nur weiter verstärkt.
Neue Verwerfungen
Die Krise der EU begann an ihrer Peripherie in den schwächeren Volkswirtschaften, aber hat nun auch Auswirkungen auf die mächtigeren Staaten in ihrem Herzen, wie zum Beispiel Deutschland. Dies umgekehrt eröffnet nun neue Verwerfungen. Ungarn und Polen widersetzen sich der EU bei der Aufnahme von Geflüchteten und in anderen Fragen. 87. Anfang 2018 formierte sich eine neue „Hanseatische Liga“ aus den prosperierenden Ländern Nordeuropas: Dänemark, Finnland, den Niederlanden und Schweden und ihrer baltischen Satelliten Estland, Litauen und Lettland. Deutschland steht hinter ihnen, wenn es darum geht irgendwelchen bedeutenderen Zahlungen für den Süden Europas zu widerstehen. Einige jener (am bemerkenswertesten Italien) versuchen währenddessen die Macht des deutschen Kapitals durch wirtschaftliche Absprachen mit China in Schach zu halten. Diese Risse drohen, obwohl sie gerade klein erscheinen, das wacklige Gebäude des Euros und vielleicht der EU selbst einstürzen zu lassen.
Doch die deutsche Bourgeoisie, welche die EU dominiert, muss die wirtschaftliche Einheit um jeden Preis erhalten. Deutschland allein wäre ein Zwerg, verglichen mit den großen wirtschaftlichen Blocks auf dem Weltmarkt. Es hat ungefähr 80 Millionen Einwohner, was einem Viertel der USA und weniger als 1/17 der Bevölkerung Chinas entspricht. Das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands ist weniger als 1/3 dessen Chinas und weniger 1/5 der USA. Es hat keine nennenswerten militärischen Kräfte. Um eine Rolle auf der Weltbühne zu spielen, braucht es die EU als Hebel.
Die EU schien –zumindest an der Oberfläche- mehr oder weniger vereinigt, solange die Ausdehnung des Freihandels andauerte. Deutschland war fähig, über seiner eigentlichen Liga auf dem Weltmarkt mitzuspielen, besonders in kapitalintensiven Industrien wie dem Maschinenbau, der Automobilindustrie sowie Luft- und Raumfahrtproduktion, was es für einige Zeit zum Exportweltmeister machte. Aber in Zeiten der ökonomischen Abkühlung und wachsender Handelskonflikte, in denen die EU-Mitgliedstaaten andauernd ökonomisch und politisch aneinandergeraten, verwandelt sich die Situation langsam in ihr Gegenteil.
Deutschland, bislang der Motor und die stärkste Volkswirtschaft des europäischen Kapitalismus, steckt nun in der Krise. Ungleichheit und fallender Lebensstandard sind mittlerweile normal. Noch stützt die Binnennachfrage die deutsche Wirtschaft, während die Nachfrage des Auslands rapide zurückgeht.
Dies erklärt, warum die deutsche Bourgeoisie so stark darauf drängt, die EU mehr unter Ihre direkte politische Führung zu stellen, auch wenn das bedeutet, einige, wenn auch schmale und temporäre Zugeständnisse an die schwächeren Länder Europas zu machen, hauptsächlich in der Finanzpolitik, um sie dazu zu bringen sich stärker politisch zu unterwerfen. Ein Zeichen dafür war die Ernennung der neuen Vorsitzenden der Europäischen Zentralbank (EZB). Anfangs gab es einige Spekulationen darüber, dass der neue Vorsitzende der EZB der frühere Bundesbankchef sein würde, aber am Ende bekam Christine Lagarde aus Frankreich den Posten. Deutschland zog es vor, die politisch zentrale Position des Vorsitzes der EU-Kommission zu besetzen und erreichte es dabei, dass Ursula von der Leyen in diese Position gewählt wurde. Und zumindest vor den Europawahlen orchestrierte die deutsche Bourgeoisie eine ohrenbetäubende Kampagne gegen den sogenannten „Populismus“, besonders gegen jene regierenden nationalistischen Parteien, die einen demagogischen anti-EU Einschlag haben. Besonders ins Kreuzfeuer gerieten Salvini in Italien und die rechtsaußen stehende FPÖ in Österreich, die bis vor kurzem beide an der Regierung waren.
Das Ziel all dessen ist klar: Deutschland, mit dem Schreckgespenst seines eigenen Niedergangs konfrontiert, muss die EU zu einem starken wirtschaftlichen Block gegen seine äußeren Konkurrenten formen. In Zeiten stetig wachsender Handelskonflikte fordert die deutsche Bourgeoisie eng geschlossene Grenzen um Europa, nicht nur für Geflüchtete, sondern auch für fremde Waren und fremdes Kapital. Die Europäische-Kommission unter Ursula von der Leyen drängt nun stark darauf eine „EU-CO2-Steuer“ einzuführen – hauptsächlich um die deutsche Industrie von der Konkurrenz abzuschirmen, aber auch um Europa unter Kontrolle zu behalten und zu vermeiden, dass einzelne EU-Staaten mit China oder den USA selbstständig Handel treiben.
Am Ende aber kann dies nur das Unvermeidliche hinauszögern. Im Falle einer tieferen Krise kann und wird Deutschland den Rest Europas nicht retten können. Es wird unmöglich werden die ökonomischen und politischen Widersprüche, die man schon jetzt an der Oberfläche sehen kann, weiter verborgen zu halten. Dies unterstreicht den Fakt, dass die EU in der Tat das schwächste Glied in der Kette der imperialistischen Blöcke des Weltkapitalismus ist.
Diese Tendenz wird von der wachsenden politischen Instabilität in Deutschland selbst noch verstärkt. Obwohl Angela Merkel noch immer Regierungschefin ist, trat sie als Vorsitzende der CDU zurück. Die SPD war nun insgesamt 17 der letzten 20 Jahre an der Regierung beteiligt, was mit schweren Verlusten in den letzten Wahlen einherging. Trotzdem konnte die Linkspartei nicht davon profitieren. Dies dürfte daran liegen, dass ihre Führung nun versucht zu zeigen, dass man als Partei dazu bereit ist, jedweder Regierung beizutreten. Man hat die Politik der Schuldensenkung akzeptiert, was in der Praxis hohe Einschnitte im öffentlichen Haushalt nach sich zieht. Eine Krise in der Partei ist vorprogrammiert.
Auch die Legitimitätskrise der bürgerlichen Demokratie hat Deutschland schon erreicht. In der Nachkriegszeit konnten CDU und SPD gemeinsam 70-90% der Stimmen in den Bundestagswahlen erreichen. Heute erreichen die beiden Parteien gemeinsam um die 40% mit der SPD in einem historischen Umfragetief bei ca. 13-15%. Währenddessen wächst die rechtsaußen-Partei AfD. Zeitweilig konnten auch die Grünen profitieren, obwohl es danach aussieht, dass dies von kurzer Dauer sein wird.
Griechenland: Keine Lösung in Sicht
Im letzten Jahrzehnt war Griechenland die längste Zeit das schwächste Glied in der Kette des europäischen Kapitalismus und auch das Land, in dem seine Krise die ärgsten Konsequenzen hatte. Für 10 Jahre erlebten die Menschen dieses Landes nur wüste Beschimpfungen, stetige Einschnitte und einen scharf fallenden Lebensstandard – in der Tat einen totalen Zusammenbruch. Nun wird überall verkündet, die Krise sei vorüber, aber dies ist fernab der Wahrheit. 2009 war Griechenlands Schulden-zu-BIP Relation 126,7% und nun steht sie bei 181,1%. Wie wir sehen können, hat sich nichts in Griechenland verbessert.
Die griechischen Arbeiter und die griechische Jugend taten alles in ihrer Macht Stehende um der kapitalistischen Sparpolitik und den bösartigen Zwangsmaßnahmen der EU zu widerstehen. Es folgte Generalstreik auf Generalstreik, Demonstration auf Demonstration. Zur Zeit des Referendums 2015 hätte Tsipras die Gelegenheit gehabt sich selbst für die massive Zurückweisung der Konditionen, welche die Troika im Gegenzug für die Rettungsmaßnahmen forderte zu profilieren und die EU und die Bourgeoisie herauszufordern. Die Arbeiterklasse –und auch breite Schichten des Kleinbürgertums – waren auf alles gefasst. Aber im entscheidenden Moment kapitulierte Tsipras.
Dieser Betrug resultierte in überbordender Demoralisierung und der Niederlage der SYRIZA in den letzten Wahlen mit dem Sieg der Nea Dimokratia. Doch noch immer hat SYRIZA 31% und skönnte sich erholen. Mitsotakis hat sich darauf eingeschworen neue Attacken auf die Arbeiterklasse zu fahren und seine Popularität wird so schnell vergehen wie sie aufkam. Die griechischen Arbeiter haben keine Alternative dazu, weiter zu kämpfen. Es geht um Leben und Tod. An einem bestimmten Punkt wird eine neue Periode des Klassenkampfes in Griechenland beginnen.
Italien: Das Schwächste Glied
Italien hat nun Griechenland als das schwächste Glied in der Kette des europäischen Kapitalismus abgelöst. Seine Wirtschaft ist zurückgefallen und kann weder mit Deutschland noch mit Frankreich mithalten. Italiens öffentliche Schulden stehen auf einem Rekordhoch von 132% seines Bruttoinlandsprodukts. Der italienische Kapitalismus ist in ernsten Schwierigkeiten. Von einem revolutionären Standpunkt aus ist Italien der Schlüssel zu Europa. Griechenland ist ein kleiner Staat an Europas Peripherie, aber Italien ist die drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone und im Herzen der Europäischen-Union.
Die einzige Lösung für die Herrschende Klasse Italiens sind immer tiefere Einschnitte. Sie hat der italienischen Arbeiterklasse den Krieg erklärt – ein soziales Pulverfass bereit zur Explosion. Immer wieder überzieht Italien die erlaubten Haushaltslimits der EU, was die europäische Kommission zwar verurteilen möchte, davon aber doch immer wieder ablässt. Nicht nur hatte man bereits Ausnahmen für Macron genehmigt, doch dies war nicht der Einzige Grund – der Kollaps der italienischen Banken würde eine gesamteuropäische Bankenkrise nach sich ziehen. Aber noch wichtiger ist das Potenzial für eine soziale Entladung in Italien selbst.
In der Vergangenheit hatte die italienische Bourgeoisie eine machtvolle Unterstützerbasis in der Gesellschaft. Ihre Partei, die Christdemokraten, hatten eine Massenbasis und die Unterstützung der Katholischen Kirche. Doch diese Basis ist zusammengebrochen. Ihre zweite Verteidigungslinie bestand aus den kommunistischen und sozialistischen Parteien, aber auch diese sind auf dem Abstellgleis der Geschichte gelandet. Vom Standpunkt der Bourgeoisie ist das Fehlen einer reformistischen Partei keine positive Entwicklung, sondern eine sehr gefährliche. Es ist der Unterschied zwischen einem den Berg herabrasenden Wagen mit schlechten Bremsen und einem Wagen ganz ohne Bremsen.
In Italien gibt es keine reformistische Massenpartei der Arbeiterklasse und die Führung der Gewerkschaften ist korrupt. Die Demokratische Partei, eine bürgerliche Partei, ist in den Augen der Arbeiter diskreditiert, da alle ihre Mitglieder über Jahre die Politik der Einschnitte mittrugen. Die 5-Sterne-Bewegung ist ein weiteres Beispiel für kleinbürgerliche Formationen die sich aus dem Nichts bildeten. Die Partei ist verwirrt und seit sie sich in den Koalitionen sowohl mit der rechten Lega und der Demokratischen Partei bloßgestellt hat, nimmt die Unterstützung für sie ab. Es gibt ein kolossales Vakuum auf der Linken und dieses Vakuum muss früher oder später gefüllt werden.
Der Anführer der Lega, Salvini, ist ein rechter Demagoge der Bourgeoisie, sehr im Stile Donald Trumps. In seinen Reden bemüht er sich wie „die einfachen Leute“ zu sprechen, oder vielmehr wie das italienische Lumpenproletariat. Diese Pose nimmt Salvini absichtlich ein, um den Eindruck zu erwecken er stehe für etwas Neues und Radikales. Er erreicht damit Millionen abgehängter Menschen, die das politische Establishment hassen und sich nicht mit den alten Parteien und ihren Führungen identifizieren. Salvini sagt: ‘Seht her! Ich bin nicht wie sie, ich bin einer von euch. Wenn ihr mich wählt, werden die Dinge anders laufen in Italien. Ich werde die Dinge anpacken!“ – das findet Gehör.
Auch wenn Salvini in der Koalitionsregierung mit der 5-Sterne-Bewegung Innenminister war spielte er sich weiterhin auf als befände er sich in der Opposition. Er nutzte seine Position um kämpferische Reden gegen die „äußeren Feinde“ (die EU und die Migranten) zu halten, die er für alles Unglück in Italien verantwortlich macht. Er schien so zumindest auf der Oberfläche gegen die Begrenzungen des Establishments zu stehen. Doch Salvinis Stern begann zu leuchten als der Glanz der 5-Sterne bereits zu erlöschen begann. Er nutzte den Moment um seine zeitweiligen Verbündeten loszuwerden und brach die Koalition in der Überzeugung, er werde die folgenden Wahlen gewinnen.
Doch die Bourgeoisie, welche die Konsequenzen einer Regierung unter Salvini für die italienische Wirtschaft und die Eurozone fürchtete, beschloss, ihn aufzuhalten. Dabei setzte sie auf eine instabile Koalition der Demokratischen Partei mit der 5-Sterne-Bewegung. Doch die 5-Sterne-Bewegung hat schon durch ihre Koalition mit der Lega Schiffbruch erlitten. In eine Koalition mit der sogar noch stärker diskreditierten Demokratischen Partei einzutreten, wird ihr wohl endgültig den Todesstoß versetzen.
Momentan wird Salvini zwar von seinen Ambitionen ferngehalten, doch dies dürfte nicht ewig andauern. In der Tat hat man ihm durch den Ausschluss aus der Regierung mit diesem offensichtlichen Manöver eher einen Gefallen getan. Demagogen scheinen in der Opposition meist aufzublühen. Salvini kann versuchen, die Aufmerksamkeit der Massen mit seinem Geschrei über die Immigration zu binden, doch sobald er sich an der Regierungsspitze wiederfindet, wird er herausfinden, dass diese Politik nur wenig Rendite bringt. Er hat keine Lösung für die Probleme des italienischen Kapitalismus und wenn er einmal unter Beobachtung steht wird er sich schnell als der reaktionäre bourgeoise Politiker offenbaren der er insgeheim ist. Dies wird den Weg für einen enormen Linksruck freimachen.
Es bleibt die einzige Möglichkeit für die Bourgeoisie, nach vorne zu gehen, weiter auf Sparmaßnahmen und Einschränkungen des Lebensstandards zu setzen. Um die notwendigen ökonomischen Maßnahmen auszuführen braucht die italienische Bourgeoisie eine starke Regierung. Aber solch eine Regierung existiert nicht, auch gibt es keine Möglichkeit in absehbarer Zeit eine solche zu sichern. Die Perspektive ist eine ganze Reihe von instabilen Koalitionsregierungen die alle in Krise und Kollaps enden. Es wird gewaltsame Ausbrüche nach links und rechts geben, wenn die Massen verschiedene Führungen und Programme austesten werden und eine nach der anderen werden sie bloßgestellt werden.
Wenn man die extreme Schwäche der italienischen Linken in Betracht zieht, wird sich die Bewegung unausweichlich in Form von direkter Aktion der Massen ausdrücken – vergleichbar mit den gilets jaunes in Frankreich. Es wird eine Art Neuauflage des Jahres 1969 werden, doch auf einer weit höheren Ebene. Wenn einmal die Massenbewegung in Italien beginnt wird sie sehr schwierig zu stoppen sein. Vielleicht wird es zu Fabrikbesetzungen wie 1919-1920 kommen. Dies wird den Weg für revolutionäre Entwicklungen und ein intensives Wachstum unserer italienischen Sektion freimachen. Aber alles hängt davon ab, dass wir eine starke Organisation aufbauen, bevor sich diese Bewegung entwickelt.
Frankreich: Die Massenrevolte
Macron prahlte einst damit, dass er sich niemals dem Druck „der Straße“ ergeben werde. Aber im Angesicht der massiven Revolte der gilets jaunes musste er sein Wort brechen. Er war gezwungen, einen erniedrigenden Rückzug zu machen. Trotzdem gingen die riesigen Demonstrationen weiter und wurden mit jeden Tag fordernder und radikaler. Die Forderung nach dem Rücktritt Macrons wurden lauter. Die Massen legten ein erstaunliches Maß an Widerstandskraft und Entschlossenheit an den Tag. Es war wirklich erstaunlich, wie diese Bewegung sich ohne irgendeine ernsthafte Organisation oder Führung so lange fortsetzen konnte.
Aber Massendemonstrationen, egal wie energisch und entschlossen, haben ihre klaren Grenzen. Lenin erklärte schon früh die Begrenztheit dieser spontanen Bewegungen. Jene spontanen Elemente waren sowohl ihre Stärke als auch ihre prinzipielle Schwäche. Die gilets jaunes waren eine sehr heterogene Bewegung, die sowohl revolutionäre als auch reaktionäre Elemente enthielt. Es gab keinen ausgeklügelten Plan zum Handeln und auch keine wirkliche Perspektive, die Macht zu übernehmen – was die einzig mögliche Perspektive gewesen wäre.
Die größte Schwäche dieser Bewegung war ihre Unfähigkeit, sich mit der organisierten Arbeiterklasse zu verbinden und für einen unbegrenzten Generalstreik zu kämpfen. Dass dies aber nicht geschah, lag in erster Linie am Zögern der Gewerkschaftsführungen, die von der Bewegung geradezu verängstigt waren. So wurde Macron am Ende gerettet. Die Korruptheit französischen Arbeiterführer und eine sogenannte „Linke“, die alle Sparmaßnahmen Macrons mittrug, waren schon zu Beginn der Hauptgrund für das Entstehen der gilets jaunes-Bewegung.
Da der Wille der Massen in der organisierten Arbeiterklasse kein Echo fand, drückte er sich außerhalb dieser aus. Später, als die Führungen der Gewerkschaften den Druck von unten spürten und eine neue Bewegung fürchteten die ihrer Kontrolle entglitt, riefen sie im Dezember 2019 zum Generalstreik auf. Dies entwickelte sich zu einem machtvollen Protest mit 1,5 Millionen Menschen auf den Straßen, was zeigt das die Arbeiterklasse nun in Bewegung geraten ist.
Am auffälligsten war zur Zeit der gilets jaunes die Art, wie die französische Bourgeoisie unangenehme Parallelen zur französischen Revolution zog. Dies macht deutlich, wie sogar die Bourgeoisie beginnt, die revolutionären Implikationen der gegenwärtigen Situation zu begreifen – so verwirrt und tollpatschig sie sich dabei auch anstellen mag. In dieser Hinsicht nimmt sie die Lage weitaus ernster und ist scharfsinniger als die linken Reformisten und die sektiererischen Betonköpfe.
Für blumigen Impressionismus und Romantik ist in revolutionärer Politik kein Platz. Wir müssen gegenüber dieser Art Bewegung eine glasklare Haltung einnehmen. Ja, wir müssen die revolutionären Möglichkeiten, die in ihnen schlummern, wahrnehmen. Ja, wir müssen sie mit Begeisterung willkommen heißen und alles in unserer Macht Stehende tun, um ihnen zum Erfolg zu verhelfen. Am wertvollsten ist vielleicht, ihnen die nötige politische Klarheit mit auf den Weg zu geben, ohne die auch der stürmischsten Massenbewegung der Erfolg verwehrt bleibt.
Am Ende war die Bewegung aber zum Scheitern verurteilt. Macron vermochte es dadurch, sich fürs Erste an der Macht zu halten und die Initiative zurück zu gewinnen. Aber er ging schwer verwundet aus dieser Schlacht hervor. Seine Konzessionen haben das Haushaltsdefizit vergrößert. Bald werden neue Einschnitte und Maßnahmen nötig sein. Die Regierung ist ernsthaft geschwächt worden. Der mächtige Generalstreik vom 5. Dezember ist ein klares Zeichen dafür dass neue Zusammenstöße unvermeidlich sind, die der Regierung am Ende den Rest geben und den Weg für neue revolutionäre Entwicklungen in Frankreich bereiten werden.
