Die Sozialistische Jugend hat unter dem Titel „Aufbruch aus der Krise“ (https://www.sjoe.at/aufbruch) ein neues Programm ausgearbeitet. Ein Diskussionsbeitrag der Funke-Strömung in der SJ.
Den Kern dieses Programms bilden konkrete Maßnahmen gegen die Krise, wie die Stärkung des staatlichen Eigentums, Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, eine Beschäftigungsgarantie und „Mitbestimmung“ im Betrieb. Dazu kommen sinnvolle Forderungen wie die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich und die Einführung eines existenzsichernden Mindestlohns. Die Finanzierung dieses Reformprogramms soll durch Vermögens- und Erbschaftssteuern gesichert werden. Doch wie soll das erreicht werden?
„Starker Sozialstaat“
Den Schlüssel zur gesellschaftlichen Veränderung sieht das Programm in einem „starken, demokratischen Sozialstaat“. Aus der Sicht der Mehrheit des Verbandsvorstands der SJ ist es ohne den Staat nicht möglich, eine lebenswerte Zukunft für alle zu sichern.
Das Argument hat aber einen zentralen Haken: Mit dieser Wirtschaftskrise, die mittlerweile als eine neue „Great Depression“ gehandelt wird, sind die Spielräume für eine Stärkung des (kapitalistischen) Sozialstaats schlicht und ergreifend nicht gegeben. Wir hatten schon die letzten drei Jahrzehnte eine Politik der Spardiktate, und die Bürgerlichen werden gezwungen sein, diesen Kurs noch weiter zu verschärfen.
Wer sich in den letzten Wochen über die massiven staatlichen „Hilfspakete“ und die Debatte vom „starken Staat“ gefreut hat, der hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die einzig realistische Perspektive im Kapitalismus heute ist die eines harten Sparregimes, das über Jahrzehnte regieren wird. Die Krise lässt keinen Raum für ernsthafte und dauernde Reformen: Im Gegenteil zwingt sie jede Regierung zum Abbau des Sozialstaats, ganz unabhängig davon, mit welchen Absichten sie ihr Amt angetreten haben mag.
Im Programm definiert die SJ ihre Rolle frei nach einem Zitat aus dem Kommunistischen Manifest: „Wir wollen nicht die Krankenpflegerin am Krankenbett des Kapitalismus sein, sondern sein Totengräber.“ Als Ziel wird die „sozialistische Transformation“ angegeben. Ganz zu Beginn des Dokumentes wird beschrieben, dass die beschrieben Maßnahmen
„Überlegungen zu ersten Schritten in einem Transformationsprozess (darstellen), an dessen Ende eine Gesellschaft steht, in der die Bedürfnisse der Menschen und nicht die Profite einer kleinen kapitalistischen Elite im Mittelpunkt stehen.“
Doch gerade im letzten Zitat wird deutlich, dass die Reformen für das Hier und Jetzt gedacht sind, eine sozialistische Transformation, die auch nur äußerst implizit und in Andeutungen im Papier vorkommt, aber auf die unbestimmte Zukunft verschoben wird.
Aber nicht nur das: Die Umsetzung von Sozialreformen im Kapitalismus werden mit dieser Formulierung sogar zur Bedingung für eine solche Transformation erklärt.
Minimalprogramm und Maximalprogramm
Karl Marx und Friedrich Engels, die Autoren des „Manifests“, sahen im Klassenkampf und der revolutionären Machteroberung die Mittel der Arbeiterklasse auf dem Weg zum Sozialismus. Die klassische Sozialdemokratie, die ihre Tätigkeit in der Epoche des noch jungen und fortschrittlichen Kapitalismus entfaltete, teilte ihr Programm in zwei voneinander unabhängige Teile: Das Minimalprogramm, das sich auf Reformen im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft beschränkte, und das Maximalprogramm, das für eine unbestimmte Zukunft die Ersetzung des Kapitalismus durch den Sozialismus versprach.
Zwischen dem Minimalprogramm und dem Maximalprogramm gab es keine Brücke1. Mit der Zeit setzte sich auch die Überzeugung durch, dass es eine solche Brücke gar nicht brauche, denn der Sozialismus war ohnedies nur etwas, über das in Programmen geschrieben und an den hohen Feiertagen der Bewegung geredet wurde. In der Tagespolitik ging es nur noch um die nächste konkrete Sozialreform.
