„Rätebewegung in Österreich – Von sozialer Notwehr zur konkreten Utopie“ heißt das neue Buch, erschienen im Mandelbaum Verlag, das sich der Revolution von 1918/9 widmet und dem Konzept der Rätedemokratie das Wort spricht.
Angesichts der offiziellen Gedenkkultur zu 100 Jahre Ausrufung der Republik und Frauenwahlrecht haben die AutorInnen das Verdienst, das verschwiegene Kapitel der Rätebewegung in Österreich und international dem Vergessen zu entreißen. Nach den historischen Romanen von Robert Foltin und dem Papiertheaterstück „Pannekoeks Katze“ wird mit diesem Buch ein weiterer Versuch einer alternativen Lesart der Revolution von 1918/9 versucht, die sich in die Tradition des Rätekommunismus stellt.
Dieser Standpunkt betont sehr stark das Element der Selbstorganisierung, das in der Tat der Rätebewegung ihr revolutionäres Potential gibt. Während in der bürgerlichen Demokratie den Menschen nur formelle Rechte gewährt werden, die tatsächliche Macht den Massen jedoch vorenthalten wird, weil die Schalthebel der Ökonomie in den Händen des Kapitals konzentriert bleiben, eröffnet die Rätedemokratie eine Perspektive der Kontrolle und Verwaltung der Wirtschaft und des Staates durch die Arbeiterklasse. Eine Rätebewegung als höchste Form politischer Massenaktivität ist daher auch eine Grundvoraussetzung, dass eine Revolution eine gesunde sozialistische Arbeiterdemokratie hervorbringen kann.
Die AutorInnen stellen es so dar, als seien die Räte die „einzige politische Form, zu der Menschen ohne äußeren Einfluss (also ohne Parteien, Anm.) zusammenfinden“. Sie zeichnen das Ideal einer in Räten selbstorganisierten Masse, die, laut Hannah Arendt, fast zwangsläufig gegen die Rolle politischer Parteien in den Räten rebellieren müsse. Repräsentation sei gegen die menschliche Natur, die Rätedemokratie, die mit dem „emanzipatorischen Lernen“ bei Kindern verglichen wird, entspreche dieser hingegen. Dass die Räte auch eine Form der Repräsentation darstellen, wenn auch eine viel demokratischere, wird dabei verschwiegen.
Um diesem Theorieansatz Genüge zu tun, müssen die AutorInnen aber die Geschichte der Rätebewegung in ihr Schema hineinpressen, und das gelingt nur, wenn wichtige Aspekte dieser Geschichte und Debatten in der Arbeiterbewegung ausgeblendet werden. Dies betrifft vor allem die Rolle der Parteien der Arbeiterbewegung, die reformistische Sozialdemokratie wie auch den Bolschewismus. Diese werden rein als Bedrohung für das Konzept der Selbstorganisation gesehen. Während die AutorInnen marginalen Gruppierungen der revolutionären Linken wie der FRSI oder Poale Zion, denen ihre Sympathie gilt, großes Interesse schenken, finden die Konzepte der in den Räten sehr einflussreichen linken Opposition in der Sozialdemokratie (SARA) und der Kommunistischen Internationale (Komintern) keine Erwähnung. Die Sozialdemokratische Arbeitsgemeinschaft revolutionärer Arbeiterräte (SARA) vereinte rund ein Drittel der Arbeiterräte und sah ihr Ziel in der sozialen Revolution, der politischen Machtergreifung durch die in Räten organisierte Arbeiterklasse. Die Komintern hatte die Erfahrung der Russischen Revolution verallgemeinert, wo anfangs ebenfalls reformistische Parteien dominiert hatten und die Bolschewiki unter Lenin und Trotzki erst durch „geduldiges Erklären“ um die politische Mehrheit kämpfen mussten. Diese Methode war aber für die linksradikalen Kräfte in der österreichischen Rätebewegung ein Buch mit sieben Siegeln, und wird auch von den AutorInnen des vorliegenden Buches einfach nicht berücksichtigt.
Was sie ebenfalls außeracht lassen, ist die Tatsache, dass die österreichische Revolution 1918/9 aufgrund der dominanten Stellung der Sozialdemokratie in der Arbeiterbewegung durch eine Phase der parlamentarischen Demokratie ging. Bis zu den ersten Wahlen setzte die Mehrheit der Arbeiterklasse ihre Hoffnung auf einen „demokratischen Weg zum Sozialismus“. Erst danach und unter dem Eindruck der ungarischen Revolution gewann die Rätebewegung wieder an Bedeutung. Diese konkreten historischen Bedingungen fassen die AutorInnen trotz einiger interessanter Beiträge (z.B. über die Bewegung im südlichen Niederösterreich) jedoch nur sehr unzureichend, weshalb sie das Scheitern der Revolution nicht erklären können und die Räteidee eine abstrakte „soziale Utopie“ bleibt.
Wir sind überzeugt, dass die Rätebewegung von 1918-1920 ein wichtiges Lehrbeispiel ist, das wir zur Vorbereitung auf künftige revolutionäre Ereignisse studieren sollten. Dieses Buch hilft uns dabei aber nicht wirklich weiter.
Funke Nr. 174 (Juni 2019)
Infos zum Buch:
Titel: Die Rätebewegung in Österreich – Von sozialer Notwehr zur konkreten Utopie
AutorInnen: Anna Leder, Mario Memoli, Andreas Pavlic (Hg.)
17.00 €, 244 Seiten
ISBN: 978385476-680-3
Erschienen: Jänner 2019 im Mandelbaum Verlag