Das Problem ist nicht die Stärke Macrons, sondern die enorme Schwäche der Linken. Alle Parteien auf der Linken sind in der Krise. France Insoumise hat sich viele Patzer geleistet und fiel während der Gelbwestenbewegung hinter diese zurück. Eine der Hauptforderungen der Bewegung waren Neuwahlen. France Insoumise brauchte sehr lange, um diese Forderung zu unterstützen.
Mélenchon, der sich schon früh als starker Herausforderer Macrons auf Seiten der Linken etabliert hatte, konnte keinen Vorteil aus dieser Situation ziehen. Im Nachspiel zum Dezember-Generalstreik stellte er sich in eine Reihe mit all den Gewerkschaftsführern, die die „Nieder mit Macron“-Rufe der Arbeiter ignorierten und sich wünschten, Verhandlungen mit der Regierung zu beginnen, welche die „Reformen“ auf die Renten beschränken sollten
#121. Mélenchon spricht nicht länger darüber wie nötig es sei die Wirtschaft zu übernehmen. Stattdessen redet er davon wie wichtig es sei seine Sprache zu mäßigen, doch wovon er wirklich spricht ist die Propaganda der Partei so lange zu verwässern bis sie die Bourgeoisie nicht mehr in Angst versetzt. Er weigert sich weitgehendere demokratische Strukturen in France Insoumise zu verwirklichen, da daraus Strukturen hervorgehen könnten, die die Führung kritisieren. Wenn Mélanchon die Bewegung ernsthaft strukturiert hätte wäre France Insoumise durch die Decke gegangen. Doch er zog es vor, FI lieber als amorphe und inhaltlich unklare Bewegung zu belassen, statt sie zu einer politischen Partei zu formen.
Da Mélenchon daran scheiterte, das volle politische Potential der Situation zu nutzen, gewinnt Marine Le Pen jetzt in den Umfragen. Nichtsdestotrotz bleibt FI, obwohl geschwächt, momentan der einzig brauchbare Referenzpunkt auf der Linken und könnte verlorenen Boden zurückgewinnen, wenn sich die Krise weiterentwickelt. Und trotz allen Versuchen Macrons, seine Basis wiederherzustellen, hat sein reaktionäres Programm der Einschnitte dazu beigetragen, die Massenbewegung der Opposition weiter anzufachen, wie wir beim Generalstreik gegen die Rentenreform gesehen haben.
Die Krise in Spanien
Die soziale und wirtschaftliche Situation in Spanien ist extrem instabil. Das einzig existierende ökonomische Wachstum ist im nichtproduktiven Sektor zu verzeichnen: Tourismus und Spekulation. Die industrielle Produktion hingegen hat ihren schärfsten Fall in sechs Jahren hinter sich. Dies trifft besonders auf die Automobilindustrie zu. Es gibt eine schwerwiegende Wohnungskrise, mit steigenden Mieten, Rechnungen für Strom etc. Die Massenbewegung der Rentner von 2019 deutet auf eine wachsende Radikalisierung der Stimmung in der spanischen Gesellschaft hin.
Diese Widersprüche kommen auf jeder Ebene zum Tragen. Alle Institutionen der Bourgeoisie haben sich diskreditiert. Die katalanische Frage ist noch immer ungelöst. Die Verurteilung der katalanischen Politischen Gefangenen brachte eine neue Welle von Massenprotesten hervor, die beinah aufständischen Charakter hatten. Doch nach dem Unabhängigkeitsreferendum von 2017 zeigte sich deutlich, dass die momentane, kleinbürgerliche und feige Führung der Nationalisten die katalanische republikanische Bewegung nicht länger voranbringen kann. Nur mit einer klar internationalistischen und an der arbeitenden Klasse orientierten Politik kann die Bewegung die nötige Stärke sammeln, um das spanische Regime herauszufordern.
Die Wahlen vom April 2019 haben das Potential der Linken aufgezeigt, vorbereitet durch den großen Frauenstreik am 8. März sowie die Massenbewegung der Rentner. Das Aufkommen einer rechtsaußen-Partei, der Vox –einer Abspaltung des Partido Popular- , welche sich der alten Rhetorik des Franco Regimes bedient, hatte zur Folge, dass die Linke Stimmen gewann, sodass die Partido Popular eine empfindliche Niederlage erlitt und Städte verlor, die sie zuvor 25 Jahre regiert hatte. Diese Radikalisierung schlug sich auch in der höchsten Wahlbeteiligung der letzten 30 Jahre nieder.
Doch dieses Potential wurde von Podemos und der Vereinigten Linken verschenkt, welche bewiesen haben, dass sie nicht einmal besonders gute Opportunisten sind. Anstatt der PSOE Hilfe bei der Bildung einer Regierung anzubieten (und so die Rechten zu blockieren), indem sie der PSOE kritische Unterstützung von außerhalb der Regierung zukommen hätten lassen, forderten sie stattdessen Ministerposten innerhalb der Regierung. Dies führte schlussendlich zum Abbruch der Gespräche. Am Ende entschied Sanchez, neue Wahlen abzuhalten. Dabei hoffte er, er könnte seine eigene Basis verbreitern und die stabile Regierung bilden, die die herrschende Klasse braucht, um dem kommenden ökonomischen Abschwung zu trotzen.
Die Neuwahlen im November 2019 haben nichts gelöst. Anstatt gestärkt daraus hervorzugehen, hat die PSOE sogar einige Abgeordnete verloren, während Ciudadanos, ihr anderer potentieller Koalitionspartner, vollständig zusammenbrach. Dies zwang die PSOE in eine Koalition mit Unidas Podemos (welche die Regierungsdisziplin und die Ausgaben-Limits der EU akzeptierten), mit äußerer Unterstützung der baskischen und katalanischen Nationalisten. Diese Regierung wird mit der bevorstehenden wirtschaftlichen Rezession als auch mit dem Kampf für die nationalen Rechte Kataloniens zu kämpfen haben. Sie wird von Widersprüchen durchgerüttelt werden und unvermeidlich dazu führen, dass Podemos und die Führung der Vereinigten Linken diskreditiert werden.
Großbritannien
Vor 4 Jahren schockierte das Ergebnis des Referendums zur EU-Mitgliedschaft das Establishment bis ins Mark. Seitdem befindet sich Großbritannien in einem beispiellosen politischen und sozialen Aufstand. Neu an der Situation ist, wie die herrschende Klasse die Kontrolle über die Situation verloren hat und sich seitdem schwer tut, sie zurückzugewinnen.
In der Vergangenheit war es keine allzu schwere Aufgabe, das System am Laufen zu halten. Die Konservativen (die Tories) die Hauptpartei der Bourgeoisie, war fest in ihrer Hand, während die Labour Party von respektablen Damen und Herren aus der Mittelschicht geführt wurde, denen man die Dinge ruhig anvertrauen konnte. Und wenn die Massen davon genug hatten, konnte man ja die Tories wiedereinsetzen.
In den letzten Jahren jedoch schlug sich die Zerstörung dieses Gleichgewichts in Folge des Ökonomischen Zusammenbruchs von 2008 in einer scharfen Polarisierung zwischen rechts und links nieder. Dies hatte zur Folge, dass die herrschende Klasse Großbritanniens die Kontrolle sowohl über die Tories als auch über Labour verlor.
Die Bourgeoisie in Großbritannien war schon durch die Entwicklungen in der konservativen Partei alarmiert, über die sie wenig bis keine Kontrolle mehr hatte. Aber noch mehr erschrak sie vor den Ereignissen in der Labour Party. Die Wahl von Jeremy Corbyn, entgegen dem begrenzten und alles in allem reformistischen Charakter seines Programms, repräsentierte einen scharfen Linksruck. Hunderttausende Menschen –besonders junge Leute- begeisterten sich für das politische Leben.
Neue Mitglieder strömten in die Partei, was zu einer grundlegenden Transformation führte und den rechten „blairistischen“ Flügel demoralisierte. Die große Mehrheit der lokalen Parteigruppen sind deutlich nach links gerückt, besonders nach dem versuchten Putsch 2016. Der Wandel dehnte sich auf große Teile des Parteiapparates aus, nachdem der „Blairite“ McNicol durch Formby ersetzt wurde. Der einstigen Hexenjagd gegen Linke wurde Einhalt geboten und viele frühere Mitglieder des linken Flügels kehrten zurück.
Die Parteiversammlung wird nun von den Linken dominiert und nur die Gewerkschaftsbürokratie hält sie davon ab, „zu weit zu gehen“. Der Einfluss des rechten Flügels ist nun auf seine letzten Bastionen beschränkt, den parlamentarischen Arm der Labour Party, die regionalen Büros und die Parteiräte, wo er weiterhin die Nachhut gegen die „Corbynistas“ bildet.
Diese Entwicklungen riefen fast so etwas wie Panik bei der herrschenden Klasse hervor. Angesichts der Tiefe der Krise hätte eine Labour Regierung unter enormem Druck gestanden Programme und Maßnahmen gegen Banker und Kapitalisten durchzuführen. Dies wäre einer ernsten Bedrohung für die Bourgeoisie gleichgekommen.
Gemeinsam mit dem rechten Flügel der Labour Party tat die herrschende Klasse alles, um dies zu verhindern. Die Blairites im parlamentarischen Arm der Labour Party waren schon bereit sich von der Partei abzuspalten sollte Corbyn gewinnen. Hinter den Kulissen arbeiteten sie aktiv an einer Niederlage für Labour. Nun haben sie bekommen, was sie sich so inbrünstig gewünscht haben.
Die herrschende Klasse mobilisierte alle Ressourcen, um Jeremy Corbyn zu erledigen und einen Sieg Labours zu verhindern. Die Wahlen 2019 wahren die schmutzigsten, die das moderne Großbritannien je erlebt hat. Alle Mittel und Kräfte, die der herrschenden Klasse zur Verfügung standen – von den Massenmedien bis zum vorsitzenden Oberrabbiner- wurden mobilisiert, um Corbyn zu dämonisieren und zu verleumden.
Trotz allem war das entscheidende Element, das den Ausgang der Wahlen bestimmte, unzweifelhaft der Brexit. Seit 2016 hat diese Streitfrage das politische Leben in Großbritannien vergiftet. Im Grunde genommen war es ein Riss zwischen zwei Fraktionen der herrschenden Klasse, aber am Ende spaltete er die ganze Gesellschaft, nicht entlang von Klassenstandpunkten, sondern auf eine ganz und gar reaktionäre Weise.
Der rechte Flügel der Partei gibt Corbyn die Schuld für die Niederlage, aber sie übersehen dabei ein winziges Detail, nämlich dass sie dadurch, dass sie die Labour Partei hinter dem „Remain“-Lager versammelt hatten, selbst den wichtigsten Beitrag leisteten um die Niederlage der Labour Partei zu sichern. Die angebliche „Unbeliebtheit“ Corbyns war vor allem auf die unaufhörlichen Angriffe auf ihn, die Schmierenkampagnen und die Versuche, ihn als Labour Leader zu entfernen, zurückzuführen.
Wie vorherzusehen war, wurde am Tag nach der Wahl die bösartige Kampagne zum Sturz von Corbyn nocheinmal tausendfach intensiviert und erreichte ihr Ziel – zumindest teilweise -, als Corbyn und McDonnell bekannt gaben, dass sie zurücktreten würden.
Der Fall von Jeremy Corbyn jedoch zeigt ein weiteres Mal die Schwächen und die Grenzen des linken Reformismus auf. Die Reformisten des rechten Flügels haben sich als sehr viel bestimmter als die Linken erwiesen. Sie sind bereit bis zum Äußersten zu gehen, um den Kampf um die Labour Party zu gewinnen. Die Linke hingegen neigt zu Schwankungen, vermeidet den Konflikt und will den Kompromiss. Das ist ein ernsthafter Fehler, der unvermeidlich zu einer Niederlage nach der anderen führt. Und für jeden Schritt zurück werden ihnen zehn weitere abverlangt.
Diese politische Anpassung war entscheidend für die Wahlniederlage der Labour Party. In der Brexit Frage unterstützte Corbyn die Idee, ein neues Referendum abzuhalten. Dies wurde von denjenigen, die beim Referendum 2016 für den Austritt aus der Europäischen Union gestimmt hatten, als Versuch angesehen, eine bereits von der Mehrheit der Bevölkerung getroffene Entscheidung rückgängig zu machen – eine Entscheidung, die im Übrigen den Interessen des Establishments widersprach.
Die Versuche Corbyns und McDonnells, die Rechten zu beschwichtigen, um die „Einheit“ der Partei zu bewahren, waren Zeichen der Schwäche und wurden folgerichtig als Einladung zu weiteren Angriffen verstanden. Das Einlenken in den Fragen Europa, Abwahl der rechten Labour-Abgeordneten im Parlament und Antisemitismus spielte dem rechten Flügel in die Hände und ebnete den Weg in die Niederlage. Aber eine Konterrevolution der Blairites in der Labour Party wird nicht ohne einen Bürgerkrieg vonstattengehen.
Der Rücktritt Corbyns ist zweifellos ein Rückschlag für die Linke, so wie es beabsichtigt war. Auch die nüchterneren bürgerlichen Analysten haben verstanden, dass die Veränderungen, die sich in der Labour Party vollzogen haben, vor allem auf der Ebene der Basis, aber auch weitgehend innerhalb des Parteiapparats so weitreichend sind, dass das als Corbyn-Revolution bekannte Phänomen nicht so leicht rückgängig gemacht werden kann. Am 13. Dezember veröffentlichte der Economist einen Artikel mit dem Titel „Jeremy Corbyns vernichtende Niederlage“, der bedrückt schloss: „Der Blairismus wird begraben bleiben.“
Die käuflichen Medien versuchen, diesen Rückschlag als den Anfang des Endes für Labour darzustellen. In Retroperspektive wird er aber lediglich als eine episodische Entwicklung gesehen werden, die sich in ihr Gegenteil wandeln wird. Wenn die Realität des Brexit den Menschen endlich dämmert, wird es eine gewaltige Reaktion gegen Boris Johnson und all seine Bemühungen geben. Seine Regierung wird die unbeliebteste Regierung der jüngeren Geschichte sein.
Das Wahlergebnis war nicht so eindeutig, wie es dargestellt wird. Tatsächlich war der Anstieg der Tory-Stimmen vernachlässigbar – nur 300.000 Stimmen gegenüber dem Ergebnis von 2017. Auch in den Arbeitervierteln Nordostenglands ist das Ergebnis für sie nicht so ermutigend, wie sie es uns glauben lassen wollen. Die meisten, die für Johnson gestimmt haben, sagen, dass sie ihm ihre Unterstützung nur „geliehen“ haben. Sie erwarten, dass er seine Versprechen einhält, ansonsten wird er diese Unterstützung wieder verlieren.
Aber Johnson wird seine Versprechen nicht einhalten können. Wie in anderen Ländern ist die gegenwärtige Periode von heftigen Schwankungen der öffentlichen Meinung sowohl nach links als auch nach rechts gekennzeichnet. Die Wahlen 2019 in Großbritannien sind nur ein weiteres Beispiel für diesen Prozess. Sie leiten eine neue Periode von sozialen Konflikten, Klassenkämpfen und politischen Umwälzungen ein, die alles, was wir bisher gesehen haben, klein erscheinen lassen und tiefgreifende politische Konsequenzen haben werden.
Der Abschied Großbritanniens von der EU wird nicht nur nicht zu einer neuen Ära des Wohlstandes und Wachstums führen, sondern ausgesprochen negative Konsequenzen für die britische Ökonomie mit sich bringen. Wenn – was immer noch möglich ist -, Großbritannien ohne Deal die EU verläßt, wird das eine absolute Katastrophe bedeuten. Doch selbst in der besten Variante wird der Brexit zu einem Schrumpfen der Wirtschaft, einem Verlust an Arbeitsplätzen und fallenden Lebensstandards führen.
Weit davon entfernt, eine Zukunft des Fortschritts, des Wohlstands und der Stabilität zu bieten, ist Großbritannien dazu vorbestimmt, in die instabilste und turbulenteste Periode der Neuzeit einzutreten. Die unvermeidlichen Angriffe auf den Lebensstandard und die den Sozialstaat werden zu einem Ausbruch von Streiks, Protesten und Massendemonstrationen in einem Ausmaß führen, wie es in Großbritannien seit den 1970er Jahren nicht mehr vorgekommen ist.
Diese Situation wird durch die nationale Frage in Schottland weiter destabilisiert werden. Während die Konservativen in England eine entscheidende Mehrheit erlangten, sicherte sich die schottische nationalistische Partei (SNP) im Norden des Landes eine noch größere Mehrheit. Der Sieg von Boris Johnson wirkte auf das schottische Volk wie ein rotes Tuch auf einen Stier. Sein Wahlspruch “Get Brexit done“ klang für die Schotten, die mit überwältigender Mehrheit für den Verbleib in der EU gestimmt hatten, wie eine Provokation.
Die Parteipräsidentin der SNP Nicola Sturgeon forderte unverzüglich ein neues Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands. Boris Johnson will davon nichts hören. Damit ist der Weg gebahnt für einen ernsthaften Zusammenstoß zwischen Schottland und Westminster. Der Ausgang eines solchen Konflikts ist schwer vorhersehbar. Aber eines ist absolut klar. Die marxistische Strömung steht fest für das Recht der SchottInnen ein, ihre Zukunft frei zu bestimmen, bis hin zur Unabhängigkeit von Großbritannien. Wir müssen den schottischen Arbeitern allerdings erklären, dass es, egal ob als Teil Großbritanniens oder unabhängig davon, im kapitalistischen System keine Lösungen für die schottische Arbeiterklasse gibt. Anders als die bürgerlichen Nationalisten der SNP, die für ein kapitalistisches unabhängiges Schottland stehen, kämpfen wir für eine schottische Arbeiterdemokratie, die als mächtige Triebkraft für die sozialistische Föderation Schottlands, Englands, Irlands und Wales dienen würde. In allen Kämpfen zwischen Schottland und der reaktionären Tory-Regierung werden wir Schulter an Schulter mit den Schotten stehen.
Das Desaster, das der Brexit darstellt, wird auch in Irland ernsthafte Folgen haben, wo die Einführung von Grenzkontrollen und Pflichten – auch wenn in der von Boris Johnson vorgeschlagenen, angepassten Form – alle alten Dämonen wieder erwecken wird, von denen sie dachten, dass sie sie mit dem Good Friday Agreement begraben hätten. Es ist die einzigartige Ironie der Geschichte, dass gerade die Partei, die offiziell als die konservative und unionistische Partei bekannt ist, mit größter Wahrscheinlichkeit über dem Untergang des Vereinigten Königreiches thronen wird. Daraus ergeben sich unvorhersehbare Folgen für die Bevölkerungen beider Inseln.
Die Bühne ist bereitet für Konflikte und Kämpfe massiven Ausmaßes. Diese werden einen scharfen Schwung nach Links in der der Zukunft vorbereiten. Wenn die Linke die Nerven bewahren kann, wird sie davon profitieren. Die Gegenden, welche für die Konservativen gestimmt haben, werden dann kraftvoll in die andere Richtung schwingen. In nächster Zukunft wird die Labour Party mitnichten zur Ruhe kommen. In nächster Zukunft wird die Rechte Blairs den letzen verzweifelten Kampf beginnen, ihre Kontrolle zurück zu erlangen. Unterstützt werden sie von der herrschenden Klasse, die den Schub nach links in der Partei umkehren will.
Der Kampf in der Labour Party wird einen härteren Charakter annehmen. Es beginnt nun ein Prozess interner Debatten und Reflexion über die vergangenen Wahlen. Die Provokationen der Blairites werden eine Welle von Wut und Entrüstung in der Basis lostreten.
Die größte Mehrheit der Labour-Basis sind Corbynisten. Sie sind bereit den Kampf gegen den rechten Flügel aufzunehmen. Aber in jedem Kampf ist die Qualität und der Kampfeswillen der Führung essentiell. Corbyn und McDonnell haben dem rechten Flügel gegenüber Zugeständnisse gemacht. Wenn sie durch eine weichere Sorte linker Reformisten ersetzt werden, werden diese noch eher den Forderungen nach “Einheit” nachkommen und in die Falle fallen, welche die Blairite-Gang ihnen gestellt hat.