In dieser Tradition steht leider auch das Programm „Aufbruch aus der Krise“.
In einer tiefen Krise stößt aber jede sozialpolitische Forderung auf den erbitterten Widerstand der Bürgerlichen. Selbst wenn sie unter dem Druck von Massenmobilisierungen gezwungen werden, Zugeständnisse zu machen, werden sie schon morgen versuchen, mit der einen Hand das zu nehmen, was sie mit der anderen gegeben haben.
Eine Forderung wie Beschäftigungsgarantie oder Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich stößt unter den heutigen Bedingungen unmittelbar an die Grenzen des kapitalistischen Eigentums. Trotzdem halten die AutorInnen des Papiers genau an dieser Trennung von konkreten Reformmaßnahmen heute und der „großen Vision“ vom Sozialismus fest.
Staatsorientierung statt Klassenkampf
Für Karl Marx oder Rosa Luxemburg2 war der Klassenkampf in Form von Massenstreiks und revolutionärer Bewegung der entscheidende Faktor im Kampf für den Sozialismus.
Dieses Element fehlt jedoch zur Gänze in der Perspektive der Mehrheit des Verbandsvorstands. Nicht ein einziges Mal kommt in dem Programm vor, dass wir nur durch Massenkämpfe die geforderten Maßnahmen durchsetzen könnten. Die realen Massenbewegungen, die wir im letzten Jahr weltweit gesehen haben und die in der kommenden Phase ausbrechen werden, werden kein einziges Mal als Bezugspunkt für das Programm genommen.
Nicht umsonst begannen Marx und Engels ihre Analyse im Kommunistischen Manifest mit der einfachen, aber deutlichen Feststellung: „Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“
Nachdem man die Arbeiterklasse und die Jugend nicht als eigenständiges politisches Subjekt nennt, muss man wohl davon ausgehen, dass das Programm in erster Linie eine Plattform darstellt, auf der man die SPÖ für eine linkere Reformpolitik gewinnen möchte, um in weiterer Folge eine Mehrheit im Parlament zu bekommen.
So finden sich auch durchgängig Formulierungen wie „Wenn wir als Staat“, „Wir fordern“, „Wir werden das gesellschaftliche Eigentum stärken“. Der Kern der Orientierung dieses Programmes ist also: „Wir“ als Staat müssen „unseren“ Kurs auf einen Ausbau der Sozialpolitik ändern.
Wir leben aber im Kapitalismus. Das heißt, ganz unabhängig von den derzeitigen politischen Kräfteverhältnissen und den Mehrheiten im Parlament, haben wir es mit einem kapitalistischen, bürgerlichen Staat zu tun, dessen Aufgabe per Definition die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Profitwirtschaft ist.
Das haben alle Staaten, egal ob mit linken oder rechten Regierungen, in und nach der Krise von 2008/9 mit den Bankenrettungen und massiven Sparpaketen eindrucksvoll bewiesen und zeigen es auch jetzt wieder.
„Wir“ als Arbeiterinnen und Arbeiter kontrollieren diesen Staat nicht und werden es auch niemals tun. Innerhalb dieses Staates wird der Spielraum direkt begrenzt durch das Interesse der Profitwirtschaft, und in Zeiten der Krise tendiert dieser gegen 0.
Die rechte Positionierung der SPÖ ist also kein Zufall, sondern eine Folge dieses Versuchs, im Kapitalismus einen „Anteil“ am kapitalistischen Staatsapparat zu bekommen. „Aufbruch aus der Krise“ birgt so eine reale Gefahr: Das einzige „wir“, dass es für SozialistInnen geben sollte, ist das „Team Arbeiterklasse“, nicht das „wir“ des österreichischen Staates, das „Team Österreich“.