Im Endeffekt ist der Kampf in der Labour Partei ein Klassenkampf: Ein Flügel versucht, die Arbeiterklasse, die Armen und die Bestohlenen zu repräsentieren, der andere besteht aus Karrieristen, die bewusst oder unbewusst den Interessen großer Konzerne dienen. Diese zwei entgegengesetzten Kräfte können nicht ewig zusammen existieren. Wenn die Basis erfolgreich ihre Vorherrschaft behaupten kann, wird der rechte Flügel an einem gewissen Punkt dazu gezwungen sein, sich abzuspalten. Das ist aber in keinem Fall sicher.
Als Corbyn und McDonnell ihre Absicht, zurückzutreten, verkündeten, wurde der rechte Flügel dazu ermutigt, in die Offensive zu gehen. Sie haben ihre Motivation, die sich seit 2017 auf einem Tiefpunkt befand, zurückgewonnen und sehen keinen Grund, sich abzuspalten, weil sie darauf hoffen, die Kontrolle wiederzuerlangen. Im Gegensatz dazu ist die Linke demoralisiert und desorientiert. Rebecca Long-Bailey genießt nicht annähernd Corbyns Autorität. Alles hängt von der Basis ab. Aber auch dort herrscht große Verwirrung.
In jedem Fall wird die Marxistische Strömung an vorderster Front gegen den rechten Flügel mitkämpfem. Sie wird Autorität und Ansehen in den Augen der Arbeitenden und der Jugend gewinnen, welche die überlegene Praxis des Marxismus erkennen wird. Nicht nur als Idee, sondern als Strömung, die keine Kompromisse eingeht und nicht kapituliert, sondern den Kampf bis zum Ende führt.
Nach dem Zusammenbruch der UdSSR gab es nur noch eine große Supermacht. Und mit der kolossalen Macht kam eine kolossale Arroganz. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs war die ganze Welt zwischen dem US-Imperialismus und dem mächtigen stalinistischen Russland geteilt. Daraus resultierte eine Art Stabilität in den internationalen Beziehungen, die jahrzehntelang andauerte und nur gelegentlich von Krisen wie der Kubakrise unterbrochen wurde. Aber grundsätzlich achteten die beiden Großmächte darauf, sich nicht zu sehr in die Einflusssphäre des anderen einzumischen.
All das änderte sich nach dem Untergang der Sowjetunion. Der Zerfall hinterliess ein Vakuum, welches die US Imperialisten ausnutzten indem die zuerst im Balkan und später in Kriegen mit dem Iraq und Afghanistan intervenierten. Russland war in einer schwachen Position und lange Zeit unfähig, zu reagieren. Aber diese Zeit ist vorbei. Russland hat allmählich begonnen, sich zu erholen und zu seine Position zu festigen: Erst in Georgien, dann in der Ukraine, dann in Syrien. Ebenso erfuhren die USA im Iraq und in Afghanistan Niederlagen gegenüber den Taliban, die in Afghanistan aufsteigen, während der Iran im Irak die Oberhand hat.
In all diesen Fällen war der US-Imperialismus gezwungen, demütigende Niederlagen zu akzeptieren. Das Ergebnis dieser Niederlagen waren enorme Staatsschulden und eine zutiefst kriegsmüde Bevölkerung. In Verbindung mit der allgemeinen Krise des Kapitalismus, dem zunehmenden Klassenkampf und den daraus resultierenden Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse wurde der Spielraum für eine militärische Intervention durch die USA stark eingeschränkt. Barack Obama konnte nicht einmal eine Bombenkampagne auf Syrien durch den Kongress bringen. So zeigen sich die Grenzen der Macht des US-Imperialismus. Die USA erlebt, relativ zu den anderen kapitalistischen Mächten, einen Rückgang. Dies erklärt die zunehmende globale Instabilität und die Krise in der Weltordnung der Nachkriegszeit, die um den US-Imperialismus herum errichtet worden war.
Dennoch muss man aufpassen, den Niedergang des US Imperialismus nicht überzubetonen. Es gibt einen relativen Rückgang, aber Amerika ist immer noch das reichste Land und die größte Militärmacht der Welt. Seine Handlungen sind maßgebend für die Entwicklungsrichtung des Weltmarks, da es bei weitem der größte Markt ist. Eine Verlangsamung der US-Wirtschaft würde zu einer weltweiten Verlangsamung führen, die in einer globalen Rezession enden würde.
Während Trump aus militärischer Sicht ein Isolationist ist, tut er alles Mögliche (und einige Dinge, die nicht Möglich sind), um diese Macht im wirtschaftlichen Bereich durchzusetzen. Sein Slogan “Make America Great Again” fasst das zusammen. Er vergisst hinzuzufügen: auf Kosten der übrigen Welt. Wie wir erklärt haben, führt dies zu Konflikten, die schwerwiegende Folgen für die Weltwirtschaft haben könnten.
China ist dank der Entwicklung in der Industrie der letzten Periode eines der wichtigsten Länder der Welt. Es bauen sich enorme Widersprüche auf. Das Wachstum der Industrie bedeutet auch, dass es ein riesiges Wachstum der Arbeiterlasse gabt. Napoleon sagte einst: “China ist ein schlafender Drache. Wenn dieser Drache erwacht, wird die Welt erzittern.” Wir können diese prophetischen Worte mit einer kleinen Paraphrase wiederholen: “Wenn das chinesische Proletariat erwacht, wird die Welt erzittern.” Das immense revolutionäre Potential Chinas hat sich in Hong Kong auf dramatische Weise gezeigt.
Das ist aus unserer Sicht sehr positiv, für die herrschende Klasse in China aber ein ernsthaftes Problem. Jetzt zeigen sich alle Widersprüche. Aus der begrenzten statistischen Information die zur Verfügung steht wird klar, dass sich die Zahl der Streike und anderer Protestformen erhöht. Und Xi Jinping versucht alles zu zentralisieren und jeden Dissens auszulöschen, bevor er außer Kontrolle gerät.
China gibt heute mehr für interne Sicherheit aus als für die Landesverteidigung. In einem totalitären Staat wie China werden die Informationen, die über interne Vorgänge nach außen gelangen, gefiltert. Dadurch wird der Eindruck einer ruhigen Gesellschaft ohne nennenswerte Auseinandersetzungen erweckt, doch das ist eine optische Täuschung. China ist wie ein gigantischer Druckkochtopf, in dem der angestaute Druck, der keinerlei legalen Raum für Ausdruck finden kann, letztendlich in einer enormen Explosion Ausdruck finden muss und zwar genau dann, wenn keiner damit rechnet – das ist es, was wir in Hong Kong gesehen haben.
In ihren Anfangsphasen gab es innerhalb der Bewegung in Hong Kong noch ein Element des Klassenbewusstseins und der linken Ideen. Einer der Führer bekundete in seinem Programm, dass er gegen die kapitalistische Hegemonie ist. Die Stimmung auf den Straßen war eindeutig revolutionär und die Jugend zeigte gewaltigen Heldenmut. Das Potenzial für die Ausweitung der Bewegung auf Festlandchina wäre unter korrekter Führung enorm gewesen.
Doch mit einer kleinbürgerlichen Führung gab es keine Chancen dafür. In Abwesenheit einer ernsthaften linken Führung wurden die pro-westlichen Elemente nach vorne gespült und ihre Hilfsappelle an die USA und den Westen wurde von den chinesischen Medien als Teil ihrer Propaganda genutzt um, das Image der Demonstranten in den Köpfen der einfachen chinesischen Bevölkerung anzuschwärzen. Der Heldenmut der Jugend wird ohne jeden Erfolg bleiben, solange die Führer Illusionen haben, dass eine Lösung für Hong Kong auf kapitalistischer Basis möglich wäre. Das ist ein fertiges Rezept für eine Niederlage.
Die Verwirrung der Führung wurde weiter erschwert durch ihre andauernden Versuche eine Lösung mit der Regierung in Peking zu verhandeln, während Xi keinerlei Absichten hatte mit ihnen oder irgendwem sonst zu verhandeln. Er war fest entschlossen, die Bewegung zum Schweigen zu bringen. Die Gründe dafür liegen auf der Hand: die Massen in Hong Kong hatten ein Beispiel gesetzt, das sich leicht auf Festlandchina hätte ausbreiten können, wo die enorme Unzufriedenheit direkt unter der Oberfläche brodelt. Dieses Potenzial versetzt die Führung in Peking in Schrecken.
Was auch immer der Ausgang der gegenwärtigen Lage sein wird, es wird nicht der letzte Akt dieses Dramas sein, sondern nur weitere, noch größere, Ereignisse vorbereiten. Ein Rückschlag in Hong Kong würde den revolutionären Prozess in China zwar verzögern, aber nicht anhalten. In der kommenden Periode werden die Massenmobilisierungen, die wir in Hong Kong gesehen haben, in Peking und Shanghai auf einer höheren Ebene wiederholt werden. Das ist die reale Perspektive, die den Aufbau einer Sektion in China zu einer der wichtigsten Aufgaben der Internationale macht.
Das Putin-Regime ist seit zwei Jahrzehnten an der Macht und auf der internationalen Bühne wird der Eindruck eines Machthabers erweckt, der völlige Kontrolle über Russland ausübt. Das jedoch ist eine sehr einseitige Sichtweise auf den wahren Zustand der Dinge in Russland. Der “Machthaber” ist ein Gigant auf tönernen Füßen. In der ersten Periode konnte Putin vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren, der sich großteils aus den hohen Preisen für Öl und Gas ergab – Russlands wichtigste Exportgüter und Vermögensquellen.
In weiterer Folge schürte er den russischen Nationalismus in Bezug auf die Ukraine-Krise, was in der Annexion der Krim und der militärischen Intervention in der Donezbecken mündete. Jetzt wo die nationalistische Euphorie abflaut und die Wirtschaft stagniert, nimmt auch die Unterstützung für Putin in den Meinungsumfragen beständig ab. Sowohl die Arbeiterklasse, wie auch die Bourgeoisie üben Druck auf Putin aus. Dieser versucht den Eindruck zu erwecken gegen Korruption entschieden vorzugehen, obwohl die Kreml-Clique selbst der Ausgangspunkt massiver Korruption ist. 2018 wurden zwar einige Geheimdienstmitarbeiter aufgrund von Korruptionsvorwürfen verhaftet, doch diese Maßnahmen tragen nichts zur Verbesserung der Wirtschaftslage bei.
Die Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung zwang den Kreml dazu, die Staatsausgaben zu kürzen, was in weiterer Folge den Zusammenbruch des bestehenden Gesellschaftsvertrags bedeutet. Die Arbeitslosigkeit stieg deutlich an, genauso wie Zeitarbeit und prekäre Beschäftigung. In der vergangenen Periode haben sich diese Angriffe auf die Arbeiterklasse weiter verschärft. Beispielhaft dafür steht die Pensionsreform, die einen massiven Angriff auf Millionen von Arbeitern in Russland bedeutet und mit Massenprotesten beantwortet wurde.
Unfähig, den wirtschaftlichen Niedergang zu stoppen, bemüht sich Putin darum, völlige Kontrolle über das Justizsystem, die Politik, Medien und Kommunikation auszuüben. Seine Partei, “Einiges Russland”, sitzt an allen wichtigen politischen Schalthebeln, ist aber mit einer wachsenden Unzufriedenheit konfrontiert, die sich in einer Reihe von Massenprotesten gegen die Regierung, besonders in Moskau, ausdrückt.
Bild: Putin besucht die Moskauer Polizei. Quelle: en.kremlin.ru
Trotz seines Versuchs, auf die Arbeiterklasse zu wirken, ist die Kampagne von Alexei Novalny überwiegend geprägt durch die Mittelschicht. Gleichzeitig macht die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) unter der Führung von Zyuganov keinerlei Anstalten die Führung der Proteste zu übernehmen, und hat in der Tat sogar einen geheimen Deal mit dem Kreml erzielt, um jede ernsthafte Opposition gegenüber Wladimir Putin zu verhindern.
Vor zehn Jahren war die KPRF eine ernstzunehmende Kraft in Russland, aber obwohl sie auch heute noch ein wichtiger Faktor ist, konnte sie aus der politischen Lage keine Zugewinne erzielen und steckt heute in einer ernsthaften Krise. Die Führung dieser Partei ist gänzlich bankrott und ein großer Teil der Kandidaten, die sich zur Wahl stellen, sind Geschäftsmänner. Die Führung der Partei ist eine autokratische Clique, die andauernd in Konflikt mit anderen rivalisierenden bürokratischen Cliquen steht.
In den allermeisten Fällen haben diese Streitereien absolut keinen politischen Inhalt, aber es ist bemerkenswert, dass die übliche Anschuldigung an Oppositionelle die des “Neo-Trotzkismus” ist. Es gab wiederholte Wellen von Ausschlüssen, unter anderem auch Ausschlüsse ganzer lokaler Parteigruppen. Aus all diesen Gründen ist die Arbeit in der KPRF zum jetzigen Zeitpunkt keine tragfähige Option. Nichtsdestotrotz wäre es ein schwerer Fehler, die KPRF gänzlich abzuschreiben: schließlich trägt sie noch immer den Namen der Kommunistischen Partei und die Symbole des Kommunismus – die rote Fahne, Hammer und Sichel, usw. Aufgrund des massiven Vakuums auf der Linken, ist es trotz allem möglich, dass sie wieder an Unterstützung und Zustimmung gewinnt, besonders angesichts der fortschreitenden sozialen und politischen Krise.
Obwohl Putin derzeit erfolgreich die Kontrolle hält, wird diese Situation nicht für immer anhalten. Die russische Wirtschaft hängt maßgeblich von den Öl- und Gaspreisen ab, die mit der nächsten Weltwirtschaftskrise unausweichlich zusammenbrechen werden. Die Proteste die bereits begonnen haben, werden sich in weitaus größerem Maßstab wiederholen und die Herrschaft Putins völlig untergraben. Er wird nicht länger in der Lage sein auf den Nationalismus zu setzen, denn die Massen haben bereits jetzt genug von Putins Abenteuern im Ausland und beginnen, sich aufzulehnen.
Der wichtigste fehlende Faktor in Russland ist, dass die Arbeiterklasse noch nicht begonnen hat, sich in Bewegung zu setzen. Sobald das geschieht, wird sich die gesamte Situation rapide verändern, so wie wir es im Jänner 1905 bereits gesehen haben. Die russischen Arbeiter haben revolutionäre Traditionen und ihr Bewusstsein wird sich in einer neuen veränderten Situation ebenso sprunghaft verändern.
Wir haben in Russland eine stabile Sektion mit einer Basis in vielen Regionen Russlands aufgebaut. Eine Verzögerung des revolutionären Prozesses ist zu unserem Vorteil, weil wir die Zeit brauchen um unsere Kräfte zu bündeln, um nicht von den Ereignissen überrannt zu werden. Der Aufbau einer unverfälschten Arbeiterpartei steht jetzt an der Tagesordnung und wir müssen im Zentrum dieses Prozesses stehen. Das kann durch eine fundamentale Veränderung des Regimes innerhalb der KPRF oder, wenn die innere Krise zur Zerstörung der Partei führt, durch den Aufbau einer gänzlich neuen Partei passieren. Wir stehen auf dem Fundament des authentischen Bolschewismus-Leninismus (Trotzkismus). Das gibt uns enorme Stärke, Autorität und Selbstbewusstsein. Mit geduldiger Arbeit unter den fortgeschrittensten Teilen Arbeiterklasse und der Jugend können wir die Basis legen für den Aufbau einer revolutionären Massenbewegung in Russland.
Afrika hat eine Bevölkerung von ca. 1,3 Mrd. Menschen, deren Großteil in elender Armut lebt, und das auf einem Kontinent voller Bodenschätze und unerschlossenem landwirtschaftlichen Potenzial. Ein Kennziffer für diese Armut ist Afrikas gesamtes BIP, das bei $ 2,2 Bio. liegt (Zahlen 2017). Im Gegensatz dazu lag der BIP der USA im Jahr 2017 bei ca. $ 19,4 Bio – das ist beinahe das zehnfache des BIPs von ganz Afrika in einem einzigen Land mit etwa 327 Mio Einwohnern. Das unterstreicht schonungslos die Rolle, die der Imperialismus in der Ausbeutung des Kontinents und der Hemmung seines Potenzials, sowohl in der Vergangenheit als auch heute, spielt.
Es ist kaum überraschend, dass dieses Meer an menschlichem Elend eine massive Flut an Flüchtlingen hervorbringt, die verzweifelt einen Ausweg aus den grauenhaften Zuständen suchen, in denen sie gezwungen sind zu leben. Das ist das Resultat der Plünderung ihrer Länder durch unersättliche Konzerne und den Imperialismus, die sie weiterhin durch die Mechanismen des ungleichen Welthandels, lähmende Schuldenrückzahlungen, die jeglichen verbleibenden Reichtum des Kontinents aufsaugen und die betrügerische “Hilfe”, die oft nur als heuchlerische Fassade für die Ausbeutung dient, unterdrücken.
Zu dieser historischen Rückständigkeit kommen jetzt außerdem die Auswirkungen der weltweiten Krise des Kapitalismus hinzu. Ganz Afrika befindet sich in Aufruhr, mit tiefgreifenden sozialen und politischen Konflikten in vielen Ländern. Wir haben in der vergangenen Periode eine Welle von Massenbewegungen gesehen, die alle ähnliche Elemente aufwiesen. Langjährige Diktatoren oder Regierungschefs, die seit vielen Legislaturperioden im Amt waren, weigerten sich das Feld zu räumen, als ihre Zeit gekommen war. In jedem einzelnen Fall identifizierten die Massen den amtshabenden Präsidenten als Ursache für die drakonische Austerität, die ihnen auferlegt wurde, was in den vergangenen Jahren Massenbewegungen revolutionären Ausmaßes auf dem gesamten Kontinent entfesselte.
Im Jahr 2014 entflammten in Burkina Faso Proteste gegen eine geplante Gesetzesänderung, die es dem scheidenden Präsidenten Compaoré erlaubt hätte länger im Amt zu bleiben. Konfrontiert mit diesen Massenprotesten war er gezwungen, sein Amt nach 27 Jahren niederzulegen. 2015 fanden in Burundi wochenlange Massenkämpfe gegen die Pläne von Präsident Nkurunziza, für eine weitere Legislaturperiode zu kandidieren, statt, die das Regime bis ins Mark erschütterten. Massen von Menschen fluteten tagtäglich die Straßen unter dem Ruf nach Veränderung und ganze Nachbarschaften erhoben sich gegen das Regime.
Im Kongo brachen 2015 bedeutende Bewegungen aus und forderten den Rücktritt des Präsidenten Joseph Kabila. Er hatte versucht, trotz des Ablaufs seiner Amtszeit im Jahr 2016 weiterhin im Amt zu bleiben. Schlussendlich musste Kabila dennoch zurücktreten und 2018 wurde – unter großflächigem Wahlbetrug – ein neuer Präsident gewählt. Währenddessen befindet sich das Land weiterhin in einem Zustand des katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Niedergangs und steht am Rande eines Bürgerkriegs, der droht, das Land in die Barbarei zu stürzen.
2016 fand Gambia sich in einer tiefgreifenden Krise wieder, verursacht durch die Entscheidung des diktatorischen Präsidenten Yahya Jammeh, nicht abzutreten, obwohl er im Dezember 2016 abgewählt worden war. Im darauffolgenden Jahr schlug der Rücktritt Robert Mugabes in Zimbabwe Wellen durch die gesamte Region im Süden Afrikas. Sein Fall wurde mit Begeisterung auf dem gesamten Kontinent aufgenommen. Das ist ein Hinweis, dass die Massen die verrotteten alten Regimes gründlich satt haben. Dennoch hat sich seit seinem Rücktritt nichts Fundamentales verändert, wie spätestens Anfang 2019 deutlich wurde, als Massenproteste gegen neue Sparmaßnahmen in spontane Generalstreiks gegen die Regierung hinüberwuchsen.
Auch Liberia brodelt mit Massenbewegungen von Studenten und Arbeitern, die 2019 ausgebrochen sind. Das Regime hat sie niedergeschlagen, erweist sich jedoch als unfähig, zu verhindern, dass der unvermeidliche Zorn der Massen in größere Bewegungen übergeht. Präsident Weah, der erst vor zwei Jahren an die Macht gekommen war, als sich die Massen gegen die vorherige Regierung wandten, hat bereits Massenbewegungen provoziert und könnte in der kommenden Zeit fallen. Wir können mehr solche Bewegungen der afrikanischen Massen erwarten, in aufeinanderfolgenden Wellen des Klassenkampfs, als Teil der breiteren Flut revolutionärer Umwälzungen, die die Welt erfassen.
Nigeria
Nigeria ist neben Ägypten und Südafrika eines der wichtigsten Länder Afrikas. Es ist das größte Land des Kontinents mit über 200 Millionen Einwohnern und einem BIP von 375,8 Milliarden USD, d. H. Ein Sechstel des gesamten afrikanischen BIP. Gleichzeitig hat es jedoch die niedrigste Lebenserwartung von ganz Westafrika.
Seit dem Ende der Militärherrschaft im Jahr 1999 hat die nigerianische herrschende Klasse das Land durch zwei bürgerliche Parteien regiert, zuerst die PDP und jetzt die APC, aber die Massen sind am Limit dessen, was sie ertragen können. Dies wurde bei den Wahlen im Jahr 2019 deutlich, als sich über 43 Millionen Wahlberechtigte nicht die Mühe machten, herauszukommen und zu wählen, was diejenigen, die sich der Stimme enthielten, zum größten einzelnen Wählerblock machte! Nur 35 Prozent im ganzen Land stimmten ab; Lagos, der am weitesten entwickelte Staat des Landes, verzeichnete jedoch eine magere Wahlbeteiligung von 18 Prozent. Dies zeigt deutlich das enorme Vakuum, das die Führung der Arbeiterklasse sich weiterhin weigert, zu füllen.
Foto: Commonwealth Secretariat
Die herrschende Klasse in Nigeria ist nicht in der Lage, der Mehrheit der Bevölkerung auch nur das Nötigste zum Leben zu bieten, und drängt die Massen immer noch weiter unter ihre gegenwärtigen barbarischen Lebensbedingungen. Die herrschende Klasse ist sich bewusst, dass die gegenwärtigen Bedingungen zu einer sozialen Explosion führen könnten.
Südafrika
Zwanzig Jahre nach dem Untergang der Apartheid ist keines der grundlegenden Probleme der südafrikanischen Massen gelöst worden. Armut und Arbeitslosigkeit sind weit verbreitet und die Ungleichheit ist noch höher als zu Zeiten der Apartheid. Die einzigen, die davon profitiert haben, sind eine dünne Schicht schwarzer Südafrikaner wie der Milliardärspräsident Cyril Ramaphosa, die sich den Reihen der Kapitalistenklasse angeschlossen haben.
Während das ANC-Regime die Massen zurückhielt, setzte es eine pro-kapitalistische Maßnahme nach der anderen um. Jetzt ist die Enttäuschung vom System weit verbreitet. Mehr als 51 Prozent der Wähler stimmten bei den letzten Wahlen nicht ab, und die Stimmenthaltungen waren unter den Jugendlichen besonders hoch. Dies ist ein ernstes Problem für die herrschende Klasse. Die ANC-Regierung befindet sich in einer tiefen Krise, was sich in einer offenen Spaltung an der Spitze widerspiegelt. Die offizielle Opposition, die DA, befindet sich ebenfalls in einer Krise.
Inzwischen hat die Sackgasse des Kapitalismus zu einem großen Linksruck in der südafrikanischen Gesellschaft geführt. In den letzten 20 Jahren gab es kontinuierliche Mobilisierungsrunden. Arbeiter, Jugendliche und Arme im ganzen Land haben unzählige Streiks und Proteste durchgeführt. Dies hat einerseits zum Aufstieg des neuen Gewerkschaftsverbandes SAFTU geführt, der von der 364.000-köpfigen Metallarbeitergewerkschaft NUMSA gegründet wurde. Dies ist jetzt der mächtigste Gewerkschaftsverband in Südafrika und stützt sich auf ein Programm, das zumindest in Worten die Abschaffung des Kapitalismus fordert.
Die Führer der NUMSA hatten auch die historische Gelegenheit, eine Arbeiterpartei zu gründen, aber durch bürokratische Trägheit wurde diese Gelegenheit verschleudert. Im Moment ist die von der Gewerkschaft gegründete Revolutionäre Arbeiterpartei kaum mehr als eine Hülle einer Partei. Daher wurde das politische Vakuum teilweise von den Economic Freedom Fighters (EFF) gefüllt, die zu einem Anziehungspunkt für große Schichten der Jugend und sogar für einige Schichten der Arbeiterklasse geworden sind. Der Erfolg der EFF ist hauptsächlich auf ihre radikale Rhetorik zurückzuführen, die Korruption in der Regierung aufzeigt, Jugendliche auf die Straße mobilisiert und entschädigungslose Enteignung des Grund und Bodens fordert, sowie die Verstaatlichung von Banken, Minen und anderen strategischen Sektoren, kostenlose Bildung, sanitäre Einrichtungen und Wohnraum, etc.
Economic Freedom Fighters. Foto: GCIS
Diese Forderungen stoßen bei Teilen der Arbeiterklasse in den städtischen Zentren sowie bei vielen ländlichen Schichten auf Enthusiasmus. Je mehr sich die Partei in der täglichen Politik etabliert hat, desto mehr ist sie nach rechts geschwenkt – insbesondere seitdem Cyril Ramaphosa Präsident geworden ist. In der Landfrage machte die Partei dem ANC weitreichende Zugeständnisse. Solange die Partei nicht an der Macht ist, werden die Massen dies jedoch nicht bemerken. Sie sehen nur eine Partei, die den Kampf gegen die Reichen führt. Angesichts der Krise des Kapitalismus und des ANC werden die EFF weiter wachsen.
Das Schicksal des Arabischen Frühlings zeigt, wie Revolution und Konterrevolution organisch miteinander verbunden sind. Es ist unmöglich, eine halbe Revolution zu machen. Entweder stellt sich die Arbeiterklasse an die Spitze der Bewegung und nimmt die Macht in die Hand, oder der gesamte Prozess kann umgekehrt ablaufen und den Boden für die Konterrevolution bereiten. Genau das ist in Ägypten passiert.
Dies unterstreicht die entscheidende Bedeutung des subjektiven Faktors. Die ägyptischen Massen waren nicht in der Lage, nicht eine, sondern zehn Revolutionen zu machen. Aber am Ende wurden alle ihre Bemühungen durch den Mangel an Führung vereitelt. Das Vakuum wurde durch die Konterrevolution gefüllt, als das Militär die Regierung übernahm.
Die arabische Revolution ist jedoch noch nicht vorüber. Alle Widersprüche, die 2011 zu den Revolutionen geführt haben, haben sich nur verschärft. Unter den Auswirkungen neuer Erschütterungen in der Weltwirtschaft sinkt der Lebensstandard der Mittelschicht, während die Arbeiter und Armen tiefer in einem Zustand chronischer Armut, Arbeitslosigkeit oder bestenfalls stark unregelmäßiger Lohnzahlungen versinken. Inzwischen hat die herrschende Klasse jede Legitimation verloren und hängt überall an einem seidenen Faden.
Für eine Weile ermöglichten billige Kredite aus dem Westen den Regierungen, sozialen Frieden zu kaufen. Da sich dieser Prozess jedoch erschöpft hat, breitet sich in der gesamten Region eine neue Krise aus. Die globale Krise des Kapitalismus macht sich bemerkbar und äußert sich in revolutionären Ausbrüchen in einem Land nach dem anderen: im Libanon, in Algerien und im Sudan. Und die Türkei, Jordanien und Ägypten sind nicht weit davon entfernt.
Wenn die billigen Kredite versiegen, muss jedes Land den Lebensstandard stark senken, was wiederum zu neuen sozialen Umwälzungen führen wird. Nach einigen Jahren der Pause und Orientierungslosigkeit beginnt die Bewegung wieder Fuß zu fassen. Jedes dieser Regime befindet sich in einer tiefen Krise. Dies gilt auch für Israel, wo die herrschende Klasse bitter gespalten ist, was ein Spiegelbild der zunehmenden Spaltung in der gesamten israelischen Gesellschaft ist. Schließlich beginnt die Krise die Grundlagen der reaktionären Regime Saudi-Arabiens und der Golfstaaten zu erschüttern.
2018 führten ein Generalstreik und breite Massenproteste in Jordanien zum Sturz von Premierminister Hani Mulki. In Tunesien hat Welle um Welle von Massenprotesten das Land erschüttert. In Algerien hat eine mächtige revolutionäre Bewegung Bouteflika gestürzt und das Regime von oben bis unten erschüttert. In der Türkei erlitt Erdogan bei den Kommunalwahlen schwere Rückschläge und verlor die Kontrolle über Istanbul, Ankara und drei weitere Großstädte. Er versuchte, die Massen abzulenken, indem er ein militärisches Abenteuer gegen die Kurden in Syrien startete. Die ständige Verschlechterung der Wirtschaftslage schafft jedoch die Voraussetzungen für einen erneuten Aufschwung von Protestbewegungen nach dem Vorbild der Gezi-Park-Mobilisierungen im Jahr 2013, jedoch auf einer weitaus höheren Ebene.
Iran und Irak
Im Iran haben anhaltende Proteste, die neu erwachte Schichten von Arbeitern und Armen aktiviert haben, das Regime im Laufe des Jahres 2018 erschüttert. Diese wurden vorübergehend durch die Gefahr eines Krieges mit den USA, Israel und den Golfstaaten unterdrückt, sind aber im November 2019 wieder aufgekommen. nachdem das Regime Kürzungen bei den Gassubventionen eingeführt hatte. Neue und weiter reichende soziale Explosionen werden vorbereitet.
Im Libanon gingen die Massen auf die Straße, nachdem als Teil eines umfassenderen Sparpakets auch eine sogenannte „WhatsApp-Steuer“ eingeführt worden war. Auf ihrem Höhepunkt mobilisierte diese mächtige Bewegung mehr als zwei Millionen Menschen – von einer Gesamtbevölkerung von 4,5 Millionen (sechs Millionen, wenn man die syrischen Flüchtlinge mitzählt). Dies war eine Reaktion auf jahrelange Korruption und offenen Machtmissbrauch durch die Kriegsherren des Bürgerkriegs in den 1980er Jahren, die jetzt Politiker wurden.
Proteste im Iran.
Diese Elemente hatten jahrelang das Sektierertum geschürt, um die Bevölkerung zu spalten, aber das funktioniert nicht mehr. Angesichts der revolutionären Welle von unten schlossen sich die Menschen an der Spitze zusammen, um das Regime zu verteidigen. Sie werden versuchen, die Bewegung zum Entgleisen zu bringen, indem sie die Flammen des Sektierertums schüren. Der einzige Weg für die Bewegung besteht darin, die Arbeiterklasse in einem umfassenden Generalstreik zu mobilisieren, um das Regime zu stürzen und zu verhindern, dass die Konterrevolution die Initiative wiedererlangt.
Im Irak fegte eine mächtige revolutionäre Bewegung, die ihren Ursprung in den schiitischen Gebieten hatte und sich gegen die Elite richtete, durch das Land. Sie richtete sich gegen alle politischen Parteien und Führer – einschließlich Muqtada al-Sadr, dem radikalen schiitischen Führer. Er hatte in den vergangenen Jahren zu Protesten aufgerufen, war aber kürzlich selbst in die Regierung eingetreten. Das Establishment reagierte mit brutaler Unterdrückung. Aber die Proteste gingen weiter und wurden immer radikaler und breiteten sich auf die Studenten und die Arbeiterklasse aus, was zu mehreren großen Streikwellen führte.
Die irakische Bewegung hat zu tiefen Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse geführt. Die pro-iranischen Fraktionen forderten eine Verstärkung der Unterdrückung, während Schichten um den schiitischen Spitzenkleriker Ali Al-Sistani oberflächliche Zugeständnisse befürworteten, um die Bewegung abzulenken. Am Ende scheint sich die iranische Linie durchgesetzt zu haben. Aber das Töten von Hunderten und das Verletzen von Tausenden wird dazu dienen, die demokratischen Illusionen der Vergangenheit aus dem Bewusstsein der Massen herauszubrennen.
Zuvor konnten die vom Iran unterstützten schiitischen Gruppen im Irak und im Libanon ihren reaktionären Charakter hinter ihrem Kampf gegen ISIS sowie den US- und saudischen Imperialismus verbergen. Sie behaupteten, Verteidiger der Demokratie, der Armen und Unterdrückten zu sein. Doch jetzt sind sie entlarvt worden. Im Libanon hat die Hisbollah, die seit den Wahlen 2018 eine Regierung der nationalen Einheit geführt hat, Sparpolitik betrieben und stand an der Spitze der Angriffe gegen die Revolution. Im Irak haben iranisch kontrollierte Gruppen den Staatsapparat verschärft und die meisten von Amerika unterstützten Elemente verdrängt. Die Rolle Irans im Irak wird von den Massen zunehmend als brutale und unterdrückende Besatzungsmacht angesehen. Qassem Soleimani, der Quds-Führer der Revolutionsgarde, war die Schlüsselfigur, die das Vorgehen gegen die Revolution koordinierte.
Dies wird wichtige Konsequenzen im Iran selbst haben, wo sich das Regime teilweise darauf gestützt hat, seine Außenpolitik als eine fortschrittliche, nicht sektiererische und demokratische Kraft darzustellen, die gegen den Imperialismus und den religiösen Fundamentalismus in der Region kämpft. Die Szenen irakischer Demonstranten, die die iranische Botschaft im Irak stürmen – was an die Erstürmung der US-Botschaft nach der iranischen Revolution erinnert – werden zweifellos dazu dienen, die antiimperialistischen Illusionen, die das iranische Regime geschürt hat, weiter zu zerstreuen.
Sudan
Von allen Bewegungen im Nahen Osten in den letzten Jahren ist die sudanesische Revolution am weitesten fortgeschritten und hat den Massen der Region wichtige Lehren vermittelt. Der Mut und die Entschlossenheit der Jugend und insbesondere der sudanesischen jungen Frauen waren sehr inspirierend. Auf dem Höhepunkt der Bewegung folgte die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in Regierungsministerien der Forderung des Streikkomitees nach einem Generalstreik, der die Frage der Macht aufwarf.
Aber wegen der Verwirrung und des Schwankens der Führung wurde die Gelegenheit verpasst. In einer solchen Situation war die Vorstellung, dass es möglich sei, eine Verhandlungslösung mit den reaktionären Offizieren der Armee zu erreichen, äußerst dumm. In einer solchen Situation werden Worte nichts lösen, sondern die Massen täuschen und sie angesichts konterrevolutionärer Gewalt entwaffnen.
Die Reaktionäre, unterstützt von Ägypten und dem saudischen Imperialismus, waren schwer bewaffnet, aber die Massen hatten einen immensen Vorteil hinsichtlich ihrer Zahl und Bereitschaft zu kämpfen und gegebenenfalls zu sterben. Sie hatten die Sympathie der einfachen Soldaten. Aber dieses Mitgefühl würde passiv bleiben, wenn die Massen nicht zeigten, dass sie bereit waren, bis zum Ende zu gehen. Nur dann wäre es möglich, dass der Großteil der Soldaten ihre Waffen gegen ihre Offiziere richtet und die konterrevolutionären Kräfte niederschlägt.
Nur so hätte die Konterrevolution zerschlagen und der Sieg errungen werden können. Aber den Reaktionären wurde Zeit gelassen, sich neu zu gruppieren und eine blutige Gegenoffensive nach der anderen zu starten. Das Ergebnis im Sudan war tragisch. Die sogenannten revolutionären Führer des SPA schlossen sich einer Regierung der Reaktionäre an, deren Hauptaufgabe darin bestand, die Massen von revolutionären Aktionen abzuhalten, damit die Konterrevolution herrschen konnte.
Die USA und der Iran: bombardieren oder nicht bombardieren?
Die Grenzen der US-Macht wurden im Nahen Osten grell entblößt. Amerika hat Niederlagen und Rückschläge im Irak, in Syrien und auch in Afghanistan erlitten. Und die Konflikte in der Region haben dazu beigetragen, die Krise des saudischen Regimes aufzudecken und zu verschärfen, das nur dank der Unterstützung des britischen und USamerikanischen Imperialismus so lange hat überleben können. Heute ist das Regime von innernen Spaltungen gezeichnet, wobei das Königshaus Al-Saud, die Wahhabi-Bewegung, die königliche Familie und ihr Stammesnetzwerk alle ihre eigenen Ziele verfolgen, während die Unzufriedenheit unter den unterdrückten Schiiten, der Jugend und der Arbeiterklasse schwelt.
Solange die Wirtschaft stabil war und der US-Imperialismus sie unterstützte, konnte das Haus Saud eine fragile Basis für das Regime aufrechterhalten. Bei sinkenden Ölpreisen weichen die entscheidenden Patronage-Netzwerke, die das Königreich intakt gehalten haben, tiefen Spaltungen. Muhammad bin Salman versuchte, seine Position zu festigen, indem er einen barbarischen Krieg gegen den Jemen führte.
Trump ist eng mit der republikanischen Rechten, dem saudischen Kronprinzen und der israelischen herrschenden Clique verbunden. Als Geste an diese Kräfte zerriss er das Atomabkommen mit dem Iran und startete seine „maximum pressure“ -Kampagne. Die von Trump gegen den Iran eingeleitete Wirtschaftsoffensive gab grünes Licht für von Israel und Saudi-Arabien gesponserte Angriffe auf den Iran und seine Stellvertreter in der Region. Infolgedessen befinden sich der Iran und Saudi-Arabien in einem direkten Konflikt um die regionale Hegemonie.
Der blutige Stellvertreterkrieg im Jemen dauert seit vier Jahren an. Trotz all ihres Reichtums und ihrer militärischen Ausrüstung konnte die saudische Offensive den strategischen Hafen von Hadieida nicht einnehmen, und die Houthis starteten Angriffe auf Ölpipelines in Saudi-Arabien. Die Streitkräfte der VAE spielten eine Schlüsselrolle im Bodenkrieg (unterstützt durch ineffektive saudische Luftangriffe). Aber nun, da sie eine Niederlage spürten, beschlossen sie, sich zurückzuziehen. Dies war ein fataler Schlag gegen die saudischen Ambitionen im Jemen.
Die Spannungen am Golf haben schwerwiegende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft. 30 Prozent aller Öllieferungen verlaufen über den Golf. Jedes Hindernis wäre jetzt katastrophal für die Weltwirtschaft. Als im Juni 2019 zwei Öltanker angegriffen wurden, beschuldigte Washington sofort den Iran. Trump befahl seinen Streitkräften anzugreifen, doch zehn Minuten später nahm er seinen Befehl zurück. Dies war ein Beweis für schwerwiegende Spaltungen innerhalb der Regierung, die später durch die summarische Entlassung Boltons [John Bolton, der ehemalige Sicherheitsberater der US-Regierung, Anm. d. Ü.] bestätigt wurden.
Im September 2019 gab es einen sehr schweren Angriff auf saudische Ölanlagen, was ein schwerer Schlag für die Saudis war. Zu erwarten, dass die Amerikaner ihnen zu Hilfe kommen würden, war ein großer Fehler.
Trump wusste sehr gut, dass sich ein Angriff auf den Iran nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und politisch als sehr kostspielig erweisen würde. Die Amerikaner beschlossen erst, in den Irak einzudringen, nachdem seine Armee durch jahrelange Sanktionen ernsthaft geschwächt worden war. Aber die iranischen Streitkräfte sind intakt und unbesiegt. Sie haben mehrere Jahre Kampferfahrung in Syrien, aus denen sie als Sieger hervorgingen. In einem Verteidigungskrieg gegen ausländische Invasoren würden sie eine gewaltige Kraft sein.
Bild: Erika Wettlieb/Pixabay
Eine Landinvasion in den Iran ist ausgeschlossen. Eine Bombenkampagne hätte jedoch nur sehr begrenzte Auswirkungen auf das iranische Atomprogramm. Es kann verzögert, aber nicht angehalten werden. Die politischen Auswirkungen auf weltweiter Ebene wären jedoch immens. Die Opposition gegen die USA würde zunehmen, insbesondere in der muslimischen Welt, wo das Spektakel eines aggressiven Bündnisses Saudi-Arabiens mit dem US-Imperialismus und Israel Empörung hervorrufen würde. Eine solche Entwicklung wäre auch in den USA zutiefst unpopulär, wo die Bevölkerung nach Irak und Afghanistan die militärischen Abenteuer im Ausland satt hat.