So ist auffällig, dass die Forderungen selbst im Vergleich zum SJ-Programm aus dem letzten Jahr, dem „Green New Deal“, weniger radikal sind. Die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche aus dem „Green New Deal“ wurde so durch die nach einer 35-Stunden- Woche ersetzt, deren Einführung im öffentlichen Dienst „ein Signal an die profitorientierten Bereiche der Wirtschaft“ senden soll. Aus einem öffentlich finanzierten Arbeitsplatz für „alle ÖsterreicherInnen, die arbeiten können und wollen“ wird einer für „jede Person, die ein halbes Jahr lang keinen neuen Job gefunden hat“
Im Bereich der Daseinsvorsorge begnügt das Programm sich mit staatlichem Miteigentum, die wirklich zentralen Schalthebel der Wirtschaft, wie Banken oder Industriekonzerne finden überhaupt keine Erwähnung.
„Denkanstöße“ statt Kampfprogramm
Das Programm will „Denkanstöße“ liefern, die den gesellschaftlichen Diskurs in Richtung „Vision“ einer sozialistischen Gesellschaft „langfristig“ verschieben.
Die Umsetzung des Programms soll durch das „Gewinnen von Mehrheiten“ und die Herstellung einer „Hegemonie“ sichergestellt werden. Hegemonie wird aber nicht hergestellt, indem man wohlklingende reformistische Einzelforderungen aufstellt, Kampagnen fährt und auf Stimmenzuwachs hofft, sondern indem man an den konkreten sozialen Kämpfen anknüpft.
Nur in sozialen Massenprotesten und Klassenkämpfen wird die Bewegung entstehen, die den Kampf für den Sozialismus führen kann. Der einzige Vorschlag im Programm, wie ein „Denkanstoß“ zur Überwindung des Kapitalismus konkret aussehen könnte, ist die Idee eines „Demokratischen Betriebsvermögens“, womit die ArbeiterInnen schrittweise an den Produktionsmitteln beteiligt werden sollen.
Es geht nicht um den Aufbau einer starken betrieblichen Organisation der ArbeiterInnen, die Arbeiterkontrolle über die Produktion erkämpfen, sondern um eine möglichst geschickte Politik der Regierung, die den Kapitalisten davon überzeugen soll, dass eine „faire Beteiligung“ an den Produktionsmitteln besser wäre. Im konkreten Fall könne sich das Unternehmen die Vermögenssteuer ersparen, wenn die Belegschaft dafür in der Höhe der Steuerschuld in Form von „demokratischem Betriebsvermögen“ am Betrieb beteiligt wird.
Schon weiter vorne suggeriert das Programm auch, man könne die Forderungen nach Mindestlohn oder Arbeitszeitverkürzung durchsetzen, ohne dafür kämpfen zu müssen. Es reiche schon ein Gesetz, wonach Unternehmen nur dann bei staatlichen Großaufträgen den Zuschlag bekommen, wenn sie sozial agieren.
Für ein revolutionäres Programm
Als UnterstützerInnen der Funke- Strömung in der SJ teilen wir diese Konzepte nicht. Eine Gesellschaft, in der nicht mehr die Profite, sondern die Bedürfnisse der Menschen (und der Natur) das bestimmende Kriterium sind, kann heute mehr denn je nur auf revolutionärem Weg hergestellt werden.
Ihre Rolle sollte die SJ darin sehen, junge Menschen mit dem Ziel zu organisieren, im realen Klassenkampf teilzunehmen und in diesen Kämpfen eine sozialistische Perspektive aufzuzeigen.
Das „Aufbruch aus der Krise“- Programm eignet sich nicht zu diesem Zweck. Für einen Übergang zum Sozialismus wäre es notwendig, dass in einem ersten Schritt die großen Banken und Konzerne verstaatlicht, in einen demokratischen Produktionsplan einbezogen und der Kontrolle durch die Arbeiterklasse unterstellt werden, kurz: Rätedemokratie und Planwirtschaft. Dafür, dass das Programm und Praxis der SJ wird, kämpft die Funke-Strömung. Schließ dich uns an!
[1] Wie man ein Kampfprogramm, ein Übergangsprogramm, als „Brücke“ zwischen der kapitalistischen Krise und der sozialen Revolution formuliert, demonstriert Trotzki anschaulich im Übergangsprogramm – die Diskussionen, die bei der Erstellung des Programmes geführt wurden sind ebenfalls außerordentlich lehrreich.
[2] Wir empfehlen dazu Luxemburgs Texte Massenstreik, Partei & Gewerkschaft und Sozialreform oder Revolution
(Funke Nr. 183/27.4.2020)