In jeder westlichen Hauptstadt würde es Massendemonstrationen geben. Dies würde auch die Spaltungen vertiefen, die bereits in der sogenannten westlichen Allianz bestehen und die bereits offensichtlich waren, als Trump das Abkommen mit dem Iran einseitig zerriss, trotz aller der Proteste seiner europäischen Verbündeten.
Nicht zuletzt hätte ein Krieg im Nahen Osten – auch ein kurzer – einen erschütternden Effekt auf die fragile Erholung der Weltwirtschaft. Er würde eine Krise an jedem Aktienmarkt der Welt hervorrufen, die Ölpreise würden auf ein neues Niveau steigen und die Anleger bekämen es mit der Angst zu tun. Das kapitalistische System wäre mit einer neuen Weltrezession konfrontiert, die weit tiefer gehen würde als der Schock von 2008.
Aus all diesen Gründen liegt ein Krieg nicht im Interesse der herrschenden Klasse oder auch Donald Trumps, dem mehr daran liegt, die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen, als Bomben auf Teheran zu werfen, um den Saudis und Israelis zu gefallen. Trotz aller heißen Luft und der Bedrohung durch Feuer und Schwefel gab es weder von den USA noch von den Saudis selbst Anzeichen einer militärischen Vergeltung. Diese Tatsache enthüllt vor allem die chronische Schwäche des saudischen Regimes und auch die Grenzen der US-Macht.
Es ist nicht unmöglich, dass Trump, seit sein Bluff gerufen wurde, einen weiteren 180-Grad-Salto machen und versuchen könnte, eine Art Deal mit den Iranern zu erzielen. Im Weißen Haus von Donald J. Trump sind schon weitaus seltsamere Dinge passiert!
Die Krise in Pakistan hat ein neues Niveau erreicht, das durch eine beispiellose wirtschaftliche, soziale und politische Auflösung gekennzeichnet ist. In allen Institutionen des pakistanischen Staates haben sich Brüche geöffnet, wobei ein Flügel die Unterstützung des US-Imperialismus sucht und ein anderer Flügel nach China blickt, um seine Erlösung zu erlangen. Die USA verhandeln mit den Taliban mit dem Ziel, Afghanistan zu verlassen. Sie wollen, dass der pakistanische Staat ihnen hilft, ein Abkommen mit den Taliban zu erreichen. Aber seit vielen Jahren hat der pakistanische Staat, wenn er ihnen nicht gerade hilft, die Kontrolle über die islamischen Fundamentalisten verloren. Als Reaktion darauf hat Trump die US-Hilfen gekürzt, eine Wirtschaftsblockade eingeleitet und den IWF gezwungen, die Hilfe für Pakistan zurückzuhalten.
Diese Situation diente dazu, den pakistanischen Staat weiter zu untergraben und seine internen Spaltungen zu verschärfen. Die Paschtunenregion im Norden Pakistans war mehrere Jahrzehnte lang die wichtigste Startrampe für die Taliban. Die Leute, die den höchsten Preis bezahlten, waren die gewöhnlichen Paschtunen. Ihre Häuser wurden bombardiert und die Bevölkerung vertrieben. Viele Menschen wurden getötet oder „verschwanden“. Aus diesen schrecklichen Bedingungen entstand die PTM, die sich in den letzten Jahren zu einer Massenbewegung entwickelte.
Das politische System ist in eine tiefe Krise geraten, mit der Bildung einer neuen Partei und einem Krieg innerhalb des Staatsapparat. Unzählige Skandale haben dazu geführt, dass eine ganze Schicht von Establishment-Politikern und anderen hochrangigen Staatsbeamten ins Gefängnis geworfen wurde. Jeden Tag gibt es neue Skandale. Die Wirtschaftslage verschlechtert sich immer weiter. Die Inflation greift um sich und alles steht zur Privatisierung bereit. Streiks und Proteste von Studenten, Ärzten, Krankenschwestern und anderen Sektoren nehmen zu.
Die politischen Parteien im gesamten Spektrum haben in ihren jeweiligen Wahlkreisen die Unterstützung verloren und können den Massen keinen Weg nach vorne bieten. Die Arbeiterklasse hat keine Alternative. Sie ist nicht bereit, sich auf ihre traditionelle politische Führung zu verlassen, während die Gewerkschaftsführung völlig zusammengebrochen ist. Pakistan sieht sich daher in der kommenden Zeit einer Situation wie der Sudan gegenüber. Das wird der Organisation viele Möglichkeiten bieten.
Indien
In Indien verschärft sich die politische und wirtschaftliche Krise jeden Tag. Im Mai 2019 wurde Premierminister Narendra Modi mit beispielloser Mehrheit wiedergewählt. Modi stützt sich auf den reaktionärsten hinduistischen Chauvinismus. Sein erster Sieg bei den Parlamentswahlen 2014 beruhte auf den Parolen „Vikas“ (Entwicklung) und Beschäftigung für alle, wobei rechte, Hindu-fundamentalistische Slogans vermieden wurden. Aber dieses Jahr hat er sein wahres Gesicht gezeigt, anti-pakistanische Rhetorik und Hysterie in Bezug auf die Kaschmir-Frage geschürt, den Sonderstatus der Region aufgehoben und sie der direkten Kontrolle der Zentralregierung unterworfen.
Diese nackte Aggression dient nicht nur der reaktionären sektiererischen Agenda Modis, sondern zeigt auch Indiens regionale Ambitionen auf, die auf seiner wachsenden Wirtschaft und seiner engeren Beziehung zum US-Imperialismus als regionalem Gegengewicht zu China beruhen. Die brutale Unterdrückung der Rechte Kaschmirs verlief jedoch nicht nach Plan.
Trotz der brutalen Unterdrückung der Bevölkerung und der Anwesenheit von rund sechshunderttausend Militärangehörigen im Tal war der indische Staat nicht in der Lage, die Massenbewegung in Kaschmir, die seit vielen Jahren gegen die indische Herrschaft kämpft, unter Kontrolle zu halten. Im Gegenteil, diese drakonischen Maßnahmen haben die zuvor isolierte kaschmirische Nationalbewegung mit dem Klassenkampf in ganz Indien verbunden. Zum ersten Mal fanden landesweit Proteste und Demonstrationen zur Unterstützung der Unterdrückten in Kaschmir statt.
Das Regime greift auch die Grundrechte unterdrückter Nationalitäten und religiöser Minderheiten an und nutzt bewusst religiösen Hass sowie nationale und sprachliche Unterschiede, um den Klassenkampf zu durchbrechen. Im östlichen Bundesstaat Assam hat die Regierung zwei Millionen Menschen ihrer Staatsbürgerschaft beraubt und bereitet sich darauf vor, sie in Sondergefängnisse zu verbringen.
Modis tollwütiger Hindu-Chauvinismus ist nur eine Seite der reaktionären Medaille. Die andere ist eine bösartige Arbeiter- und Arbeiterbewegungsfeindlichkeit. Um die Unterstützung der Kapitalisten im In- und Ausland zu gewinnen, gibt er sich als „starker Mann“ aus, der die Arbeiterbewegung besiegen kann. Aber das wird nicht so einfach gehen, wie er denkt. Die Wirtschaft befindet sich in einem sehr schlechten Zustand. Bereits zwischen 2016 und 2018 haben fünf Millionen Inder ihre Arbeit verloren.
Narendra Modi. Quelle: flickr-narendramodiofficial, CC BY SA 2.0
Mit zunehmender Krise werden mehr Arbeitsplätze verloren gehen. Um das Wachstum voranzutreiben, verstärkt das Modi-Regime nur seine Angriffe und verfolgt aggressiv die Agenda der Privatisierung und Liberalisierung. All dies eröffnet den Weg für einen Ausbruch des Klassenkampfes. Ein Zeichen dafür ist die Forderung nach einem landesweiten Generalstreik am 20. Januar 2020, an dem voraussichtlich mehr als 300 Millionen Arbeiter teilnehmen werden.
Das zentrale Problem ist nicht die Stärke Modis. Wie Putin steht auch dieser „starke Mann“ auf tönernen Füßen. Das Problem ist das völlige Fehlen einer ernsthaften politischen Alternative, die dieser rechtsextremen Rhetorik entgegenwirken könnte. Der wahre Grund, warum er die Wahlen gewinnen konnte, war der völlige Bankrott der sogenannten Opposition. Nach vielen Jahrzehnten an der Macht ist die Kongresspartei hoffnungslos diskreditiert und korrupt.
Viele Liberale hatten ihre Hoffnungen auf die Kongresspartei gesetzt. Aber diese wurde durch die Modi-„Welle“ bei den letzten Wahlen plattgemacht. Die Kongresspartei war nach rechts gegangen, um die Wähler der Hindu-Fundamentalisten zu beschwichtigen. Dies war jedoch äußerst kontraproduktiv, da die zum hinduistischen Chauvinismus neigenden Wähler in der Person von Modi das Original haben. Warum sollten sie für eine zweitklassige Nachahmung stimmen? Die Kongresspartei erlitt daher die vernichtende Niederlage, die sie verdiente. Natürlich hat sie aus ihrer Niederlage nichts gelernt und ist den gleichen Weg weitergegangen. Im wichtigen Bundesstaat Maharashtra bilden sie ein Bündnis mit dem quasi-faschistischen Shiv Sena.
Noch schlimmer – wenn das möglich ist – ist es mit den ehemaligen Stalinisten, die die indische Linke seit Generationen dominiert haben und jetzt komplett degeneriert sind. Die kommunistischen Parteien wurden von den Wählern für ihren Verrat bestraft. Sie hatten die schlechtesten Wahlergebnisse in ihrer Geschichte und wurden in den Bundesstaaten Westbengalen und Tripura ausgelöscht, wo sie drei Jahrzehnte lang regierten. Dies ist eine direkte Folge der faulen Methoden, die sie verfolgten und der neoliberalen Politik gegen die Arbeiterklasse, die sie betrieben, wo sie an der Macht waren.
Obwohl sie immer noch Einfluss auf die die Arbeiter-, Bauern- und Studentenbewegung haben, haben sie nicht mehr die Autorität, die sie in der Vergangenheit hatten. Sie haben vollständig vor der schimmelnden und korrupten indischen Bourgeoisie kapituliert und jeden Gedanken an die sozialistische Veränderung der Gesellschaft aufgegeben, die der einzige Ausweg aus der Sackgasse in der indischen Gesellschaft ist, und den Weg frei gemacht, damit die revolutionären Ideen des echten Marxismus ein Echo unter breiteren Schichten von Studenten und Arbeitern gewinnen können.
Indonesien
Indonesien wurde früher als eine der Wunderwirtschaften Asiens gefeiert, aber jetzt tritt im Einklang mit dem allgemein-globalen Trend eine Abschwächung des Wachstums ein. Angesichts dieser Verlangsamung und des daraus resultierenden Haushaltsdefizits war die Regierung gezwungen, die Sparmaßnahmen fortzusetzen. Zwanzig Jahre nach dem Fall von Suharto ist das unterdrückerische wirtschaftliche und politische System, das die Grundlage des alten Regimes bildete, intakt geblieben, und daher setzt sich die gleiche Unterdrückung der Werktätigen fort.
Der Wunsch des Volkes nach radikalen Veränderungen wurde von der herrschenden Klasse systematisch vereitelt. Die Machtübernahme von Jokowi vor fünf Jahren war bereits ein Hinweis auf den Wunsch der Massen nach Veränderung, aber er hat keine grundlegende Verbesserung des täglichen Lebens der Menschen bewirkt. Mit seiner Wiederwahl ist das Regime nun mit einer ganzen Reihe reaktionärer Gesetze und Maßnahmen in die Offensive gegangen, die die Arbeiterklasse angreifen und der korruptesten Schicht des Establishments zugute kommen.
Es gab eine ganze Reihe von Bewegungen von Mittelschul- und Universitätsstudenten, die zu Zehntausenden in einer Welle von Protesten gegen Gesetze, die als Rückkehr zu „Praktiken der neuen Ordnung“ (Korruption, staatliches Eingreifen in das Privatleben und politische Unterdrückung) angesehen werden und gegen die Unterdrückung des westpapuanischen Volkes auf die Straße gegangen sind. Es waren die größten Studentendemonstrationen seit der Bewegung vor über zwanzig Jahren, die den verhassten Diktator Suharto stürzte, und sie breiteten sich rasch auf alle Hauptstädte aus.
Die Demonstrationen wurden brutal vom Staat unterdrückt und mehrere Studenten wurden getötet, als die Polizei in die Menge schoss. Die Studentenbewegungen breiteten sich auf die Arbeiterklasse aus, und die Gewerkschaften forderten Protestaktionen. Erst im Oktober 2012 wurde Indonesien vom ersten landesweiten Generalstreik seit 1965 erfasst. Aber der wirtschaftliche „Erfolg“ Indonesiens hat die Arbeiterklasse enorm gestärkt, und die globale Krise des Kapitalismus treibt diese Arbeiterklasse auf den Weg des Klassenkampfes.
Nach dem Zweiten Weltkrieg zwang der gigantische Aufschwung der kolonialen Revolution die Imperialisten, die direkte militärische Kontrolle über die Kolonien aufzugeben. Aber die Plünderung der ehemaligen Kolonien geht weiter, obwohl sie durch die Mechanismen des Welthandels getarnt ist. Die Imperialisten haben neue Ausbeutungsmethoden entwickelt, die die Ressourcen der sogenannten Dritten Welt erschöpft und sie noch abhängiger und ärmer als zuvor gemacht haben.
Die bürgerlichen Propagandisten behaupten, dass sie die armen Länder durch Entwicklungshilfe unterstützen. Eine Studie hat jedoch gezeigt, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Global Financial Integrity (GFI), das Zentrum für angewandte Forschung an der norwegischen Wirtschaftsschule und ein Team globaler Experten haben eine Studie erstellt, aus der hervorgeht, dass seit den 1980er Jahren 16,3 Billionen US-Dollar von armen in reiche Länder geflossen sind. Dies bedeutet einen immensen Abfluss und einen enormen Anstieg der gesellschaftlichen Kosten, die von den armen Menschen in den sogenannten Entwicklungsländern getragen wurden.
Der Bericht zeigt, wie die armen Länder dem Rest der Welt effektiv als Netto-Gläubiger gedient haben. Reiche Länder entwickeln nicht die armen Länder. Arme Länder entwickeln die Reichen. Woraus bestehen diese großen Geldflüsse? Einige von ihnen sind auf Schuldenzahlungen zurückzuführen. Allein die Rückzahlung von Zinsen hat den Schuldnerländern seit 1980 mehr als 4,2 Bio. USD geraubt. Diese riesigen direkten Geldtransfers an große Banken in New York und London stellen jegliche Hilfe in den Schatten, die sie im selben Zeitraum erhalten hätten können.
Eine weitere wichtige Plünderungsquelle sind die Einnahmen aus Investitionen in sogenannten Entwicklungsländern, die dann von den Imperialisten „zurückgeführt“ werden. Es genügt zu erwähnen, dass BP beispielsweise enorme Gewinne aus den Ölreserven Nigerias erzielt oder dass Anglo-Amerikaner Vermögen aus den Goldminen Südafrikas angehäuft haben.
Aber bei weitem der größte Teil der Beute wird nirgendwo vermerkt, da fast alles illegal ist und unter dem höflichen Namen „Kapitalflucht“ geführt wird. Nach Schätzungen von GFI haben die „Entwicklungsländer“ seit 1980 insgesamt 13,4 Bio. USD durch nicht erfasste Kapitalflucht verloren.
Durch diese Abflüsse wird den Entwicklungsländern eine wichtige Einnahme- und Finanzierungsquelle für die Entwicklung entzogen. Die immer größeren Nettoabflüsse sind direkt für den sinkenden Lebensstandard verantwortlich. Sie haben zweifellos auch zur Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in diesen Ländern beigetragen, obwohl sie nicht die Hauptursache sind, sondern die allgemeine Krise des Weltkapitalismus.
Das Elend und Leid, das durch diese gnadenlose Ausplünderung verursacht wurde, hat ganze Nationen zerstört und sie in Hungersnot, soziale Verwerfung und Krieg gestürzt. Millionen verzweifelter Menschen fliehen aus ihren Häusern und suchen verzweifelt nach einem Ausweg von diesen Schrecken, um schließlich zu merken, dass sie mit Stacheldrahtbarrikaden und Mauern aus Europa und den USA ausgesperrt werden. Zehntausende Männer, Frauen und Kinder sind im Mittelmeer ertrunken.
Dieser Massenexodus hat keine Parallele in der Geschichte außer den Massenbewegungen der Völker, die dem Zusammenbruch des Römischen Reiches folgten. Es trägt weiter zum krampfhaften Charakter der Krise bei. Und es gibt keine Lösung für diesen schrecklichen Albtraum, solange das faule System, das ihn geschaffen hat, weiter existiert. Lenin sagte, der Kapitalismus sei „Schrecken ohne Ende“. Der Beginn des 21. Jahrhunderts zeigt, wie recht er hatte.
Als Macri 2015 die argentinischen Wahlen gewann, galt dies als weiterer Beweis für die „konservative Welle“ in Lateinamerika und für den „Tod der Linken“. Aber weit davon entfernt, dass seine Regierung stark und stabil ist, stieß jeder Versuch, die Angriffe durchzuführen, die die herrschende Klasse braucht, auf den heftigen Widerstand der Arbeiter. Macris Rentenreform führte zu Massendemonstrationen und Straßenschlachten mit der Polizei. Danach gab er sein Projekt einer Konterreform im Arbeitsrecht auf.
Die Instabilität auf den internationalen Geldmärkten führte zu einem Zusammenbruch der argentinischen Währung und stürzte Macris Wirtschaftspolitik ins Chaos. Ein Notkredit des IWF reichte nicht aus, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Die sich verschärfende Wirtschaftskrise führte bei den Vorwahlen im August 2019 zu einer schweren Niederlage, die die Krise nur verschlimmerte.
Hätte es eine klare Führung der Arbeiterbewegung gegeben, hätte Macris Regierung von einer revolutionären Bewegung von unten gestürzt werden können. Dies war jedoch das Letzte, was die Gewerkschaftsführer und die Kirchneristen wollten. Ihre Perspektive war eine geordnete Machtübertragung nach den Wahlen.
Am Ende erlitt die angeblich starke Regierung Macri bei den Wahlen eine Niederlage. Aber eine kirchneristische Regierung wird mit der tiefen Krise des argentinischen Kapitalismus konfrontiert sein. Es wird von Anfang an eine Krisenregierung sein. Das sind Idealbedingungen für ein Wachstum der Linken. Leider wird die argentinische Linke von sektiererischen Gruppen dominiert, die zwischen Reformismus und Sektierertum hin- und herpendeln und nicht in der Lage sind, sich ernsthaft in den Massen zu verankern.
Brasilien
Die Wahl Bolsonaros markierte eine neue und krampfhafte Phase in der Krise Brasiliens. Bolsonaro war nicht der bevorzugte Kandidat der Mehrheit der brasilianischen Bourgeoisie, und seine Wahl führt nur dazu, dass sich alle Widersprüche in der brasilianischen Gesellschaft verschärfen, ohne eines der grundlegenden Probleme zu lösen. Vorhersehbarerweise haben viele Teile der Linken einen Geschrei über den „Faschismus“ angestimmt, aber dies ist in der Tat ein sehr eigenartiger „Faschismus“. Weit davon entfernt, eine faschistische Regierung zu sein, wie viele Linke sagen, ist es ein Versuch, eine inmitten einer tiefen Wirtschaftskrise und einer turbulenten sozialen und politischen Situation zu installieren, die er nicht kontrollieren kann, eine bonapartistische Regierung aufzubauen.
Als Einzelperson neigt Bolsonaro, ein ehemaliger Offizier der Armee, wahrscheinlich zum Faschismus (er hat die brasilianische Diktatur offen gelobt). Aber seine wahre Basis ist sehr schmal. Sein eigenes Kabinett ist gespalten. Er hat nicht einmal das Parlament fest im Griff. Sein Vorschlag zur Reform des Rentensystems und seine Kürzungen bei der Bildung lösten eine Welle von Massendemonstrationen und einen Generalstreik aus. Seine Beliebtheit und die seiner Regierung ist stark gesunken.
Die Mitglieder der brasilianischen Sektion der IMT waren die einzigen, die den Slogan “Bolsonaro raus” propagierten. Dem begegneten die “Linken” und die Sekten, die von der Idee besessen waren, dass der Faschismus in Brasilien angekommen sei, zunächst mit Skepsis. Aber bei den ersten beiden Massendemonstrationen gegen die Kürzungen im Bildungssystem verbreitete sich dieser Slogan wie ein Lauffeuer.
Wenn er sein Programm der Kürzungen und Konterreformen weiterhin fortsetzt, werden wir eine Bewegung nach der anderen sehen. Nur der völlige Bankrott der Führung der Gewerkschaften verschafft ihm Luft zum Atmen. An einem gewissen Punkt wird sich die herrschende Klasse vielleicht dazu entscheiden, ihn zu entfernen und durch ein sichereres Paar Hände zu ersetzen. In der Zwischenzeit wird Bolsonaro den Vorsitz über eine Regierung der Krise führen, die den Widerstand der Arbeiter und Jugend hervorrufen und sie in den Kampf treiben wird.
Der vierzig Millionen starke Generalstreik im Juni ist – auch wenn die Gewerkschaftsführung nicht wusste, was sie damit anfangen sollte – ein Indikator für die Art von Bewegung, die wir in der kommenden Periode erwarten können. Die Perspektive für Brasilien in der kommenden Periode ist nicht “Faschismus”, sondern eine enorme Intensivierung des Klassenkampfes.
Venezuela
In Venezuela haben wir immer betont, dass es unmöglich ist, eine halbe Revolution zu machen. In letzter Instanz wird entweder die Revolution die Banker und Kapitalisten enteignen, oder die konterrevolutionäre Bourgeoisie die Revolution zerstören. Das ist bis heute so. Es ist unmöglich, die Elemente einer sozialistischen Nationalisierung mit der einer Marktwirtschaft zu vereinen. Wie wir vor langer Zeit schon vorhergesagt haben, hat das zu Chaos und einem massiven Zusammenbruch des Lebensstandards der Arbeiter geführt.
Um die unvermeidbaren Proteste zum Schweigen zu bringen, bedient sich Maduro bonapartistischer Methoden und diese Tendenz beschleunigt sich. Die Regierung nutzt das Gewicht des Staates gegen Andersdenkende – eingeschlossen Chavisten und Linke. Indem sie aktiv die Revolution untergraben, die wenigen übrig gebliebenen Elemente der Arbeiterkontrolle zerstören und die Linke angreifen, sabotiert die Bürokratie die Revolution viel effektiver als es die konterrevolutionäre Opposition es je könnte. Sie verhält sich wie ein Mensch, der an dem Ast sägt, auf dem er sitzt.
Unter diesen Umständen ist es wirklich außergewöhnlich, dass die Loyalität der Massen zur Revolution so lang angehalten hat. Bis jetzt, zweiundzwanzig Jahre nach dem Beginn der Venezolanischen Revolution, wurde die Bolivarische Revolution trotz der hilflosen Verwirrungen und Schwankungen Maduros und der Fäulnis der Bürokratie nicht gestürzt. Das ist ein eindrucksvoller Beweis für die Schwäche des US-Imperialismus und die Spannkraft der Massen. Trotz der energischen Anstrengungen der Konterrevolution scheiterten die Repräsentanten des Kapitalismus in Venezuela daran, ihre Ziele zu erreichen. Der Putschversuch 2019 endete in einer schmählichen Farce.
Oberflächlich betrachtet schienen alle Faktoren einen solchen Versuch zu begünstigen: die Wirtschaft war in einer tiefen Krise und die Lebensstandards sanken stark. Das untergrub den Rückhalt der Regierung. In Chile, Argentinien und Brasilien wurden rechte Regierungen gewählt. Die herrschende Klasse in Venezuela und die USA kamen – nicht ganz unberechtigt – zum Schluss, dass das der richtige Zeitpunkt für eine totale Offensive sei, um Maduro zu stürzen.
Doch der versuchte Regimewechsel in Venezuela scheiterte und wir müssen verstehen warum. Es gibt eine Reihe von Gründen. Auf der einen Seite unterschätzten die Organisatoren des Putsches und ihre Geldgeber in Washington die tiefen antiimperialistischen Gefühle der venezolanischen Massen, die sich gegen den Putschversuch wehrten. Sie schätzten auch das Ausmaß falsch ein, zu dem die Armeespitzen durch krumme Geschäfte eingekauft worden waren, um sie in die bestehende Ordnung einzubeziehen.
Ein weiterer Faktor war die Dummheit der venezolanischen Opposition. Guaidó entfachte Erwartungen, die er niemals erfüllen konnte. Die Mittelschicht, die die hauptsächliche soziale Basis von Guaidó und co. darstellt, ist von Natur aus eine instabile Kraft. Sie braucht eine Bewegung, die ständig von einem Sieg zum nächsten eilt. Als sie sah, dass der Putsch nicht voranschritt, wurde sie demoralisiert und die ganze Sache löste sich sehr schnell auf.
Trotz Trumps großer Reden hatte das Pentagon nie die Absicht, eine militärische Intervention in Venezuela zu starten und genauso wenig die Armeen Kolumbiens und Brasiliens. Ihr Bluff flog auf und Trump sah ziemlich blöd aus. Nachdem diese Drohung aus der Gleichung gestrichen war, gab es keinen Grund für die Armeespitzen in Caracas, die Seite zu wechseln. Unter diesen Umständen intervenierten Russland und China, die zunächst eine abwartende Haltung eingenommen hatten, entschiedener auf Seiten der Regierung und Trump verlor das Interesse an der ganzen Angelegenheit.
Aber die Gefahr einer Konterrevolution ist nicht verschwunden. Venezuela wurde nun von neuen Sanktionen getroffen. Das half dabei, die Regierung an den Verhandlungstisch zu zwingen, wo sie gezwungen sein werden, einige Zugeständnisse zu machen. In der Zwischenzeit hat sich der Prozess beschleunigt, der bereits vor sich ging. Die Chinesen wollen ihr Geld zurück. Das alles bedeutet, dass Maduro sich von einer verrückten Politik der monetären Expansion in Richtung einer Währungspolitik mit ausgeglichenen Budgets und Sparmaßnahmen bewegen wird müssen, für die die Arbeiter bezahlen werden.
Der letzte Putschversuch platzte, nicht aufgrund der Stärke der Regierung, sondern vielmehr wegen der schieren Unbeholfenheit der Putschisten. Es stimmt, dass ein Teil der Massen reagierte, aber ein viel größere Menge blieb untätig und apathisch. Das ist die größte Gefahr, der die Revolution gegenübersteht. Nächstes Mal wird Maduro vielleicht nicht so viel Glück haben. Auf jeden Fall kann das momentane instabile Gleichgewicht nicht ewig währen und die Zeit spielt gegen Maduro.
Bolivien
In Bolivien entwickelten sich die Ereignisse ganz anders. Evo Morales wurde von einem reaktionären Putsch im November 2019 gestürzt. Die MAS kam ins Amt nach den misslungenen revolutionären Aufständen 2003 und 2005, bei denen die Arbeiter die Macht ergreifen hätten können, wäre da nicht ihre Führung gewesen. Die ganze Bewegung drückte sich dann durch Wahlen aus, indem sie Evo Morales ihre Stimme gaben, der seine Autorität nutzte, um die Legitimität der Bourgeoisie wieder herzustellen.
Sein Vizepräsident, García Linera theoretisierte über die Notwendigkeit, einen “Anden-Amazonas Kapitalismus” zu entwickeln, bevor man von Sozialismus sprechen konnte. Während die Regierung Sozialprogramme durch hohe Rohstoffpreise finanzieren konnte und auch einige Nationalisierungen durchführte, war ihre Politik von Anbiederungen an Kapitalisten, Großgrundbesitzer und multinationalen Unternehmen geprägt.
Das führte zu einem Rückgang der Unterstützung großer Teile der MAS-Basis, was einen Einsturz ihrer Wahlergebnisse führte – von 60-64 Prozent an ihrem Höhepunkt, über das Verlieren des Verfassungsreferendums 2016 bis hin zu den 47 Prozent bei den Wahlen 2019. Das war der Moment, auf den die Oligarchen gewartet hatten, um Evo durch eine Reihe von Massenmobilisierungen, die Meuterei der Polizei und die Armeeintervention – durch einen reaktionären Putsch – die Macht zu entreißen.
Das Beispiel Bolivien ist eine klare Warnung davor, was man erwarten kann, wenn eine Regierung über Revolution und soziale Veränderung spricht, sich aber weiterhin innerhalb der Schranken des Kapitalismus bewegt.
Ecuador, Chile, Kolumbien…
Die Idee, dass es einen Rechtsruck oder eine “konservative Welle” in Lateinamerika gab, angeführt von ehemaligen Linken, demoralisierten Akademikern und Sektierern, ist komplett falsch. Nach einer Zeit von mehr oder weniger stabilen Regierungen, gestützt durch den hohen Rohstoffpreis, sehen wir jetzt eine Verschärfung des Klassenkampfes.
Dafür gibt es zahlreiche Beweise, zum Beispiel die Massenbewegung in Puerto Rico von Juli bis August 2019. Genauso der langanhaltende Aufstand in Haiti, sowie der Massenaufstand in Ecuador im Oktober 2019 als die Macht des Staates in Frage gestellt wurde. Und vor allem der wunderbare Aufstand in Chile, einem Land, das von bürgerlichen Kommentatoren lange als Triumph und Oase des Konservatismus auf diesem Kontinent dargestellt wurde.
Sowohl in Ecuador als auch in Chile haben wir klassische Merkmale eines Aufstands gesehen; mit Massenmobilisierungen, den Aufbau embryonaler Sowjets (Cabildos, Volks- und Territorialversammlungen). Die Regierungen waren wie gefesselt und sogar Risse innerhalb des Staatsapparats wurden sichtbar. Selbst in einem Land wie Kolumbien, das als Bollwerk der Reaktionären gilt, war der Generalstreik vom 21. November 2019 eindeutig von den Ereignissen in Ecuador und Chile inspiriert. Dass dieser massive Streik über den 21. hinaus fortgesetzt wurde ist ein klares Anzeichen dafür, dass die Arbeiter nach der Macht strebten. Man kann die Situation in Lateinamerika bestimmt nicht als „konservative Welle “ beschreiben.
In Chile wurde die Frage nach einer konstituierenden Versammlung aufgeworfen. Es stimmt, dass die Verfassung aus dem Jahr 1980 viele undemokratische Elemente enthält, auch aus der Sicht der bürgerlichen Demokratie. Jedoch gibt es das Problem, dass der Slogan der konstituierenden Versammlung von verschiedenen Klassen mit sehr unterschiedlichen Bedeutungen verwendet werden kann und wird.
Wenn die Massen von einer konstituierenden Versammlung sprechen, meinen sie einen grundlegenden Regimewechsel. Aber wenn die herrschende Klasse von einem revolutionären Umsturz bedroht wird, unterstützen sie die Idee der konstituierenden Versammlung aus dem gegenteiligen Grund: sie versuchen eine grundlegende Veränderung zu verhindern, indem sie die Massen auf die Bahnen einer bürgerlichen Verfassung umleiten.
Was wir erklären müssen, ist, dass Chile letztendlich eben keine neue Verfassung braucht, sondern einen Sturz des Regimes: das bedeutet den Sturz des bürgerlichen Staats, der von der Staatsmacht der Arbeiter abgelöst wird. Um das zu erreichen, sollte der Slogan „Nieder mit Piñera“ verbreitet werden, sowie die Cabildos (Räte) und Zusammenkünfte koordiniert werden damit sie echte Organe der Arbeitermacht werden.
Nur eine Nationalversammlung der Arbeiterklasse und des Volkes (der Name ist sekundär, solange die Macht in den Händen der Arbeiter und Besitzlosen liegt) kann damit betraut werden, eine neue Verfassung auszuarbeiten. Diese sollte wirklich demokratisch sein und das Interesse der Mehrheit der Menschen repräsentieren, nicht eine betrügerische „Demokratie“, die lediglich als scheinheilige Verkleidung dient hinter der sich die Diktatur der Grundbesitzer, Banker und Kapitalisten verbirgt.
Kuba
Die Krise in Venezuela hat auch negative Auswirkungen auf Kuba. Venezuela wurde gezwungen den größten Teil der billigen Ölversorgung Kubas zu unterbrechen. Das führte nun zu Stromausfällen; zum ersten Mal seit der „Sonderperiode“, die auf den Zusammenbruch der Sowjet Union folgte. Darüber hinaus hat die US-Regierung ihre Politik mit der Begrenzung der Überweisungen der US-Kubaner in ihre Heimat und dem Einreiseverbot für amerikanische Touristen nach Kuba, verschärft, das eine wichtige Einnahmequelle für die Insel war.
Es wurde außerdem Abschnitt III des Helms-Burton Gesetzes in Kraft gesetzt, dadurch werden Embargos und Blockaden weiter verschärft. Dieser Angriff ist Ausdruck des entschlossenen Versuchs von Trump (und vor ihm Bolton) die Kubanische Revolution zu ersticken. Selbst aus Sicht des Imperialismus ist das eine sehr kurzsichtige und dumme Strategie, die aber typisch ist für eine kurzsichtige und dumme Regierung.
Die noch unter Obama verfolgte Strategie der Semi-Détente war wesentlich effektiver darin, die Errungenschaften der Revolution zu untergraben, indem sie den Griff des Kapitalismus und der Marktwirtschaft um Kuba durch die Lockerungen der Handelsembargos, Investitionen und wachsenden Tourismus, immer weiter festigte.
Die Führung in Kuba spricht nun von Rationierungen und die Rückkehr zu einer neuen “Sonderperiode”. Das alles geschieht jetzt zu einer Zeit in der kleine kapitalistische Betriebe bereits auf dem Vormarsch waren und damit erstmals eine soziale Basis für eine kapitalistische Konterrevolution schufen, die im Referendum über eine Verfassungsreform bereits ihre Stärke zur Schau stellte. Dieser Wandel zum Kapitalismus wird damit angehalten oder wenigstens verlangsamt.
Die kubanischen Marxisten müssen gegen die kapitalistische Restauration ankämpfen, gleichzeitig aber erklären, dass die Errungenschaften Kubas nur dann erhalten werden können, wenn eine echte Arbeiterdemokratie eingeführt wird, Kuba sich aus der Isolation befreit und eine revolutionäre internationalistische Strategie in ganz Lateinamerika verfolgt.
Mexiko
Die Wahl der Lopez Obrador-Regierung stellt einen wichtigen Wendepunkt in Mexiko dar. In unglaublichem Tempo wurden soziale Prozesse beschleunigt und deren Widersprüche gebündelt. Obrador hat Maßnahmen zum Abbau der Privilegien der korrupten Bourgeoisie und des Staates getroffen, während außerdem Sozialleistungen nie dagewesenen Ausmaßes eingeführt wurden, die Millionen von Menschen zugute kommen. In Konsequenz daraus genießt Lopez Obrador immense Zustimmung.
Er spricht von einer tiefgreifenden Transformation des Staates, in der die wirtschaftliche und die politische Macht voneinander getrennt werden und gibt sich damit der Wahnvorstellung hin, es wäre möglich, einen Staat zu schaffen, der über den Klassen steht. Einerseits wurden korrupte Teile der herrschenden Klasse ins Gefängnis geworfen, gleichzeitig verspricht er ihnen aber Profite aus Projekten wie der Tren Maya. Die Regierung zieht Lohnerhöhungen von 16% in Erwägung, aber alle Arbeitskämpfe, die zu gefährlich werden, werden vom Staatsapparat niedergeschlagen.
AMLO. Quelle: El Voto de AMLO (CC BY-SA 2.0)
Lopez Obrador versucht sich gleichzeitig in zwei Richtungen zu drehen. Einerseits möchte er den Staat stärken, vergisst dabei aber das wichtige Detail, dass der Staat den er zu stärken versucht ein bürgerlicher Staat ist, der darauf ausgelegt ist, die Interessen der Hausbesitzer, Bankiers und Kapitalisten zu verteidigen. Er verstärkt staatliche Interventionen in der Wirtschaft um billige Kredite für Unternehmer zu ermöglichen. Die Nationalgarde und das Militär sollen gestärkt werden, um den Drogenhandel zu bekämpfen. In Wahrheit kann aber niemand sagen, wo die Welt der Drogenbarone aufhört und die der Bankiers, Kapitalisten und Staatsbürokraten eigentlich beginnt.
AMLO zielt auf einen Kompromiss mit der herrschenden Klasse ab, diese schenkt ihm aber kein Vertrauen und möchte ihn stattdessen schnellstmöglich und mit allen Mitteln wieder loswerden. Trotz der Tatsache, dass er verkündet hat nicht ins Eigentumsrecht eingreifen zu wollen wird er auf dieser Basis massiv von bürgerlichen Medien attackiert. Die herrschende Klasse nutzt ihre Kontrolle über den Staatsapparat und das Justizsystem um die Regierung zu sabotieren. Lopez Obrador versucht, unvereinbare Klasseninteressen miteinander zu vereinbaren – in anderen Worten versucht er die Quadratur des Kreises.
Die Widersprüche der Politik Lopez Obradors sieht man auch an seiner Unterwerfung gegenüber dem US-Imperialismus. Als Trump drohte, Strafzölle für alle mexikanischen Importgüter zu verhängen, um die mexikanischen Behörden zu zwingen, seine Migrationspolitik umzusetzen, gab er nach und schickte die Nationalgarde an die nördliche und südliche Grenze. Das zeigt deutlich in welchem Ausmaß die Regierung unter der Fuchtel des Imperialismus steht. Die derzeitige Situation ist unhaltbar: Die Weltwirtschaftskrise wird Mexiko besonders hart treffen und die Trump-Regierung droht weiterhin mit Strafzöllen.
All das wird den Graben zwischen der AMLO-Regierung und der herrschenden Klasse vertiefen, aber ebenso die Spaltung innerhalb von Morena, wo sich die Bürokratie nach rechts bewegt, während AMLOs Unterstützer an der Basis sich nach links bewegen. Links der Regierung gibt es kaum organisierte Kräfte, deshalb steigt die Unterstützung für AMLO. Diese Unruhe eröffnet den mexikanischen Marxisten Möglichkeiten, in diesen Debatten aktiv zu intervenieren und dem verwirrten Linksreformismus eine klare revolutionäre Alternative entgegenzustellen, indem sie einerseits AMLO gegen rechte reaktionäre Kräfte verteidigen und gleichzeitig freundlich aber konsequent kritisch unterstützen.
Das Wort Faschismus wird häufig falsch gebraucht, um jede Art rechter reaktionärer Regierungen, wie die von Bolsonaro oder gar Donald Trump, zu beschreiben. Dieser Fehlgebrauch ist sowohl wissenschaftlich falsch, wie auch politisch irreführend. Er ist aber auch gefährlich, weil die Arbeiterklasse womöglich nicht mehr in der Lage sein wird, die tatsächliche Gefahr des Faschismus zu erkennen, sollte es wirklich dazu kommen. Aus diesen Gründen ist das hysterische Geschrei der Sekten über den Faschismus geradezu kriminell verantwortungslos.
In der Vergangenheit hätte eine solche Situation der extremen Instabilität, die wir in einer Reihe von Ländern sehen, dazu geführt, dass die herrschende Klasse sich der bonapartistischen oder faschistischen Reaktion zuwendet. Das Kräfteverhältnis der Klassen hat sich aber so gewandelt, dass das in der derzeitigen Lage nicht möglich ist. Die Arbeiterklasse ist stärker als in der Vergangenheit, während die Mittelschicht, die traditionell die soziale Massenbasis der Reaktion bildete (Bauern, Kleinbürger, Studenten) wegbricht oder proletarisiert wurde.
Trotzki erklärt, dass der Faschismus eine spezifische Ausprägung der Reaktion ist, die sich qualitativ von anderen Formen, wie dem Bonapartismus unterscheidet. Der Faschismus ist eine Massenbewegung des Kleinbürgertums und des Lumpenproletariats, deren Ziel die völlige Zerstörung der Organisationen der Arbeiterklasse ist. In einem faschistischen Regime verliert die herrschende Klasse tendenziell die Kontrolle über den Staatsapparat. Diese Macht fällt dann in die Hände faschistischer Verbrecher, die in ihrem eigenen Interesse herrschen, das nicht immer mit dem von Bankiers und Kapitalisten übereinstimmt und dem womöglich sogar entgegengesetzt ist.
Die Übergabe der Macht an einen Irren wie Hitler wäre ein riskanter Schritt, den die herrschende Klasse nur in allerletzter Instanz in Erwägung ziehen würde, wenn die Bedrohung eines Umsturzes durch die Arbeiterklasse zu groß wird. Im Falle von NaziDeutschland führte diese Machtübergabe zu einer Katastrophe. Ab 1944 wurde klar, dass Deutschland den Krieg verloren hatte. Die Bourgeoisie hätte eine Kapitulation bevorzugt, um eine Einigung mit den Amerikanern zu erzielen. Doch Hitler, der zu Ende alle Anzeichen von Geisteswahn aufwies, weigerte sich zu kapitulieren und bevorzugte es, wie in einer Oper von Wagner, sein Land in Flammen aufgehen zu sehen.
Diese Lektion hat die Bourgeoisie, die unter normalen Umständen eine formale bürgerliche Demokratie bevorzugt, nicht vergessen. Diese Herrschaftsform ist stabiler, zuverlässiger und wirtschaftlicher, als bonapartistische oder faschistische Diktaturen, die abseits eines teuren Wasserkopfs immense Gefahren bergen und sich letztendlich ins Gegenteil wandeln können, wie wir sowohl in Italien 1943-45, wie auch in Griechenland nach dem Fall der Junta 1974 gesehen haben.
Um die wahre Situation zu verstehen, reicht es, sich Griechenland heute anzusehen. Die Unmöglichkeit, Richtung Faschismus zu gehen, ist anhand Griechenlands klar zu erkennen. Die Goldene Morgenröte, eine wahrlich faschistische Organisation, wuchs und entwickelte sich zu einer ernstzunehmenden Kraft. Vor ein paar Jahren dachten sie sogar, sie könnten die Macht übernehmen. Doch wo ist die Goldene Morgenröte jetzt?
Vielleicht spielte ein Teil der griechischen herrschenden Klasse mit dem Gedanken an eine neue Junta, mit der die Arbeiterklasse diszipliniert werden sollte, doch sie musste sich zurückziehen und die Faschisten aus Angst, einen revolutionären Ausbruch auszulösen, im Zaum halten. Letztendlich konnte die griechische Bourgeoisie ihnen nicht erlauben, die Macht zu ergreifen, da dies Bürgerkrieg bedeutet hätte und sie nicht sicher war, diesen auch gewinnen zu können. Sie würde riskieren, alles zu verlieren. Also ging sie gegen die Goldene Morgenröte vor und inhaftierte einige Führer.
Weit davon entfernt, sich auf die Faschisten zu stützen, die einen unbedeutenden Faktor in den meisten Ländern darstellen, wird die herrschende Klasse gezwungen, sich auf die Unterstützung der Führer der traditionellen Arbeiterorganisationen zu verlassen: die reformistischen und stalinistischen Parteien und die Gewerkschaften. Doch dies führte zu einem starken Niedergang der traditionellen Arbeiterparteien und den bürgerlichen Parteien – eine Entwicklung, die droht, das Fundament, auf der die bürgerliche Demokratie mehrere Jahrzehnte lang ruhte, zu untergraben. Dies ist der Schlüssel, die enorme politische Volatilität in der heutigen Gesellschaft zu verstehen.
Dass sie keine schlüssige Erklärung für die Geschehnisse haben, ist ein Anzeichen für die Verwirrung der bürgerlichen Kommentatoren. Ein Beispiel für diese Verwirrung ist die unwissenschaftliche Verwendung von Fachbegriffen. Sie verwenden das Wort „Populismus“, um jede politische Bewegung zu beschreiben, die ihnen nicht gefällt.
Diese sogenannten Experten werfen Phänomene in einen Topf, die nicht nur unterschiedlich, sondern komplett gegensätzlich und miteinander unvereinbar sind: Hugo Chavez und Marine Le Pen, Jeremy Corbyn und Matteo Salvini – sie alle sollten dasselbe sein – „Populismus“. Dass sie alle unterschiedliche Ziele verfolgen und ihre Basis in verschiedenen Klassen haben, ist für diese Damen und Herren irrelevant.
Die Rezession 2007-08 hatte große Auswirkungen auf das Massenbewusstsein auf der ganzen Welt. Nach einer ersten Schockperiode, gab es eine Reaktion in Gestalt der Indignados-Bewegung in Spanien, Occupy, des Arabischen Frühlings, des Syntagma-Platzes. Sie löste ein Infragestellen des kapitalistischen Systems und seinen Institutionen und Parteien aus. In einer zweiten Phase führte dies zum Aufstieg von Parteien und Bewegungen, die als radikale Linke angesehen wurden (Syriza, Podemos, Corbyn, Mélenchon, Sanders). Manche von ihnen enthüllten schließlich ihre Grenzen, während andere dies noch in der nächsten Zeit tun werden.
In diesem Zusammenhang ist es kaum eine Überraschung, dass neue Parteien und Bewegungen auftauchen. Es ist kein Versehen, dass diese Bewegungen hauptsächlich von Kleinbürgern zusammengesetzt sind. Obwohl sie die Aufmerksamkeit der aktivsten linken Arbeitern auf sich ziehen, bestehen diese Parteien und Bewegungen (Podemos ist ein gutes – oder besser gesagt, ein schlechtes Beispiel) aus Kleinbürgern, Akademikern und anderen Beielementen. Das ist besonders bei der Führung der Fall, die alle negativen Eigenschaften kleinbürgerlicher Ideen und Vorurteile aufweist.
Zu sagen, dass diese Menschen verwirrt sind, ist eine Untertreibung. Sie bilden sich ein, für „neue Ideen“ einzustehen, die sie erfunden haben, um die Menschen in das Gelobte Land zu führen, wie Moses die Israeliten durch das Rote Meer geführt hat. Indem sie alle „alten Ideen“ (d.h. den Marxismus) über Bord werfen, stellen sie sich vor, unnötigen Ballast abzuwerfen. In Wirklichkeit werfen sie die Schwimmweste weg, die sie vor dem Ertrinken retten könnte.
Indem sie frei von „Dogmen“ (d.h. Prinzipien und Theorien) sind, bilden sie sich ein, den „utopischen“ Marxisten überlegen zu sein. Tatsächlich sind sie aber nicht nur den Marxisten unendlich unterlegen, sondern auch den großen utopischen Sozialisten der Vergangenheit, die, verglichen mit den heutigen postmodernen Pygmäen, trotz ihrer Fehler großartige Denker waren. In der Praxis sind sie die schlimmsten Dogmatiker, die alle neuen „trendy“ Dogmen der Identitätspolitik, des Postmodernismus und dem Rest des akademischen Geschwätzes, den Universitäten ständig von sich geben, um die Jugend zu verwirren und Marxisten zu bekämpfen, verkrampft verteidigen.
Die hoffnungslose ideologische Verwirrung dieser neuen Formationen macht sie gänzlich instabil. Sie können rasch aufsteigen, doch geraten kurz darauf in eine Krise, spalten sich und gehen in den Niedergang, was man an Podemos in Spanien sieht. Ihr Führer, Pablo Iglesias, wurde zuerst sehr schnell populär, da seine Reden radikal klangen. Sie weckte die Hoffnung von Millionen von Menschen, die eine linke Alternative suchten. Jetzt ist Iglesias ein „Realist“. Er ließ seine früheren radikalen Phrasen fallen und ging eine Koalition mit der PSOE ein. Seine Hauptforderung (sie schien die einzige zu sein) war, dass Podemos Minister in der Regierung von Pedro Sanchez haben muss. Das war töricht.
Indem sie darauf bestanden, in die Regierung zu kommen, machten die Führer von Podemos den Eindruck, dass sie nur eine weitere Gruppe von Opportunisten waren, die hungrig auf die „Früchte des Amtes“ waren (ein Eindruck, der nicht unweit der Realität ist) und dass sie auch keine schlauen Leute waren (was auch eine angemessene Beurteilung ist). Diese Wahrnehmung führte unweigerlich zu Enttäuschung und Demoralisierung und einem Zerfall der Aktivistenbasis der Partei und der Wahlunterstützung.
Es ist unklar, ob Podemos (jetzt Unidas Podemos) überleben oder verschwinden wird, doch letzteres ist absolut möglich, da diese Parteien instabile und flüchtige Phänomene sind. Es gibt ein allgemeines Gesetz, das besagt, dass wenn Arbeiter mit zwei reformistischen Parteien konfrontiert werden, die keine klaren programmatischen Unterschiede haben, dass die größere Partei dazugewinnt und die kleineren Parteien zum Verschwinden tendieren. Die PSOE gewinnt nun auf Kosten von Podemos, die eine gute Lektion zum Wert der „Realpolitik“ erteilt bekam.
Das Aufkommen dieser neuen Bewegungen ist ein früher Ausdruck dafür, dass die Massen verzweifelt nach einem Weg aus der Krise suchen. Sie beobachten die Führer der Partei sehr genau, wie sie es in der Vergangenheit nie gemacht hatten. Sie stellen diese Parteien und Führer auf die Probe. Sie bringen sie in die Regierung – doch wenn sie dann nicht abliefern, wenn Verrat begehen, dann werfen die Massen sie genauso unfeierlich wieder hinaus. Das gilt für die neuen Gruppierungen gleich wie für die alten reformistischen Parteien. Man kann es am Fall der Fünf-Sterne-Bewegung in Italien sehen, die zuerst die Hoffnung und Illusionen vieler Menschen weckte, schlussendlich aber hochging wie eine Rakete und hinunterfiel wie ein Stock. Sie wird nicht der letzte solche Fall gewesen sein.
Diese neuen Bewegungen sind nur Vorboten der Zukunft. Ein Gesetz besagt, dass die Radikalisierung der Mittelschicht, besonders unter Studenten und Akademikern, eines der ersten Anzeichen für revolutionäre Entwicklungen ist. Das ist natürlich wichtig, aber nur als Symptom. Die wichtigste Tatsache ist, dass die Masse der Arbeiterklasse noch nicht begonnen hat, sich auf bedeutsame Art und Weise, als Klasse, zu bewegen. Wenn dies geschieht, werden die verwirrten kleinbürgerlichen Elemente auf eine Seite geworfen und die ganze Situation wird rasant umgeformt.
Trotzki erklärte vor langer Zeit, dass der Verrat dem Reformismus eigen ist. Das bedeutet natürlich nicht, dass diese Führer immer und in jedem Fall absichtlich darauf aus sind, die Arbeiterklasse zu verraten. Einige von ihnen mögen aufrichtig davon überzeugt sein, dass sie im Interesse der Arbeiter handeln, von denen sie gewählt werden. Doch was allen Arten von Reformisten (den „linken“ und den rechten) gemein ist, ist dass sie kein Vertrauen in die Arbeiterklasse haben und nicht glauben, dass die Arbeiter die Gesellschaft führen können.
Die historische Rolle der Reformisten (und Stalinisten) war es, die Unzufriedenheit der Massen in sichere Bahnen zu lenken. Doch ihre absolute Degeneration hat die Gleichung umgestellt. Sie ist allgegenwärtig, doch wurde in den letzten 60 Jahren immer tiefer und stärker. Wenn man das kapitalistische System akzeptieren will, muss man den Gesetzen des Kapitalismus und des Marktes gehorchen. Von daher gesehen sind die rechten Reformisten viel konsequenter als die „Linken“. Sie führen die Sparpolitik mit ganzem Herzen durch, die ihnen von den Bankern und Kapitalisten diktiert wird, um den Kapitalismus zu retten.
Die Tiefe der gegenwärtigen Krise schließt jede Möglichkeit bedeutsamer Reformen aus. Im Gegenteil, die Bürgerlichen sagen, dass sie nicht einmal die Reformen, die die Arbeiterklasse früher erkämpften, instand halten können. Ihr Grundsatz ist: kürzen, kürzen und nochmals kürzen. Deswegen gibt es auf die eine oder andere Art überall auf der Welt einen Prozess der Radikalisierung. Dies spiegelt sich aber generell zum jetzigen Zeitpunkt in keiner ernsten Weise in den Massenorganisationen wider. Infolgedessen haben die reformistischen Führer, auch wenn sie in vielen Fällen noch eine Massenbasis haben, nicht mehr die selbe unhinterfragte Autorität, die sie früher einmal genossen haben.
Im Allgemeinen sind die heutigen Führer nicht wie die früheren. Die alten sozialdemokratischen Führer hatten eine Verbindung zur Arbeiterklasse. Viele von ihnen kamen aus der Arbeiterklasse und wussten wenigstens etwas über deren Lebensbedingungen. Sie hatten einen gewissen Bezug zum Sozialismus, hielten Reden über den Sozialismus am 1. Mai und so weiter. Wie ist die Lage heute? Die jetzigen Führer kommen fast alle aus der Mittelschicht: Dozenten, Anwälte, Juristen, Ökonomen und dergleichen.
Die untere Schicht der Kleinbürger ist der Arbeiterklasse näher, doch die oberen Schichten sind den Bürgerlichen näher und sie unterstützen natürlich die Interessen der Bourgeoisie in allen grundlegenden Fragen. Sie haben weder Verständnis für, noch Kontakt zur Arbeiterklasse. Ihr Lebensstil, Lebensstandard, soziales Umfeld und ihre Psychologie unterscheiden sie gänzlich von ihr. Das ist ein wichtiger Faktor in der Situation. Dasselbe gilt für die Stalinisten, die so degeneriert sind, dass man sie von den Sozialdemokraten nicht unterscheiden kann.
Die heutigen ex-Stalinisten behielten treu alle Laster der stalinistischen Gangster der Vergangenheit, doch sie geben auch nicht vor, Kommunisten oder Revolutionäre zu sein. Sie sind die abscheulichste Art von Reformisten. Und sie spielen eine offen konterrevolutionäre Rolle, besonders in den Gewerkschaften, wo sie als „linker“ Deckmantel für die Bürokratie des rechten Flügels dienen.
Aufgrund dieser Bedingungen wurden manche Parteien, die Massenparteien der Arbeiterklasse waren, vollständig zerstört – liquidiert. In Italien war die PCI die größte kommunistische Partei außerhalb der UdSSR (ausgenommen Indonesien, bis zum Massaker von 1965). Doch wo ist die italienische kommunistische Partei heute? Sie wurde komplett zerstört. Die PASOK in Griechenland wurde auch zerstört und es ist unklar, ob sie wieder zurückkehrt. In anderen Orten, wo sie überlebten, haben diese Organisation immer noch eine Massenbasis in der Klasse. Das ist besonders in manchen Ländern in Nordeuropa der Fall.
Die britische Labour Party ist in der Arbeiterklasse tief verwurzelt. Auch in Österreich hatte die Sozialdemokratie tiefe Wurzeln, die nicht einfach so verschwinden werden. Doch die Führung ist morsch und besteht zur Gänze aus Klein- oder Großbürgern. Aber als Corbyn zum Parteichef gewählt wurde, nahm die Situation in der Labour Party eine radikale Wendung. Menschen, besonders Jugendliche, standen Schlange, um der Labour Party beizutreten.
Das zeigt, dass es die Stimmung der Radikalisierung schon gab. Corbyn hat sie nicht erschaffen. Die Stimmung existierte, sie hatte nur keine Möglichkeit, zum Ausdruck gebracht zu werden. Sie brauchte einen Katalysator und diesen hat Corbyn zur Verfügung gestellt. Hätte er das nicht getan, hätte sich die Stimmung schließlich in irgendeiner Form ausgedrückt, aber nicht notwendigerweise durch die Labour Party.
Die Situation ist überall extrem unbeständig und fließend. Wir müssen sie aufmerksam verfolgen und die größtmögliche Flexibilität in unserer Taktik beweisen, um die revolutionärsten Schichten der Gesellschaft zu erreichen. Routinismus und Formalismus sind hier fehl am Platz.
In den 1930ern riet Trotzki seinen Anhängern in Großbritannien und Frankreich, in den Massenorganisationen der Sozialdemokratie zu arbeiten. Er brachte diese Idee im Kontext einer eindeutigen Situation der sozialen Krise, rasanten Polarisierung und des Aufstiegs von linken („zentristischen“) Massenströmungen in Ländern wie Großbritannien, Frankreich und Spanien ein. Doch wie ist die Lage heute? Die Krise des Kapitalismus bedeutet überall eine Krise des Reformismus. Aber das hat nirgends, mit Ausnahme von Großbritannien, zum Erscheinen einer seriösen linken Strömung innerhalb der traditionellen Organisationen geführt.
Wir müssen uns vor abstrakten Schemata in Acht nehmen, die nicht mit der Realität übereinstimmen. Die heutige Situation in den Massenorganisationen ist nicht dieselbe wie die, die Trotzki beschrieb. Sogar in Großbritannien ist die Strömung, die von Corbyn vertreten wird – obwohl sie zweifellos einen großen Schritt nach vorne bedeutet, der die britische Politik verändert hat – nur ein blasser Abglanz der ILP vor dem Zweiten Weltkrieg. Deswegen lag unser Fokus in letzter Zeit auf der systematischen Jugendarbeit, mit großartigen Resultaten.
In Großbritannien wie in anderen Ländern liegt unser Schwerpunkt immer noch in der offenen Arbeit unter den Jugendlichen, von denen die meisten Sympathisanten von Corbyn, aber nicht aktiv in der Labour Party involviert sind. Das bedeutet aber nicht, dass wir das Intervenieren in Massenorganisationen von vornherein ausschließen, falls und wenn die Bedingungen sich ändern. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es in manchen Ländern in nächster Zeit bedeutende Entwicklungen in den reformistischen Organisationen geben könnte. Wir müssen darauf immer ein Auge haben und intervenieren, wenn sie ein Lebenszeichen von sich geben, so wie es in Großbritannien der Fall ist.
Unsere Hauptaufgabe ist es aber, die besten Teile der Jugend zu gewinnen, auszubilden und auf die Arbeiterbewegung und die Arbeiterklasse auszurichten. Das ist die einzige Möglichkeit, die Massenkräfte des Marxismus aufzustellen, die notwendig sind, die sozialistische Revolution in Großbritannien durchzuführen. Bevor wir ernsthaft über die Vorbereitung auf die Macht sprechen können, ist es zuerst notwendig, die Eroberung der Massen vorzubereiten und das beginnt zuallererst mit der Gewinnung der fortgeschrittenen Schichten.
Nach den Erfahrungen der letzten zehn Jahre wird eine neue Rezession eine noch tiefere Wirkung auf das Bewusstsein haben. Wir müssen bereit sein, Massenbewegungen, die Entstehung linker Organisationen und Strömungen, doch auch ihren Zerfall zu erleben. Es wird eine Epoche der scharfen Veränderungen und plötzlichen Wendungen sein, die Bedingungen schaffen wird, die noch fruchtbarer für das Wachstum der marxistischen Strömung sind. Es ist unsere Aufgabe, einen energischen Kampf zur Verteidigung der Grundsätze des Marxismus zu führen, während wir gleichzeitig die größte taktische Flexibilität zeigen und darum kämpfen, die revolutionäre Organisation aufzubauen, indem wir im Klassenkampf agieren und intervenieren.
Die Sekten, die am Rande der Arbeiterbewegung ihr erbärmliches Dasein fristen, spielen überall eine äußerst schädliche Rolle. Sie verbreiten Verwirrung, bilden diejenigen falsch aus, die das Unglück haben, unter ihren Einfluss zu geraten, und sie diskreditieren die Ideen des Trotzkismus in den Augen der Arbeiterklasse. Trotzkis Methode ist für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Sie haben auch kein Verständnis für die Dialektik und sind daher Fähnchen im Wind. Sie sind oberflächliche Empiriker und Pragmatiker der schlimmsten Art.
Immer, wenn die rechten Parteien einen Stimmenzuwachs haben – was unter den gegenwärtigen Bedingungen unvermeidlich ist – beginnen die Sektierer zu schreien: „Faschismus! Faschismus!“ Das zeigt die kriminelle Verantwortungslosigkeit der Ultralinken, die verzweifelt sind, weil sie jegliches Vertrauen in die Fähigkeit der Arbeiterklasse verloren haben, die Gesellschaft zu verändern. Dies ist der gemeinsame Nenner der ultralinken Sektierer und Reformisten.
Es ist interessant festzustellen, dass sich die Sekten gerade jetzt in einer Krise befinden und sich überall spalten und auflösen. Nach dem Zusammenbruch der ISO und der Implosion des CWI haben wir die Abspaltung von Altamira von der PO in Argentinien. Das ist kein Zufall. Die Sektierer haben kein Verständnis für die Prozesse, die sich abspielen. Sie sind desorientiert und pessimistisch. Es ist kein Zufall, dass genau jetzt, wo die Krise des Kapitalismus und Reformismus die günstigsten Bedingungen für Revolutionäre eröffnet, diese Gruppen in einer Krise stecken, sich spalten und auseinanderfallen. Dies ist jedoch eine sehr positive Entwicklung, da dadurch ein weiteres Hindernis auf unserem Weg verschwindet.
Der Grund, warum sie zusammenbrechen, ist, dass sie überhaupt keine wirklichen Marxisten sind. Ihr völliger Mangel an Theorie bedeutet, dass sie vor kleinbürgerlichen Ideologien wie der Identitätspolitik kapituliert haben. Infolgedessen werden sie von jedem Luftzug aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie sind mit der Krankheit der Skepsis infiziert. Sie sind pessimistisch, weil sie nicht verstehen, wie sich die Arbeiterklasse bewegt. Im Gegensatz dazu haben unsere Festigkeit gegenüber Prinzipien und unser solides Verständnis der Theorie es uns ermöglicht, die richtigen Perspektiven und Taktiken zu erarbeiten. Darum wachsen wir und finden Wege, die besten Schichten der Arbeiter und Jugendlichen zu erreichen.
Die Taaffistensekte (bekannt als CWI) ist eine schreckliche Mischung aus extremem Sektierertum und extremem Opportunismus. In Wirklichkeit war sie ein Abkömmling der Strömung, die Lenin als Ökonomismus bezeichnete, dh eine Strömung, die die marxistische Theorie aufgegeben hat und versucht, kurzfristige Erfolge zu erzielen, indem sie sich an die vorherrschenden Stimmungen anpasst und die Politik auf den kleinsten gemeinsamen Nenner reduziert. Aber warum sagte Lenin: „Ohne revolutionäre Theorie kann es keine revolutionäre Bewegung geben“?
Vor mehr als fünfundzwanzig Jahren vertrieb diese Sekte Ted Grant und verließ die Labour Party. Sie schmissen die hervorragenden Ergebnisse, die wir in vier Jahrzehnten erzielt hatten, verantwortungslos weg und sagten zuversichtlich voraus, dass sie „sprunghaft wachsen“ würden. Sie suchten nach einer Abkürzung zum Erfolg. Ted warnte, dass es eine „Abkürzung über eine Klippe“ sein würde. Die Ereignisse haben gezeigt, wie recht er hatte. Sie stellten dann Kandidaten für Wahlen auf, die sich auf ein vollständig reformistisches Programm stützten und Einzelkampagnen, z. B. gegen Wassergebühren in Irland usw. führten. Nachdem sie das Verständnis der marxistischen Theorie völlig verloren hatten, fielen sie natürlich unter den Einfluss klassenfremder Ideen, insbesondere der trendy Identitätspolitik, was einer der Hauptgründe für ihre jüngste katastrophale Spaltung war.
Wie alle anderen Sekten haben sie sich in Großbritannien in den Gewerkschaften vergraben und sich vorgestellt, dass dies der Weg sei, sich mit den Arbeitern zu verbinden. Gewerkschaftsarbeit ist natürlich ein wichtiger und notwendiger Bestandteil der revolutionären Arbeit. Aber wie alle unsere Arbeiten muss sie revolutionär und nicht routinistisch-bürokratisch durchgeführt werden. Die Hauptursache für ihren Fehler ist der Versuch, Positionen in den Gewerkschaften zu erlangen, ohne zuvor eine solide Basis aufzubauen. Anstatt geduldig revolutionäre Kader in den Gewerkschaften zu entwickeln, versuchen sie, „Einfluss“ zu gewinnen.
Trotzki warnte, dass wir nicht „ernten dürfen, wo wir nicht gesät haben“. Revolutionäre Arbeit in den Gewerkschaften ist geduldige Arbeit, die allmählich eine ernsthafte Basis aufbaut, was Zeit braucht. Der Versuch, durch alle Arten von Manövern und Kombinationen Abkürzungen zu finden, ist ein sicheres Rezept für opportunistische und bürokratische Degeneration. Die Erfahrung der Taaffistensekte in der PCS (Gewerkschaft des Öffentlichen Dienstes) in Großbritannien, die in einem vollständigen Debakel endete, ist ein sehr klarer Beweis dafür. Mit ihren falschen Methoden verstrickten sie sich so sehr in die alltäglichen Gewerkschaftsarbeit, dass sie die wichtigen Prozesse, die im Rest der Arbeiterklasse und der Jugend stattfanden, nicht sehen konnten.
Was die Sektierer nicht verstanden haben, ist, dass zu diesem Zeitpunkt die revolutionärsten Elemente hauptsächlich nicht in den Gewerkschaftszweigen zu finden sind. Diese werden von älteren Arbeitern dominiert, von denen viele pessimistisch sind und in Richtung Opportunismus tendieren. Dieselben Einstellungen haben sich auf die Sekten ausgewirkt, die ausnahmslos mit dem infiziert sind, was Trotzki als „Geschwür der Skepsis“ bezeichnete, wenn auch mit einer pseudorevolutionären Sprache getarnt. Mit solchen Leuten kann man nichts anfangen. Echte Marxisten müssen Lenins Rat befolgen: tiefer in die Klasse eintauchen. Blickt hinaus über die sogenannte fortgeschrittene Schicht von Gewerkschaftsaktivisten hinaus und sucht den Kontakte zu den am meisten ausgebeuteten und kämpferischen Schichten!
Auf ihrer rücksichtslosen Jagd nach Profit vergiften die Kapitalisten das Essen, das wir essen, die Luft, die wir atmen, und das Wasser, das wir trinken. Sie töten die Ozeane, planieren die Regenwälder und rotten Tierarten mit alarmierender Geschwindigkeit aus. Wenn das Bestehen des das kapitalistischen Systems noch länger zugelassen wird, ist die Zukunft der Menschheit in Gefahr – und möglicherweise alles Leben auf der Erde.
Es muss zugegeben werden, dass wir selbst diesen Themen in der Vergangenheit nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt haben. Wir sollten sofort Maßnahmen ergreifen, um diesen Mangel zu beheben. Es versteht sich von selbst, dass wir die Umweltfragen von einem revolutionären Klassenstandpunkt aus betrachten und sie mit der Notwendigkeit verbinden, die Banker und Kapitalisten zu enteignen und eine wirklich harmonische, demokratisch geplante Gesellschaft auf nationaler und internationaler Ebene zu schaffen. Wir erklären, dass es keinen nachhaltigen Kapitalismus gibt, und wir verurteilen die Tatsache, dass die Bourgeoisie versucht, die Klmabewegung für ihre eigenen Klasseninteressen zu vereinnahmen
Wir müssen die Klimaaktivisten freundlich ansprechen und sie unterstützen, wenn sie die Zerstörung Natur des gegenwärtigen Systems richtig kritisieren. Aber wir müssen die reaktionären, neomalthusianischen Ideen zur Begrenzung von Wirtschaftswachstum, Bevölkerung usw. kritisieren. Diese falschen Ideen, die Marx vor langer Zeit bereits zerlegt hat, werden von den bürgerlichen Reaktionären als Rechtfertigung für die Politik der Kürzungen und Sparmaßnahmen verwendet („Wir müssen den Konsum begrenzen, um den Planeten zu retten!“).
Die Grünen beklagen oft, dass Marx und Engels der Umwelt keine Beachtung geschenkt hätten. Das ist völlig falsch. In einer wunderbar tiefen Passage aus der Dialektik der Natur stellt Engels fest:
„Schmeicheln wir uns indes nicht zu sehr mit unsern menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben […] und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ (Über den Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen)
Methoden zur Steigerung der Produktivität können sich in ihr Gegenteil verwandeln und das Wachstumspotenzial insgesamt zerstören. Die jüngsten Entwicklungen in der Landwirtschaft zeigen das auf. Der wahllose Einsatz von Insektiziden und Kunstdünger hat die Insektenpopulationen dezimiert, den Boden verarmt und alle Arten von Schadstoffen in die Nahrungskette eingeführt.
Dies ist kein Argument gegen technologische Innovation in der Landwirtschaft (wir möchten nicht zum Holzpflug zurückkehren), aber es ist ein unanfechtbares Argument für die sozialistische Planung und den rationalen, kontrollierten Einsatz der Wissenschaft zum Nutzen der gesamten Menschheit statt der Gier einiger Weniger.
Im Kampf gegen die ökonomistische Abweichung bestand Lenin auch darauf, dass das Proletariat eben nicht nur um ökonomische Forderungen (Löhne und Arbeitsbedingungen), sondern auch für politische Forderungen kämpfen muss, die die Probleme und Bestrebungen anderer Schichten der Gesellschaft mit ausdrücken. Heutzutage werden viele Menschen, die nicht organisiert sind, in Fragen radikalisiert, die nicht direkt ökonomisch sind. Die Klimarevolte der Schüler ist ein hervorragendes Beispiel.
Ein klares Symptom für die Radikalisierung der Jugend waren die Klimastreiks, die Hunderttausende von Schulkindern auf die Straße brachten. Das ist eine völlig neue Entwicklung mit großem Potential für die Zukunft. Diese neuen Schichten sind nicht mit den Stimmungen des Pessimismus und der Skepsis belastet, an denen viele in der älteren Generation leiden.
Die abgestandene Atmosphäre des Routinismus, die in vielen Ortsgruppen der reformistischen Parteien und Gewerkschaften vorherrscht, fehlt hier völlig. Diese jungen Leute sind nicht an kleinen Reformen interessiert. Sie wollen einen grundlegenden Wandel in der Gesellschaft. Sie wollen die Welt verändern. Mit einem Wort, sie wollen eine Revolution. Diese Bedingungen werden es der marxistischen Strömung ermöglichen, sich viel schneller und einfacher aufzubauen als in der Vergangenheit.
Die heruntergekommenen alten Skeptiker (einschließlich derer, die sich für „Linke“ und sogar für „Marxisten“ ausgeben) haben eine paternalistische Haltung zur Jugend. Sie tätscheln ihnen den Kopf und sagen: „Sehr gut, aber wenn ihr älter und weiser seid, werdet ihr feststellen, dass ihr die Welt nicht verändern könnt. Vielmehr wird die Welt euch verändern. Die Revolution ist ein Traum und eine Illusion. Wir müssen uns auf das beschränken, was möglich ist.“
Wir hingegen sagen der Jugend: „Es ist nicht so, dass Menschen älter und weiser werden. Die meisten Menschen werden älter und dümmer. Ihr sagt zurecht, dass die Welt verändert werden muss. Das erfordert eine Revolution, und wenn uns das nicht gelingt, werden die Bedingungen für die Barbarei geschaffen. In der Tat wird die Zukunft des Planeten in große Gefahr geraten, wenn die Arbeiter die Macht nicht übernehmen, wenn sich die Möglichkeit ergibt.“
Unter den Jugendlichen entwickelt sich eine äußerst rebellische Stimmung. Die objektive Situation bewegt sich schnell und die Forderungen der Bewegung sind radikal, aber was fehlt, ist der subjektive Faktor. Es gibt ein riesiges Vakuum auf der linken Seite, aber niemand liefert den Jugendlichen die Ideen, die sie brauchen. Deshalb können zufällige Charaktere wie Greta Thunberg dieses Vakuum vorübergehend füllen.
Dasselbe gilt für die Bewegungen gegen die Unterdrückung der Frau. In jedem Land (Spanien, Argentinien, Schweiz, Irland, Polen, Italien usw.) haben wir Massenmobilisierungen für das Recht auf Abtreibung, gegen Gewalt gegen Frauen, für Lohngleichheit und gegen Diskriminierung gesehen. In all diesen Fällen hat die Jugend eine Schlüsselrolle gespielt. Dies sind hauptsächlich frische Schichten, die zum ersten Mal in den Kampf eintreten. Wir müssen energisch in diesen Bewegungen intervenieren und eine klare revolutionäre Alternative anbieten, während wir gleichzeitig die bürgerlichen und kleinbürgerlichen feministischen Ideen bekämpfen, die in der Führung vorherrschen.
Von allen Schichten, die in den Kampf ziehen, ist die Jugend am offensten für revolutionäre Ideen. Es ist eine dringende Priorität für die Internationale, in diesem Milieu zu intervenieren. Konservative und routinistische Einstellungen sind bei dieser zentralen Aufgabe völlig inakzeptabel. Den richtigen Ansatz zeigte der junge russische Genosse, der auf dem FFF-Gipfel im August 2019 in der Schweiz eine sehr mutige Initiative ergriff, um einen linken Flügel aufzubauen.
Das erzeugte eine unmittelbare Resonanz bei radikalisierten jungen Menschen aus vielen Ländern, die mit dem blutleeren, reformistischen Programm bürgerlicher Strömung wie Greenpeace unzufrieden sind. Die IMT muss diese Initiative uneingeschränkt unterstützen und energisch begleiten. Es wird eine hervorragende Möglichkeit sein, die kämpferischsten und revolutionärsten Elemente der Jugend zu gewinnen. Indem die marxistische Strömung mutig mit revolutionären Slogans interveniert und rechtzeitig Initiativen ergreift, um die Massenproteste voranzutreiben, kann sie die besten Elemente für sich gewinnen und eine neue Generation revolutionärer Kader ausbilden, die in der Lage sein werden, führende Rollen in dieser wichtigen Bewegung zu spielen.
In der Vergangenheit hätten politische Krisen, wie wir sie heute überall erleben, nicht lange, ein paar Monate, vielleicht ein paar Jahre gedauert. Sie würden entweder im Faschismus oder Bonapartismus oder im Sieg der Arbeiterklasse enden. Bei der Entwicklung der Wirtschaft hat die Bourgeoisie aber auch die Arbeiterklasse entwickelt. Die Gesellschaft wurde wie nie zuvor proletarisiert. Daher wird jeder Versuch, die Arbeiterklasse zurückzudrängen und ihr die Errungenschaften der vergangenen Periode wieder wegzunehmen, heftigen Widerstand hervorrufen.
Hier steht die Bourgeoisie vor einem ernsthaften Problem. Die sozialen Reserven des Faschismus sind verkümmert, während die Arbeiterklasse stärker ist als je zuvor. Die Bauernschaft, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Europa sehr groß war, ist auf eine kleine Minderheit reduziert. Die sozialen Reserven der Reaktion wurden entscheidend geschwächt.
Dies ist ein wichtiges neues Element in der Gleichung. Fünfzig Jahre beispiellosen Wachstums nach dem Zweiten Weltkrieg haben das Kräfteverhältnis überwiegend zugunsten der Arbeiterklasse verschoben. Dies schafft eine immens günstige Entwicklung im Hinblick auf das Verhältnis der Klassenkräfte.
Der Verrat der stalinistischen und sozialdemokratischen Führer, der den Kampf der Massen gegen den Kapitalismus nach dem Zweiten Weltkrieg zurückhielt, war die politische Voraussetzung für eine lange Zeit des wirtschaftlichen Aufschwungs. Dies stellte die Marxisten in den entwickelten kapitalistischen Ländern vor ernsthafte Probleme. Der Klassenkampf wurde für lange Zeit tendenziell gelähmt und Illusionen in Kapitalismus und Reformismus griffen um sich. Doch nun ist eine grundlegende Änderung eingetreten. Dialektisch haben sich alle Faktoren, die eine Grundlage für Stabilität geschaffen haben, in ihr Gegenteil verwandelt. Das kapitalistische System nähert sich einer historischen Krise, was die aktuelle politische und soziale Instabilität erklärt.
Bis 2050 werden 66 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben – gegenüber 30 Prozent im Jahr 1960. Allein diese Tatsache zeigt eine bedeutende Veränderung des Kräfteverhältnisses weltweit. In China ist die städtische Bevölkerung von 15 Prozent zu Beginn des 20. Jahrhunderts auf heute 60 Prozent gestiegen. Im Sudan waren es in den 1960er Jahren 5 Prozent und heute 33 Prozent. Dieses zahlenmäßige Wachstum geht mit einem enormen Anstieg des sozialen Gewichts der Arbeiterklasse einher. Länder, die zuvor ländlich und landwirtschaftlich geprägt waren, wurden rasch industrialisiert.
Objektiv gesehen war die Arbeiterklasse noch nie so stark. Die Stimmung der Unzufriedenheit unter den Massen, die im Allgemeinen keinen Ausdruck in den traditionellen Massenorganisationen findet, drückt sich jedoch in verschiedenen Ländern auf unterschiedliche Weise aus. Grundlegend ist jedoch der unaufhaltsame Prozess der Radikalisierung der Massen auf globaler Ebene, der sich in heftigen Schwankungen nach links und rechts äußert. Der Radikalisierungsprozess wird sich im Verlauf der Krise verschärfen, eine noch schärfere Polarisierung zwischen den Klassen hervorrufen und den Weg für noch größere revolutionäre Explosionen bereiten.
Fazit: Für revolutionären Optimismus!
Die Marxisten sind von Haus aus optimistisch, doch unser Optimismus ist nicht aufgesetzt oder künstlich. Er basiert auf seriösen Analysen und Perspektiven. Wir stützen uns auf das stabile Fundament der marxistischen Theorie. Unsere Organisation kann stolz darauf sein, dass wir an den die Grundprinzipien und der dialektischen Methode, die es uns ermöglicht, unter die Oberfläche vorzudringen und die tieferen Prozesse zu erkennen, bedingungslos festgehalten haben.
In vielerlei Hinsicht ähnelt die gegenwärtige Situation dem Niedergang und Fall des Römischen Reiches. Die Banker und Kapitalisten stellen beständig ihren Reichtum und Luxus zur Schau. Das reichste Prozent der Welt ist auf dem besten Weg, bis 2030 bis zu zwei Drittel des Weltvermögens zu kontrollieren, da es auf Billionen von Dollar sitzt, die es nicht in produktive Aktivitäten investiert. Die herrschende Klasse ist parasitär und völlig degeneriert. Dies schürt Wut und Groll überall.
Es gibt ein großes Potenzial für die Verbreitung marxistischer Ideen. Das ist die Hauptsache, auf die wir uns konzentrieren müssen. Wir müssen die Grundlagen diskutieren. Nicht die Nebeneffekte, sondern die allgemeine Tendenz. Was ist der rote Faden, der all diese Situationen verbindet? Extreme politische und soziale Polarisierung. Der Klassenkampf spitzt sich überall zu.
Wir wachsen und entwickeln uns – aber wir sind zu klein, um ein entscheidender Faktor in der zukünftigen Entwicklung der Ereignisse zu sein. Aus unserer Sicht wäre es gar nicht schlecht, wenn entscheidende revolutionäre Situationen für eine Weile verschoben würden, aus dem einfachen Grund, dass wir noch nicht bereit sind. Wir brauchen Zeit, um die revolutionäre Alternative aufzubauen.
Aus den in diesem Dokument dargelegten Gründen werden wir einige, aber nicht alle Zeit der Welt haben. Die Geschichte bewegt sich in ihrem eigenen Tempo und wird auf niemanden warten. In einer Zeit wie der Gegenwart können gigantische Ereignisse eintreten, bevor wir bereit sind. Scharfe und plötzliche Wendungen sind in der Situation wesenseigen. Wir müssen bereit sein, uns großen Herausforderungen zu stellen. 393. Die besten Arbeiter und Jugendlichen sind bereits offen für unsere Ideen. Wir müssen den Weg zu diesen Schichten finden und den alten, müden, demoralisierten Elementen den Rücken kehren. Alle Spuren von Skepsis und Routinismus müssen aus unseren Reihen verschwinden. Wir müssen von oben bis unten von einem Bewusstsein für die Dringlichkeit unserer Aufgabe erfüllt werden.
Dies ist wirklich ein Wettlauf gegen die Zeit. Große Ereignisse können uns überholen. Wir müssen vorbereitet sein. Deshalb müssen wir unsere Organisation aufbauen und so schnell wie möglich Kader gewinnen und ausbilden. Das ist der einzige Weg zum Erfolg. Wir beschreiten diesen Weg bereits.
Nichts darf uns von dieser Aufgabe ablenken. Wir haben allen Grund, Vertrauen zur Arbeiterklasse, zu den Ideen des Marxismus, zu uns selbst und zur IMT zu haben.
Turin, 29. Januar 2020